2007-08-21
Frage an: Hans-Christian Ströbele
Frage zum Thema: Demokratie und Bürgerrechte
Frage von
Horst Murken
Sehr geehrter Herr Ströbele,
diesmal wende ich mich an Sie, da ich gerne Ihre Meinung zu der Verhaftung des bekannten Soziologen Andrej Holm hätte.
Herr Holm unterrichtet an der Humbold Universität und schreibt u.a. für das Mieterecho, Berlin.
Herrn Holm werden Kontakte zur autonomen Szene vorgeworfen, mehr ist derzeit nicht bekannt. Ihm und seinen Anwälten wird die Akteneinsicht verwehrt.
Herr Holm sitzt seit etwa zwei Wochen in Einzelhaft mit 1 Stunde Hofgang am Tag.
1.) Wissen Sie mehr über die Hintergründe?
2.) Kann man in dieser Republik mit dem Vorwurf ins Gefängnis gesteckt werden, man habe bestimmte Bekannte oder Kontakte?
3.) Kann man tagelang in Einzelhaft gesteckt werden, ohne das man den Grund dafür erfährt und eine Haftprüfung nicht stattgefunden hat?
4.) Wie stehen Sie und Ihre Partei zu diesem Vorgang?
5.) Wird es konkrete Konsequenzen bei der Bundesstaatsanwaltschaft haben, wenn die Vorwürfe nicht für eine Haft ausreichen?
Für eine baldige Stellungnahme und auch für mögliche Hintergrundinformationen wäre sicherlich nicht nur ich dankbar.
Mit freundlichem Gruß
Horst Murken
21.08.2007
Antwort von
Hans-Christian Ströbele
Sehr geehrter Herr Murken.
Nachdem ich von der Verhaftung von Andrej Holm erfahren habe, habe ich mich gleich über die Einzelheiten seiner Verhaftung die im Haftbefehl angegebenen Gründe unterrichtet. Dies auch bezüglich der die anderen Festgenommenen.
Nach Kenntnis der Begründung der Haftbefehls war ich entsetzt und bestürzt. Selbst wenn die Feststellungen des Haftbefehls zugrundegelegt werden, ist schon aus Rechtsgründen ein Tatverdacht für die Anwendung des §129 a StGB nicht begründet. Nach der Neufassung dieser Vorschrift müßten die vorgeworfenen Brandstiftungen den Staat erheblich schädigen können. Dafür fehlt jeder Anhaltspunkt.
Vollends abenteuerlich ist die Begründung des Verdachts der angeblichen Tatbeteiligung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen Herrn Holm und den anderen Wissenschaftler. Was dafür angeführt wird, sind Kontakte zu anderen Beschuldigten und eine wissenschaftliche Veröffentlichung, von der sich Teile auch in Texten der “militanten gruppe” finden, sowie daß die Beschuldigten intellektuell in der Lage sind, anspruchsvolle Texte zu verfassen und Zugang zu Bibliotheken haben. Diese Argumentation läuft darauf hinaus, eine Kontaktschuld und die intellektuelle und wissenschaftliche Befähigung zur Erstellung eines Textes für die Annahme eines Tatverdachts und den Erlaß eines Haftbefehls ausreichen zu lassen. Mit den strengen Anforderungen eines Rechtsstaates an die Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung und eines Haftbefehls ist dies sicherlich nicht zu vereinbaren.
Die gesetzlichen Verpflichtungen über die Behandlung eines Festgenommenen sind eindeutig: Der Haftbefehl ist dem Beschuldigten bei der Verhaftung bekannt zu geben. Ist dies nicht möglich, ist ihm vorläufig mitzuteilen, welcher Tat er verdächtig ist. Die Bekanntgabe des Haftbefehls ist unverzüglich nachzuholen ( § 114 a StPO) Der Beschuldigte ist unverzüglich dem zuständigen Richter vorzuführen und er ist über den Gegestand der Beschuldigung zu vernehmen. Dabei ist er auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen, sich zu äußern ( § 115 StPO) Wenn all dies nach der Verhaftung von Herrn Holm nicht geschehen ist, wurden Gesetz und Recht mißachtet. Die deutsche Justiz setzt mit diesen Haftbefehlen wie mit der bundesweiten Durchsuchungsaktion vor dem G-8-Gipfel wieder einen verhängnisvollen Weg der Überreaktion und staatlichen Repression fort.
Grüne Abgeordnete aus dem Abgeordnetenhaus und dem Bundestag haben die Inhaftierung und den Haftbefehl heftig kritisiert. So hat der Vorsitzende der grünen Fraktion im Berliner Landesparlament dies im zahlreiche öffentlichen Äußerungen und Interviews gleich nach der Inhaftierung von Herrn Holm getan. Die grüne Fraktion hat den Soziologen demonstrativ zu einem Vortag in der Fraktion eingeladen. Und die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Renate Künast, hat sich unter anderem im SPiEGEL dieser Woche sehr kritisch geäußert. Ich selbst habe in Interviews und Gesprächen mit Journalisten meine Auffassung, wie oben skizziert, mehrfach dargestellt. Vermutlich werde ich in dieser Woche erneut Gelegenheit haben, meinen Protest in der ARD zu äußern.
Am 24. August soll des Bundesgerichtshof über die Haftfortdauer entscheiden. Diese Entscheidung bleibt abzuwarten. Danach werden wir klären, welche parlamentarischen Initiativen auf Bundesebene möglich und noch nötig sind.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele
P.S.: Heute geht durch die Medien, daß zwei Beschuldigte aus der Gruppe der 50 Rechtsextremisten, die am Wochenende in Mügelen 8 Inder gejagt und zusammengeschlagen haben, nach Festnahme wieder freigelassen wurden. Zwar sollen diese beiden in der Gruppe der fremdenfeindlichen Gewalttätern gewesen sein und Parolen gerufen haben wie “Ausländer raus” und “Es lebe der nationale Widerstand”, aber es habe nicht festgestellt, daß Sie selbst auch Gewalt angewendet haben, hieß es zur Begründung. Dieser Rechtsstaat ist zum Verzweifeln.
Quelle: http://www.abgeordnetenwatch.de/hans_christian_stroebele-650-5853.html
Abgeordnetenwatch / Hans-Christian Ströbele, 21.08.2007