2007-10-26
Der Haftbefehl wurde aufgehoben, aber das Verfahren ist noch nicht
beendet. Was bedeutet das für Sie?
Das Wichtigste ist, dass mir keine erneute Untersuchungshaft droht. Das
war keine schöne Erfahrung. Auch die Meldeauflagen fallen weg, die
Kaution wird zurückgezahlt und ich brauche keine richterliche
Genehmigung mehr, wenn ich das Land verlassen will. Die Unsicherheit,
wie lange die Haft dauert, war sehr zermürbend. Ich habe 23 Stunden in
der etwa sieben Quadratmeter großen Zelle verbracht, die mit Stuhl,
Schrank und Toilette voll gestellt war. Einmal täglich durfte ich für
eine Stunde in den Hof, mit zwei anderen Personen. Nur mit einem konnte
ich reden, der andere konnte kein Deutsch. Wenn meine Anwältin oder
meine Familie zu Besuch kam, trennte uns eine Panzerglasscheibe, und
alle Gespräche wurden aufgezeichnet.
Wie wurden Sie eigentlich verhaftet?
Am 31. Juli gegen 7 Uhr wurde ich vom Hämmern an der Tür geweckt. Als
ich öffnete, wurde ich zu Boden gerissen. Dann stürmte ein Dutzend
bewaffneter Männer die Wohnung und sicherte ein Zimmer nach dem anderen,
darunter den Raum, wo unsere Kleinkinder schliefen.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft solidarisierte sich mit Ihnen.
Gefährdet der Fall aber nicht doch Ihre Karriere?
Zurzeit ist das nicht erkennbar. Ich werde weiter auf Kongresse
eingeladen. Das Positive an dieser schrecklichen Geschichte ist die
Erkenntnis, dass für die Forschergemeinde kritische Wissenschaft
dazugehört. Die Frage ist aber, wie sich das Verfahren auswirkt, wenn es
um eine Stelle geht, die auch mit öffentlichen Geldern finanziert wird.
Googelt man heute meinen Namen, dann kommen leider Dutzende von
Einträgen zur Fallbeschreibung Andrej H. und dann erst meine
wissenschaftliche Arbeit. Das ist keine gute Referenz für Bewerbungen.
Deshalb ist unser Interesse an meiner vollständigen Rehabilitierung groß.
In dem offenen Brief der Forscher hieß es, der Paragraf 129a erlaubt es,
jeden kritischen Wissenschaftler zu kriminalisieren. Warum traf es
ausgerechnet Sie?
Das wüsste ich auch gerne. Aus der Sicht meiner Anwälte war es ein
Konstrukt, das die drastische Einschränkung meiner Persönlichkeitsrechte
und die Verhaftung nicht rechtfertigte. Dieser Betrachtung hat sich der
Bundesgerichtshof angeschlossen. Das Ermittlungsverfahren wurde seit
September 2006 gegen mich und drei weitere Beschuldigte geführt. Die
Ausweitung des Verfahrens auf die drei in Brandenburg Festgenommenen
erfolgte nach zwei angeblich konspirativen Treffen mit einem von denen
im Frühjahr. Die Bundesanwaltschaft sah ein ,außergewöhnlich
hochkonspiratives Verhalten’ in einer anonymen Verabredung per E-Mail
und zwei Treffen ohne Handys für jeweils eine Stunde.
Ohne Handys — das war kein Zufall?
Nein, der Versuch sich vor Überwachungen staatlicher Behörden zu
schützen gehört leider zu einer notwendigen Praxis von vielen. In der
Vorbereitungszeit zu Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm
versuchte auch ich aktiv meine Persönlichkeitsrechte zu wahren.
Das war alles?
Ja. Ich dürfte wie Tausende andere auch in das Fadenkreuz der Ermittler
geraten sein, weil ich mich politisch engagiere in ganz konkreten
sozialen Konflikten und für eine veränderte Gesellschaft.
Die Fragen stellte Ralf Schönball
Andrej Holm (37) wurde wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer
terroristischen Vereinigung verhaftet. Gestern verneinte der
Bundesgerichtshof den dringenden Tatverdacht.
Der Tagesspiegel, 26.10.2007