2007-10-26
Zurück nach Genua
Im Rhythmus von zwei Verhandlungstagen pro Woche sind die Staatsanwälte Canepa und Canciani im Verfahren, das 25 unter den Hunderttausenden, die sich 2001 in Genua der Illegitimität der G8 widersetzten, unter Anklage stellt, zum Ende ihrer Anklagerede gekommen.
Die Höhe der Strafanträge wegen des Tatbestands der Verwüstung und Plünderung, für den ein Mindeststrafmaß von acht Jahren vorgesehen ist, hat die schlimmsten Erwartungen bei Weitem übertroffen. Insgesamt kommen 225 Jahre Haft zustande, im Einzelnen schwanken die beantragten Strafmaße zwischen 6 und 16 Jahren. Im November werden die Plädoyers der Verteidigung an der Reihe sein, dann wird wahrscheinlich noch vor Jahresende das Urteil folgen.
Nach Genua zurückkehren wird eine Notwendigkeit.
Während das Verfahren wegen der Ermordung von Carlo Giuliani mit einer Einstellung beendet wurde und die verschiedenen Verfahren in Zusammenhang mit den polizeilichen Gewalttaten selig dem Ablauf der Verjährungsfristen entgegensegeln, steht die historische Wahrheit über jene Tage und über eine Periode der sozialen Auseinandersetzung, die dort ihre Wurzeln hat und noch lange nicht zu Ende ist, in diesem einen Gerichtssaal auf dem Spiel. Nach Monaten schläfriger Untersuchungen des anklägerischen Materials und scheinbarer Ausgewogenheit hat die Anklage in den vergangenen Wochen ihren Verfälschungsplan offenbart, in dem sie das Motiv der Vorsätzlichkeit eingeführt hat: jene Handvoll Demonstranten – und im Besonderen die Zusammenhänge der Disobbedienza (zu Deutsch: Des Ungehorsams, d.Ü.) sind nach Genua gekommen, um dort den Zusammenstoß zu suchen. Ganz einfach.
Wir – die wir dort waren, wie jene, die nicht dort waren – wissen, dass es nicht so ist.
Wir wissen, dass die angekündigte Übertretung der Roten Zone sich allein defensiver Mittel behalf. Wir wissen, dass es notwendig gewesen ist, diese Mittel vollständig auszuschöpfen und noch weitere dazu im hier und jetzt zu erfinden, um sich vor der mörderischen Gewalt von vier Polizeiapparaten zu wehren, die der Umsetzung von Binnenkriegspraktiken nachgingen: dass nur eine Leiche auf dem Asphalt zurückgeblieben ist, ist dieser Motivationsart zu verdanken. In dieser Praxis wurde ein Recht auf Widerstand formalisiert, das wir als Paradigma anderer Kämpfe in der westlichen Welt erkannt haben. In diese Praxis hat sich Konsens sedimentiert, und es sedimentiert sich immer noch Konsens in ihr.
Die strafrechtliche Aktion wird gegen diesen Konsens geführt. In Genua wie in Cosenza, in Rom, Bologna und an allen anderen Orten, an denen Auseinandersetzung die aktive Dynamik der Einbringung der eigenen Körper bedeutet. Das, was an der Kreuzung Via Tolemaide/Corso Torino ereignet hat, das wissen wir, wir haben es erlebt und Bilder jeglicher Herkunft haben uns dies vorgeführt. Wir haben die Funkmitschnitte der Anweisungen der öffentlichen Ordnung gehört und fahren seit Jahren damit fort, die Beleuchtung der Zusammensetzung der Befehlskette einzufordern, um zu erfahren, welchem Glied in dieser Kette der Carabinieri-Bataillon Tuscania unterstellt war, während er ohne Grund unseren Block angriff, da es belegt ist, dass er nicht dem Lagezentrum unterstellt war.
Wir werden es weiter tun, auch wenn es nicht dieses Verfahren sein wird, das uns darüber Klarheit verschaffen wird. Nichtsdestotrotz geht uns dieses Verfahren alle an. Weil die Umschreibung der Tatsachen und die Umdichtung der Motive nicht akzeptabel und nicht allein auf die Angeklagten ausgerichtet ist, denn die unfassbare Erwartung, dass zwei Jahrhunderte Inhaftierung auf Straftaten gestützt ist, die, nach Genua, anlässlich zahlreicher Auseinandersetzungssituationen systematisch vorgeworfen worden sind, besonders in Zusammenhang mit Initiativen gegen Abschiebezentren. Es ist eine Botschaft, die an alle Gruppen geht, die sich in kämpferischen Auseinandersetzung befinden, von denen, die im Susa-Tal Züge stoppen bis zu denen, die in Kampanien Mülldeponien blockieren, gegen Militärflughäfen in Venetien kämpfen oder gegen Migrantenlager von Gradisca in Norditalien bis auf Lampedusa in Sizilien.
In dieser entscheidenden Phase der gerichtlichen Auseinandersetzung, die die Urteilsfindung sein wird, mit vielen Leuten nach Genua zurück gehen. Als Instrument zum Schutz des prozessualen Schicksals derer, die unser kollektives Empfinden konkretisiert haben, zum Schutz der Definition der historischen Wahrheit eher als der gerichtlichen und zum Schutz des Willensschatzes, den die Straßen und Plätze dieser historischen Wahrheit unserer Zukunft übergeben haben.
[Übersetzung des Demoaufrufs, im Original unter http://metropoliscafe.noblogs.org/post/2007/10/25/tornare-a-genova]