2007-10-25 

Para-militärische Geheimdienst-Polizeien für die neue Sicherheitsarchitektur

oder wie man die Aufhebung der Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit praktisch durchexerziert.

Bundesinnenminister Schäuble redet, wie viele andere internationale Sicherheitspolitiker, immer von der Notwendigkeit der Verschmelzung der Sicherheits-Strukturen hin zu einer Sicherheitsarchitektur, für die zur Gewährleistung einer Gesamtsicherheit die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit auzugeben und aufzuheben sei.

Dies wird primär mit dem islamistischen Terrorismus begründet, der nicht als kriminelles Handeln einzelner Personen oder einzelner, eigenständig handelndern Gruppierungen definiert, sondern als internationales Netzwerk kooperierender und vernetzer islamistischer Terrorzellen interpretiert wird, dem die Sicherheitspolitik einen militärischen Status als quasi global agierende Untergrund-Armee unterstellt.

Diese globale “Terror-Armee” führt einen Krieg gegen alle Staaten mit den Guerilla-Methoden der asymmetrischen Kriegsführung. Die Antwort der Staaten liegt deshalb im bekannten “Krieg gegen den Terror”.

Bild: EGF

Da sich die Einheiten dieser konstruierten “Terror-Armee” sowohl krimineller als auch militärischer Methoden bedienen, sich konspirativ organsisieren, verständigen, informieren und ihre “Angriffe” geografisch flexibel und unabhängig durchführen, folgt für die Vertreter der vereinheitlichten Sicherheit zwangsläufig, dass dieser Krieg nicht nur rein militärisch oder nur rein polizeilich zu führen sei, nicht ausschließlich mit militärischen Verbänden, die mit militärischen Mitteln nur zur äußeren Verteidigung eingesetzt werden dürfen, Polizeibehörden, die nur mit zivilen Mitteln die innere Sicherheit und Ordnung gewährleisten und Geheimdiensten, die weder über militärische noch polizeiliche Befugnisse verfügen, sondern mit einem zu schaffenden integrierten Komplex aller Sicherheitsorgane.

Dieser Komplex zeichnet sich dadurch aus, dass in ihm vormals getrennte Zuständigkeiten und Methoden auf alle Sicherheitsorgane in unterschiedlichem Umfang übertragen werden und geografisch-politische Unterscheidungen des Einsatzraumes – zwischen dem “Innern” und dem “Äußeren” – augehoben sind. Die “innere” und “äußere” Sicherheit soll so zu einer “Gesamtsicherheit” vereinheitlicht werden – in dieser Phase befinden wir uns jetzt mit den Diskussionen um Flugzeugabschüsse, Einsatz der Bundeswehr im Innern per Grundgesetzänderung und dem zur Geheimpolizei aufgerüsteten Bundeskriminalampt per BKA-Gesetz Novelle als aktueller Begleitmusik.

Ob es die Vorgänge im Vorfeld und Verlauf des G8-Gipfels in Heiligendamm sind, die durch die massive Präsenz und den Einsatz militärischer Verbände während des Gipfels und die nachrichtendienstliche Aufklärung der Demonstrationsszene im Vorfeld des Gipfels geprägt waren, die massive Überwachung von Gegnern und Kritikern der Bush-Administration und ihres Krieges im Irak in den USA, die von militärischen Geheimdiensteinheiten des US-Verteidigungsministeriums in Kooperation mit dem FBI im Innern durchgeführt wurde oder Kriegsszenarien und Sicherheitsforschungsprojekte, die eindeutig von Großstädten als dem hauptsächlichen “Krisenherd” oder “Kriegsschauplatz” der Zukunft ausgehen, mit Menschenmassen, die es zu kontrollieren und einzudämmen gilt:

Der Komplex einer vereinheitlichten Gesamtsicherheit kann und soll ebenso in diesen “Krisengebieten” zum Einsatz kommen, in denen ziviler Protest, Aufruhr oder Widerstand zu “Gefahrenräumen” führen, die dann mit den Befugnissen, Strukturen und Methoden bekämpft werden können, die heute für den “Krieg gegen den Terror” und den Schutz heutiger terroristischer “Gefahrenräume” eingerichtet werden.

Es reicht eigentlich schon ein Blick auf Tabellen im EU Terrorism Situation And Trend Report 2007 von EUROPOL, um zu erkennen, dass 1. nicht die Angst vor einer global operierenden islamistischen “Terror-Armee” im Fokus steht, die gerade jetzt mit Atom-Bomben herumhantiert, sondern die Angst vor haus- und selbstgemachten Bedrohungen und Destabilisierungen im Inland und 2. die Bedrohung der globalen Terror-Armee europaweit aus ein paar Hundert Personen besteht, von denen ein großer Teil überhaupt nichts mit islamistischem Fundamentalismus zu tun hat.

Wem das nicht reicht, der kann sich noch einmal die Bedrohungssimulationen vor Augen führen, die von deutschen Sicherheits- und Innenpolitikern mit Hilfe der Sauerländer “Islamistischen Dschihad Union” Terrorzelle und der Kölner Kofferbomben Terrorzelle für die Öffentlichkeit in Szene gesetzt werden und die potentiellen Auswirkungen von Anschlägen in Beziehung zu den Toten und Gescheiterten setzen, die manch andere als “normal” empfundene Bedrohung jedes Jahr mit sich bringt.

Leider schaut sich der deutsche Michel an deutschen Stammtischen und nach der Bild-Zeitung keine Berichte und Statistiken an oder überdenkt die ganzen Bedrohungs- und sicherheitssimulationen, die ihm jeden Tag brühwarm aus den Partei- und Regierungszentralen zum Kaffee oder zur Pulle Bier serviert werden.

Aber um auf den Einsatz des Komplexes gegen Krisen- und Kriegssituationen im Innern zurückzukommen – damit hat es der Bundesinnenminister auf nationalem Boden doch teilweise schwer, wenn es um brachialere Eingriffe wie den Einsatz der Bundeswehr für polizeiliche Krisenmanagement-Einsätze geht. Dafür wollen sich einfach noch keine politischen Mehrheiten finden lassen, obwohl mit jedem Einsatz gepokert wird, seien es abstürzende Flugzeugbomben oder radioaktiv verseuchte Schmutzbomben. Vielleicht ist Guido Knopp im ZDF mit seiner wöchentlichen Geschichts-Erinnerungsshow doch zu fleißig und frischt zu oft die Erinnerung an marschierende reguläre und irreguläre Truppen im deutschen Inland auf.

Was wäre aber, wenn so etwas über die europäischen Ebene zu realisieren wäre? Mit einer internationalen Truppe, die nicht ganz der Polizei, aber auch nicht ganz dem Militär zuzurechnen wäre bzw. um es deutlich zu sagen: Einer polizeilichen para-militärischen Eingreiftruppe, die mit militärischen, geheimdienstlichen und polizeilichen Mitteln und Befugnissen ausgestattet, rapide in nationalen Krisenräumen stationiert werden könnte, um Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen.

Zum Glück gibt es so etwas mit dem heute in Kraft tretenden Abkommen zwischen Spanien, Frankreich, Portugal, den Niederlanden und Italien zur Einrichtung und Leitung der Europäischen Gendarmerie Truppe (“European Gendarmerie Force”, EGF oder auch EUROGENDFOR), die eigentlich schon seit drei Jahren still und leise aufgebaut wurde.

“Das kreuzförmige Schwert symbolisiert die Truppe, die Lorbeerkorne den Sieg und die in Flammen stehende Granate die gemeinsamen militärischen Wurzeln der Polizei-Truppe”.
Das Motto “LEX PACIFERAT” lautet übersetzt “Das Recht bringt den Frieden” und betont “das Prinzip der strengen Beziehung zwischen der Durchsetzung der Rechtsgrundsätze und der Wiederherstellung einer sicheren und geschützten Umgebung”, das von der EGF als Grundstein ihres Auftrags angesehen wird.

Das Besondere an dieser nicht-stehenden Truppe ist die Rekrutierung ihrer Mitglieder aus allen nationalen Polizeiverbänden, die polizeiliche Befugnisse besitzen, aber aufgrund ihrer Ausbildung, dem Einsatz der Waffen und ihrer Führung einen militärischen Status innehaben.

Dazu zählt die spanische Guardia Civil, die potugiesische Guadia National Republicana, die niederländische Koninklijke Marechaussee, die italienischen Carabinieri und die französische Gendarmerie Nationale als Partner die polnische Militärpolizei Żandarmeria Wojskowa.

Aus Mitgliedern der paramilitärischen Polizeieinheiten wird durch das EGF Hauptquartier im italienischen Vicenza, in dem ständig 14 Offiziere und 15 Unteroffiziere unter Leitung eines Kommandeurs der paramilitärischen Polizeiverbände (seit 26.06.07 Colonel Truglio der Carabinieri) stehen, innerhalb von 30 Tagen ein 800 Mann starkes Kontingent zusammengestellt und koordiniert, dass bis auf 2300 Mann aufgestockt werden kann, wenn es irgendwo “brennt”.

Wer die Truppe und das Hauptquartier führt, wann und unter welchen Bedigungen die Truppe zusammengestellt, ausgesendet und stationiert wird, mit welchen anderen polizeilichen und militärischen Verbänden in militärischen und polizeilichen Missionen die EGF zusammenarbeitet und welche Stratgien für die EGF gelten entscheidet dabei ein “Kriegsrat” in Gestalt des Ministerausschusses CIMIN, der sich aus den Verteidigungs- und Sicherheitsministern der teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten zusammensetzt. Die Truppe kann entweder auf Anfrage und nach Beschluss der EU, der NATO, der OSCE oder der Vereinten Nationen in Marsch gesetzt werden, aber auch in ad hoc Koalitionen zwischen den teilnehmenden Staaten bzw. wenn ein Staat die Unterstützung der EGF anfordert.

Was die Einsatzbereiche, Aufgaben und Befugnisse der EGF angeht, zitiere ich am besten aus dem Abkommen:

Einsätze und Aufgaben

1. In Übereinstimmung mit dem Mandat jedes Einsatzes und unabhängig oder in Verbindung mit anderen Streitkräften/Truppen operierend, muss EUROGENDFOR imstande sein, dass gesamte Spektrum polizeilicher Einsätze abzudecken, durch Ersatz oder Verstärkung, während aller Phasen des Krisenmanagement Einsatzes.

2. EGF Truppen können entweder unter zivile Befehlsgewalt oder militärisches Komamndi gestellt werden.

3. EUROGENDFOR kann verwendet werden für:

a. Erbringung von Missionen zur [Durchsetzung] von Sicherheit und der öffentlichen Ordnung;

Kontrolle, Beratung, Betreeung und Beaufsichtigung lokaler Polizeibehörden während ihrer täglichen Arbeit, inklusive Strafermittlungstätigkeiten;

c. Ausführung von Maßnahmen zur Überwachung der Öffentlichkeit, Verkehrsregelung, Grenzschutzaufgaben und allgemeinen Tätigkeiten zur geheimdienstlichen Informationsbeschaffung;

d. Erbringung von Strafermittlungstätigkeiten, inklusive der Erkennung von Vergehen, Verfolgung von Tätern und ihrer Überstellung an die geeigneten Justizbehörden;

e. Schutz der Bevölkerung und des Eigentums und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beim Auftreten öffentlicher Unruhen;

f. Unterweisung von Polizeioffizieren gemäß internationaler Standards;

g. Unterweisung von Ausbildern, besonders im Rahmen von Kooperations-Pogrammen.

In den FAQs der EGF steht zusätzlich:

EGF Participants have responded to the need to rapidly conduct civil security actions, sometimes parallel with the military intervention, by establishing this multinational tool. The EGF should facilitate the handling of crisis that require management by police forces, usually in a critical situation, either in a civil crisis environment or alongside a military force.

The added value of the EGF is, that this multinational co-operation:
- is capable (due to the shared values, skills and drills) and willing to perform in more robust police missions under more demanding circumstances and military command.
- is robust, information-gathering orientated and is designed to provide an efficient response to criminal activities;
- is capable of dealing with all the issues related to public order and security so that to speed the demilitarisation and the normalization of the crisis area;
- is able and willing to perform all kinds of police missions, in both substitution and strengthening missions;
- is capable to be integrated in a military crisis management tool

…the total strength of the Force could reach 2300, composed of :
- An operational component, dedicated to missions of general public security and maintenance of public order;
- A crime-fighting component, including specialists in criminal investigation missions, detection, gathering, information analysis and processing, protection and assistance of individuals, anti-trafficking, fight against terrorism and other major crimes, and other specialists.

From shared experiences in recent crises, the setting in which police forces can fully operate needs to include:
- intelligence support, from local administration and other actors in the field, in order to ensure convenient security for the force, to support investigations on war criminals, criminal organisations etc. In that field, interception techniques, language experts and local staff can be required
Die EGF Truppen verfügen dafür über die gleichen Polizeibefugnisse wie die Polizeikräfte des Staates, der die EGF anfordert oder in dem die EGF stationiert wird. Sie erhalten Unterstützung durch die nationalen Geheim- und Nachrichtendienste und wenden selbst geheim- und nachrichtendienstliche Mittel und Methoden an.

Die EGF Kräfte können dabei in militärische oder polizeiliche Missionen eingebunden werden, die durch die Militärverbände und Polizeikräfte des Staates, in dem der Einsatz stattfindet, ausgeführt werden und deshalb mit allen militärischen und polizeilichen Mitteln operieren. Andersherum können bei EGF Missionen Militärstreitkräfte und Plozeikräfte der teilnehmenden Staaten mitwirken.

Polzei-Soldaten und Personal der EGF müssen sich zwar an das geltende Recht des Staates halten, in dem sie eingesetzt und stationiert werden, alle Gebäude und Gelände, die von EGF Truppen in Beschlag genommen werden, sind aber immun und selbst für Behörden des Staates, in dem die EGF tätig wird, nicht ohne weiteres zugänglich.

Wenn Angehörige der EGF oder die EGF selbst vor Gericht erscheinen sollen, können sie durch vom EGF Kommandeur bevollmächtigte Personen oder gar durch den Einsatzort-Staat selbst vor Gericht ersetzt werden. Die Weitergabe und der Austausch von Informationen und Materialien, die die EGF betreffen oder von ihr produziert werden, werden über eigene Sicherheitsabkommen der teilnehmenden Staaten geregelt und mit dritten Parteien nur aufgrund zusätzlicher Sicherheitsabkommen zwischen den EGF Staaten und den dritten Parteien zugelassen. Die Kommunikation der EGF Einheiten wird über eigene verschlüsselte Kanäle durchgeführt und ist von Überwachungs-Infrstrukturen und -Maßnahmen der beteiligten Staaten ausgenommen.
EGF Training

Bilder zu Anti-Aufruhr Übungen gegen “Terroristen” aus der Galerie der Europäischen Gendarmerie Truppe.
Was ist das? Nur eine weitere Sicherheitseinheit als Baustein für eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und den schnellen Einsatz als Eingreiftruppe in internationalen Krisengebieten oder eine para-militärische und geheimdienstliche Polizeitruppe, die in sich alle militärischen, polizeilichen und nachrichtendienstliche Befugnisse und Mittel vereinigt, die sie nach einem Mandat eines ministeriellen Krisenstabs an jedem Ort zur Bekämpfung von Unruhen, Aufständen und politischen Großdemonstrationen im Verbund mit nationalen Polizei- und Armeeverbänden ausüben darf?

Eine Truppe, nach der sich ein Bundesinnenminister wie Schäuble, der von der Aufhebung der inneren und äußeren Sicherheit und Verschmelzung aller Sicherheitsstrukturen zu einer vereinheitlichen Sicherheitsarchitektur träumt, alle zehn Finger ablecken wird. Und die vor sich hinträumende Öffentlichkeit Europas wird weiterhin glauben, es ginge nur um ihren Schutz und den “Krieg” gegen “Terroristen”.

http://blog.kairaven.de