2007-10-02 

SO36.NET: Beitrag zur Demonstration 'Freiheit statt Angst'

Am 22.9. fand in Berlin die Demonstration ‘Freiheit statt Angst’ statt. 10-15 Tausend Menschen demonstrieren gegen Pläne zur ‘Vorratsdatenspeicherung’ und ‘Überwachungswahn’. Im Folgenden hier ein Redebeitrag aus dem SO36.NET

die freiheit der andren

(…) Ihr befindet euch auf der Demonstration mit dem bezeichnenden Titel: ‘Stoppt den Überwachungswahn’. Nach Regierungs-Plänen soll ab 2008 nachvollziehbar werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Mobiltelefon oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat. Bei Mobil-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. Anonymisierungsdienste sollen verboten werden.

Wenn ihr also künftig vermeiden wollt, dass Monate später ggfls. bis auf wenige Meter genau nachgewiesen werden kann, wo ihr just im Moment steht, wäre es von Vorteil jetzt euer Mobiltelefon auszuschalten.

Das bringt mich zum nächsten Punkt:

Bild: Demo am 22.9.2007

Bild: Demo am 22.9.2007

Sofern ihr jetzt alle die Mobiltelefone ausgeschalten habt könnte dieser Umstand später gegen Euch verwendet werden und zur Annahme führen, ihr hättet ein ‘konspiratives Treffen’ abgehalten.

Das ist KEIN Witz.

Das ist ein Indiz, aufgrund dessen Menschen in den letzten Wochen mit dem Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung einen Freiflug nach Karlsruhe incl. Aufenthalt in Untersuchungshaft gewonnen haben. Vieleicht solltet ihr das Mobile doch wieder anschalten.

Doch weg von der künftigen verdachtsunabhängigen Vorratsdatenspeicherung – ein blick zurueck:

Am 9. Mai diesen Jahres gab es Durchsuchungen an 40 unterschiedlichen Orten im Bundesgebiet. SO36.NET war als Erbringer von Kommunikationsdiensten ebenfalls davon betroffen. Zeitgleich wurde an unterschiedlichen Orten nach unseren ‘Servern’ gefahndet. Das Ziel des BKA waren u.a. Postfächer . Wenn euch genaueres zum Ablauf interessiert möchte ich auf unsere Veröffentlichung hierzu verweisen, die auf unserer Website nachzulesen ist. → http://so36.net

In der Begründung des Durchsuchungsbeschlusses wurde ausgeführt – beachtet hier bitte den Konjunktiv! – dass ‘geplante Aktionen den G8-Gipfel in Heiligendamm erheblich stören oder gar verhindern könnten. Darüberhinaus könnte die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen Schaden nehmen.’

Die Bundesanwaltschaft gab nach den Durchsuchungen zu Protokoll: “Die heutigen Untersuchungen sollten Aufschluss bringen über die Strukturen und die personelle Zusammensetzung von diesen Gruppierungen, und dienten nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen. Dafür gab es keine Anhaltspunkte”.

Freunde und Freundinnen, die von den Ermittlungen und Durchsuchungen im Mai betroffen waren amüsieren sich noch immer großartig über die tumbe Art, mit der das Bundeskriminalamt im Verbund mit der Bundesanwaltschaft ihren Coup zum einem ansehnlichen ‘Schlag ins Wasser’ machten und damit letztlich ordentlich zur Mobilisierung nach Heiligendamm beitrugen.

So ausgesprochen witzig auch mancherlei Konstrukt und Vorgehen war, bei genauerem Hinsehen haben die Durchsuchungen vom Mai zumindest deutlich gemacht:

Auch wenn kritische Stimmen zu den Verhältnissen in der Bundesrepublik eher stiller geworden sind, der Kurzschluss, damit lasse potentiell die Intensität der Überwachung und Verfolgung nach, erweist sich als fatale Fehleinschätzung. Eher ist das Gegenteil der Fall.

Allein die Aktenauszüge, die SO36.NET zur Einsicht bekommen hat machen deutlich, dass in einem zeitlichen und personellem Ausmaß Recherchiert und Bespitzelt, Überwacht, Abgehört und Verfolgt wird, der weit mehr, als nur die konkret Beschuldigten in ihren Freiheitsrechten einschränkt, bzw. das Recht auf informationale Selbstbestimmung aushölt. In diesen Akten nicht namentlich vorzukommen ist eher unwahrscheinlich.

Doch dies ist insbesondere nicht nur ein Problem, das Menschen betrifft, die etwa eine politische Praxis haben, sondern weit über diese hinaus reicht.

Aus diesem Grund ist es nur richtig, sich auch hier auf dieser Demonstration mit vielen andren gegen die Pläne von Schäuble und Co. stark zu machen.

Die Ermittlungstätigkeiten von LKA/BKA verlagern sich nicht zuletzt aufgrund der technologischen Möglichkeiten von einer ‘Aufklärung im Nachhinein’ zur ‘Präventiven Aufklärung’ – sicherlich, das gehörte schon immer zum Aufgabengebiet der Nachrichtendienste, neu ist allerdings die sich auflösende Grenze zwischen Geheimdiensten und Polizei und die Schaffung der gesetzlichen Grundlagen, mit der eine bestehende Praxis legitimiert und im selben Atemzug enorm Ausgeweitet wird.

Das ganze flankiert, untermauert und vorangetrieben durch eine PR-Kampagne, die so sie nicht aus Regierungskreisen selbst kommen würde, sicherlich Ermittlungsverfahren wegen ‘Volksverhetzung’ oder ‘Landesverrat’ nach sich ziehen dürfte, auf jeden Fall allerdings den (schein-)demokratischen Rahmen, den sie zu verteidigen vorgeben eindeutig selbst verlassen haben.

War die Argumentation in der Vergangenheit ‘Kommunistische Umtriebe’, in der jüngeren noch ‘Organisierte Kriminalität’ so scheint heute sehr funktional zu sein, von ‘Terrorismus’ oder ‘Islamismus’ zu sprechen, um den ‘Sicherheitsdiskurs’ am kochen zu halten.

Schäuble verlautbarte vor ein paar tagen in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: Wenn er heute sehe, wie die Terroristen aus unseren öffentlichen Debatten lernen, fürchte er manchmal, dass die Bedrohung nicht ab-, sondern zunimmt.

Unklar ist, ob er damit seine eigenen Debattenbeiträge etwa in Fragen der prophylaktischen Liquidierung von sog. Terroristen™ meint. Er könnte auch jene Beiträge von Verteidigungsminister Franz Josef Jung im Blick haben, der auch gegen geltendes Recht etwa entführte Flugzeuge mitsamt Passagieren und Besatzung ins Jenseits befördern will.

Das führt mich zur sinnfälligen Frage: ‘Who are the terrorists?’

Wenn jetzt propagandistisch der Weg geebnet wird hin zu umfassender Kontrolle, die schon mal über Leichen geht, der Begriff ‘Innere Sicherheit’ gleichzusetzen ist mit dem Verlust an Freiheitsrechten, – dann sind einerseits Abwehrkämpfe wie diese Demonstration aber natürlich auch der massenhafte und selbstverständliche Einsatz von Werkzeugen, die dazu beitragen können ein Mindestmaß an Privatsphäre auf dem Gebiet der digitalen Datenkommunikation zu erhalten, bzw. zurückzuerobern ein wichtiger Beitrag um den negativen Konsequenzen von Web2.0 bis Stasi2.0 zu begegnen.

take care not to get sucked into /dev/null!

[http://www.so36.net/urandom/30.html]