2007-09-28 

FelS.: Wälder, Wiesen und wünschenswerte Widerstandswirkungen

Einschätzungen der Gruppe FelS zu den Protesten gegen den G8-Gipfel

„G8 2007 – Heiligendamm blockiert!“

So lautet die Aufschrift eines T-Shirts der Block
G8-Kampagne im Zuge derer Anfang Juni diesen
Jahres Zehntausende rund um Heiligendamm die
Zufahrtsstraßen des G8-Gipfels blockierten. Polit-
T-Shirts kann man gut finden oder nicht und wie
immer wird die Meinung über die Message wohl
nicht zuletzt durch das Ereignis geprägt. In dem Fall
handelt es sich um eine eindeutige Einschätzung der
Protest-Ereignisse: „Wir haben gewonnen!“ wollen
die T-Shirts sagen und es stellt sich die Frage, ob
das überhaupt stimmt und was nach den Protesten
im Juni für die Zukunft noch bleibt. Für die Gruppe
FelS weisen die Massenblockaden gegen den G8-
Gipfel in eine ähnliche Richtung wie die Berlin-
Umsonst-Kampagne für ein kostenloses gutes Leben
(www.berlin-umsonst.tk) und die Mayday-Paraden
gegen Prekarisierung (berlin.euromayday.org). Sie
machen deutlich, dass das Experimentieren mit unterschiedlichen
Formen von Protest und linker Politik
nötig ist – und wie im Fall der Blockaden – erfolgreich
sein kann.

2007

In Heiligendamm wurden nicht nur die unterschiedlichen
Potentiale globalisierungskritischen
Protests und ihrer Widerstandspraxen gebündelt
sichtbar, sondern auch die Debatte um das Verbinden
grundsätzlicher Kritik an den bestehenden Verhältnissen
mit widerständigen und kollektiven Ausdrucksformen
hat wieder Aufwind bekommen.

Ein Block im Kornfeld

„Block G8 – Zufahrtsstraßen dichtgemacht!“ und
„So sehen SiegerInnen aus – schalalala“ riefen Tausende
auf der Abschlussdemonstration durch Bad
Doberan am letzten Tag des Gipfels und feierten
so, dass sie dauerhaft und effektiv den Gipfel seiner
Landwege und Infrastrukturzufuhr beraubt hatten
und damit die praktische Delegitimierung des Treffens
deutlich gemacht hatten. Warum ein paar Tage
zuvor fast niemand mit einem solchen Ende der Proteste
gerechnet hatte, zeigt ein kurzer Rückblick:
Nach einem guten Start der Protestwoche wurde
das Bild zunächst durch das brutale Vorgehen der
Polizei am Ort der Abschlusskundgebung und das
fehlende solidarische Vorgehen nach der Großdemonstration
am 2. Juni in Rostock getrübt. Die von
der Polizeiführung und Politik geschürte Medienhetze
nach der Großdemo sorgte auf der Demonstration
für globale Bewegungsfreiheit am Montag
im Zusammenspiel mit den fortwährenden Provokationen
der Polizei gegenüber den 10 000 DemonstrantInnen
dafür, dass die Demo noch weit
vor ihrem Ziel, dem Stadthafen, abgebrochen werden
musste. Am nächsten Tag wurden jegliche Aktionen
gegen die Anreise von Georg Bush am Vortag
des Gipfelbeginns unterbunden. Während die
Stimmung auf den Camps in Wichmannsdorf,
Reddelich und Rostock von diversen Höhen und
Tiefen geprägt war, führten die TrainerInnen von
Block G8 wie geplant zahlreiche Aktionstrainings
durch. Es übten in diesen Tagen geschätzte 2500
Menschen den Ernstfall: angefangen beim Bilden
von Bezugsgruppen, über das geschickte Überwinden
von Polizeiketten mithilfe der 5-Fingertaktik bis
hin zu effektiven Blockadetaktiken. Auf Diskussionsveranstaltungen und in Delegiertenplena wurde
die Strategie diskutiert und schließlich waren viele
vorbereitet und vor allem entschlossen ihr Ziel, die
praktische Delegitimierung
des Gipfels durch Blockaden,
in die Tat umzusetzen. Eine der am besten
organisierten und klar verabredeten linken Aktion
der letzten Jahre stand in den Startlöchern.
Das erste Hindernis noch vor dem Aufbruch zur
Überwindung der Polizeibarrieren waren die Debatten
darüber, ob die Blockaden nach den Ereignissen
der vergangenen Tage überhaupt stattfinden
sollten. Vor allem Mitglieder der Attac-Koordinierung,
vorher Befürworter der Block G8-Kampagne,
wollten die Blockaden auf unbedeutende Straßen
verlegen und damit auf rein symbolische Protestaktionen
herabstufen.
Glücklicherweise geschah dies
nicht ohne den vehementen Protest vieler Attac-BasisaktivistInnen,
die entschlossener und mutiger waren
als ihre SprecherInnen und sich den Blockaden
anschlossen. Letztlich sorgte die Attac-Basis zusammen
mit den weiteren tausenden TeilnehmerInnen,
dass die Staatsgewalt ziemlich alt aussah in dem Versuch,
die ausströmenden Finger davon abzuhalten
sich Meter um Meter den Nadelöhren in dem Heiligendammer
Zaun zu nähern.
Die Stärke und Entschlossenheit lässt sich auf einige
Koordinaten der Kampagne Block G8 zurückführen:
Transparenz und Offenheit bei Planung und
Durchführung der Aktion, die gemeinsamen Diskussionen
über die Strategien und Hemmschwellen,
eine verbindliche Einigung auf einen gemeinsamen
Aktionshorizont, der die spektrenübergreifende Vorbereitung
ermöglichte. Dies waren die Grundlagen
dafür, dass weder die Einschüchterungsversuche in
den Vortagen, noch die Wasserwerfer und knüppelnden
Polizeikräfte auf den Straßen oder die Zweifelnden
den Erfolg von Block G8 verhindern konnten.
Was bleibt ist die Erfahrung, dass Radikalität in
breiten Bündnissen und spektrenübergreifende Mobilisierungen
möglich und nötig sind. Und das massenhafter
Ungehorsam auch in Deutschland machbar
ist. Es zeigt sich, wie wichtig transparente und
verbindliche Absprachen sind, um sicherzustellen,
dass sich tausende Menschen aus unterschiedlichen
Teilen der Bewegung, die vielfach unorganisiert und
ohne Aktionserfahrung waren, zu einer kollektiven
kraftvollen Aktion vereinen können.

United or divided colors of resistance?

Nahezu 80.000 Menschen folgten den Aufrufen zur
Großdemonstration nach Rostock. Die Demo war
das Ereignis, zu dem die meisten Organisationen,
Gruppen und politische Strömungen zusammenkamen,
und dies fast gänzlich ohne die Unterstützung
großer Apparate und Hauptamtlicher. Trotz
der Breite des Zusammenschlusses konnten linksradikale
Positionen artikuliert werden: In Redebeiträgen,
Durchsagen der Demoleitung, der Mitgestaltung
des Demo-Aufrufs wie auch bei der Aufstellung
eigener Blöcke waren wir im Rahmen der Interventionistischen
Linken (IL, www.linke-intervention.org)
involviert. Der von der IL organisierte „make capitalism
history“-Block war sicherlich einer der größten
Blöcke auf der Demonstration. Während die Euromayday-
AktivistInnen, in Superhero-Kostümen oder
als Überflüssige verkleidet gegen Kapitalismus, Prekarisierung
und Rassismus demonstrierten, zogen es
viele andere vor, im klassischen Dress gegen die herrschende
Weltordnung zu demonstrieren. Die in weiten
Teilen als Schwarzer Block auftretende Formation
und die anschließenden Auseinandersetzungen
mit der Polizei werden von einigen AktivistInnen als
willkommener Kontrapunkt zu den nachfolgenden,
nicht auf Eskalation setzenden Protesten dargestellt.
Es wird behauptet hier seien antagonistische Positionen
der Radikalen Linken, die Kapitalismus und
Dialog mit den Herrschenden ablehnen, am deutlichsten
zu Tage getreten. Zwar stimmt es, dass militanter
Protest weit davon entfernt ist, den Umarmungsstrategien
aus Medien und Politik zu erliegen,
dennoch stellt sich die Frage, ob die Unvereinbarkeit
linksradikaler Positionen mit der herrschenden
Ordnung sich nicht ebenso bei den Blockaden artikulierte,
als sich tausende Menschen gut koordiniert
und entschlossen und mehreren Polizeisperren trotzend,
den Weg auf die Zufahrtsstraßen erkämpften.
Und kann es nicht als ebenso antagonistisch bezeichnet
werden, dass die TeilnehmerInnen der Demonstration
für globale Bewegungsfreiheit nicht auf
die unzähligen Polizei-Provokationen eingingen und
damit den klaren Rahmen zum Schutz von anwesenden
Flüchtlingen einhielten.

Happy together?

„Der G8-Protest war ein großer Erfolg“ – eine Sichtweise,
die nicht nur aus linker Perspektive existiert,
sondern auch von Angela Merkel für sich beansprucht
wird. Hat der Protest gar nichts gebracht
und werden wir schlicht als das „demokratische Antlitz“,
einer Bundesrepublik, die sich Widerspruch
zur herrschenden Politik leisten kann, dargestellt?
Natürlich gilt es zu recherchieren, an welchen Stellen
der reibungslose Ablauf des Gipfels unterbrochen
wurde und wo wir gestört haben: Die Delegationen
wurden am ersten Gipfeltag angewiesen in
die Hotels zu fahren, statt nach Heiligendamm, wie
es eigentlich geplant war. Nur eine handvoll Journalisten
wurde per Militärboot über den Seeweg
in die Sicherheitszone gebracht und nur sie konnten
über die Auftaktpressekonferenz berichten. Wir
können festhalten, dass der Gipfelort landseitig die
meiste Zeit abgeschlossen war und es mühsam einerseits
und schwer möglich andererseits ist, herauszufinden,
welche Behinderungen und Patzer im
geplanten Ablauf tatsächlich stattfanden. Sicher ist
nur, dass die Bilder eines belagerten und nicht reibungslos
durchführbaren G8-Gipfels um die Welt
gingen und dass die Treffen der G8 in den nächsten
beiden Jahren auf Inseln abgehalten werden, dürfte
mitunter auch ein Erfolg der Mobilisierung nach
Heiligendamm sein.
Dass nun ebenso die Regierungsvertretungen
der G8 von Erfolgen sprechen, sollte bei einer massiven
medialen Inszenierung nicht überraschen.
Für uns existieren unterschiedliche Gradmesser für
den Erfolg: Blicken wir auf die Pluralität und Stärke
des Protests, wie auch die vielen Fragen, die neu
zu diskutieren sind, so blicken die VertreterInnen
der Bundesregierung dagegen auf ihre mediale Darstellung
der G8-Debatte. Außerdem zeichnen sich
die Mechanismen der Macht dadurch aus, das auf
Protest reagiert werden kann und er beispielsweise
(um-)gedeutet und / oder vereinnahmt wird. Denn:
Widerstand und Macht existieren nicht unabhängig
voneinander.
Ein gutes Beispiel dafür war der Gipfel(-protest)
im schottischen Gleneagles 2005: Vertreter der britischen
Regierung suchten an verschiedenen Stellen
die Kooperation mit dem Protest-Bündnis und
konnten – erleichtert durch das Fehlen linksradikaler
Kräfte – in diesem Bündnis inhaltlich an Einfluss
gewinnen. Medial vermittelt wurde ein Schulterschluss
zwischen Regierung und Protest-Bündnis
unter dem Motto: Gemeinsam gegen Armut.
Welche Mechanismen und Anforderungen an die
armen Länder mit dem auf dem G8-Gipfel 2005 beschlossenen
Programm zur Bekämpfung der Armut
und dem Schuldenerlass verbunden waren, wurde
nur selten kritisch aufbereitet. Grundsätzliche, fundamentale
Kritik an der Ordnung der Welt tauchte,
auch aufgrund einer relativen Isolierung der Radikalen
Linken, so gut wie gar nicht auf. Auch der G8-
Gipfel in Köln 1999 ist ein Beispiel für diese Vereinnahmung.
Dort behauptete Gerhard Schröder,
dass es Aufgabe der G8 sei der Globalisierung ein
soziales Antlitz zu geben und versuchte damit kritischen
Stimmen den Wind aus den Segeln zu nehmen,
nicht zuletzt, um sich und die anderen G8-
Vertreter zu legitimieren.
Doch Heiligendamm war anders: Auch wenn
es Versuche gab, die Wirkung der Blockaden herunterzuspielen,
so übermittelte gerade diese Aktionsform
in den Medien und für die Menschen vor
Ort die Botschaft einer deutlichen Absage an jegliche
Verhandlungen mit den G8. Im wahrsten Sinne
des Wortes verkörperten die tausenden von Menschen
die fast zwei Tage auf den Straßen vor Heiligendamm
ausharrten, das Begehren nach einem
grundsätzlichen Bruch mit den herrschenden globalen
Verhältnissen. Und auch der „make capitalism
history-Block“ machte diesen Anspruch deutlich
und war als der Teil der Großdemonstration
nicht zu übersehen. Unversöhnlich kam auch der
Aufruf zur Demonstration mit seiner klaren Absage
gegen den globalen Krieg daher, und konnte damit
von den Ranschmeißern an den globalisierungskritischen
Protest wie der Bundesvorsitzenden der Grünen
Claudia Roth nicht unterzeichnet werden.

Vom Raps und Weizen lernen:

Erneuerbare Energien für die Bewegung
Das G8-Gipfeltreffen nutzten die unterschiedlichsten
Gruppen und Organisationen als Anlass, die globalisierungskritische
Bewegung auch in Heiligendamm
in Erscheinung treten zu lassen. Ereignisse
wie diese sind immer nur ein Anfang, auch jetzt
müssen wir wieder die Politisierungs- und Organisierungsansätze
aufgreifen und die positiven Erfahrungen
von Heiligendamm, wie die massenhaften
Aktionen des Ungehorsams, in unsere alltägliche
Auseinandersetzung mit den Schlechtigkeiten dieser
Welt hineintragen. Seien es die Kämpfe gegen
Prekarisierung oder Kampagnen gegen den Sicherheitsstaat,
die Mobilisierungen gegen Nazi-Aufmärsche
oder die Kämpfe gegen rassistische Abschiebelager
oder die zahlreichen anderen Bereiche, in
denen Linke für eine bessere Welt streiten. Jetzt da
die Blockaden gegen die G8 noch unmittelbar präsent
sind, können wir auf eine Art kollektives Gedächtnis
zurückgreifen und die geteilten Erfahrungen
nutzen, um sie anderer Stelle in modifizierter
Weise wieder anzuwenden. Lassen sich die Blockadekonzept
auch auf Nazi-Aufmarsch-Blockaden anwenden?
Lässt sich auch eine öffentlich kommunizierte
Aktion des massenhaften Ungehorsams gegen
prekäre Arbeitsverhältnisse oder rassistische Diskriminierung
durchführen?
Auch wenn die Welt nach dem G8 keine andere
geworden ist, ist ein Potential für Veränderung
sichtbar geworden. Dieses kann unsere Handlungsspielräume
erweitern und setzt neue Energien frei.
Und genau deswegen ist es wichtig, dass wir uns für
die Stunden in Heiligendamm als Gewinnerinnen
und Gewinner fühlten und dieses in die weiteren
Kämpfe tragen. Und wer diese Message auch auf
dem Körper tragen möchte, kann sich bei uns melden.
Denn T-Shirts gibt es auch noch.

FelS-G8-AG