2007-09-27
Über 10 000 Menschen versammelten sich am Samstag den 22.9. September 2007 um gegen Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung und Schäubles Sicherheitspolitik zu demonstrieren. Aufgerufen hatte ein breites bürgerliches Bündnis an dem neben Chaos Computer-Club und ATTAC auch Parteien wie der FDP, den Grünen und der Linkspartei beteiligt waren. Vor allem in den Internet-Communities wurde dafür seit Monaten fleissig mobilisiert. Auch verschiedene Bündnisse der radikalen Linken beteiligten an den Protesten. Neben der Hedonistischen Internationalen und dem Mayday-Bündnis rund um die Gruppe „FelS“ muss vor allem das „kein Friede-Bündnis“ erwähnt werden.
Klassenstandpunkt und Märtyersymbolik – das „kein Friede“ Bündnis
Dieses vor allem aus Antifa-Gruppen wie ALB, der ARAB und der ALI bestehende Bündnis hatte bundesweit zu einen antikapitalistischen Block unter dem Motto „NO JUSTICE – NO PEACE – Kein Friede mit dem deutschen Polizeistaat!“ mobilisiert. In den Aufruf wurde – für Antifagruppen ungewöhnlich – Bezug auf die Geschichte des bewaffneten Kampfes und die Ereignisse im Herbst 1977 genommen. Dies wurde im Zusammenhang mit den aktuellen Sicherheitsverschärfung und der massive §129a-Repression gegen die radikale Linke in den letzen Monaten gestellt. Ein weitere Verdienst der AufruferInnen war den liberale Begriff von „Freiheit“ kritisiert, und einen Klassenstandpunkt eingenommen zu haben. Kritisiert werden kann an dem „kein Friede“ Bündnis jedoch das martialische Mobilisierungsplakat (1), was zwar der linken endlich wieder einen offensiven Ausdruck gab, jedoch Leute über Szene Kreise hinaus kaum Anzusprechen vermochte. Darauf abgebildet war ein „Strassenkämpfer“ der im Begriff war einen Stein auf den Bundesadler zu werfen und oben rechts in der Ecke das Konterfei von Ulrike Meinhof in einem verlaufenen Stern. Es wirkte etwas wie eine nach den massiven Ausschreitungen in Rostock wieder in Mode gekommene Remizens an die „gute Alte Zeit“, Märtyersymbolik aus den Zeiten des bewaffneten Kampfes kombiniert mit einem deutlich an die frühen Plakate der Göttinger Autonomen Antifa (M) angelehnte Old-School-Antifa-Symbolik. Nicht jedermenschs Sache.
Zwischen Interventionismus und populistischen Antikommunismus – Das Maydaybündis
Das Mayday-Bündniss mobilisierte dagegen mit einer unspektakulären, aber sehr gut vermittelnden Plakatreihe (2). Ein Ärgernis war hingegen der Aufruf des Mayday-Bündnis. Nach dem Motto „die Leute dort abholen wo sie stehen“ wurden billigste populistische antikommunistische Reflex bedient mit der Parole: „Sie nennen es Sicherheit, wir nennen es STASI 2.0.“ Völlig Egal was Mensch von der „realsozialistischen“ Staatkapitalismus und seinen Repressionsorganen hält, sollte sich Linke solch totalitaristische antikommunistische Quatsch ebenso Verkneifen wie faschismusrelativierende Phrasen wie „Polizei SA SS“ und „Gespato 2.0“. Das das Berliner Sozialforum und andere zivilgesellschaftlich Orientierte Gruppen auf so etwas kommen ist klar, aber die sich linksradikal und manchmal sogar „kommunistisch“ verstehende Gruppe „FeLS“ und die „internationalen Kommunisten“ hätten sich solch populistischen Blödsinn verweigern sollen.
Ausgangslage
Durch die Festnahmen von Olli, Florian, Axel und Andrej Ende Juli, den Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge sowie Mitgliedschaft in der „militanten gruppe“ (MG) vorgeworfen wird und der Repression im Vorfeld, während und nach dem G8-Gipfel, war in der radikalen Linken bundesweit ein gestiegene Bereitschaft vorhanden sich mit den Themenfelder staatliche Repression und politische Gefangenschaft auseinanderzusetzen. Da bot die Demonstration und besonders der Block des „kein Friede“ Bündniss für viele Gruppen eine willkommene Möglichkeit ihren Protest auf die Strasse zu tragen. So war von Anfang an davon auszugehen das sich am 22.September mehr als tausend radikale Linke aus dem gesamten Bundesgebiet in Berlin versammeln werden. Ernste Differenzen gab er schon im Vorfeld mit den bürgerlichen Bündnispartnern. Zuerst konnte sich fast monatelang nicht darauf geeinigt werden das Nazis nix auf der Demo zu suchen haben, dann sollte das „kein Friede“ Bündnis von der Demonstration ausgeschlossen werden, weil es sich weigerte sich kategorisch von Gewalt zu distanzieren. Dabei ging es nicht um Fragen des konkreten Verhaltens auf der Demonstration, sondern das Bündnis wurde vom Anmelder bedrängt sich politisch von jeder Gewalt (egal wann oder wo, oder von wem) zu distanzieren. Der Aufforderung kam das Bündnis nicht nach, linkere Kräfte im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung konnte den Anmelder jedoch davon überzeugen das es mehr Probleme machen würden die radikale Linke komplett auszuschliessen als ihr eine Beteiligung zu ermöglichen.
Ready? Action!
Statt der erwarteten 3000 – 5000 TeilnehmerInnen versammelten sich am 22.9. dann über 10 000 Menschen vor dem Berliner Brandenburger Tor, darunter zwischen 3000 und 4000 Linksradikale. Eine grosse Gruppe hat sich symbolisch vor der Personenkontrollen der Berliner Polizei versammelt, um dieser zu entgehen. Mit Transparenten und Parolen protestierten sie vor dem Luxushotel Adlon gegen die Polizeikontrollen und die Kontrollgesellschaft , die beliebte Clowns Army war auch dabei. Die Polizeischläger von der 23sten Einsatzhundertschaft versuchten die Menge zu kesseln, dabei kam es zu ersten Rangeleien und Übergriffen durch die Berliner Polizei. Es sollten nicht die letzten bleiben. Die Aktion war gut gewählt und gut vermittelt. Auf einer Demonstration die sich gegen dagegen richtet das „jeder ist verdächtig ist“ und die totale Kontrolle durch die staatlichen Repressionsorgane kritisiert, konnte mit der Aktion das Thema exemplarisch umgesetzt werden. Nicht begeistert von der Aktion war die Demonstrationsleitung und der Anmelder, der die Demonstranten mehrmals durch ein Megaphon aufforderte sich doch an die Gesetze zu halten und sich wenigstens auf „Waffen“ durchsuchen zu lassen. Das er damit sich und sein Anliegen ad Absurdum führte schien im nicht bewusst zu sein. Auch sonst waren einige komische Typen auf der Demo zu finden. Schon zu beginn wurden mehre Nazis von AntifaschistInnen des Platzes verwiesen. Die STASI 2.0. T-Shirts mit dem Konterfei waren omnipräsent, eine böse Datenkrake marschierte mit und die Berliner FDP war mit Fahnen da. Eine gelungene Aktion waren mehrere tausend Schäuble-Masken mit dem Aufdruck „selber Terrorist“ , die als gemeinsame Aktion der ALB und der Tageszeitung „junge Welt“ auf der Demonstration verteilt wurden. Damit sollte die Kameraüberwachung und die mit dem Innenminister Schäuble in Verbindung gebrachte „Terrorhysterie“ praktisch kritisiert werden. Nach 30 Minuten gab die Berliner Polizei schliesslich auf und gab den Kessel frei. Die Demonstration konnte losgehen. Vorneweg ein Verdi-Lauti und der einer Ärztevereinigung. Dahinter der zwischen 2000 und 2500 Menschen pendelnde antikapitalistische Block mit dem Mayday-Block und den Hedonististen im Schlepptau, die ihrerseit 1000 – bis 1500 Menschen zählten. Die radikale Linke war somit die stärkste wahrnehmbare politische Kraft auf dieser Demonstration. Der antikapitalistischen Block war durch ein geschlossenes kämpferisches Auftreten, unzählige zusammengeknotete Transparente, einige Vermummte und lautstarke Parolen wie „wir sind alle 129a“ oder „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ gekennzeichnet. Vom 2.Juni einmal abgesehen, einer der stärksten autonomen Blöcke der vergangenen Jahre. In Redebeiträgen wurden mehrfach auf die aktuellen Repression im Zusammenhang mit der „militanten gruppe“ eingegangen und sich mit den Gefangenen RevolutionärInnen solidarisiert. Eine Grusswort von Olli, der im Zusammenhang mit diesem Verfahren in Moabit in Untersuchungshaft sitzt, wurde verlesen. Er bedankte sich darin für die geleistete Unterstützungsarbeit und setze die Repression gegen ihn in den Zusammenhang mit europaweiter Repression gegen radikale Linke, wie zum Beispiel der Repression gegen vermeintliche Mitglieder der Politisch – Militärisch Kommunistischen Partei in Italien oder dem grün-anarchistischen Gefangenen Marco Carmisch in der Schweiz. In einem Redebeitrag der „internationalen Kommunisten“ wurde kritisiert das die Bürgerrechtsgruppen die Datenüberwachung nur partiell ablehnen, weil sie nicht gegen die Überwachung und Datenoffenlegung die Erwerbslose jetzt schon beim Arbeitsamt abliefern müssen protestierten. Die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin kritisierte das „Achselzuckende Schweigen“ der radikalen Linken angesichts der aktuellen medialen Abrechnung mit der Roten Armee Fraktion und der Geschichte der antagonistischen Linken. Das Gegeninformationsbüro verwies in einem Beitrag auf die Verbindung von imperialistischen Kriegen, kolonialer Ausbeutung und Terrorgefahr hin und die Antifaschistische Linke Berlin interviewte eine Professorin zu Angst und Terror.
Sound of the Police …
Aufgrund der auflagenwidrigen Seitentransparente machte die Berliner Polizei seit der Zwischenkundgebung stress und drohte an die Situation eskalieren zu wollen. Am Schlossplatz war es dann soweit. Das Anti Konflikt Team wurde abgezogen und die Berliner Polizei griff mit gewohnter Brutalität unter Anwendung von Schlagstöcken und Pfefferspray die Spitze des antikapitalistischen Blocks an und verletzte und verhaftete mehrere Personen. Das Fronttransparent und mehrere andere Transparente wurden entwendet. Trotz vorbildlicher Kettenbildung war es nicht möglich dem Polizeiangriff etwas entgegenzusetzen, ein Schaler Nachgeschmack von Ohnmacht gegenüber den Polizeikräften bleibt zurück. Nach eine Weile zogen sich die Polizeischläger zurück und der Block formierte sich wiederund zog weiter. Doch der nächste Übergiff sollten nicht lange auf sich warten lassen. Auf der höhe der Neuen Wache, wo 1933 die Bücherverbrennungen der Nazis stattfanden wurden vom Lautsprecherwagen die Musik abgestellt und dazu aufgerufen aus Respekt vor den Opfern des Faschismus keine Parolen zu rufen. Diese Aufforderung nahm die Berliner Polizei scheinbar zum Anlass erneut in die Demonstration zu stürmen, wild um sich zu knüppeln, alles mit Pfefferspray vollzusprühen und mehrere Leute zu verhaften. Weil mit weiteren Angriffen zu rechnen war, löste sich der antikapitalistische Block unter Protest auf Höhe der Friedrichstrasse auf, der Mayday und Hedonisten Block schlossen sich solidarischerweise an. Diese Entscheidung war taktisch richtig, auf dem Weg zum Brandenburger Tor und auf der Abschlusskundgebung wär es höchstwarscheinlich zu weiteren Festnahmen gekommen, ausserdem war deutlich geworden das die DemonstrantInnen den Angriffen nichts entgegenzusetzen hatten. Bezeichnend war das Verhalten der Demonstrationleitung, die die Polizeiübergiffe nicht verurteilte sondern den antikapitalistischen Block die Schuld an der Eskalation gab und sich von ihm öffentlich distanzierte. Hier wiederholte sich altbekannte Denunziationsspiel vom 2.Juni 2007, ohne das jedoch vom sogenannten „schwarzen Block“ irgendwelche Gewalt gegen Gegenstände oder Personen ausgegangen wäre. Auf der Abschlusskundebung dankte der Veranstalter hämisch dem „schwarzen Block“ das er sich aufgelöst habe und lobte die Kooperationsbereitschaft der Berliner Polizei. Zum Glück waren nur einige hundert Menschen überhaupt zur Abschlusskundgebung erschienen.
Fazit
Die Mobilisierung hat gezeigt das die radikale Linke auch nach den durch den G8-Hype bedingten spontanen Massenprotesten vom 9.Mai in der Lage mehrere Tausend Menschen gegen Repression zu mobilisieren. Das war in den letzen Jahren nur im Antifabereich möglich und scheint sich nach dem G8 glücklicherweise auch auf andere Aktionsfelder auszudehnen. Es war ein der stärksten radikalen Blöcke der letzen Jahre, vom 2.Juni 2007 einmal abgesehen. Trotzdem war es nicht möglich den Polizeiangriffen etwas entgegenzusetzen. Aber es war richtig die Kontrollen zu verweigern und die Transparentauflagen zu brechen. Eine freiwillige Pazifierung der radikalen Linken wär das falsche Signal. Gut war auch das der Mayday und Hedonisten-Block und der autonome Block sich etwas mischten. In Zukunft sollte eine stärkere Solidarische Bezugnahme dieser beiden Aktions- und Demonstrationsformen ausgebaut werden. Den antikapitalistischen Block für Konfrontationgehabe, Mackermilitanz, Maulheldentum und Abgrenzung gegenüber den Restdemonstranten vorzuwerfen ist ebenso Unsinn wie dem Maydayblock Pazifismus, Kulturalisierung und Rumgetanze vorzuhalten. Verschiedene Ausdrucksformen die sich solidarisch aufeinander beziehen sind auch von Vorteil um der Spaltung in guter und böser Demonstrant zu durchbrechen. Das der antikapitalistisch Block „unpolitische“ oder hauptsächlich „jugendkulturell“ gewesen wär, wie der linke Journalist Peter Nowak attesstiert ist kompletter Unsinn und muss zurückgewiesen werden. Die unzähligen Transparenten, das geschlossenen Auftreten und den für eine von autonomen Antifagruppen getragenen Mobilisierung ausgeprochen guten und inhaltlich radikalen Redebeiträgen waren für die bundesdeutsche radikale Linke schon deutlich überdurchschnittlich und ungemein politisch. Was bleibt ist das Problem das trotz der Grösse und Geschlossenheit des Blocks der Polizei nichts entgegengesetzt werden konnte. Angesichts der Waffenungleichheit macht sich ein gewisser Frust breit, der nur zu verständlich ist. Ein Gefühl das Mensch immer wieder von den Cops auf die Fresse bekommt für nichts. Trotzdem bleibt es weiter richtig immer wieder zu versuchen den Handlungsspielraum auszuweiten, insofern war es ein kleiner Erfolg das die Polizeivorkontrollen kollektiv sabotiert werden konnten und das Seitentransparente, sowie teilweise Vermummung bis zu den Polizeiangriffen durchgesetzt wurden. Nach den spontanen Massenprotesten gegen die Razziem am 9.Mai und der gelungenen Mobilisierung am 22.September wär eine bundesweite Grossdemonstration gegen Repression und §129a zb im Frühjahr 2008 zur JVA Moabit ein wichtiges Zeichen um den Widerstand weiter zu tragen. Und viele kreative, unkreative, konfrontative und nicht-konfrontative Aktionen müssen bis dahin folgen. In diesem Sinne - wir sind alle §129a!
[http://de.indymedia.org/2007/09/195364.shtml]