2007-05-17 

protest.widerstand.perspektive.: Ohne Klassenanalyse geht es nicht

Nach der Niederlage in den Kämpfen des 20. Jahrhunderts wurde von Teilen der Linken der Klassenwiderspruch verdrängt und die Suche nach einem neuen revolutionären Subjekt begonnen, die sich in der Multitude verliert.

Stationen der Niederlage

Die kapitalistischen Verhältnisse und der gegenwärtige bewaffnete Vormarsch der Weltmächte bringen zwangsläufig Widerstand und das Streben nach Befreiung hervor. Im zwanzigsten Jahrhundert eröffneten die Erfolge der sozialen Kämpfe – hervorzuheben ist hier die Oktoberrevolution von 1917 – viel versprechende Ausblicke auf einen neuen Kurs gesellschaftlicher Entwicklung, auf den Ausbruch aus der Logik des Kapitals, hin zur Logik der Bedürfnisse. Der Zusammenbruch aller institutionellen, politischen, sozialen und ideologischen Formationen in den letzten zwei Jahrzehnten, die sich in Bezug auf diese Revolution entwickelt hatten, entfaltete einen Sog der Demoralisierung und Konfusion, in den die linken Kräfte weltweit hineingerieten. Teilweise gingen sie unter im neoliberalen Lager, teilweise zogen sie sich auf den Reformismus zurück und die linken Intellektuellen suchten nach neuen Theorien und Gesellschaftsentwürfen abseits des klassischen Marxismus.

Broschüre

Die Zersetzung der Achtundsechziger-Bewegung hatte bereits in den siebziger Jahren den Boden bereitet für das Gedeihen facettenreicher neuer Ideologien. Die neue radikale militante Linke der sechziger und siebziger Jahre hatte in allen kapitalistischen Zentren die Revolution auf die Tagesordnung gesetzt. Als Theorie und als Praxis, als mögliches perspektivisches Ereignis hatte sie für einen Moment wieder ein Fenster aufgestoßen für eine vom Kapitalismus befreite Gesellschaft. Sie hatte damit gleichermaßen die kapitalistischen Eliten wie die tradierten sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeiterorganisationen aufgescheucht, die in der Kooperation mit der Bourgeoisie und im Schatten der Koexistenzpolitik des Sozialistischen Lagers gegenüber dem Westen erstarrt waren. Einige Jahre schien es, als könnten wir, – die Linken – die kulturelle und geistige Hegemonie in der Gesellschaft erringen. Es kam anders: Es war nicht möglich die aufständische Bewegung mit der ArbeiterInnenklasse zu verbinden, welche zumindest in der BRD ohne revolutionäre Führung dem Einfluss der extrem konservativen, nachfaschistischen bürgerlichen Gesellschaft, ausgesetzt und im fordistischen Sozialstaat ruhig gestellt war. Dies waren äußert schlechte Voraussetzungen für die revolutionäre Umgestaltung. Das Fehlen einer revolutionären Organisation, die wie ein strategischer Navigator die Kämpfe und Forderungen politisch hätte verbinden, vermitteln und weitertreiben können, machte den Aufstand perspektivlos. Aus der revolutionären „Stimmung“ entstand keine revolutionäre Krise. Nach einigen erkämpften Zugeständnissen und Freiräumen an den Universitäten, Schulen und Stadtteilen entfaltete sich der Reformismus mit der Parole: „Marsch durch die Institutionen“. Ein Teil begann den bewaffneten Kampf zu organisieren. Ohne ausreichende politische Vorbereitung und politische Vermittlung. Der revolutionäre Aufbruch erschöpfte sich unter der Repression der Konterrevolution, die militanten revolutionären Organisationen wurden sich selbst und dem Gegner überlassen und so erstarb die Achtundsechziger Revolte im Apparat und in den Knästen.

Die theoretische Verarbeitung dieser Niederlage brachte die Theorien der Poststrukturalisten hervor, die nach 1989 noch an Attraktivität gewannen. Es ist deshalb wichtig, diese Theorien kurz zu charakterisieren, weil sie einen recht starken Einfluss auf das politische Bewusstsein vieler sozialer Bewegungen in Europa und teilweise auch in Lateinamerika haben.

Der moralische und ideologische Zusammenbruch wurde beschleunigt von der neoliberalen Offensive des Kapitals, die Mitte der siebziger Jahre bereits begann, und die sich dann mit großer Brutalität in den neu eroberten realen und ideologischen Räumen nach 1989 entfaltete.

Der Kapitalismus triumphierte und hielt keinen Moment inne, seinen Sieg als Fortschritt der Menschheit zu preisen. Die Niederlage schien komplett. War das zwanzigste Jahrhundert für uns verschenkt?
Der Widerstand beginnt niemals bei Null

In Abwandlung der Worte des französischen Sozialisten Jean Jaurès: „Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen“ ist es genauso richtig zu sagen: „der Kapitalismus gebiert den Widerstand, wie die Wolke den Regen“. Schließlich geht die Geschichte der Ausbeutung und Unterdrückung auf einer neuen Stufe der Barbarei weiter. Dazu gehören die ausbeutungsorientierte Umgestaltung aller innergesellschaftlichen Bereiche durch den Neoliberalismus – also die Verfügung über alle sozialen Felder für die Profitmaximierung –, die unverhüllte Beanspruchung und Inbesitznahme der Weltressourcen – sei es mit Kriegen, politischen Erpressungen oder Machteinbindung –, die kaltblütige Ignoranz ihrer humanitären, sozialen und ökologischen „Kollateralschäden“, die die Endlichkeit der Welt ahnen lassen. Diese Realität hat es nur kurz vermocht – im ersten Schock der geschichtlichen Niederlage – den Widerstand für beendet vorzutäuschen. Der „Triumph“ des Kapitalismus ist für die kapitalistischen PolitikerInnen nur noch ein peinliches Thema angesichts seiner Zerstörungsdynamik. Der Neoliberalismus als ökonomische Strategie ist lange entlarvt als Raubökonomie, die imperialistischen Kriege werden als dieser Strategie innewohnend erkannt, der unweigerlich aufkommende innergesellschaftliche Widerstand findet seinen Niederschlag in präventiven „Sicherheitsstrategien“.

Es gibt heute wieder ein weltweites Widerstandspotenzial, das sich gegen den Kapitalismus stellt. Es zeigt sich praktisch in einer unübersehbaren Anzahl von sozialen und politischen Gruppen, Foren, Versammlungen, Parteineugründungen und so weiter, an der steigenden Attraktivität sozialistischer Gesellschaftsentwicklung in Lateinamerika und auch an den großen Widerstandsevents der „Antiglobalisierungsbewegung“.

Wenn die derzeitigen Kämpfe gegen die kapitalistische Globalisierung zu bestimmten großen Anlässen wie den G8-Treffen kulminieren, finden wir nahezu jede linke kapitalismuskritische Strömung an den Protesten beteiligt. Von den Kirchen, den NGOs, den Gewerkschaften, den sozialen Bewegungen, den reformistischen linken Parteien, den libertären, anarchistischen und linken Gruppen bis hin zu den traditionellen kommunistischen Parteien und Gruppen – was sie eint, ist die Kritik an den Auswirkungen des Kapitalismus, was sie trennt ist die Grundsätzlichkeit der Infragestellung und das Ob und Wie seiner Überwindung.

Die großen spektakulären „Widerstandsevents“ gegen die kapitalistische Globalisierung, die organisiert werden zu den Gipfeltreffen der internationalen Institutionen der imperialistischen Weltmächte – IWF, WTO, Nato-Sicherheitskonferenz, G8 und andere – haben bereits eine mehr als zwanzigjährige Geschichte, in der bedeutsame Erfahrungen, und bedeutsames Wissen trotz und wegen der politischen Vielfältigkeit und Differenz kollektiviert werden konnte: Organisierungsfähigkeit, politische Zusammenhänge – theoretisch und praktisch, Militanz und konkrete Konfrontation mit dem staatlichen Sicherheitsapparat. Allein, diese Erfahrungen werden nur sichtbar – und immer weniger wirksam – im Showdown gegen die Gipfel-Inszenierungen der imperialistischen Bagage. Die Aufrüstung und Absicherung ihrer Treffen gewinnt von Mal zu Mal an Routine und Brutalität, die Proteste und Gegengipfel der GlobalisierungkritikerInnen erschöpfen sich an der Ignoranz der Macht. Die Potenzen zum Widerstand zerfallen danach wieder in mehr oder weniger kleine Splitter.

Auf dem Weltsozialforum 2004 in Mumbai problematisierte Arundhati Roy in ihrer Rede die Grenzen der großen „Versammlungen“: „In dieser Woche werden auf dem Weltsozialforum einige der besten Köpfe der Welt Ideen darüber austauschen, was um uns herum geschieht. Diese Konversationen schärfen unsere Vision über die Art von Welt, für die wir kämpfen. Das ist ein vitaler Prozess, der nicht untergraben werden darf. Dennoch besteht das Risiko, wenn auf Kosten wirklicher Aktion alle unsere Energien auf diesen Prozess gerichtet werden, dass das WSF, das eine entscheidende Rolle in der Bewegung für globale Gerechtigkeit gespielt hat, zu einem Guthaben unserer Feinde wird. Wir müssen dringend unsere Strategien des Widerstands diskutieren. Wir müssen reale Ziele ins Visier nehmen und wirklichen Schaden anrichten. Es war herrlich, als am 15. Februar vorigen Jahres zehn Millionen Menschen auf einer eindrucksvollen Demonstration öffentlicher Moral, zehn Millionen Menschen auf fünf Kontinenten gegen den Krieg in Irak marschierten. Es war wunderbar, aber es war nicht genug … Feierabendproteste stoppen keine Kriege.“

Damit es keine Missverständnisse gibt: Die Organisierung der Proteste gegen die Gipfel der Möchtegern- Weltherrscher, die weltweit organisierten Debatten über eine andere Welt, sind eine Quelle der Aneignung und Vergesellschaftung von geistigen Ressourcen für eine antikapitalistische Alternative.

Unsere Fragen befassen sich mit den Gründen für ihre Grenzen und wie diese überwunden werden könnten. Denn, warum ist es für die linken Kräfte in den kapitalistischen Zentren so schwer, zu einer Gegenmacht zu kommen, die in der Lage wäre, mit einer revolutionären Strategie die Perspektive für eine Befreiung aufzumachen?
Ideologien der Postmoderne

Die Niederlagen der Befreiungsstrategien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse als revolutionäres Subjekt und eine kommunistische Partei als strategische Führung bezogen, haben große Enttäuschungen hervorgerufen. Darauf hin wandte sich ein großer Strang der radikalen Linken von der ArbeiterInnenklasse ab. Sie wurde seither als Hürde im Kampf um eine emanzipierte Gesellschaft angesehen, da sie ideologisch und konkret am stärksten die Werte des Kapitalismus verinnerlicht hätte. Damit verbunden ist die Absage an Strategien zur Eroberung der Macht und die Proklamierung des Aufbaus von „Alternativwelten“, in denen Emanzipation gelebt wird, die dann irgendwann hegemonial werden und den Kapitalismus sprengen. Die Suche nach einem revolutionären Ersatzsubjekt verliert sich in der „Multitude“. Die Politikansätze und die Entwicklung des politischen Bewusstseins sparen die Produktionssphäre aus und befassen sich mit den sozialen Auswirkungen in der Verteilungssphäre.

Diese Tendenz hat ihre theoretische Untermauerung in den Werken der postmodernen PhilosophInnen und SoziologInnen wie Deleuze, Derrida und Foucault und später auch Holloway, Negri und Hardt. Die AutorInnen des Poststrukturalismus sahen die marxistische Theorie als ein nicht mehr oder nicht mehr ausreichend taugliches Instrument zur Klärung der kapitalistischen Komplexität. Dies geschah in einer Situation, in der die Negierung der ArbeiterInnenklasse als revolutionäres Subjekt weit verbreitet war, die sozialistischen Bewegungen weltweit schwächer wurden, neue ökologischen Dringlichkeiten auf der Tagesordnung erscheinen und selbstbewusste Bewegungen entstanden, sich nicht mehr mit einer Nebenwiderspruchsposition abfinden wollten. Zu nennen sind hier etwa die Frauenbewegung und die Schwulen- und Lesben-Bewegung.

Zu den Essenzen der poststrukturalistischen Denkweisen gehört:

* „... der erklärte Verzicht jeglicher Bezugnahme auf ein Zentrum, auf ein Subjekt, auf eine privilegierte Referenz, auf einen Ursprung“ wie es Derrida ausdrückte
* die Ablehnung der Macht auch als Gegenmacht, die Schaffung von „Antimacht“ (Alternativwelten)
* die Ablehnung struktureller und inhaltlicher Hierarchien (alle Widersprüche sind gleich wichtig)
* die entscheidende Bedeutung der Vielfalt (Pluralität) und der singulären und unaustauschbaren Einzigartigkeiten (Differenz) oder wie es Derrida formulierte: „... jede Absicht, das Einzigartige einer Gesamtheit unterzuordnen, tut ihm Gewalt an.“
* die Dekonstruktion von Gemeinschaften und Identitäten zugunsten einer radikalen Individualisierung.

Mit dem Begriff „Multitude“ charakterisieren Negri und Hardt das historisch „neue Proletariat“ das sich auszeichne durch Pluralität, Mobilität, Hybridität. Es bestehe aus lauter heterogenen Subjekten, die als soziale Akteure auf den verschiedenen Feldern der Unterdrückung hin und her wechselten und ihre Alternativwelten miteinander koordinierten. Der Pluralität von Herrschaft stehe die Pluralität der Multitude gegenüber. Die sozialen Spaltungen wie etwa entlang von Klasse, Ethnie, Geschlecht, Nationalität und Alter produzierten eine Vielfalt von unterdrückten Minderheiten, deren Positionen gleichermaßen zu respektieren seien. In dieser Multitude sei die ArbeiterInnenklasse aufgesogen, die Arbeitskämpfe gar der weniger produktive Teil im emanzipatorischen Kampf, da sie über gewerkschaftliche Strukturen und Ergebnisse nicht hinauskämen. Die prekär Beschäftigten, die immateriell und geistigen ArbeiterInnen und die vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen und Ausgestiegenen – wie Erwerbslose und Arme – hingegen seien das neue subversive Subjekt, weil sich auf diesen sozialen Feldern eher ein Bewusstsein von Emanzipation zeige, da hier die Unterwerfung unter das Kapital schon gelockert sei. Das gemeinsame Begehren nach Freiheit sei das homogene Moment in der Multitude. Soweit Negri und Hardt in ihrem Werk „Empire“, zur Zuweisung der Rolle der Multitude als revolutionäres Subjekt.

Der Französische Philosoph und politische Aktivist Daniel Bensaïd setzt diesem Theoriegebilde folgendes entgegen: „Formulierungen, mit denen sich der Begriff Multitude den Begriffen Bevölkerungen oder Proletariat entgegenstellt, wie das Entstehen eines nicht zu fassenden Begehrens gegen Machteroberung, deterritorialisierte Strömungen gegen die errichteten Grenzen, biopolitische Reproduktion gegen ökonomische Produktion, dienen kaum dazu, die Effekte der Verdinglichung und der Entfremdung zu bannen. Hardt und Negri wissen genau, dass das postmoderne Marketing in die Pluralität investieren kann, um jede Differenz in eine Möglichkeit des Konsums zu verwandeln und die Verwaltung der Diversität in eine lukrative Angelegenheit. ... Dass die lyrische Betonung der lokalen Gegenmächte und Aktionen möglicherweise eine Ohnmacht gegen Herrschaft ausdrücken kann, ... dass Hybridität, Mobilität und Differenz nicht an sich emanzipatorisch sind.“

Ein anderer Theoretiker, der in den linken Strömungen Einfluss gewonnen hat, ist der mexikanische Politologe John Holloway. Eine seiner zentralen Aussagen ist: „Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen“. Er meint hierbei die „instrumentelle Macht“ des Staates. Gegen die „instrumentelle Macht“ stellt er die „kreative Macht“, die von ihm in den „Zwölf Thesen über Anti-Macht“ folgendermaßen beschrieben wird: „Die kreative Macht ist gesellschaftlich. Es ist die Konstitution von uns selbst, die Praxis der gegenseitigen Anerkennung der Würde. Die Bewegung der kreativen Macht gegen die instrumentelle Macht kann nicht als Gegen-Macht verstanden werden (denn der Terminus suggeriert eine Symmetrie zwischen Macht und Gegenmacht), sondern als Anti-Macht (dieser Terminus beinhaltet für mich die vollständige Asymmetrie zwischen der Macht und unseren Kämpfen).“

Das ist eine wortreiche Umschreibung für den Verzicht der unterdrückten Klasse, sich auf den unvermeidlichen Kampf um Macht vorzubereiten. Anti-Macht als parallele sektorale Struktur darf im Neoliberalismus gerne sein, sofern sie nicht die kapitalistische Hegemonie bedroht. Spätestens dann wird sie auf die eine oder andere Weise zerschlagen.

Insgesamt geht es Holloway um die Auflösung der Macht und nicht um die Eroberung der Macht. Natürlich ist eine Veränderung der Gesellschaft nicht mit der bloßen Übernahme der Staatsmacht geschehen. Der bürgerliche Staatsapparat, seine Institutionen, wie Justizwesen, Polizei und Militär, also seine gesamte bürokratische und auf die Sicherung der Herrschaft der Bourgeoisie ausgerichtete Struktur, muss zerstört werden. Dennoch ist es nach einer Revolution notwendig, mit organisierter Macht die Rückeroberung der Herrschaft, also die Konterrevolution durch die gerade abgesetzte Klasse zu verhindern. Ohne solche organisierten Machtstrukturen wird es nicht möglich sein, die Herrschaft des Kapitals dauerhaft zu brechen und eigene gesellschaftliche Strukturen aufzubauen. Die Bewaffnung der Massen und die Organisierung von Selbstverwaltungsstrukturen, wie Versammlungen und Räte in Stadtteilen und Betrieben sind dabei ein zentrales Element für den Aufbau einer neuen Gesellschaft nach dem Sturz der Kapitalistenklasse.

Es kann hier keine umfassende analytische Kritik an Empire, Holloway oder den postmodernen Theorien geleistet werden. Wir gehen lediglich auf die bewusste Absage dieser Strömung gegenüber dem Klassenkampf ein, denn in der politischen Praxis einiger Strömungen in den sozialen Bewegungen zeigt sich der Einfluss der postmodernen Theorien. Beispiele hierfür sind die Verneinung des antagonistischen Charakters des Klassenwiderspruchs und damit einhergehend die Ignoranz gegenüber der Bedeutung der Klasse der Lohnabhängigen im revolutionären Prozess, sowie die Revidierung der Geschichte des Klassenkampf und seine Darstellung als verbrauchtes autoritäres Modell. Dies mündet in der Ablehnung von Einheit und Kollektivität als zentrale Elemente im Organisierungsprozess – stattdessen Teilbereichsspezialisierung, inhaltlicher Indifferenz, politischer Hedonismus, Individualismus, Organisationsfeindlichkeit, Strategiefeindlichkeit und Aktionismus.

Bedeutung der Klassenfrage

Der Klassenkampf muss nach wie vor die zentrale Rolle in den vielschichtigen Kämpfen gegen das Kapital einnehmen. Die sozialen Spaltungen sind immer auf die kapitalistische Produktionsweise und Produktionsverhältnisse zurückzuführen. Die kapitalistische Globalisierung ist die auf alle Regionen ausgeweitete Kapitalakkumulation und der beschleunigte Warenumschlag. Das Ausbeutungsverhältnis in all seinen Reproduktionsformen – wie beispielsweise Teilung der Arbeit, Aufteilung des Einkommens, Bildung und Wohnung – bleibt auch in der gegenwärtigen sozialen und politischen Dynamik zentral. Die Totalität des Warenverhältnisses ist auf jedem sozialen Bereich präsent. Egal wie scheinbar autonom sich soziale Widersprüche entwickeln, wie zum Beispiel Sexismus und Rassismus, letztlich stößt jeder Lösungsversuch auf die allgegenwärtige ökonomische Logik – auf die Profitmaximierung durch Ausbeutung. Auch wenn die Vielfalt der Unterdrückungsfelder eine Vielfalt von sozialen Bewegungen entstehen lässt, bleibt der Klassenkonflikt das zentrale Moment, der allen anderen zugrunde liegt. Dabei gibt es natürlich die geschichtliche Erfahrung, dass sich mit der Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht automatisch alle weiteren Widersprüche, alle Herrschaftsformen auflösen. Die Unterdrückung der Frauen gab es schon vor dem Kapitalismus, Rassismus, Homophobie sind kulturell eingravierte Denk- und Verhaltensweisen, die ökologische Zerstörung ist keine kapitalistische Erfindung, aber mit der Zurichtung aller Verhältnisse auf ihre Verwertung für den Markt, also der „Inwertsetzung“ für das Kapital, gibt es keine Bedingung für die Überwindung dieser Widersprüche. Erst durch die Abschaffung der Warenproduktion und der Lohnarbeit und der Entmachtung des Kapitals durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel schaffen wir Kräfteverhältnisse, in denen emanzipative Lösungen möglich und nachhaltig werden.

In den letzten zwanzig Jahren hat es einen gravierenden statistischen Rückgang des Industrieproletariats in den meisten hoch entwickelten Industrieländern gegeben. Wo sind diese Menschen abgeblieben? Es gibt nicht nur in Deutschland ein wachsendes Heer von Arbeitslosen, Prekären, Scheinselbständigen und Ich-AGs. Sie sind durch ihren Ausschluss vom Besitz der Produktionsmittel und ihrer sozialen Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft nach wie vor Teil der Klasse der Lohnabhängigen. Ihre soziale Realität in der zunehmenden Komplexität und Differenzierung der Gesellschaften ist ebenfalls von einer zunehmenden Individualisierung und Entsolidarisierung gekennzeichnet. Die gegenwärtigen Angriffe des Kapitals zielen auf die Zerschlagung der Tarifsysteme, die Absenkung der Löhne und die Schwächung kollektiver Arbeits- und Lebensorganisation – wie zum Beispiel Hartz-Gesetze und Bedarfsgemeinschaften – der enormen Verstärkung der Konkurrenz und der gesellschaftlichen Marginalisierung. Dass diese Bedingungen des Proletariats ein besserer Ausgangspunkt für den Kampf um die Befreiung von der Unterdrückung sein soll als die kollektive Organisation am Arbeitsplatz, entbehrt der Logik und der geschichtlichen Erfahrung. Sie stellen stattdessen neue Herausforderungen dar, mit der jede Kraft, die die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern will, umgehen muss. Die Differenzierungen der Klasse in den Mittelpunkt zu stellen oder ihre allgemeinen Interessen zu leugnen, geht dabei in die völlig falsche Richtung. Stattdessen muss die weiterhin gültige Bedeutung des Klassenkampfes erkannt werden, unabhängig der Veränderungen in der detaillierten Zusammensetzung: Die Produktionsverhältnisse bilden die Basis jeden gesellschaftlichen Überbaus, ohne ihre Veränderung sind keine grundlegend anderen gesellschaftlichen Verhältnisse zu verwirklichen. Nur diejenigen, die die Möglichkeit haben direkt über sie zu bestimmen und die Produktionsbedingungen im Interesse aller zu gestalten, können einen revolutionären gesellschaftlichen Prozess tatsächlich voranbringen. Die Klasse der Lohnabhängigen befindet sich mit allen ihren gemeinsamen Forderungen im Widerspruch zur Profitlogik, ob es um die Arbeitsbedingungen, die Arbeitszeiten oder die gesamte Art der Produktion mit all ihrer Konkurrenz und überflüssigen Arbeit geht. Für sie bedeutet der Kampf gegen die Kapitalinteressen in letzter Konsequenz einen unmittelbaren Kampf für ihre Lebenssituation.

Der zunehmenden Verschlechterung der Lebenssituation großer Teile der Bevölkerung in der BRD stehen momentan allerdings ein gering ausgeprägter Widerstand und die Schwäche der revolutionären Kräfte gegenüber. Wenn wir als revolutionäre Linke nicht in der Lage sind, diesen Zustand zu verändern, besteht auch die Gefahr, dass es den reaktionären und faschistischen Kräften gelingt die Unzufriedenheit und Wut für ihre Zwecke zu nutzen. Bereits jetzt ist es ihnen in Teilen der BRD gelungen ihre rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Positionen als Lösung der Probleme darzustellen und damit zunehmend auf Zustimmung zu stoßen. Auch deshalb müssen unsere punktuellen Kämpfe wieder verbunden werden und eine strategische Ausrichtung auf den Klassenkampf zum Sturz des Kapitalismus bekommen. Wir müssen die Perspektive einer klassenlosen Gesellschaft in den Vordergrund stellen und zwar nicht als Utopie sondern als tatsächlich verwirklichbares Ziel. Hierfür ist der Aufbau einer kämpferischen Organisierung von großer Bedeutung, denn im Gegensatz zu poststrukturalistischen Ideen ist gerade die Kollektivität und die Formulierung gemeinsamer Strategien und Ziele für den revolutionären Kampf enorm wichtig. Mehr dazu im nächsten Artikel.

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