2007-05-17 

protest.widerstand.perspektive.: Die Notwendigkeit der Organisierung

Eine gemeinsame Organisierung ist die notwendige Voraussetzung dafür, dem politischen Kampf Kontinuität und Kraft zu verleihen, einen revolutionären Prozess voranzubringen und eine revolutionäre Perspektive entwickeln zu können.

Broschüre

Allein machen sie dich ein

Ausgangspunkte jeder gesellschaftlichen Veränderung sind der handelnde Mensch und individuelle Bewusstseinsprozesse. Eine einzelne Person kann politisch aktiv werden, kann auf Demonstrationen gehen, militant agieren und auf vielfache weitere Arten ihre Meinung kundtun. Was sie alleine jedoch nicht kann, ist Einfluss auf größere politische und soziale Prozesse nehmen. Sie wird auch nicht in der nötigen Intensität ihre politischen Erfahrungen auswerten, Strategien oder politische Alternativen entwickeln können. Die politische Organisierung, egal wie man sie nennt – ob Gruppe, Partei oder Organisation – schafft erst die Vorraussetzung für langfristige politische Arbeit, in der verschiedene Erfahrungen zusammengetragen werden können. In ihr alleine ist es möglich, kollektive Antworten auf die Vereinzelung der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft zu finden. Sie ist in diesem Sinne die Vorbedingung für die Entfaltung des politisch handelnden Subjektes und ermöglicht durch die Kollektivität die Weiterentwicklung des Bewusstseins der Organisierten. Nur eine organisierte Kraft kann zu einem politischen Faktor werden, der in der Gesellschaft wahrgenommen wird und gesellschaftliche Veränderungen voranbringen kann.

Auch kann eine einzelne Person der Repression der organisierten Staatsmacht kaum etwas entgegensetzen. Eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung, hat jedoch die Entmachtung der herrschenden Klasse zur Bedingung. Dafür ist es notwendig eine politische Organisation zu schaffen, eine Gegenmacht aufzubauen, die inhaltlich und praktisch den revolutionären Prozess voranbringt.
Basiselemente der Klassenanalyse

Eine revolutionäre Umwälzung hin zu einer klassenlosen Gesellschaft kann nicht durch den Putsch einer kleinen Minderheit erreicht werden. Sie muss von einer organisiert handelnden Massenbewegung getragen werden, vom kollektiven Handeln, in dem sich die Bedürfnisse der Mehrheit ausdrücken. Die Basis eines solchen sozialen Prozesses kann nicht das blinde Streben nach ideellen, utopischen Luftschlössern sein. Vielmehr stellen die realen gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihren konkreten Widersprüchen und Kämpfen den notwendigen Ausgangspunkt dar. Die Revolution ist also kein idealistisches Streben, das ein in der Denkerstube entworfenes Paradies verwirklichen will, sondern eine konkrete Antwort auf die objektiven sozialen Bedingungen. Die Motivation zu einer solchen grundsätzlichen Veränderung ergibt sich nicht alleine aus dem guten Willen Einzelner, sondern aus der Erkenntnis der Notwendigkeit die Gesellschaft von Grund auf zu verändern. Die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse kann folglich nur von der gesellschaftlichen Kraft ausgehen, die im kapitalistischen System ausgebeutet und unterdrückt wird: der Klasse, die von der politischen Macht, der Bestimmung über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen ausgeschlossen ist – dem Proletariat.

Der Proletariats-Begriff wird in einigen Teilen der Linken nicht mehr verwendet oder falsch verstanden und dadurch so eingeschränkt, dass er mit der Industriearbeiterschaft gleichgesetzt wird. Mit Proletariat sind aber alle diejenigen gemeint, die keine Produktionsmittel besitzen oder nicht über deren Einsatz bestimmen können und deshalb ihre Arbeitskraft gegen Lohn verkaufen müssen. Arbeitslose und prekär Beschäftigte gehören also ebenso dazu wie kleine Angestellte und Beschäftigte in den verschiedensten Bereichen; darüber hinaus diejenigen, die indirekt von einem solchen Lohn abhängen und für ihre Hausarbeit zum Beispiel nicht direkt entlohnt werden. Teilweise mit Proletariat gleichgesetzt, bezeichnet der Begriff ArbeiterInnenklasse einen spezifischen Teil innerhalb des Proletariats, sozusagen dessen Kern, der direkt an der Produktion von Waren beteiligt ist.

Dem Proletariat gegenüber steht die Klasse, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung ein Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse hat: die Kapitalistenklasse oder Bourgeoisie. Sie besteht aus denjenigen, die die Produktionsmittel besitzen und sich den im Produktionsprozess entstandenen Mehrwert aneignen. Sie kontrolliert, was und wie produziert wird und richtet so die Arbeits- und letztlich die Lebensbedingung des Großteils der Bevölkerung nach ihren Profitinteressen aus. Trotz ihrer im Einzelnen unterschiedlichen und konkurrierenden Interessen besitzt diese Klasse in ihrer Gesamtheit die politische Macht und setzt ihr allgemeines Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse tagtäglich mit allen Mitteln durch.

Zwischen dieser Klasse und dem Proletariat gibt es die Schicht des Kleinbürgertums. Diejenigen, die Produktionsmittel in sehr geringem Umfang besitzen oder kleine Geschäfte mit einigen Angestellten haben, können darunter subsumiert werden. Treten sie in ihren Branchen in Konkurrenz mit den großen Unternehmen, so können sie sich oft nicht durchsetzen und sind in vielen Fällen vom gesellschaftlichen Abstieg ins Proletariat bedroht. Vom Proletariat trennt sie die Tatsache, dass sie im Kleinen im Besitz von Produktionsmitteln sind und sich in mehr oder weniger großem Ausmaß die Arbeitskraft von anderen aneignen, wenngleich sie selbst auch in ihrem Betrieb oder Geschäft arbeiten. Sie haben in der Regel eine etwas bessere gesellschaftliche Stellung zu verlieren und ihr Profit hängt häufig von der möglichst profitablen Ausbeutung anderer ab. Auf der anderen Seite ähneln ihre Arbeitsbedingungen oft denen des Proletariats. Letztlich ist ihre Position als Zwischenschicht insgesamt relativ schwankend zwischen den Interessen der Bourgeoisie und den Interessen des Proletariats. Für uns gilt es diese schwankende Schicht nicht als Feind zu betrachten, sondern vielmehr sie für die Interessen des Proletariats, für den Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu gewinnen, ohne in die Falle zu tappen, die Interessen des Kleinbürgertums und dessen Forderungen zu vertreten.
Soziale Kämpfe und eigenständige Praxis im Organisierungsprozess

Die bei Arbeitskämpfen in Betrieben oder bei Protesten der Studierenden und anderen gesellschaftlichen Gruppen gesammelten Erfahrungen bedingen nicht zwangsläufig ein revolutionäres Bewusstsein, das auch die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse umfasst. Viele Betroffene stellen sich nur solche Lösungen für ihre Probleme vor, die sich im Rahmen der bestehenden Besitz- und Machtverhältnisse bewegen. Der Austausch „unfähiger“ Manager und Politiker, Reformen oder gar rückschrittliche Gesetzesänderungen wären hier als Beispiele zu nennen. Innerhalb der Linken wird oft die Bedeutung sozialer Kämpfe verkannt, wenn diese nicht über die Aufstellung von unmittelbaren Forderungen, wie die Abschaffung der Hartz-Gesetze oder die Erhöhung von Löhnen, hinausgehen. Das Ignorieren oder Abwenden von Kämpfen, die nicht gleich die Revolution auf die Tagesordnung setzen oder scheinbar sämtliche Widersprüche ausräumen, geht aber in die falsche Richtung. Linke AktivistInnen müssen stattdessen noch viel stärker als es momentan der Fall ist in diesen Kämpfen präsent sein, sich solidarisch verhalten und versuchen, Verbindungen mit den Kämpfenden aufzubauen. Nur so können die verschiedenen Erfahrungen ausgetauscht und die Kämpfe weiterentwickelt werden.

Übergangsforderungen können ein gutes Bindeglied zwischen der revolutionären Perspektive und den alltäglichen Kämpfen, beziehungsweise den unmittelbaren konkreten Bedürfnissen der Ausgebeuteten sein. Diese Forderungen können die gesellschaftlichen Kämpfe weitertreiben und zuspitzen. Die Funktion dieser Forderungen ist es, real existierende Bedürfnisse zu formulieren, weiterzuentwickeln und zu verfestigen, nicht zuletzt wenn diese in völliger Konsequenz unvereinbar mit den Grundlagen der kapitalistischen Profitwirtschaft sind.

Dabei ist es wichtig, innerhalb des Kampfes für diese Forderungen Organisierungsmöglichkeiten zu entwickeln, die es Leuten ermöglichen aktiv zu werden und ein tieferes politisches Bewusstsein zu entwickeln, etwa in Bündnissen, Arbeitsgruppen und Komitees.

Übergangsforderungen haben die Entwicklung des Klassenbewusstseins, von Eigenaktivität und Selbstorganisation der Lohnabhängigen zum Ziel. Nur dadurch kann das Bewusstsein über die Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderungen entstehen und wird eine nachhaltige Änderung der Kräfteverhältnisse möglich. Die revolutionäre Perspektive darf dabei nicht in den Hintergrund treten, gar ganz fallen gelassen werden, wie es bei reformistischen Kräften und auch bei Teilen der radikalen Linken der Fall ist – etwa im Sinne eines sich anbiedernden Populismus oder weil man von Teilbewegung zu Teilbewegung geht, ohne eine Gesamtperspektive in den Vordergrund zu stellen. Auch sind solche Forderungen nicht statisch, sondern je nach historischer und regionaler Situation unterschiedlich zu bewerten. Sie müssen daher immer wieder nach ihrer Richtigkeit in der jeweiligen Situation überprüft werden.

Aktuell ist zum Beispiel die Forderung nach einem Existenzgeld in der linken und zum Teil auch bürgerlichen Öffentlichkeit stark präsent. Die Forderung nach einem Existenzgeld klingt zwar zunächst positiv, da ein Einkommen für alle unabhängig von der Lohnarbeit, den Zwang die Arbeitskraft verkaufen zu müssen, aufheben würde. In der Debatte werden damit allerdings gleichzeitig der Kampf um die Aufhebung der kapitalistischen Lohnarbeit an sich und der Kampf um die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln in den Hintergrund gerückt oder ganz aufgegeben. Auch Neoliberale haben die Forderung nach einem Existenzgeld, natürlich in möglichst geringer Höhe, aufgegriffen, da damit die Kosten der Verwaltung gesenkt werden könnten und ein größerer Billiglohnsektor entstehen würde. Sicherlich ist dies nicht die Absicht linker Existenzgeldmodelle. Ihre Schwäche besteht jedoch darin, dass sie durch die Vernachlässigung der Klassenfrage und der Vergesellschaftung der Produktionsmittel nur eine andere illusionäre Variante eines Sozialstaatsmodells darstellen. Nichtsdestotrotz bieten andere Debatten von ähnlicher Reichweite wie etwa die Forderung nach kostenloser Bildung einen möglichen Anlass zur Thematisierung der Verteilung und Schaffung gesellschaftlichen Reichtums und gesellschaftlicher Bedürfnisse im Widerspruch zur Profitlogik. Wir müssen uns nur bewusst sein, dass wir tatsächlich illusionäre Standpunkte hierzu vertreten – wenn man sie vom Standpunkt der Kapitalinteressen aus betrachtet und nicht von denen einer Gesellschaftsperspektive, die sich nach den Bedürfnissen der gesellschaftlichen Mehrheit richten.
Krise und revolutionäre Perspektive

Niemand wird wohl behaupten, dass wir uns in der BRD gerade in einer revolutionären Situation befinden, in der die Umgestaltung alles Bestehenden auf der Tagesordnung steht. Doch um von einer „revolutionären Situation“ zu sprechen müssen wir zunächst unterscheiden zwischen den objektiven sozialen Verhältnissen und den subjektiven Faktoren. Objektiv geht es also darum, ob die Entwicklung der Verhältnisse sich zuspitzt und prinzipiell dazu führt, dass immer mehr Menschen ganz einfach nicht so weiter leben können wie bisher, weil ihre Existenzbedingungen zunehmend in Frage gestellt werden. Unter subjektiven revolutionären Faktoren verstehen wir die Elemente, die in einer solchen objektiven Situation auch tatsächlich aktiv für eine revolutionäre Veränderung eintreten. Zunächst geht es um diese: Die momentan laufenden Kämpfe zum Beispiel gegen Privatisierungen, Hartz-Gesetze, die Rente mit 67 oder die verschiedenen betrieblichen Proteste sind sehr schwach ausgeprägt und finden nahezu völlig unkoordiniert statt. Sie sind Ausdruck der sich tatsächlich zuspitzenden, allerdings sicherlich noch nicht eskalierten aktuellen ökonomischen Verhältnisse. Auf der anderen Seite sind sie auch Maßstab des Entwicklungsgrads des Bewusstseins und der Kampfbereitschaft der Klasse der Lohnabhängigen. Die momentan sichtbar werdenden Krisenerscheinungen des Kapitalismus, die wir im Analyse-Artikel versucht haben zu beschreiben, werden allerdings nicht stagnieren und ebenso wenig wird sich das Rad der Geschichte zurückdrehen. Die revolutionäre Linke muss sich daher auch jetzt schon auf eine objektiv noch weiter zugespitzte Situation einstellen und sich auf diese vorbereiten. Die Entwicklung zu einer revolutionären Situation, in welcher der Klassenwiderspruch am stärksten hervortritt und die Machtstellung der herrschenden Klasse ins Wanken geraten kann, wird weitergehen. Dann geht es darum, aus der zunächst primär ökonomischen Krise auch eine politische Krise des Kapitalismus werden zu lassen, das heißt eine politische Formulierung und Organisation der Lebensverhältnisse zu erreichen. Eine solche Zuspitzung führt natürlich keinesfalls automatisch zu einer revolutionären Umgestaltung oder zu einer befreiten Gesellschaftsordnung. Dafür sind das bewusste Handeln der unterdrückten Klasse und die Zerschlagung der Macht der herrschenden Klasse notwendig. Hieraus ergibt sich auch die Notwendigkeit einer revolutionären Organisation, die zur richtigen Zeit die Initiative ergreift und verhindert, dass die revolutionäre Krise in der Unentschlossenheit und Richtungslosigkeit eines spontanen Aufstands stecken bleibt. Die Herrschenden werden schließlich ihre Macht und ihr Eigentum nicht freiwillig aufgeben, sondern mit aller Gewalt darum kämpfen.

Eine Revolution ist nur dann möglich, wenn die objektive Situation es zulässt, wenn der Kapitalismus sich in einer Wirtschafts- und Legitimationskrise befindet. In einer solchen Situation tritt sein ausbeuterischer und unterdrückerischer Charakter offen zutage. Das führt dazu, dass eine breite Masse aktiv nach neuen Perspektiven sucht, die sich an den vorhandenen Strukturen, den darin entwickelten Positionen, Erfahrungen und deren konkreten Praxis orientieren werden. Wenn das Bewusstsein des Proletariats zum Zeitpunkt der Krise schwach ausgeprägt ist, oder seine Kämpfe scheitern, werden die reaktionären Kräfte die bestehenden Verhältnisse auf ihre Weise gestalten. Die Geschichte ist ein offener Kampf und die möglichen Entwicklungen werden noch immer mit der alten Parole von Rosa Luxemburg „Sozialismus oder Barbarei!“ auf den Punkt gebracht. Gelingt es uns nicht, aus der sich zuspitzenden gesellschaftlichen Entwicklung einen Sprung nach vorne in eine neue Gesellschaftsordnung zu machen, so ist die „Lösung“ des Kapitals bereits klar. In kapitalistischer Logik bleibt ihm nichts anderes übrig als Vernichtung und Krieg.
Teilbereiche und Gesamtgesellschaft

Da sie den Zusammenhang verschiedener Teilbereiche und Tageskämpfe, sowie unterschiedliche Erfahrungswerte und Lebensrealitäten auf einen gemeinsamen Nenner bringen und die Gemeinsamkeiten herausstellen muss, steht die politische Organisation für uns im Mittelpunkt. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Ersatz oder einer damit einhergehenden Unwichtigkeit verschiedener Organisierungen mit spezifischem Schwerpunkt. Kollektive Zusammenschlüsse in allen Bereichen, ob mit Schwerpunkt Antifaschismus, in gewerkschaftlichen Zusammenhängen oder antirassistischen Initiativen – sind vielmehr als notwendige Basis eines umfassenden politischen Prozesses zu betrachten und müssen so auch mit der gesamtgesellschaftlichen politischen Organisation verbunden werden. Alleine reichen sie nicht aus, um die politische Macht der Herrschenden zu zerschlagen und einen revolutionären Aufbauprozess kontinuierlich voranzubringen.
Revolutionärer Aufbauprozess

Wir werden im Folgenden einige Grundzüge der politischen Organisierung anschneiden. Wir sind uns dabei der Schwierigkeit bewusst, dies nicht zu allgemein oder abstrakt zu formulieren, aber die Umschreibung auch nicht als starres Dogma oder fertiges Schema erscheinen zu lassen. Unsere Thesen hierzu, die zugleich in vielerlei Hinsicht eine – notwendig abstraktere – Essenz der anderen in der Broschüre veröffentlichten Texte darstellen müssen, können hier, entsprechend dem bisherigen Stand des gemeinsamen Diskussionsprozesses, nur bruchstückhaft und nur in ihren ersten Ansätzen formuliert werden. Eine weitere Rolle bei der Formulierung dieses Abschnitts spielte, wie bei den anderen Texten auch, der Zeitdruck. Alles in allem gehen wir aber davon aus, mit dem Abschnitt dennoch einige Aspekte zur Schaffung einer revolutionären Organisierung zu beleuchten und zur Debatte für deren Schaffung beizutragen. Eine Fortsetzung wird folgen.

Um eine kontinuierliche und fundierte Theorie und Praxis entwickeln zu können, die auch tatsächlich von allen mitgetragen und mitbestimmt wird, ist es notwendig, dass die Mitglieder sich auf ein bestimmtes Vorgehen einigen, aus dem die politische Praxis resultiert. Den Entscheidungen der Organisation muss ein Diskussions- und Erarbeitungsprozess vorausgehen, der es ermöglicht, Widersprüche innerhalb der Organisation aufzudecken und Einigung zumindest soweit zu erzielen, dass das entstandene Resultat von allen mitgetragen wird.

Das Begreifen von Dialektik, der Bedeutung von Widersprüchen in jeder Entwicklung, nicht nur als allgemeinen objektiven Entwicklungsprozess, sondern auch als Methode mit sich stellenden Aufgaben und Problemen umzugehen, ist folglich die Bedingung für eine politische Organisierung. Konkret, bezogen auf den revolutionären Prozess: Wir gehen davon aus, dass der Gang der Geschichte weder determiniert – das heißt vorbestimmt – ist, noch zufällig erfolgt. Jede Veränderung hat in den aktuellen Verhältnissen ihren Ausgangspunkt, alles Zukünftige ist durch das Handeln im Jetzigen bestimmbar. Das Streben nach Veränderung muss folglich bei der Analyse des Bestehenden beginnen, muss es begreifen, an ihm praktisch ansetzen und auf seine Aufhebung hinwirken.

Unsere Herangehensweise darf sich daher nicht in Debatten und Analysen erschöpfen, diese müssen stattdessen in der Praxis immer wieder überprüft werden und die reale Veränderung zum Ziel haben. Ein solches „Primat der Praxis“ darf wiederum nicht mit blindem Aktionismus verwechselt werden. Aus all dem folgt die Frage, welches handelnde Subjekt, welche gesellschaftliche Gruppe objektiv ein Interesse an der Aufhebung der bestehenden Verhältnisse hat, sowie die Möglichkeiten besitzt, diese Aufhebung umzusetzen und eine andere Gesellschaftsordnung aufzubauen. Dass dies die Klasse der Lohnabhängigen, das Proletariat ist, haben wir bereits dargelegt. Aufgabe der revolutionären Linken ist es, auf die Entwicklung dieser objektiven Klasse als bewusst handelnde Klasse hinzuwirken.

Eine Organisierung, die diesem Anspruch gerecht werden will ist nur auf der Grundlage einer Methodik möglich, die zu unterscheiden versteht zwischen unlösbaren Widersprüchen einerseits und Widersprüchlichkeiten, die dennoch zu dieser Entwicklung beitragen können andererseits. Unterschiedliche Positionierungen zu einzelnen Themen, die auf verschiedene Seiten der Betrachtung oder auch subjektive Bedürfnisse und Gewichtungen zurückzuführen sind, können teilweise nebeneinander stehen bleiben oder durch ihre Auflösung in Debatten zur Entwicklung von Positionen beitragen, die der jeweiligen Komplexität entsprechen. Antagonistische, sprich unlösbare Widersprüche hingegen, müssen als solche begriffen und behandelt werden. Widersprüchliche Positionen in der Organisation sind beispielsweise danach zu beurteilen ob sie dem revolutionären Prozess entgegenstehen oder ihn begünstigen, ob sie sich nur am Bestehenden orientieren und nicht zu seiner Überwindung beitragen, beziehungsweise ob sie es nicht schaffen am Bestehenden anzusetzen oder ob sie geeignet sind, eine Perspektive zu entwickeln.

Die Klärung dieser Fragen darf dabei nicht losgelöst von der eigenen Praxis, sowie von konkreten Erfahrungen und dem Bezug zu den jeweiligen Situationen stattfinden. Dogmatismus in seinen verschiedensten Ausformungen ist innerhalb der Organisierung nicht weniger abzulehnen als politische Beliebigkeit und Konzeptlosigkeit, opportunistische Politik nicht weniger als weltfremder Radikalismus.

Ein Beispiel für eine andere Herangehensweise ist die destruktive Negation sämtlicher realer oder vermeintlicher Widersprüche in Form des in der Linken noch immer um sich greifenden Kritizismus. Er steht selbst für nichts als selbstherrliches Besserwissertum ohne Perspektiven und reale Ansätze der politischen Praxis. So genannte Antideutsche, Wertkritiker, Situationisten und andere Strömungen sind die aktuellen Träger dieser alten und schon immer lästigen Herangehensweise. Ähnlicher als die verschiedenen Strömungen es wahrhaben wollen, sind ihnen die Überreste dogmatischer Parteistrukturen, die für sich behaupten die vollkommene Wahrheit entdeckt zu haben, weshalb man sich ihnen nur anschließen bräuchte. Auch für sie scheint alles geklärt und diejenigen, die sich ihnen noch nicht angeschlossen haben rückständig zu sein. Das nicht weniger perspektivloses Gegenstück zu diesen Herangehensweisen findet sich in ebenso vielschichtigen Ausformungen bei denen, die alle antagonistischen Widersprüche ignorieren, nur auf Quantität aus sind und aus diesem Grund tiefer greifende Debatten oder auch eine nach einer bestimmten Linie ausgerichtete Organisierung ablehnen. Ohne inhaltliche Klärung hoffen sie auf möglichst große Bewegungen oder Vernetzungen als Möglichkeit der Veränderung der aktuellen Verhältnisse. Dieses Streben nach einer möglichst breiten Masse umfasst bei manchen die ganze Gesellschaft, bei anderen nur den Sumpf der linken Szene.

Weitere Herangehensweisen wie eine opportunistische und alles andere als nach vorne gerichtete politische Praxis vieler Organisationen „um das Proletariat nicht zu verschrecken“ oder der utopistische Radikalismus, derer die es aufgegeben haben zu versuchen an den aktuellen und allgemeinen gesellschaftlichen Widersprüchen anzuknüpfen, können hier ebenfalls als Negativbeispiele einer Methode, die wir für falsch erachten aufgeführt werden.

Wir gehen davon aus, dass eine theoretische Grundlage nötig ist, um sich auf einer gemeinsamen politischen Ebene zu organisieren, die die elementaren Analysen, Herangehensweisen und Ziele der Organisation beinhaltet.

Dieses theoretische Fundament ist nicht gleichzusetzen mit einem Dogma, das auf alle Situationen wie eine Schablone angewendet werden kann. Es umfasst vielmehr die sich aus den eigenen und von anderen theoretisierten Erfahrungen und Analysen angesammelten und entwickelten Erkenntnisse und einen strategischen Plan wie der Kapitalismus überwunden werden kann. Solch eine Strategie ist nicht statisch, sondern stellt einen an der Praxis orientierten und kontinuierlich zu reflektierenden Prozess dar. Ohne eine inhaltliche und organisatorische Grundlage bleibt die politische Arbeit in zusammenhangslosen und auf den Moment beschränkten Aktionen stecken. Sie läuft Gefahr sich auf eine richtungslose oder passive Teilnahme an spontanen Kämpfen und Bewegungen zu beschränken, die nach einer gewissen Zeit wieder in sich zusammenfallen. Die positiven Erfahrungen und Fehler dieser Kämpfe können nicht verarbeitet und die Kämpfe selbst nicht im Kontext einer langfristigen Perspektive gesehen werden. Reine Kampagnenpolitik ohne strategische Ausrichtungen und langfristige Organisierung muss nach einiger Zeit wieder ins Leere laufen, da bestimmte aktuelle Brennpunkte nach einiger Zeit wieder abflauen. Somit ist auch die Gefahr der Enttäuschung und Frustration gegeben, die schließlich zur völligen Abwendung von politischer Tätigkeit führen kann. Eine verbindliche Organisierung ermöglicht dagegen die Herstellung von Kontinuität, da die Erfahrungen vergangener Bewegungen und Kämpfe aufgearbeitet und weitergegeben werden können.

Insgesamt erfordert die politische Organisierung von den Mitgliedern ein großes Maß an Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit. Dazu gehört auch, dass die AktivistInnen lernen, mit der staatlichen Repression umzugehen, mit der eine revolutionäre Organisierung unweigerlich konfrontiert werden wird. Es ist also wichtig, dass sie sich von Beginn an auf staatliche Angriffe in ihren zahlreichen Varianten, von individuellen Kriminalisierungen bis hin zu kollektiven Verboten vorbereiten, um ihnen möglichst weitgehend standhalten zu können.

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