2007-09-15
Ausnahmezustand im Hinterland des Globalen Zivilen Krieges
Die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit der Polizei ging anläßlich des G8-Gipfels so weit wie noch nie. Sie markiert jenseits vergangener Hochwasserkatastrophen, der Vogelgrippe auf Rügen oder diverser Vermisstensuchen einen weiteren Höhepunkt der Militarisierung Innerer Sicherheit. Insgesamt waren 2.100 SoldatInnen der Bundeswehr im Einsatz, darunter 1.000 Soldaten allein mit Sicherungsaufgaben in- und außerhalb militärischer Einrichtungen. (1) Alle Waffengattungen waren im Einsatz: Auf den Autobahnbrücken um den Gipfelort standen gut sichtbar gepanzerte Panzerfahrzeuge. Darüber hinaus waren bereits im März zwei Tornado-Einsätze vom Innenminister Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen “technischer Amtshilfe” angefordert und Ende April im beantragten Umfang durch den Verteidigungsminister gebilligt worden. Beide Waffensysteme sind auch in Afghanistan im Einsatz. Marine auf der Ostsee, Militärpolizei in Rostock-Laage und am geplanten Bombodrom, militärisch integrierte Einsatzleitungen und ein Krankenhaus rundeten das Militarisierungsszenario ab.
Command Riot Control
Einer der Tornado-Kampfjets schoss aus 110 Metern Höhe Bilder. Feindaufklärung hieß das zu anderen Zeiten oder im Auslandseinsatz. Es gab insgesamt mindestens vier solche "Missionen", vielleicht sogar sieben mit zehn Flügen, so die Leipziger Volkszeitung. Aufgenommen wurden bei den Flügen mal der Aufbau des Camps in Rostock, mal das Camp Wichmannsdorf mit angrenzenden Zufahrten, mal Camp Reddelich, mögliches Blockadematerial in der Nähe einer Autobahnauffahrt, sowie ein Gebäudekomplex mit erhöhtem Fahrzeugaufkommen. Bei einem Rückflug wurde noch ein Areal mit möglichem Blockadematerial fotografiert. Nicht nur bei der Zahl der Flüge, sondern auch bei der Wahl der auszuspähenden Objekte gingen die Einsätze weit über das vorab Genehmigte hinaus.
Am Boden wurden insgesamt neun Spähpanzer eingesetzt, in Anlehnung an einen Wüstenfuchs Fennek genannt. Drei Fahrzeuge innerhalb der roten Zone, bis zu sechs Fennek zur Überwachung der An- und Abflugrouten an den An- und Abflugtagen, bis zu fünf weitere zur Überwachung der Fahrstrecken der Delegationen auf der A 19 sowie zwei Fennek zeitlich begrenzt zur Bewachung einer Landesversuchsanstalt, wo auch Genmais angebaut wird. Die Spähtechnik, die beim Fennek auf einem ausfahrbaren Stativ sitzt, besteht aus einer Wärmebild- und einer Digitalkamera mit hoher Auflösung und Zoom-Objektiv, sowie einem Laserentfernungsmesser. Der Informalisierung und Verschmelzung von Bundeswehr- und Polizeieinsatz wurde durch Zusammenarbeit und die Delegation der Entscheidungskompetenz für militärische und polizeiliche Unterführern am die je konkreten Einsatzorte Vorschub geleistet.
Der Fennek hat ein ferngelenktes Mini-Fluggerät an Bord, eine sogenannte Drohne. Sie startet wie ein Modellflugzeug aus der Hand und hat einen Missionsradios von über fünf Kilometern. Aus dem Camp Rostock gibt es für Sonntag, den 2. Juli eine Sichtung eines nicht weiter identifizierten Fluggeräts. Ob die Mini-Drohnen rund um Heiligendamm eingesetzt wurden, muss noch geklärt werden, auszuschließen ist es keinesfalls. (2)
Bei guter Sicht vom Ostseestrand aus erkennbar waren die Boote der Marine - unvergessen die Fernsehbilder vom Ramm-Einsatz gegen Schlauchboote, bei denen die Bundesmarine das Risiko schwerster Verletzungen bis hin zum Tod der AktivistInnen in Kauf nahm. Insgesamt von neun Booten und einer Fregatte ist die Rede: Sechs Verkehrsboote als Transportmittel, ein Minenjagdboot für das Absuchen des seeseitigen Sperrgebietes nach Fremdkörpern, ein Minenjagdboot als Plattform für Minentaucher und eine Fregatte als Unterstützung für die Luftwaffe zur Erstellung des Luftlagebildes im Rahmen der Sicherheit im Luftraum. (3) Die Boote der Marine brachten dann auch die JournalistInnen von ihrem Pressezentrum in Kühlungsborn nach Heiligendamm, als dieses durch die massenhaften Blockaden für Stunden auf dem Landweg nicht mehr erreichbar war. JournalistInnen wurden laut Staatssekretär Schmidt auch im Bundeswehr-Hubschrauber CH 53 von Rostock-Laage nach Heiligendamm und Hohenluckow geflogen. Embedded journalism. Für den Transport einer Delegation von Berlin-Tegel nach Heiligendamm hat das Auswärtige Amt drei mittlere Transporthubschrauber angefordert und erhalten.
Im Krankenhaus Bad Doberan setzte sich die Auflösung der Grenze zwischen zivil und militärisch fort. SanitätssoldatInnen übernahmen ambulante und stationäre Patientenversorgung. Laut Financial Times war dies “die erste Aktion dieser Art in der Geschichte der Bundeswehr”. (FTD, 30.5.07) Neben dem Krankenhaus waren zudem olivgrüne Zelte und Container des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aufgestellt. Für ihre eigene Unterkunft haben sich die Soldaten ein Feldlager auf einer Wiese bei Bad Doberan eingerichtet.
Auch die Unterwanderung der zivil-polizeilichen Organisations- und Führungsstrukturen durch Militärs bestätigt mehr und mehr die in letzter Zeit in Mode kommende Rede vom Globalen Zivilen Krieg (4): Immer häufiger und immer weitgehender kommt es zur Auflösung des Unterschieds zwischen Militär und Polizei: Militär wird zunehmend in die Innere Sicherheit miteinbezogen, der Krieg gegen den Terror kommt als sich immer wieder neu arrangierender weltweiter Polizeieinsatz unterschiedlicher Koalitionen Williger daher.
Aber zurück nach Heiligendamm: In zahlreiche zivile Stäben der Polizei und des Innenministeriums des Landes Mecklenburg-Vorpommern waren Verbindungskommandos der Bundeswehr entsandt. So wurden in die Einsatzführung Kavala Marine aus Kiel und VertreterInnen des Landeskommandos Mecklenburg-Vorpommern geschickt. Deren Aufgabe war die “Gewährleistung eines reibungslosen Informationsaustausches im Rahmen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit.” (5) Insgesamt fünf Verbindungskommandos saßen in regionalen Katastrophenschutzstäben. Ein Kommando für einen großen Krisenstab stand bereit und 25 SoldatInnen hatten Dienst in der Flugeinsatzzentrale von Bundeswehr und Polizei als “Beitrag zu Sicherheit im Luftraum.” (6)
Die Paramilitarisierung von Länder- und Bundespolizeien ist ein altbekanntes und vielkritisiertes Phänomen. Die Verpolizeilichung des Militärs hingegen hat weniger interessiert, weil sie sich bisher nur im Ausland gezeigt hat. Das hat sich jetzt geändert mit dem Einsatz ganz bestimmter Feldjäger, nämlich des für den Protektorats-Einsatz im Kosovo neu aufgestellten CRC-Zuges der Militärpolizei. CRC bedeutet “Crowd and Riot Control”, also Aufstandsbekämpfung. Die PolizeisoldatInnen in diesen Zügen sind genau wie die “Robocops” der Polizei ebenfalls mit Schild, Schlagstock und Helm mit Visier ausgerüstet. Während des G8-Gipfels, laut Spiegel-Blog-Autor Thomas Wiegold, waren sie am Flughafen Rostock-Laage im Einsatz. (7) Die Einheit hat oliv-grüne und speziell gepanzerte Wasserwerfer. Es ist eine Frage der Zeit, wann diese im Rahmen der “Amtshilfe” in den Innenstädten eingesetzt werden …
Die gängige Kritik verurteilt all das als Verstoß gegen die grundgesetzliche Trennung von Polizei und Bundeswehr. Dass z.B. bei derart enger Zusammenarbeit zwischen Polizei und Bundeswehr gerne “auf dem kurzen Dienstweg” gehandelt wurde, bemängelt auch der sonst kaum für militärkritische Ausfälle bekannte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold: “Es ist nicht in Ordnung, dass untere Polizeiebenen mit unteren Bundeswehr-Ebenen immer neue Einsätze verabredet haben.” Für ihn steht fest, “dass faktisch so getan wurde, als habe es rund um Heiligendamm eine Generalbevollmächtigung für den Einsatz der Bundeswehr gegeben”. (Leipziger Volkszeitung, 21.6.07) Selbst der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, kommentiert: “Amtshilfe der Bundeswehr ist immer sehr erfreulich für die Polizei, wenn sie das ausgleicht, wofür der Polizei die Fähigkeiten fehlen. Beispielsweise Luftbilder bei Entführungen oder Geiselnahme. Mit dem Tiefstflug eines Tornado-Jets über Demonstranten hinweg ist die verfassungsrechtliche Grenze eindeutig überschritten worden. Das muss nachprüfbare Konsequenzen haben.” (ebd.)
Auf dieser Linie bewegt sich denn auch die öffentliche, d.h. parlamentarische und rechtliche Aufarbeitung dieses Großeinsatzes der Bundeswehr im Innern: Der Bundestag wurde mit einer Fragestunde beschäftigt, dem Innenausschuss des Bundestages berichtete der zuständige Staatssekretär. (8) Ein Vordisziplinarverfahren gegen einen der Tornado-Piloten ist eingeleitet. Am Ende wird klar sein, welche Gesetze zu erlassen, welche Rechtsverordnungen herauszugeben sind, um das Militär auch im Innern formal korrekt einsetzen zu können.
Die bürger- bzw. verfassungsrechtliche Kritik und ihre Konsequenzen sind nicht falsch und politisch durchaus notwendig. Dennoch greift diese Kritik zu kurz. Eine radikale Kritik muss sich über die Bedeutung des Militärs klar werden - historisch und systematisch. Der moderne Nationalstaat ist gerade dadurch als Herrschaftsform nach Innen und Außen so stabil, weil er das Monopol legitimer physischer Gewalt beansprucht und in den starken Staaten auch tatsächlich darüber verfügt. Institutionell idealtypisch differenziert und historisch ausgeformt - in Deutschland besonders als Konsequenz aus dem Faschismus - in Polizei für Innen und Militär für Außen. Historisch spielte diese Differenzierung jedoch in den entscheidenden Momenten nie eine Rolle. Wann immer nötig, wurden und werden alle notwendigen Mittel eingesetzt, um die staatliche Sicherheit und Ordnung gegen Revolte und Revolution aufrecht zu erhalten, die Rahmenbedingungen für herrschende Produktionsweise und politische Herrschaft sicherzustellen. Nicht umsonst heißt es “Monopol legitimer Gewalt” - und nicht “legaler Gewalt”. Das Handeln der Staatsgewalt ist in letzter Instanz, im Ausnahmezustand, nicht mehr normengebunden. Und das Wesen des Globalen Zivilen Krieges ist in der Tendenz der permanente Ausnahmezustand.
Im Hinblick auf Militarisierungsfragen hat die BRD, haben die Bundesregierungen der letzten 17 Jahre ihr Normalisierungsprogramm abgeschlossen. Jetzt geht es in die Offensive: Kriegführung im Zusammenhang von Reichtums-, Einfluss- und Rohstoffsicherung nach außen und Sozialabbau, Ungleichheitssicherung durch (para-) militärische militär-polizeiliche Besatzung im Innern werden der zukünftig normale Ausnahmezustand. Dementsprechend bleibt für antimilitaristische Bewegung in Zeiten des Globalen Zivilen Kriegs mehr zu tun als nur auf verfassungsrechtliche Minimalia zu pochen:
“Neben Bewusstseinsarbeit und Verweigerung gegenüber der Rüstungs- und Militärmaschinerie sind neue Formen der Kontrolle der gesellschaftlichen Produktion notwendig, und zwar unter dem Aspekt der Abwicklung von Herrschaftsmechanismen und Gewaltpotenzial. Denn alle gesellschaftliche Reproduktion - und damit auch die Bereitstellung der Ressourcen für Militär und Krieg - läuft über den Verwertungsprozess von Kapital und Arbeit. Für diese Auseinandersetzung um Produktionsmittel eignen sich die traditionellen Mittel des Streiks, der Blockade und der Sabotage, das gesamte Spektrum der Mittel des ,gewaltfreien Kampfes`.” (9)
Anmerkungen:
1) So der Sprechers im Bundesministerium der Verteidigung, Oberstleutnant Strunk, zur Kl. Anfrage (Drucksache 16/5698) von Abgeordneten der Linken an die Bundesregierung, 14.6.07
2) Weitere technische Details und Herstellernamen nennt Johannes Plotzki für imi-online.de zusammen: “Wüstenfüchse, Tornados und ALADIN beim G8 in Heiligendamm”
3) Antwort der Bundesregierung (Drucksache 16/5148), 26.4.07
4) Mainstream Politikwissenschaft: http://www.prio.no/page/sd/sd/9429/40475.html, Bewegungsdiskurs: http://www.softtargetsjournal.com/v21/tiqqun.php
5) Antwort der Bundesregierung (Drucksache 16/5148), 26.4.07
6) ebd.
7) Thomas Wiegold im Spiegel-Blog: Für die G8-Liste, 22.6.2007 http://blog.focus.de/wiegold/?p=125
8) Einzelheiten fasst Johannes Plotzki zusammen, a.a.O.
9) Markus Euskirchen: Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsintruments, Köln 2005