2007-09-05
Interview mit der Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm, die den Berliner Soziologen Andrej H. vertritt. Von Peter Nowak
Auch nach der bedingten Freilassung des Berliner Stadtsoziologen Andrej H. wird gegen ihn und drei andere Personen weiterhin wegen Verdachts der Mitgliedschaft in der "militanten gruppe" (mg) ermittelt. Doch die Zweifel an der Stichhaltigkeit der Beschuldigungen bekamen durch einen Bericht der Frankfurter Rundschau neue Nahrung. "Die Verhaftung des Berliner Wissenschaftlers Andrej H. vor vier Wochen basiert offenbar auf dünneren Beweisen als bislang bekannt", hieß es dort (Andrej H., § 129a und die verdächtigen Begriffe). Die Berliner Rechtsanwältin Christina Clemm und Verteidigerin von Andrej H. geht auf den aktuellen Stand des Verfahrens ein.
Der Bundesgerichtshof hat eine Entscheidung über eine erneute Inhaftierung von Andrej H. in den Oktober verschoben. Was ist der Hintergrund?
Für den BGH besteht ein hoher Beratungsbedarf wegen der grundsätzlichen Problematik des gesamten Verfahrens. Vor allem zwei Fragen wird er in den nächsten Wochen prüfen: Was Voraussetzung der Annahme eines dringenden Tatverdachts im Sinne des § 129a StGB ist und was die Voraussetzung der Eingruppierung einer Vereinigung als terroristische Vereinigung im Sinn des § 129 a StGB ist. Sind bei diesen Verfahren überhaupt die Voraussetzungen für den §129a. gegeben? Fallen die der militanten gruppe (mg) zugerechneten Daten unter die Kategorie Terrorismus? Für die Klärung braucht der BGH Zeit und hat daher die Entscheidung auf Oktober vertagt.
Welche Folgen hätte es für Ihren Mandanten und die anderen Beschuldigten, wenn das Ergebnis wäre, dass es sich um keinen 129a-Fall handelt?
Dann müsste das Verfahren gegen meinen Mandanten sofort eingestellt werden. Gegen die drei noch Inhaftierten könnte dann nur noch wegen versuchter Brandstiftung ermittelt werden. Dafür aber wäre die Bundesanwaltschaft nicht zuständig. Das Verfahren müsste an die Brandenburger Staatsanwaltschaft abgegeben werden.
Sie sprachen auf einer Pressekonferenz davon, dass der Ursprung der Beschuldigung gegen Ihren Mandaten auf eine Internetrecherche des Bundeskriminalamtes gegen Ihren Mandanten zurückzuführen ist. Gibt es hier mittlerweile weitere Erkenntnisse?
Ich hatte hier wiedergegeben, was ich den Akten entnehmen konnte. In welcher Form diese Internetrecherche abgelaufen ist, wurde dort nicht ausgeführt. Daher kann ich diese Frage auch nicht beantworten. Da müssten die Ermittlungsbehörden fragen.
Sonst gibt es keine weiteren Verdachtsmomente gegen Ihren Mandaten?
Es werden noch zwei Treffen mit einem der noch Inhaftierten angeführt. Was auf diesen Treffen besprochen worden sein soll, ist nicht bekannt. Weitere Verdachtsmomente gegen meinen Mandanten gibt es nicht.
Nach Pressinformationen basieren die Vorwürfe gegen Ihren Mandanten auf einem Beitrag von 1998 aus der Zeitschrift telegraph, in dem Begriffe verwandt worden sein sollen, die auch in mg-Erklärungen verwendet worden sein sollen. Sehen Sie darin neue Belastungsmomente?
Nein überhaupt nicht. Dies ist kein neues Beweismittel, vielmehr hat damit das Ermittlungsverfahren begonnen. Im übrigen hat sich diese Anfangsthese nicht bestätigt, denn ein sprachwissenschaftliches Gutachten hat festgestellt, dass keine identische Autorenschaft festgestellt werden könne.
Erst vor wenigen Tagen gab es bei Ihren Mandanten eine erneute Hausdurchsuchung, laut Presseberichten ohne Durchsuchungsbefehl. Ist das noch rechtsstaatlich?
Es soll einen mündlichen Durchsuchungsbefehl geben, den ich, weil er nicht schriftlich fixiert war, auch nicht kenne. Der Skandal ist aber, dass hier Verteidigerunterlagen durchsucht wurden. Darin sehe ich ein Indiz für die Beweisnot der Ermittlungsbehörden.
Bundesanwältin Monika Harms hatte in einem Interview erklärt, niemand werde von ihrer Behörde allein wegen kritischer wissenschaftlicher Texte beschuldigt oder verhaftet. Ist es denkbar, dass die BAW noch nicht alle Beweismittel aufgedeckt hat, um eventuell verdeckte Ermittler zu schützen?
Das ergäbe keinen Sinn. Für die BAW muss es jetzt gerade darum gehen, alle ihre Beweise auf den Tisch zu legen. Schließlich wird das BGH auf dieser Grundlage entscheiden, ob der §129a hier Bestand hat.
Ist das Konstrukt der Anklagebehörden gegen Ihren Mandanten schon gescheitert?
So weit würde ich nicht gehen. Das Konstrukt ist stark angekratzt. Gescheitert ist es erst dann, wenn das Verfahren gegen meinen Mandanten eingestellt ist.
[Telepolis, 03.09.2007]