2007-08-29
Berlin, den 24.08.2007
Lieber Peter Grottian,
Du wirst in einer Presseerklärung des Berliner Sozialforums mit den Worten zitiert: „Brandanschläge sind selbst innerhalb der rechtlichen Bestimmungen des Paragraphen 129a nur dann ‚terroristische Akte’, wenn eine erhebliche Gefährdung des Staates nachweisbar ist. Brandanschläge im Rahmen einer [!] sogenannter [!] ‚militanten Aufklärungskampagnen [!]’ erfüllen diesen Tatbestand nicht. Wir stellen erneut fest, dass eine Ermittlungsbehörde Interesse daran hat, Protest gegen die herrschende Politik zu kriminalisieren und mit Terrorismus gleichzusetzen. Eine Generalstaatsanwältin, die bei so einer dürftigen Beweislage eine [!] Ermittlungsverfahren auf der Grundlage des Paragraphen 129a einleitet, die hat in ihrem Amt versagt und lässt sich politisch instrumentalisieren.“ (http://soli.blogsport.de/2007/08/06/
sozialforum-die-anwendung-des-politischen-sonderstrafrechtes
-ist-fragwuerdig-kritische-wissenschaft-wird-kriminalisiert/ – Grammtikfehler in der Quelle).
In welchem Land lebst Du denn?
Die Generalbundesanwältin ist doch nicht die Anwältin von linksliberalen oder grünennahen Profs oder gar der linksradikalen Szene, die militante Aufklärungskampagnen macht, sondern – wie der Funktionstitel schon sagt – die Anwältin des Bundes, des Staates.
Du müßtest das doch als Professor für Politikwissenschaft besser wissen!
Was erwartest Du denn von einem Staat, der schon bei seiner Gründung zwei Vorschriften (die Artikel 18 – Grundrechtsverwirkung – und 21 GG – Parteienverbot –) in seine Verfassung aufnahm, die eine massive Verkürzung des pluralistischen, demokratischen Prozesses bedeuteten? Diese Vorschriften richten sich gegen nichts anderes als Einzelpersonen bzw. Parteien, die die ‚falsche’ Meinung haben. Wer hierzulande bspw. seine Freiheit der Meinungsäußerung „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht, verwirkt diese Grundrechte“ (so das wenig gelesene Grundgesetz).
Was erwartest Du also von einem Staat, der solche Verfassungsvorschriften hat und der auch keine Scheu hatte, diese Vorschriften, bspw. gegen die KPD der 50er Jahre, tatsächlich anzuwenden? Von einem Staat, der sich nicht darauf beschränkte, diese Partei für verfassungswidrig zu erklären, sondern der auch Tausende von individuellen Mitgliedern und Sympathisanten der KPD strafrechtlich verfolgte – ohne ihnen jeweils erst einzeln Grundrechte zu entziehen (Diether Posser, Politische Strafjustiz aus der Sicht des Verteidigers, Müller: Karlsruhe, 1961; Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland von 1948 – 1968, Suhrkamp: Frankfurt, 1978. – Hast Du diese Bücher nie in der Hand gehabt? Sind das nicht Klassiker Deiner Generation? Oder hast Du alles vergessen?)
Allzu oft wandte der Staat die Möglichkeit zum Entzug der Grundrechte aber nicht an. Denn diese Vorschriften sind viel zu unflexibel, viel zu ‚unverhältnismäßig’, um dem Staat wirklich zu nützen. Jedesmal erst – wie von Art. 18 und 21 GG vorgeschrieben – das Bundesverfassungsgericht anrufen und ggf. jahrelang warten, bis das mal entscheidet? Nein. Das kann nicht sein. Außerdem will sich dieses Gericht, das von allen BundesbürgerInnen so sehr geschätzt wird, an solch krassen Fällen ungern die Hände schmutzig machen. (Auch in seinem KPD-Urteil betonte es, daß die politische Verantwortung für die Antragstellung allein die Bundesregierung trage.) Gleich in einem Urteil über Tausende von Parteimitgliedern entscheiden? Nein, wo bleibt da die Einzelfallgerechtigkeit, die Verhältnismäßigkeit?!
Viel besser: Aus diesen beiden speziellen Vorschriften ein umfassendes Prinzip der „streitbaren Demokratie“ machen, und aus diesem wiederum – je situationsgerechte – Konsequenzen ableiten.
Und genauso kam es in den 70er Jahren: Die Berufsverbote. Wieviel BewerberInnen für den Öffentlichen Dienst, wurden ihre Rechte aus Art. 33 II, III, 3 III GG auf „gleichen Zugang“ zum öffentlichen Dienst – d.h.: unabhängig von ihrer Weltanschauung, unabhängig von ihren „politischen Anschauungen“ – verwehrt, obwohl ihnen niemals vorher nach Art. 18 GG ihre Grundrechte entzogen wurden (ganz abgesehen davon, daß diese beiden Grundrechte nicht zu den in Art. 18 GG aufgezählten verwirkbaren Grundrechten zählen)? Kannst Du Dich wirklich nicht mehr an die Berufsverbote der 70er Jahre erinnern?
Und selbst heute, im 21. Jahrhundert, gibt es wieder Berufsverbote-Verfahren. Und wieder entscheiden die Gerichte „verhältnismäßig“. Schließlich sind die maoistischen K-Gruppen verschwunden und die DKP ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Also werden Berufsverbote weniger offensiv als früher gerechtfertigt, sondern die Fälle werden an die Exekutive mit der Bitte, um weniger deutlich politisch motivierte Entscheidung zurückgeben (JW, 3.8., S. 1: Teilerfolg gegen Berufsverbot). Zu einer Einstellung der fraglichen BewerberInnen führt das noch lange nicht – selbst in SPD regierten Ländern (FR, 2.8.: Der gelinkte Lehrer). Bedeuteten schon die Berufsverbote der 70er eine Flexibilisierung gegenüber dem in Art. 18 GG vorgesehenen Verfahren, so bedeutet das, was jetzt von dem Verwaltungsgericht in Darmstadt und zuvor schon dem Oberverwaltungsgericht in Mannheim eingeleitet wurde, eine weitere Flexibilisierung: An der Vorhersehbarkeit der staatlichen Sanktionen wird es endgültig fehlen, und sie werden nicht einmal mehr deutlich als solche in den Bescheiden erkennbar sein. Eher als ein Teilerfolg ist dies ein Pyrrhussieg für DemokratInnen, denn der Druck zu individuellem Opportunismus wird steigen. Umso weniger die staatliche Entscheidung vorherzusehen ist, umso mehr werden sich die einzelnen den Mund und vielleicht auch schon das Denken verbieten. Umso mehr die Legalordnung verhältnismäßig wird, umso weniger bleibt von garantierten Grundrechten übrig. Grundrechtsgebrauch wird zunehmend riskant – Risikogesellschaft auf juristisch.
Und sage nicht seit den 90er Jahren sei alles anders geworden, die Wende in der DDR habe auch in der BRD eine Wende bedeutet. Nein, selbst noch in den 90er Jahren hat das BVerfG in seinem vielfach als liberal gelobten oder als zu liberal gescholtenen „Soldaten sind Mörder“-Urteil entschieden, daß zwar die allgemeine moralische Aussage „Soldaten sind Mörder“ vom Grundrecht auf Meinungsäußerung geschützt sei, aber auch durchblicken lassen, daß dieser Schutz entfällt, wenn jene Meinung speziell auf Soldaten der Bundeswehr gemünzt wird (Neue Juristische Wochenschrift 1995, 3306 f.).
Das aktuelle Verfahren gegen vermeintliche Mitglieder der militanten gruppe stellt also durchaus keine neue Qualität dar. Kannst Du Dich noch an den Begriff „anschlagsrelevante Themen“ erinnern? Das war in den 80er Jahren, der Prozeß gegen Ingrid Strobl und Ulla
Penselin. Hast Du nicht vielleicht auch eine der damaligen Unterschriften-Listen unterschrieben?
Du siehst also, die Generalbundesanwältin (so ist der offizielle Titel; „Generalstaatsanwalt“ – das ist der höchste Staatsanwalt in Berlin; nicht im Bund) hat also durchaus nicht in ihrem Amt versagt; sie macht genau das, was Amt, Staat und – , ja, Rechtsstaat von ihr verlangen.
Erinnerst Du Dich noch? – Damals, an die 70er Jahre? Das war, damals als der § 129a Strafgesetzbuch und zahlreich strafprozessuale Änderungen eingeführt wurden. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, daß das Rechtsstaatsprinzip den Grundsatz einer effektiven Strafrechtspflege enthalte. Nichts mit liberalen Verfahrensrechten für die Beschuldigten. Recht und Ordnung statt due process of law. (Rechtsstaat ist nämlich der Staat, der „im Recht“ steht, wie heute das Handbuch des Staatsrechts formuliert, – und nicht unter dem Gesetz.)
Erinnerst Du Dich noch? Damals, in den 70ern, schrieb Oskar Negt einen Aufsatz „Warum die Deutschen keine ‚Marseillaise’ haben“. – Was in etwa sagen sollte: All so was passiert in Deutschland, weil sich hier die nationale Identität (anders als in Frankreich) nicht aus einer erfolgreichen Revolution speist. (1792 wurde das Lied von republikanischen Soldaten aus Marseille beim Einzug in Paris gesungen, und es erhielt daher seinen Namen).
Und die Deutschen haben immer noch keine – weder eine Revolution noch eine Marseillaise. Auch die „Wende“ in der DDR war kein Sturm auf die Bastille!
Wo Du recht hast, ist: auch ein paar Brandanschläge sind noch kein Sturm auf die Bastille; allenfalls ein laues Sommerlüftchen. Aber immerhin weiß die militante gruppe, gegen die sich das 129a-Verfahren richtet, zu dem Du Dich geäußert hast, wohl, daß aus dem Sturm auf die Bastille, ohne Bewegung in breiten Teilen der Bevölkerung nichts werden wird – was wohl der Grund ist, weshalb sie wohlweislich auf militärische Eskalationen à la RAF verzichtet. Das ändert aber nichts daran, daß die Praxis der mg – langfristig – sehr wohl auf eine erhebliche Schädigung des Staates zielt – „und das ist gut so“ (falls es erlaubt ist ein Wort unseres Bürgermeister Zweck zu entfremden sowie an den Schluß des Kommunistischen Manifestes zu erinnern: „Die Kommunisten […] erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“), auch wenn daran gezweifelt werden kann, ob alles, was die mg so tut und schreibt jenem Ziel wirklich dienlich ist. –
Warum also all die Polemik? Weil diesseits der hohen, revolutionären Ansprüche der mg eine Kritik an den aktuellen 129a-Verfahren, die ein Versagen einzelner AmtsträgerInnen behauptet und montiert, nicht einmal liberalen Ansprüchen gerecht wird (von anderen Dingen gar nicht erst zu reden). Mit einem solchen Denken im Kopf, wird der Sturm auf die Bastille außerhalb des Kopfes sicherlich nicht nachgeholt. Was nötigt ist, um überhaupt erst einmal zu verstehen, vor welcher Aufgabe wir stehen, ist: daß Frau Harms (hättest Du eigentlich so einen lockeren Spruch auch über Rebmann oder Stahl gemacht?) nicht etwa versagt, sondern genau die Prinzipien des deutschen Rechtsstaats umsetzt!
Detlef Georgia Schulze studierte und war von 2004 bis 2006 WissenschaftlicheR MitarbeiterIn am Otto-Suhr-Institut, wo auch Prof. Dr. Peter Grottian lehrt. Detlef Georgia Schulze promovierte 2004 an der Humboldt-Universität.
[http://media.de.indymedia.org/media/2007/08//192488.pdf]