2007-08-28 

junge Welt: »Widerstand soll kriminalisiert werden«

Hausdurchsuchung bei Bonner Atomkraftgegnern dient der Ausspähung und Einschüchterung. Gespräch mit Sebastian Nickel
Interview: Jörn Boewe

Rechtsanwalt Sebastian Nickel vertritt den Betreiber einer Bonner atomkritischen Internetseite

Bei Ihrem Mandanten, dem Betreiber der Internetseite antiatombonn.de, wurde Mitte August eine Hausdurchsuchung angeordnetet. Was konkret wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor?

Bild: antiatombonn.de

Der Vorwurf lautet auf öffentliche Aufforderung zu Straftaten. Hintergrund ist ein Artikel, in dem Textpassagen des Aufrufs der Block-G-8-Kampagne enthalten sind. Aus Sicht der Ermittlungsbehörden soll dazu aufgerufen worden sein, gewaltsam Widerstand gegen Polizeibeamte zu leisten.

Nun ist der Text ja bis heute frei im Internet zugänglich. Wozu dann eine Hausdurchsuchung, bei der man sämtliche Computer beschlagnahmt?

Aus Sicht der Verteidigung ist das völlig unverhältnismäßig. Zum einen ist dieser Text auf der Internetseite deutlich als Zitat gekennzeichnet. Die Urheberschaft dürfte ohne weiteres festzustellen sein. Die Staatsanwaltschaft, so zumindest die offizielle Begründung, will konkret herausfinden, wer diesen Text auf die Bonner Internetseite gestellt hat. Aber aus meiner Sicht ist schon höchst fraglich, ob dieser Text überhaupt ein strafbares Verhalten darstellt. Und selbst, wenn es einen Anfangsverdacht geben sollte, ist eine so einschneidende Maßnahme wie die Beschlagnahme sämtlicher Computer nicht gerechtfertigt.

Also worum geht es aus Ihrer Sicht tatsächlich?

Es drängt sich eher der Verdacht auf, daß hier konkret die lokale Bonner politische Szene ausgeforscht und ausgeleuchtet werden soll.

Sehen Sie einen allgemeinen Trend, daß das Strafrecht zweckentfremdet wird, um eigentlich etwas ganz anderes zu erreichen?

Aus unserer Sicht ist ohnehin auch im Vorfeld des G-8-Gipfels und währenddessen eine ganz klare Tendenz zu verzeichnen gewesen, daß die Grenzen zwischen repressiven Maßnahmen, also Strafverfolgung und präventiven Maßnahmen des Polizeirechts immer fließender werden. Das macht den Rechtsschutz unübersichtlich, und vor allem stellt es auch aus meiner Sicht einen klaren Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip dar. Aus unserer Sicht ist das alles sehr bedenklich. Hier wird unter einem Vorwand mit Kanonen auf Spatzen geschossen.

Sehen Sie als Jurist eine Möglichkeit, diesem Trend auf juristischer Ebene irgendeinen Riegel vorzuschieben?

Der G-8-Gipfel selbst hat ja durchaus rechtspolitische Debatten ausgelöst, Stichpunkte sind vor allem Vorfeld-Maßnahmen, Postüberwachung, die unsäglichen Geruchsproben, Heranziehung der Bundeswehr, Rechtsschutz während der Proteste. Es war zum Teil nicht erkennbar bei Vorführungen, ob jetzt die Leute einen Polizeibeamten oder einen Richter vor sich stehen haben. Das wird natürlich an jeweils einzelnen Fällen immer wieder juristisch aufgerollt.

Wie muß man denn eigentlich bewerten, daß die Staatsanwaltschaft Bonn in diesem konkreten Fall ein bißchen aus der Reihe tanzt?

Ob es sich jetzt um einen Einzelfall handelt oder ob möglicherweise bislang unbekannt in anderen Städten ähnliche Repressionsversuche gegen diese Kampagne laufen, weiß ich persönlich nicht. Ich kann insofern auch nur Mutmaßungen anstellen: Also die Staatsanwaltschaft Bonn hat nach eigenen Angaben die Sache gründlich geprüft und sieht eben einen Anfangsverdacht. Ob es hier irgendwelche lokalen Besonderheiten gibt oder ob die Bonner Szene aus bestimmten Gründen besonders interessant ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Der Artikel wurde ja Mitte Mai eingestellt, also im Vorfeld der Anti-G-8-Proteste. Warum jetzt das Ermittlungsverfahren?

Ich gehe davon aus, daß ein Zeichen gesetzt werden soll, daß eine politisch aktive Szene unter Beobachtung steht und daß jederzeit mit entsprechenden Maßnahmen gerechnet werden muß. Letztlich ist es einfach der Versuch, dort Widerstandsformen zu kriminalisieren und von möglichen weiteren Aktivitäten abzuhalten. So ein Artikel ist im Prinzip nichts weiter als ein Beitrag zur politischen Meinungsäußerung, der aus meiner Sicht strafrechtlich in keiner Weise relevant ist.

Allerdings ist eine Durchsuchung nach der Strafprozeßordnung an sehr geringe Voraussetzungen gebunden. Die Staatsanwaltschaft bewegt sich hier durchaus noch innerhalb der Buchstaben des Gesetzes. Der Betroffene hat natürlich den Nachteil, daß er lange Zeit ohne Computer und wahrscheinlich auch ohne einen Großteil seiner wichtigen Daten auskommen muß.

junge Welt 27.8.2007

http://www.jungewelt.de/2007/08-27/045.php?sstr=bonn