2007-08-27 

Angela Klein in SoZ: Den Bock zum Gärtner gemacht

(27.08.2007) Vor sechs Jahren in Genua: Mitte-Links-Regierung deckt Polizeigewalt.

Sechs Jahre nach dem G8-Gipfel in Genua sind die drei Prozesse immer noch nicht abgeschlossen, die Verantwortlichen bei den Ordnungskräften immer noch nicht ausgemacht. Die neue Mitte-Links-Regierung setzt die Politik des Vertuschens und Verzögerns ihrer Vorgängerin fort.

"Als ich in den ersten Stock kam, fand ich eine Knüppelei vor. Vier Polizisten, zwei davon mit weißem Gürtel, die anderen in Zivil, prügelten auf ein Dutzend Demonstranten ein, die wehrlos am Boden lagen. Es sah aus wie in einem mexikanischen Schlachthaus." Michelangelo Fournier war in den Tagen des G8-Gipfels in Genua stellvertretender Vizepolizeichef; er leitete an dem Abend den Einsatz des Mobilen Einsatzkommandos aus Rom, der "Celere", in der Schule Diaz. Am 13.Juni 2007 stand er zusammen mit 28 anderen Polizisten in Genua vor Gericht und musste sich für die Vorgänge in der Schule Diaz verantworten.

Bild. Genua 2001

Neben der "Celere" waren in der Nacht vom 19. auf den 20.Juli 2001 noch mehrere andere Einheiten an dem Überfall auf die Schule beteiligt (u.a. die Carabinieri, die Strafvollzugspolizei usw.). Die "Celere" war extra für den Einsatz in Genua zusammengestellt worden; das Kommando wurde nach vollbrachter Tat umgehend aufgelöst.

Die Aussage Fourniers bestätigt, was das Genoa Social Forum immer gesagt und die Polizei immer bestritten hat: Die Polizei hat in der Schule Diaz auf wehrlose, schlafende Demonstranten eingeprügelt, dabei 43 von ihnen schwer verletzt, 98 wurden festgenommen. Sie leisteten keinen Widerstand und hatten sich ihre Wunden nicht schon am Vormittag auf der Demo zugezogen, wie derselbe Fournier nach der Schlächterei in der Schule und später noch im Verhör der Staatsanwälte behauptet hatte.

"Es waren nicht meine Männer, und wenn ich es nicht eher gesagt habe, tat ich das aus Korpsgeist. Ich habe auch nie gerufen ‘Aufhören, aufhören‘, wie mir zugeschrieben wird."
Seit sechs Jahren versucht die italienische Polizei, die Schlächterei von Genua, für die sie verantwortlich ist, mit allen Mitteln zu vertuschen. Schweigen und Lügen lautet die eiserne Verhaltensregel, die von oberster Stelle gedeckt wird.

Inzwischen stellt sich heraus, dass die Polizeichefs nicht nur mit der Regierung Berlusconi unter einer Decke steckten, sodass die beiden Prozesse gegen Polizisten sechs Jahre hindurch verschleppt werden konnten. Auch die neue Regierung Prodi, eine sog. Mitte-Links-Regierung, an der auch Rifondazione Comunista beteiligt ist, hat Dreck am Stecken.

"Die erste Welle der Entrüstung hat eine Maus geboren", sagt Gigi Malabarba, Ex-Senator für Rifondazione Comunista, in einem Interview mit der Wochenzeitung Carta (Nr.27, 2007). "Die Ermittlungskommission, die damals eingerichtet wurde, hat den wichtigsten Punkt, nämlich die Verantwortlichkeiten in der Befehlskette der Ordnungskräfte und der Anteil der Politiker am Geschehen, nicht aufgeklärt. Im Juli 2002, ein Jahr nach Genua, habe ich im Parlament zwei Gesetzesentwürfe zur Einrichtung einer Untersuchungskommission eingebracht — eine auf Ebene der Kammer, eine zusammengesetzt aus Vertretern von Kammer und Senat. Die Mitte-Links-Koalition, die damals in der Opposition war, hat diese Entwürfe nicht unterstützt."

Inzwischen hatte sich der internationale Kontext verändert: es kam der 11.September in New York, der Krieg in Afghanistan, danach die Intervention im Irak. Genua wurde fallen gelassen in der Hoffnung, es werde Gras drüber wachsen und das Verhalten der Polizei wie auch der Regierung Berlusconi werde nicht weiter zur Rechenschaft gezogen.

"Der G8-Gipfel von Genua", erklärt Malabarba weiter, "war das deutlichste Signal einer Entwicklung, die erst in den folgenden Jahren deutlichere Gestalt angenommen hat — und unterschätzt worden ist. Ich meine die Militarisierung jedes einzelnen Aspekts der öffentlichen Ordnung: Von der Rekrutierung der Polizisten bis zu ihrer Ausbildung, von der Militarisierung der Feuerwehr und sogar der Schutzmänner bis hin zu den ‘Sicherheitspakten‘, die einige Großstädte in den letzten Wochen unterzeichnet haben, gibt es eine Kontinuität zwischen der Politik der inneren Sicherheit der Mitte-Links-Koalition und eines Teils des Mitte-Rechts-Bündnisses. Diese Linie haben schon die ersten Mitte-Links- Regierungen eingeschlagen und sie wurde nie geändert."

Eine repressive Linie hat die Polizei Malabarba zufolge nicht nur in Genua gefahren, sondern auch bei den sozialen und Umweltkämpfen der letzten Jahre. Sie schmückt sich jetzt zusätzlich mit der Aura des "Kampfes gegen den Terror". "Das ist ein globaler Krieg, in dem die Grenze zwischen Innen und Außen verwischt wird, in dem jede Opposition zum Umsturzversuch erklärt wird. Das politische Klima innerhalb der Ordnungskräfte hat sich umgekehrt; die Polizisten, die versucht haben, darauf aufmerksam zu machen, sind allein gelassen worden. Sie wurden allein gelassen, weil eine militärische Führung der öffentlichen Ordnung besser zu einem Klima passt, in dem sozialer und politischer Dissens unterdrückt werden."

Malabarba zählt viele Beispiele auf, wo diese neue Linie nach Genua sichtbar geworden ist: die illegale Entführung angeblich verdächtiger "Terroristen", die Beteiligung italienischer Sicherheitskräfte am System von Verschleppungen, geheimen Verhören und Folterungen der CIA, die Misshandlungen von Flüchtlingen in den Konzentrationslagern, die Polizeieinsätze in Val di Susa anlässlich der Proteste gegen den Hochgeschwindigkeitszug usw. Beamte des Innenministeriums haben die Bewegung gegen die US-Militärbasis in der Nähe von Vicenza als "Brutstätte des Terrorismus" qualifiziert.

So erklärt sich Malabarba, weshalb die Regierung Prodi niemals eine Entscheidung der Polizeispitzen nach Genua in Frage gestellt hat. Im Gegenteil: Nicht nur hat auch die neue Regierung die verantwortlichen Staatsdiener nie zur Rechenschaft gezogen, sie hat sie sogar befördert. Antonio Manganelli, in den Tagen von Genua stellvertretender Chef der Staatspolizei, wurde nach der Aussage von Michelangelo Fournier vom neuen Innenminister Giuliano Amato zum obersten Polizeichef ernannt. Er löst Gianni De Gennaro ab, der die polizeiliche Verantwortung für die Massaker in Genua zu tragen hat. Dieser wurde aber nicht etwa mit Schimpf und Schande aus dem Polizeidienst entlassen, sondern zum Staatssekretär des Inneren befördert.

Für De Gennaro, erklärt Malabarba, ist der neue Posten ein Sprungbrett hin zu dem Ziel, das er immer angestrebt hat: die Koordination der Geheimdienste und ihre Reform. Sein neuer Posten ist ideal, um die Verhältnisse im Inneren und die Zusammenarbeit mit den USA in Einklang zu bringen. "Fast niemand, weder in der Regierung noch in der Opposition, will wirklich Klarheit schaffen. Der tiefere Grund ist, dass die Möglichkeit einer demokratischen, oder wenigstens parlamentarischen, Kontrolle über die Sicherheitsapparate ausgeschlossen werden soll. Die Reform der Dienste, die die Regierung vorbereitet, geht genau in diese Richtung. Die Regierung kann es sich nicht leisten, einen Geheimdienstchef zu haben, der unter Anklage steht."

Gigi Malabarba ist Mitunterzeichner eines Aufrufs, der zum wiederholten Mal die Einrichtung einer parlamentarischen Untersuchungskommission verlangt.

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