2007-08-22 

22.8.2007 Heiligendamm -- Hokkaido

- Bonn: Hausdurchsuchung wg G8-Blockadeaufruf
- Hintergrundinfo Hausdurchsuchung Bonn, 16. August 2007
- Guantánamo in Deutschland: Unmenschlicher Umgang mit Beschuldigten
- IL: Wenn der Staub sich legt oder: Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend
- Saskia Sassen/ Richard Sennett: Das Verbrechen der Soziologie
- Japan, German police discuss security for G-8 summit in Hokkaido
- Japan, German police cooperate on security for G-8 summit in Hokkaido

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Bonn: Hausdurchsuchung wg G8-Blockadeaufruf

Am Morgen des 16.8.2007 fand eine Hausdurchsuchung bei einem Bonner Atomkraftgegner statt, der Inhaber und technischer Administrator der Internetadresse www.antiatombonn.de ist. Hierbei wurde als zusätzliche Schikane der Computer des Betroffenen beschlagnahmt, anstatt sich mit dem technisch problemlos möglichen Kopieren der fraglichen Daten zu begnügen. Die Seite antiatombonn.de gehört der AntiAtom-Gruppe Bonn, die mit zu den Massenblockaden des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm mobilisiert hat. Absurder Vorwurf: Aufforderung zu Straftaten wegen der Dokumentation des Aktionskonzeots von Block G8.

Auf Anordnung der Richterin Vera von Schnakenburg (Amtsgericht Bonn), führte die Abteilung Staatsschutz der Bonner Kriminalpolizei am 16. August 2007 zwischen 06.50 Uhr und 07.50 Uhr eine Hausdurchsuchung bei einem Bonner Atomkraftgegner durch, der technischer Administrator der Internetadresse www.antiatombonn.de ist.

Die Beamten durchsuchten seine Wohnung, um die Urheberschaft des auf die Internetseite www.antiatombonn.de eingestellten Artikels "Bonn goes G8: Bewegen, blockieren, bleiben" zu ermitteln. Vor Ort wurden Unterlagen des Betroffenen gesichtet und - obwohl der Tatvorwurf dabei nicht belegt werden konnte - schließlich seine komplette EDV-Ausstattung beschlagnahmt.

Bei dem zitierten Artikel handelt es sich um eine inzwischen veraltete Ankündigung der Anti-Atom-Gruppe Bonn, an den gewaltfreien Blockaden des bundesweiten Bündnisses "Block G8" teilzunehmen. Die Anti-Atom-Gruppe Bonn hatte im Mai 2007 unter anderem mit einem öffentlichen Training in gewaltfreier Aktion im Bonner Hofgarten gegen den G8-Gipfel mobilisiert.

Inzwischen hat der Betroffenen über seinen rechtsanwalt Beschwerde gegen den Durchsuchsbeschluss eingelegt und beantragt, die Maßnahme für rechtswidrig zu erklären. Mit einigen Tagen Verzögerung läuft nun auch die bundesweite Solidairisierung an. Der Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) hat gemeinsam mit attac eine Pressemitteilung herausgegeben. Ebenso ein lokales Bonner Bündnis (AntiAtom-Gruppe, attac Bonn, Netzwerk Friedenskooperative) sowie die Kampagne Block G8.

In dem Artikel, auf den sich der Durchsuchungsbeschluss bezieht, wird das Aktionskonzept von Block G8 dokumentiert. Darin heißt es unter anderem: "Unser Ziel ist zu blockieren, d.h. wir werden Polizeiabsperrungen überwinden, sie wegdrücken, sie umgehen oder geschickt durch sie hindurchfließen. Wir lassen uns nicht stoppen, bleiben nicht stehen und steigen nicht auf mögliche Eskalationstrategien der Polizei ein." Hieraus konstruiert die Bonner Staatsanwaltschaft nun einen "Aufruf zu Straftaten", nämlich zum "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte etwa durch gewaltsames Wegdrücken".

Anfang Juni hatten über 12.000 Menschen die Straßen zum Tagungsort der G8 während der Gipfeltage durchgängig blockiert. Mit der Fünf-Finger-Taktik haben sie die Polizei geschickt ausmanövriert und das weiträumige Demonstrationsverbot ad absurdum geführt. Bilder eines vielfältigen Zivilen Ungehorsams gingen um die Welt und setzten der Machtsymbolik der G8 ein Zeichen des Widerstands gegen die herrschende Weltordnung entgegen. Die Gewalt ging dabei ausschließlich von der Polizei aus. Sie hat durch rücksichtslosen Wasserwerfer- und Reizgaseinsatz viele Menschen teilweise erheblich verletzt. Dagegen sind die Blockierenden, wie zuvor in hunderten von Aktionstrainings geübt, auf die Eskalation durch die Polizei nicht eingestiegen. Vor dem Hintergrund der realen Ereignisse von Heiligendamm ist der Vorwurf gegen die Bonner AntiAtom-Gruppe haltlos und absurd. Staat, Polizei und Justiz zeigen sich einmal mehr als schlechter Verlierer, die auf widerständige Bewegungen nur eine Antwort kennen: Ausforschung und Einschüchterung - und seien die juristischen Gründe hierfür auch noch so an den Haaren herbeigezogen.

Die Bonner Durchsuchung ist dabei im Zusammenhang mit zahlreichen weiteren Hausdurchsuchungen und Terrorismusvorwürfen gegen GipfelgegnerInnen zu sehen. Alle, die von staatlicher Repression betroffen sind - ob im Rahmen der aktuellen § 129a-Verfahren oder durch die Hausdurchsuchung in Bonn - haben einen Anspruch auf unsere Solidarität. Die kampagne Block G8 fordert die Einstellung aller Verfahren, die sofortige Freilassung der vier in Brandenburg bzw. Berlin Festgenommenen und die Abschaffung des Gesinnungsparagrafen 129a.

Die Rechtshilfekosten und die Kosten für die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Bonner Gruppe werden gemeinsam getragen. Niemand wird mit den rechtlichen und finanziellen Folgen allein gelassen, erklärte Block G8. Spenden mit dem Vermerk "Solidarität Bonn" auf das Konto von Block G8, Konto 400 8700 801, GLS Gemeinschaftsbank, BLZ 430 609 67 werden an die Bonner Betroffenen weitergeleitet.

Weitere Infos:

* http://www.antiatombonn.de
* http://block-g8.org
[blockade@g8-2007.de]

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Hintergrundinfo Hausdurchsuchung Bonn, 16. August 2007
(Stand: 21. August 2007)

Was ist passiert?

Am Donnerstag, 16.08.2007 von 6:50 bis 7:50 wurde in Bonn die Wohnung des Domainverantwortlichen fuer die Webseite http://www.antiatombonn.de im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens durchsucht, um den/die AutorIn Artikels "Bonn goes G8: Bewegen, blockieren, bleiben" zu ermitteln.

Die Richterin hat am 17.07.2007 diese Durchsuchung angeordnet, weil in dem Artikel zu "offenen aktiven Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte durch gewaltsames Wegdruecken aufgerufen wird" (Begruendung Durchsuchungsbeschluss). Das Ermittlungserfahren geht um "Verdacht zur Aufforderung von Straftaten".

Bei der Durchsuchung wurden Papiere und Computerdateien in den Raeumen des Domainverantwortlichen gesichtet - und dann der Computer mit den Hinweis, dass er wohl erst naechstes Jahr zurueckgegeben wird, mitgenommen. Auf diesem Computer sind auch Teile der in den letzten Monaten ueber die Bonner Antiatom- und G8-Vorbereitungslisten gegangenen Emails unverschluesselt abgelegt.

Zum Homepageartikel

Der Artikel ist zu finden unter http://www.antiatombonn.de

Der Artikel besteht aus einer Einleitung und fuenf Teilen.

Der fuenfte Teil heisst "5) Dokumentation Massenblockadekonzept Block G8". In diesem Teil wird ein Text von Block-G8 zitiert, was auch durch Anfuehrungsstreichen und Quellenlink am Ende gekennzeichnet ist. In diesem Teil kommen zweimal ein Bezug zum "Druecken" vor. Folgend die Zitate

"Unser Ziel ist zu blockieren, d.h. wir werden Polizeiabsperrungen ueberwinden, sie wegdruecken, sie umgehen oder geschickt durch sie hindurchflieszen. Wir lassen uns nicht stoppen, bleiben nicht stehen und steigen nicht auf moegliche Eskalationstrategien der Polizei ein. Unser Ziel ist die Blockadepunkte zu erreichen."

"Es gibt zudem viele Menschen, die in Ketten stehen bleiben, sich ebenfalls fest unterhaken und festhalten und auch koerperschuetzende Materialien wie Polster oder Ballons verwenden. Einige werden auch durch Gegendruecken und Schieben eine Raeumung erschweren."

Reaktionen und Stand der Dinge

Bundesweit haben sich zahlreiche Organisationen, Gruppen und Verbände empört gezeigt über die Bonner Hausdurchsuchung. Wir fordern gemeinsam die sofortige Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Attac Deutschland veröffentlicht zu dem Fall am Mittwoch, 22. August, zusammen mit dem Republikanischen Anwaltsverein (RAV) eine Presseerklärung. Auch das Bündnis "Block G8" wird sich über seinen Presseverteiler und über Mailinglisten an die Öffentlichkeit wenden.

Die zahlreichen Organisationen von Gewerkschaftsjugend bis Junge Grüne, die den Aufruf "Block G8" unterstützt haben, sollen aufgerufen werden, über ihre Kanäle auf diesen Kriminalisierungsversuch aufmerksam zu machen und die Einstellung des Verfahrens zu fordern.

Es wird in ersten Einschätzungen als völlig überzogen und unverhältnismäßig beurteilt. Ob der Vorwurf eines angeblichen Aufrufs zu Straftaten haltbar ist, dürfte mehr als fraglich sein. Die Bonner Hausdurchsuchung wegen des G8-Blockadekonzepts ist ein bundesweit einmaliger und bisher beispielloser Fall. Daher gilt es, jetzt auch umgehend und massiv gegen die Vorwürfe vorzugehen - wir lassen uns nicht einschüchtern.

Lokal bereiten Bonner Gruppen und Organisationen ebenfalls eine Pressemitteilung vor. Unterstützend wollen Bündnis '90/Die Grünen Bonn u.a. protestieren und sich solidarisch erklären. Bonner Aktive treffen sich täglich um 19.00 Uhr im Oscar-Romero-Haus, Heerstr. 205, zur weiteren Begleitung des Falls.

Kontakt und weitere Infos über kontakt@antiatombonn.de.

[http://www.antiatombonn.de]

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Guantánamo in Deutschland: Unmenschlicher Umgang mit Beschuldigten

Bündnis für die Einstellung des § 129a-Verfahrens
Pressemitteilung, 21. August 2007

Beschuldigte im § 129a-Verfahren wurden bei ihrer Festnahme krankenhausreif geprügelt und wie Guantánamo-Häftlinge behandelt. Sonderhaftbedingungen in der JVA Moabit erinnern an Isolationshaft.

Am 31.07.2007 verhaftete das BKA Oliver R., Axel H. und Florian L., nachdem sie versucht haben sollen, drei Lastkraftwagen der Bundeswehr in Brand zu setzen. Wie erst jetzt bekannt wurde, kam es in diesem Zusammenhang zu schweren Übergriffen bei der Verhaftung durch das BKA. Weiterhin unterliegen die Beschuldigten extremen Haftbedingungen.

Mit dem Sack über dem Kopf auf der Straße

Wie über die Anwälte bekannt wurde, erfolgte die Verhaftung der Drei nach dem Vorbild schlechtester B-Movie-Action. Einem blitzartigen Überfall gleich wurde die Straße blockiert und das Fahrzeug abrupt zum Stehen gebracht. Dann wurden die Scheiben eingeschlagen und die Insassen durch die herausgebrochenen Fensterscheiben nach draußen gezerrt.

Dabei kam es zu Schnittverletzungen an verschiedenen Körperstellen. Durch seinen Anwalt wurde bekannt, dass Florian L. angeschnallt sitzend schwer verprügelt wurde und Prellungen und Schwellungen im Gesicht und an den Rippen erlitt, die später ambulant behandelt werden mussten.

Den Verhafteten wurden Säcke über die Köpfe gezogen, alle drei wurden in dünne, weiße Plastik-Overalls gesteckt und sie mussten gefesselt über einen langen Zeitraum auf der Straße liegen. Am nächsten Tag wurden die Drei und der später festgenommene Sozialwissenschaftler Dr. Andrej H. mit großer medialer Inszenierung im Helikopter nach Karlsruhe geflogen. Oliver R. und Axel H. wurden in den zwischenzeitlich zerrissenen Anzügen dem Haftrichter in Karlsruhe vorgeführt und erst nach Beschwerden der Anwälte bekamen sie normale Kleidung.

Isolationshaftbedingungen

Obwohl keiner der Beschuldigten vorbestraft ist und alle in stabilen sozialen Verhältnissen leben, verhängte der Richter am Bundesgerichtshof Untersuchungshaft mit Sonderhaftbedingungen. Die Gefangenen sind einzeln und von anderen Gefangenen isoliert 23 Stunden alleine in einer 6-8 m2 großen Zelle nebst Toilette und Waschbecken mit kaltem Wasser untergebracht, deren hygienischer Zustand deutlich zu wünschen übrig lässt. Mindestens einem der Gefangenen wurde außerdem während der gesamten ersten Woche der Zugang zu den Duschen verwehrt, da die Anstaltsleitung der JVA angeblich seine Isolierung in den Waschräumen nicht hätte gewährleisten können. Zu den Isolierungsmaßnahmen gehört weiterhin, dass selbst die Anwälte nur durch eine Trennscheibe mit ihren Mandanten reden können.

Letzten Donnerstag wurde Axel H. erstmalig Familienbesuch im Beisein von drei BKA-Beamten genehmigt. Das dortige Szenario als Besuch zu titulieren ist blanker Hohn und hat dem Recht des siebenjährigen Sohnes seinen Vater zu besuchen in keinerlei Art und Weise Rechnung getragen. Der Junge und die Mutter des Kindes saßen an einem breiten Tisch und eine ca. 30 cm hohe Glasscheibe unterband jegliche Möglichkeit für eine herzliche Begrüßung. Neben Axel H. saß auf jeder Seite ein BKA-Beamter, ein weiterer platzierte sich direkt neben seinem Sohn. Dem Sohn wurde nicht gestattet, seinen Vater zu umarmen oder zu berühren. Von dieser Situation derart eingeschüchtert hat der Siebenjährige keinen Ton herausgebracht.

Wir fordern die sofortige Entlassung der Gefangenen aus der Untersuchungshaft, die Einstellung des Verfahrens nach § 129a und die Abschaffung der §§ 129, 129a und 129b.

Bündnis für die Einstellung des § 129a-Verfahrens

Termin:
Kundgebung: 22. August um 18 Uhr vor der JVA Moabit, Alt-Moabit 12a, Nähe Hauptbahnhof

Bündnis für die Einstellung des § 129a-Verfahrens
c/o Haus der Demokratie und Menschenrechte e.V.
Greifswalder Straße 4
D-10405 Berlin
Deutschland
einstellung [at] so36.net

Weitere Informationen bekommen Sie unter
http://einstellung.so36.net/

oder unter der Telefonnummer:
01577-4300652

oder über die Rechtsanwälte:

Christina Clemm
Tel. Nr.: 030-25293336

Thomas Herzog
Tel. Nr.:030 - 6942622

Wolfgang Kaleck
Tel. Nr.: 030-44679218

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IL: Wenn der Staub sich legt oder: Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend

Die Interventionistische Linke zu einigen Aspekten der Anti-G8-Mobilisierung

Auch wenn die Vielfalt sozialer Kämpfe prinzipiell keine bestimmbare Grenze hat, verdichten sich Revolten und Alternativen stets in besonderen Auseinandersetzungen. Für die Interventionistische Linke (IL) war die Beteiligung an den Protesten gegen den G8-Gipfel von Heiligendamm das erste große und gemeinsame Projekt. Mit allen anderen Spektren der Bewegung haben wir den Kadern der herrschenden Klasse kräftig in die Propagandasuppe gespuckt. Der Gipfel von Heiligendamm wird in Deutschland sicherlich der letzte dieser Form gewesen sein: noch einmal 100 Mio. Euros, nur um über das Wetter zu reden?

Vielen ist heute deutlicher, dass das G8-Projekt welthistorisch nichts mehr reißen wird, dass der vom Sozialkrempel aus Zeiten der Systemkonkurrenz befreite Kapitalismus jetzt einfach macht, was er am besten kann: die von ihm beherrschten Gesellschaften immer wieder ordentlich durchrütteln, Kriege führen und ganze Kontinente verwüsten - das volle Programm. So hat Heiligendamm seinen Teil zum wachsenden Hegemoniedefizit der Großen Koalition und ihres Oppositionspendants beigetragen: fast 50 Prozent der Leute halten sich diffus für "links", nur noch 10 Prozent meinen, die SPD sorge sich "um Gleichheit in der Gesellschaft". Das ist erfreulich, auch wenn wir nicht vergessen, dass 80 Prozent schon "mit der Arbeit von Bundespräsident Köhler zufrieden" sind, wenn der ab und an den eigenen Politikbetrieb anblafft.

Wer mit wem und wie

Im Folgenden reden wir von uns und unseren eigenen Erfahrungen. Wir tun dies zur Selbstverständigung und weil wir von allen Seiten dazu aufgefordert werden. Von denen, denen wir nicht "friedlich" genug waren und für die wir "ordnungspolitisch" versagt haben. Von denen, die uns umgekehrt für "Abwiegler" halten. Von denen nicht zuletzt, mit denen wir in der zweijährigen Mobilisierung und vor Ort erfolgreich und solidarisch zusammengearbeitet haben. Auch wenn andere sich längst gemeldet haben, kommt unsere Einschätzung der Protesttage nicht zu spät. Tatsächlich sind wir mit unserer Diskussion längst nicht am Ende, haben damit erst begonnen. Das ist nicht relativierend gemeint, sondern unterstreicht den fragmentarischen Charakter unserer Äußerungen: die Anti-G8-Mobilisierung war schließlich der erste Praxistext unseres Projekts einer interventionistischen Linken. Der für uns entscheidende Maßstab der Kritik ist die Orientierung auf eine Politik, die von links her auf gesellschaftlich relevante Interventionen in (die Doppelung ist gewollt) gesellschaftlich relevante Auseinandersetzungen zielt. Dazu bedarf es einerseits offener und breiter Bündniskonstellationen und andererseits einer Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte in antagonistischer Perspektive. Der Anti-G8-Protest war die seit Jahren die größte Mobilisierung der radikalen Linken in Deutschland. Gemeinsam mit moderaten Linken und mit GenossInnen und AktivistInnen aus anderen Ländern haben wir den Gipfel effektiv blockiert und mit der Demonstration, in den Camps und während der Aktionstage eine rebellische Welt lebendig werden lassen: Globalisierungskritik wurde Massenpraxis. Staatstragende Meinungsmache und gezielte Repression wollten das schon im Vorfeld verhindern. Eingetreten ist das Gegenteil: die bundesweiten Hausdurchsuchungen nach § 129a ("Gründung einer terroristischen Vereinigung zur Verhinderung des G8-Gipfels") stärkten die kämpferische Ausrichtung der Bewegung. Dabei blieben die Polizeiübergriffe kein Privileg der Rostocker Samstagsdemonstration. Trotz des medialen Versuchs, die "Friedfertigkeit" der Blockaden gegen die Demonstration auszuspielen, kam es zu den meisten Schwerverletzten nicht am Samstag, sondern am Donnerstag, als die Polizei die AktivistInnen am Westtor des Sicherheitszaunes mit Knüppeln, CS-Gas und Wasserwerfern angriff. Hunderte saßen tagelang in den Hundezwingern der Staatsgewalt, auch nach Rostock kam es zu Hausdurchsuchungen. Nicht zu vergessen schließlich der tendenziell übergeschnappte Polizeichef, der zur militärischen Luftaufklärung mal eben Bundeswehr-Tornados über das Camp in Reddelich schickte.

Der 2. Juni

Unbemerkt blieb beinahe, dass die Rostocker Demonstration am 40. Jahrestag der Erschießung Benno Ohnesorgs statt fand - symbolisches Datum für den Aufbruch einer emanzipatorischen Linken, materieller Beleg aber für die Bereitschaft der Polizei, gegen "Staatsfeinde" mit allen Mitteln vorzugehen. Wie werden wir (und nicht nur wir) den 2. Juni 2007 erinnern, der schon deshalb zum Erfolg wurde, weil an der Demonstration 80.000 Menschen teilnahmen? Umstritten sind die als solche längst bekannten Geschehnisse am Stadthafen: ein zerstörtes Polizeiauto, Steinwürfe, die auch eigene Leute trafen, Bullenangriffe, die zurückgeschlagen wurden, DemonstrantInnen, die genervt oder verängstigt weg gingen. Gedeutet wird all' das in einer Vielzahl von Geschichten. Geschichten von Desorientierung und Übermut, Ohnmacht und Kollektivität, Freude und Angst. Für die einen sind es die "Krawalle von Rostock", für die anderen der Tag, an dem die Bullen mal wieder rennen mussten und die Staatsmacht für einen Moment die Kontrolle verlor. Für die einen hat der "Schwarze Block" die Polizei angegriffen, für andere die Polizei provozierend angefangen und die passende Antwort bekommen. Und für wieder andere sind klirrende Schaufester bei einem solchen "Großereignis" eine notwendige Bildstörung, ob man das nun schätzt oder nicht. Sichtweisen und Geschichten, die weit auseinander klaffen und sich zu einem guten Teil auch widersprechen. Die Diskussion durchzieht und polarisiert auch die IL. Um es zugespitzt und provozierend zu sagen: Wir sind "Krawallanten" und "Abwiegler" in einem, sind der Schwarze Block und die Deeskalationscombo. Unsere teils widersprüchlichen Aussagen und unsere Fehleinschätzungen müssen auch vor diesem Hintergrund gelesen werden. Wir waren eine gewichtige Stimme in der Demoleitung und wollten mit dem offenen Make capitalism history-Block die Vielfalt unseres Zusammenhangs präsentieren, als gemeinsame Initiative für eine linksradikale, weil antagonistische Strömung im breiten Bündnis des Anti-G8-Protestes. Keine Frage, dass wir die gemeinsame Absprache des Vorbereitungskreises trugen und unterstützten, nach der Auseinandersetzungen auf der Demonstration vermieden werden und von uns deswegen auch keine Angriffe ausgehen sollten. Die unmissverständliche Zustimmung zum Bündniskonsens schloss ein, dass wir immer gesagt haben, im Fall von Angriffen der Polizei auf militante Gegenwehr nicht zu verzichten. Keine Zusage trafen wir über Kleiderregeln. Obwohl es keinen Beschluss gab, uns zu vermummen, haben das viele von uns getan: eine Abstimmung mit den Tüchern, die, das müssen wir auch feststellen, anziehend und ausgrenzend zugleich wirkte, auch für einige von uns. Keine Frage nun aber auch, dass sich GenossInnen aus dem Block Make capitalism history bewusst für Steine entschieden haben. Wir sind nun allerdings nicht der Generalvertreter aller Linksradikalen, auch wenn das viele im Bündnis meinten. Das eigentliche Problem am Rostocker 2. Juni bestand für uns dabei nicht darin, dass es überhaupt Auseinandersetzungen mit der Polizei gab, dass Scheiben klirrten und Steine flogen. Problematisch war, dass jedenfalls für eine bestimmte Zeit keiner der Akteure "das Ganze" im Blick behielt: die Reihen geschlossen zu halten und die Demonstration auch gegen die Staatsgewalt zu Ende zu bringen. An einer Stelle fand ein nettes Konzert statt und an anderer Stelle flogen die Fetzen. Statt die Reihen zu schließen, wurde der KAVALA und ihren Hundertschaften immer wieder die Gelegenheit gegeben, brutal in die Demo reinzugehen, während sich andere schon zu dieser Zeit mit wohlfeiler Distanzierung und Verharmlosung der Polizeigewalt in Szene setzten. Besonders bitter für uns, dass auch einige von uns öffentlich (und andere in weniger öffentlichen Diskussionen) bruchlos in die Distanzierung einstimmten. Im Ergebnis fehlte uns in der einen Situation die Wachsamkeit und in der anderen der kühle Kopf. So ist eine Demo eben erst nach der Abschlusskundgebung zu Ende. Doch lösten sich, als unser Block am Stadthafen ankam und dem entgegenkommenden zweiten Zug begegnete, die Demospitze und auch ein Großteil unserer Reihen auf, obwohl eine polizeiliche Reaktion auf den demolierten Einsatzwagen nicht ausgeschlossen war. Danach brauchten wir viel zu lange, um unsere kollektive Handlungsfähigkeit wieder herzustellen und der Verantwortung für unseren Block und die ganze Demonstration gerecht zu werden. Trotz dieser Selbstkritik bleibt festzuhalten, dass es uns mit vielen anderen zuletzt gelang, zum Schutz der Demonstration Ketten um den Versammlungsplatz zu bilden und damit Fortsetzung und Abschluss von Konzert und Kundgebung zu ermöglichen.

A-Anti-Anticapitalista!

In den Tagen nach der Großdemonstration setzte sich die vertrauensvolle Zusammenarbeit der letzten Jahre gegen die Abgrenzungsreflexe durch. Dabei waren viele Leute auch aus den IL-Gruppen, aus den Reihen der verschiedenen Bündnispartner und in den Camps zunächst in doppelter Hinsicht verunsichert. Zum einen über die Grundlage, auf der wir uns über Gemeinsames und Trennendes verständigen und Absprachen eingehen, um weiter offensiv handeln zu können. Verunsichert zum anderen über das Verhalten eines Polizeiapparats, der für massive Gewalt gegen DemonstrantInnen weitgehend öffentliche Rückendeckung zu haben schien. Die gemeinsamen Diskussionen waren mitentscheidend, sich nicht entmutigen zu lassen. Dafür war es notwendig und richtig, nicht nur intern, sondern auch öffentlich zu sagen, dass wir die Zuspitzung am Samstag in dieser Form nicht geplant hatten (ein Großteil der Demonstration war noch gar nicht angekommen). Es ist uns jedoch nicht gelungen, deutlich zu machen, dass wir damit eine konkrete Situation kritisierten, ohne uns generell von einer Aktionsform oder gar einem Teil der DemonstrantInnen zu distanzieren. Zwei Beispiele nur. Es war idiotisch, sich nach dem Samstag öffentlich von "den Autonomen" zu distanzieren, schon deshalb, weil wir auch die Autonomen sind. Ebenso idiotisch war, ausgerechnet gegenüber der Springer-Presse kleinbürgerliche Ressentiments zu bedienen und von "einer wilden Mischung aus Hooligans, Jugendlichen aus der Gegend und Leuten aus dem Ausland" zu quatschen. Im Sinne der alten Weisheit des Vorsitzenden Mao, nach der einE jedeR vor der eigenen Haustür kehren und sich zuerst an die eigene Nase fassen soll, waren wir da offenbar selbst von Repräsentationsproblemen getrieben. Im Ergebnis ergab das den scheinbaren Gleichklang eines Distanzierungschors, in dem Tenöre aus anderen Reihen dann nicht einmal davor zurückschreckten, GenossInnen ("Straftäter") bei Bedarf der Polizei ausliefern zu wollen. Bezeichnenderweise waren das dann aber dieselben, die in den folgenden Tagen fassungslos über den Mut und die Entschlossenheit der AktivistInnen staunten. Tausende blieben oder kamen während der Aktionswoche wieder an die Küste. Keine Intrigen und Horrorszenarien konnten das gewonnene Selbstvertrauen in Frage stellen, eine Absage der Blockaden kam gar nicht in Frage. Die Belagerung des Gipfels wurde zum Riesenerfolg - und zum emanzipatorischen Bildersturm: Unzählige AktivistInnen ließen die Robocops rechts liegen, besetzten die Zugangswege vor dem Sperrwall und machten die G8-Show hinterm Zaun für zwei Tage einfach dicht.

Dass diese kollektive Selbstermächtigung in ihrer politischen Perspektive über das unmittelbare Ergebnis hinausweisen kann, ahnt der konservative Klasseninstinkt naturgemäß am besten. "Schlimmes ist geschehen", resümierte der Leitartikler der FAZ den "Erfolg von Heiligendamm" und machte folgende Feindmarkierung: "Es geht um Organisationen, die ‚begrenzte Regelverletzungen' für legitim halten, diese Strategie geradezu zum Programm erhoben haben und damit in den Rechtsstaat eine Bresche schlagen, die dann diejenigen nutzen, denen es um entgrenzte Regelverletzung, also um schiere Gewalt, geht. Man sollte es in Deutschland wissen: auf die ‚Gewalt gegen Sachen' folgt die ‚Gewalt gegen Personen', das heißt: der politisch motivierte Mord." Richtig daran ist nicht die zuletzt unterstellte Kausalität als vielmehr der Verweis auf die Bedeutung massenhafter Grenzüberschreitung: die Sachen wieder gemeinsam in unsere Hände zu nehmen, in gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingreifen, aus gemeinsamen Erfahrungen Solidarität zu organisieren und gegen Staat und Kapital richten - eine, zwei, viele Breschen schlagen.

Mobilisierung des Gemeinsamen

Dabei weist die "Choreographie des Widerstandes" noch in einer anderen Perspektive über den unmittelbaren Erfolg hinaus. Sie zeichnete sich vor allem anderen nämlich dadurch aus, dass Demonstration, Aktionstage, Alternativgipfel, Camps und Blockaden ohne die großen Apparate linker Gewerkschaften und Parteien organisiert wurden, die in anderen Ländern Europas dafür "zuständig" sind. Die Gewerkschaften waren, sieht man von wenigen linken Funktionären ab, an den Protesten kaum interessiert, die neue Linkspartei ist jedenfalls aktuell nicht bewegungsorientiert und attac, der größte Akteur neben der radikalen Linken, verfügt über weniger Ressourcen als viele meinten. So entsprang das ganze Geschehen einer Basismobilisierung im besten Sinn des Worts, ohne Sponsoring und Hauptamtliche, gestützt allein auf die Erfahrung und den Einsatz der AktivistInnen selbst. Das bewiesen während der Gipfeltage nicht nur die großartige Camp-AG, sondern im Vorfeld schon die dissent-Infotour und die internationalen linksradikalen Vernetzungstreffen, die europaweit für die Protesttage mobilisierten. Es ging aber auch nicht ohne die Zusammenarbeit aller Teile der Bewegung, die quer zu scheinbar unüberwindlichen Widersprüchen das gemeinsame Handeln in die erste Reihe rückte und von der radikalen über die moderate Linke und attac bis zu einigen NGO's reichte. Das lief nicht ohne harte Kompromisse: Das "Hannoveraner Treffen" ließ nicht mehr zu als eine technische Koordination ohne gemeinsame politische Grundsätze und gemeinsame Kasse. Dabei mussten wir uns als Bewegungslinke eines miesen Klientelismus erwehren, der zugunsten der an der Mobilisierung gar nicht beteiligten Grünen, die Linkspartei unsichtbar machen wollte, und das mit dem Taschenspielertrick einer "parteiunabhängigen Zivilgesellschaft" begründete. Im Vorfeld bereits absurd, war das vor Ort nur noch abgeschmackt: Haben doch gerade Leute aus der LINKEN wesentlich dazu beigetragen, das Demobündnis am Samstagabend zusammen zu halten. Dennoch: Aufs Ganze gesehen funktionierte die Kooperation, stiftete hoffentlich bleibendes Vertrauen und bestätigte derart auch unsere Kritik an der Selbstgenügsamkeit einiger linksradikaler Gruppen und Einzelpersonen.

Die kommende Zeit

In der Vorbereitung und vor Ort wurde die IL vielfach als ein etablierter Akteur behandelt. Dabei wurden inhaltliche und organisatorische Anforderungen an uns herangetragen, die wir zu diesem Zeitpunkt nur situativ lösen konnten, weil wir über entsprechende Arbeits- und Entscheidungsstrukturen noch gar nicht verfügen, uns über solche nicht einmal einig sind. Diese Entwicklung ein- und nachzuholen, ist die jetzt vor uns liegende Aufgabe. So setzten wir zwar großspurig auf einen erfolgreichen Sprung der Massen und sprachen im Aufruf von 100.000 DemonstrantInnen, waren dann aber von den 20.000 Leuten mehr als beeindruckt, die nach dem Sonntag in den Camps blieben. Beeindruckt waren und sind wir auch davon, dass allein die radikale Linke gut und gerne 15.000 AktivistInnen mobilisieren kann und so viele junge Leute sich mit der globalisierungskritischen Bewegung identifizieren. Mit ihnen Orte der Diskussion und Möglichkeiten gemeinsamen Handelns zu schaffen, ist die größte politische Herausforderung, die nicht allein der IL, sondern uns allen gestellt ist. Die Produktion des Gemeinsamen, ihre Netzwerke und Kooperationen und ihre Autonomie können nur Bestand haben, wenn sie zugleich die kollektive Autonomie der sozialen Bewegungen und die Intensität der sozialen Kämpfe stärkt.

"63 Prozent der Befragten bezeichnen sich als links, 20 Prozent stufen sich als linksradikal ein", konstatiert das Zentrum für Kindheits- und Jugendforschung der Universität Bielefeld nach der Befragung von 3.576 DemonstrantInnen unter 25 Jahren während der Aktionstage vor Ort. Überrascht hat die Forscher dabei eine Bereitschaft zu "illegalen Aktionen", zu denen sie unter anderem "Angriffe auf Firmeneigentum" rechnen.

"Vorsicht bei der Verwahrung von Erfahrungen" sagt Me-Ti in Brechts Großer Methode und verweist darauf, dass Erkenntnisse Schneebällen gleichen. Sie können gute Waffen sein, doch kann man sie nicht lange aufbewahren, schon gar nicht in der Tasche. Der Bruch mit den herrschenden Verhältnissen ist ein gesellschaftliches Projekt auf lange Sicht und zugleich ein Projekt des individuell und kollektiv gelebten Augenblicks. Eine radikale Politik kann ihre Erfahrungen nur ausschöpfen, wenn sie die Einforderungen von Alternativen in Kampagnen, Bündnissen und Bewegungen mit ihrer praktischen Vorwegnahme und Erprobung im eigenen Alltag verbindet. In dieser Perspektive sollten radikale Linke bescheiden sein. Wir stehen noch am Anfang und sind doch längst darüber hinaus. Entsprechend offen ist unsere Zukunft. Wir machen weiter.

Interventionistische Linke im August 2007

PS: Im September und Oktober laden wir bundesweit zu Veranstaltungen "100 plus X Tage nach dem G8" ein. Gemeinsam mit den lokalen Netzwerken und Bündnissen wollen wir diskutieren, was nach Heiligendamm bleibt - und was jetzt auf uns zukommt.

PPS: Versuchsweise wurde eine Genossin dieser Tage vom VS angeworben. Natürlich hat sie die Zivilen stehen lassen. Wir erwähnen das, weil die Dienste jetzt vermehrt versuchen werden, sich einzukaufen: es tut sich was in der Linken, da will der VS dabei sein. Zum Schluss ein herzlicher Gruß der Solidarität an die vier verhafteten Genossen, die der "militanten gruppe" (mg) angehören sollen; praktischer Antimilitarismus ist prinzipiell eine gute Sache, erst recht in Zeiten deutscher Bundeswehreinsätze. IL-Zusammenhänge treffen sich am 15.9. auf der bundesweiten Demo gegen das imperiale "Afghanistan-Mandat" und eine Woche später, am 22.9., auf der Demo gegen die Kontroll- und Überwachungsgesetze: "Freiheit statt Angst!" Beide Demonstrationen finden in Berlin statt.

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Saskia Sassen/ Richard Sennett: Das Verbrechen der Soziologie

Im Namen der Terrorbekämpfung werden unsere Kollegen verfolgt. KOMMENTAR VON SASKIA SASSEN / RICHARD SENNETT

"Terrorismus" hat zwei Gesichter. Es gibt wirkliche Bedrohungen und echte Terroristen, und dann gibt es da noch eine Sphäre namenloser Ängste, vager Verdächtigungen und irrationaler Reaktionen. In Letzterer scheint sich derzeit das deutsche Bundeskriminalamt zu bewegen: am 31. Juli durchsuchte es die Wohnräume und Arbeitsplätze von Dr. Andrej H. und Dr. Matthias B. sowie von zwei anderen Leuten, allesamt in höchst verdächtige Aktivitäten verstrickt - in das Verbrechen der Soziologie.

Dr. Andrej H. wurde festgenommen und zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen, seitdem sitzt er in einem Berliner Gefängnis in Einzelhaft und wartet auf sein Verfahren. Natürlich kann es sein, dass die Polizei über handfeste und nachvollziehbare Beweise verfügt, die sie bislang zurückhält; ihre öffentlichen Verlautbarungen dagegen deuten eher auf eine Farce hin.

Dr. B. wird vorgeworfen, er habe in seinen akademischen Veröffentlichungen "Formulierungen und Schlüsselworte" verwendet, die auch von einer militanten Gruppe benutzt würden, darunter solche Worte wie "Ungleichheit" und "Gentrifizierung". Die Polizei hält es für verdächtig, dass es zu Treffen mit deutschen Aktivisten kam, zu denen die Soziologen ihre Mobiltelefone nicht mitbrachten; die Polizei betrachtet dies als Zeichen "konspirativen Verhaltens".

Vor dreißig Jahren durchlebte Deutschland eine Konfrontation mit fraglos militanten Gruppen, und diese bleierne Erinnerung hängt der Polizei noch immer nach. Es mag auch so sein, dass es sich bei "Gentrifizierung" um ein wirklich furchtbares Wort handelt. Aber dieses Vorgehen der Polizei scheint mehr nach Guantánamo-Art zu sein, als den Gesetzen echter Geheimdienstarbeit in einer liberalen Demokratie zu folgen.

Betrachten wir den unglücklichen Dr. B. doch ein wenig näher. Ihm wird nicht vorgeworfen, irgendwelche aufrührerischen Aufrufe geschrieben zu haben; er scheint nur intellektuell in der Lage zu sein, jene einigermaßen anspruchsvollen Texte zu verfassen, die eine militante Gruppe benötigen könnte. Außerdem verfügt unser Wissenschaftler, als Angestellter an einem Forschungsinstitut, "über Zugang zu Bibliotheken, um dort die Recherchen durchzuführen, die notwendig sind, um Texte für eine militante Gruppe zu verfassen", auch wenn er keine solchen geschrieben hat. Den einzigen unerschütterlichen Tatsachenbeweis, den die Polizei gegen Dr. H. in Händen hält, ist, dass er vor Ort war, als die linksextreme Szene ihren "Widerstand gegen das Weltwirtschaftsforum 2007 in Heiligendamm" auf die Beine stellte. Vielleicht erlag er dem Irrtum, diese Szene lediglich zu studieren, statt den Protest zu orchestrieren?

Das ist kein Grund für Briten, geschweige denn für Amerikaner, jetzt in selbstgerechtem Missfallen die Stirn zu runzeln. In der langen, traurigen Geschichte der IRA sind Fantasie und Realität noch viel stärker miteinander verwoben worden. Aber abgesehen davon, dass wir hoffen, dass unser Kollege Dr. H. sobald wie möglich freigelassen wird, wenn er nur verspricht, immer und überall sein Handy mit sich zu tragen, so sind wir doch bestürzt über die Grauzonen zwischen fragilen bürgerlichen Freiheiten und den Verwirrungen staatlicher Macht, die sich in diesem Fall offenbaren.

Der liberale Staat verändert sich. In den Sechzigerjahren besaß Deutschland die aufgeklärtesten Gesetze für Flüchtlinge und Asylsuchende in Europa; die USA erließen die feinfühligsten Einwanderungsgesetze in ihrer Geschichte, und Frankreich garantierte allen, die auf seinem Territorium geboren wurden, automatisch die Staatsbürgerschaft, das galt auch für alle Muslime. Heute haben alle diese Länder im Namen des "Kriegs gegen den Terror" ihre Gesetze geändert - der Ausnahmezustand setzt sich durch. Die Gesetze, die gegen echte Gefahren gedacht waren, werden nun ausgelegt, um amorphen Ängsten zu begegnen. Anstelle echter Polizeiarbeit wollen die Autoritäten der Gefahr, die sie fürchten, einen Namen geben - irgendeinen Namen. Der Ausnahmezustand untergräbt die Legitimität von Staaten. Wenn Fälle so verfolgt werden wie dieser, dann läuft eine Regierung Gefahr, ihre Autorität zu verlieren, und beraubt sich damit der Möglichkeiten, wirkungsvoll gegen echte Terroristen vorzugehen.

Sollten unsere Kollegen wirklich gefährliche Soziologen sein, dann sollten sie mit rationalen Mitteln strafrechtlich verfolgt werden. Aber, wie in Guantánamo, scheint die Verfolgung an Stelle der Strafverfolgung getreten zu sein.

Saskia Sassen lehrt als Soziologin an der Columbia University (USA), Richard Sennett ist Soziologe an der London School of Economics (UK)

Übersetzung: Daniel Bax

[taz, 22.08.2007]

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Japan, German police discuss security for G-8 summit in Hokkaido

Jorg Ziercke (L), president of Germany's Federal Criminal Police Office, shakes hands with Japan's National Police Agency head Iwao Uruma(r) at the agency in Tokyo on Aug. 13. Ziercke paid a courtesy call on Uruma after senior officials of the German police office and their Japanese counterparts discussed security measures for the Group of Eight summit to be held in July next year at the Lake Toya hot-spa resort area in Hokkaido. (Kyodo Aug. 13 TOKYO, Japan)

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Japan, German police cooperate on security for G-8 summit in Hokkaido

Aug 13 12:37 AM US/Eastern

Officials of Germany's Federal Criminal Police Office and Japan's National Police Agency met Monday in Tokyo and agreed to cooperate over the security of the Group of Eight summit to be held in July next year at the Lake Toya hot-spa resort area in Hokkaido, NPA officials said.

The Japanese and German police agreed to exchange information on the latest trends regarding anti-globalization organizations and other extremists groups in Europe, the officials said.

Japan's NPA and Hokkaido prefectural police officials in charge of summit security will be sent to Germany to step up the information exchanges, they said.

Germany hosted this year's G-8 summit in June in the Baltic resort of Heiligendamm. Protestors from anti-globalization and other groups staged rallies during the summit, with some turning violent and clashing with police causing many injuries.

Jorg Ziercke, president of the Bundeskriminalamt, or BKA, and other senior officials plan to visit Tuesday the venue of the G-8 summit, Windsor Hotel Toya Resort & Spa, which stands atop a 600-meter mountain overlooking Lake Toya.

Senior officials of the NPA Security Bureau had discussions with officials Monday about the location of the venue and their security plans, as well as how to best guard the G-8 leaders against any intrusions by such anti-globalization groups.

The Japan-hosted summit, to be held on July 7-9 next year, will be attended by leaders from Britain, Canada, France, Germany, Italy, Japan, Russia and the United States.

After the meeting, Ziercke had talks with NPA Commissioner General Iwao Uruma.