2007-08-22
Polen: Solidaritätsaktionen mit Betroffenen von 129a-Ermittlungen – Antwort auf wachsende Repression in Europa. Ein Gespräch mit Kamil Majchrzak. Interview: Tomasz Konicz
Kamil Majchrzak ist Redakteur der polnischen Edition der Monatszeitschrift Le Monde Diplomatique. Dem Auslandskorrespondenten wurde im Mai die Akkreditierung zum G-8-Gipfel entzogen. Er ist einer der Erstunterzeichner eines Protestbriefes an die Bundesanwaltschaft.
In Polen gab es eine Reihe von Solidaritätsaktionen mit den in Deutschland wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer »terroristischen Vereinigung« Inhaftierten. Wird über die aktuellen 129a-Verfahren und die haarsträubenden Begründungen auch außerhalb linker Zirkel diskutiert?
Ende vergangener Woche fand in Warschau eine recht große Solidaritätskundgebung für die Abschaffung des Paragraphen 129a statt. Aufgerufen haben neben der »Federacja Anarchistyczna« vor allem wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität. Sie kamen in Handschellen. Um den Hals hatten sie Schilder mit dem Slogan »weil ich zitiert wurde« in Anspielung auf den absurden Haftbeschluß gegen den Berliner Sozialwissenschaftler Andrej H. Viele polnische Intellektuelle haben ein Protestschreiben an die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe unterzeichnet. Darunter sind die Redaktionen linker Zeitschriften wie der polnischen Edition der Le Monde Diplomatique und der Krytyka Polityczna. Aber auch ehemalige Oppositionelle, wie Professor Tadeusz Kowalik, Berater der Solidarnosc in der Lenin-Werft während des Streiks 1980, oder Zbigniew M. Kowalewski, ein Autor des Arbeiter-Selbstverwaltungsprojektes der Solidarnosc.
Woher kommt die Solidaritätsbewegung? Gibt es in Polen zur Zeit eine ähnliche Entwicklung mit verschärfter Repression gegen die Opposition?
Nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa. Und die repressiven Maßnahmen gegen soziale Bewegungen bei uns unterscheiden sich kaum von denen in Westeuropa. Wobei sich die Repression hier sehr stark gegen die Protagonisten von Arbeitskämpfen richtet. Bereits die sozialdemokratische Vorgängerregierung des »Bündnisses Demokratischer Sozialisten« (SLD) wollte das Streikrecht durch die Legalisierung von Aussperrungen einschränken. Die Zeitung Gazeta Wyborcza deckte kürzlich einen Einsatzbefehl der Antiterrorabteilung auf, in dem die Warschauer Polizei aufgefordert wurde, »Informationen über streikende Krankenschwestern und deren Unterstützer zu sammeln«. Durch gezielte Provokationen verdeckter Ermittler sollte der Streik eskalieren, um ihn dann zerschlagen zu können.
Zudem ist das Instrument des Antikommunismus à la McCarthy allgegenwärtig. Mit dem Lustrationsgesetz wurden Anfang des Jahres unter anderem Journalisten unter Generalverdacht gestellt und zu Loyalitätsschwüren verpflichtet. Der Staat erteilte tatsächlich sogenannte Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Durch das Lustrationsgesetz wurden mehrere hunderttausend Bürger verpflichtet, öffentlich zu erklären, ob sie jemals mit der polnischen Staatssicherheit (SB) zusammengearbeitet haben. Zweitens erhielt das »Institut der Nationalen Erinnerung«, das polnische Pendant zur deutschen Birthler-Behörde, den Auftrag, eine Liste aller Personen zu erstellen, die in den Archiven des alten Geheimdienstes geführt werden. Gemeinsam ist diesen Maßnahmen, daß sie Kritiker zur »Sicherheitsbedrohung« machen.
Sie sagten, diese Entwicklung sei in ganz Europa zu beobachten ...
Der deutsche Paragraph 129a steht symbolisch für polizeiliche Maßnahmen in Europa. Das rabiate Vorgehen der britischen Polizei gegen Umweltschützer, die am Flughafen Heathrow protestierten, zeigt, wie Antiterrormaßnahmen zur Eindämmung politischer Proteste instrumentalisiert werden. Auch in Italien werden Antimilitaristen des Terrorismus bezichtigt. In Paris traf ich eine Schulleiterin, die in einem Netzwerk für die Rechte von Kindern der »Sans-papiers«, also »Illegaler«, kämpft. Dafür wird sie vom Staat überwacht.
Warum geht der deutsche Staat aus Ihrer sich mit solcher Rücksichtslosigkeit gegen einen kritischen Soziologen wie Andrej H. vor?
Neben dem Gewaltmonopol wird ein Politikmonopol des Staates aufgebaut. Das Ziel ist ein unmündiger Bürger, der alle vier Jahre mit dem Wahlzettel das kleinere Übel wählen soll. Der Angriff auf Journalisten und Wissenschaftler soll die radikale Kritik an einer rassistischen und kriegswilligen »Demokratie« zum Schweigen bringen.
[junge Welt, 21.08.2007]