2007-08-19 

junge welt: Amtsgericht widerspricht Polizei

Strafprozeß wegen G-8-Protesten in Rostock. Acht Monate auf Bewährung für Steinwurf

Von Hayo Plietsch
Am Mittwoch fand am Rostocker Amtsgericht nach einer Reihe von sogenannten beschleunigten Verfahren nunmehr der erste reguläre Strafprozeß zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm Anfang Juni statt. Angeklagt war der 33jährige Kurde Lütfü Y., der knapp fünf Wochen in der Justizvollzugsanstalt Rostock-Waldeck in Untersuchungshaft verbrachte. Lütfü Y., der als Sozialist wegen seiner politischen Überzeugungen mehrere Jahre in der Türkei im Gefängnis saß und durch türkische Polizei mehrfach gefoltert wurde, lebt seit seiner Flucht als anerkannter Asylbewerber in den Niederlanden. Er nahm am 2. Juni am internationalistisch-antiimperialistischen Block der Rostocker Großdemonstration teil.

Shopping

Die Anklage warf ihm schweren Landfriedensbruch und Körperverletzung vor. Demnach soll er einen Stein auf Polizeibeamte geworfen und die Menschenmenge aufgewiegelt haben. Die Staatsanwältin forderte neun Monate Haft auf Bewährung.
Während der Verhandlung wurden Polizeivideos einer Berliner Einsatzhundertschaft sowie der Bereitschaftshundertschaft des Unterstützungskommandos (USK) Nürnberg gezeigt, auf denen mehrere brutale Attacken der Polizei auf den internationalistischen Block zu sehen waren. Selbst der Richter bescheinigte in seinem mündlichen Urteil, daß »die Polizei massiv auf diese Gruppe eingeschlagen hat« und eindeutig Personen angriff, »die in friedlicher Absicht demonstriert haben«. Der Steinwurf des Lütfü Y., den dieser selbst einräumte, sei als »Spontantat« zu werten, resultierend aus dem überzogenen Angriff der Polizei. Dennoch blieb der Richter mit seinem Spruch nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft und verurteilte Lütfü Y. zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung. Der Bewährungszeitraum wurde auf zwei Jahre festgesetzt.
Als strafmildernd habe gewirkt, daß der Angeklagte in einer Situation psychischer Anspannung handelte, da Freunde von ihm aufgrund der Polizeiangriffe verletzt wurden und er sich durch das martialische Auftreten der Polizei an Szenen aus dem türkischen Polizeistaat erinnert fühlte, heißt es in der Begründung. Lütfü Y. wurde nach dem Urteil sofort aus der Untersuchungshaft entlassen. Noch auf dem Gerichtsflur dankten ihm einige der Zuschauer für seine couragierte Verteidigung des Demonstrationszuges. Ein Sprecher der Roten Hilfe Rostock zeigte sich zudem erfreut, daß das Gericht in seinem Urteil der Propagandalüge der Sondereinheit »Kavala«, die Polizei hätte sich am 2. Juni »deeskalierend« verhalten, ausdrücklich widersprach. »Es kommen im Gegenteil immer mehr Straftaten von einzelnen Polizisten ans Licht«, erklärte der Rote-Hilfe-Sprecher. Auch werde immer offensichtlicher, daß das Polizeikonzept darauf setzte, »mit falsch informierten Einsatzzügen die Gewaltspirale anzuheizen«. Die Solidaritätsorganisation fordert die unverzügliche Freilassung eines zweiten noch in der JVA Waldeck einsitzenden G-8-Gegners.

[http://www.jungewelt.de/2007/07-13/050.php?sstr=amtsgericht%7Cg8]