2007-08-16
Am 31. Juli 2007 wurden Axel, Florian, Oliver und Andrej
festgenommen. Dass
nicht gleich geschossen wurde, war dann schon fast verwunderlich.
Hatte doch
unlängst Innenminister Schäuble angemahnt, dass die gezielte Tötung von
Verdächtigen rechtlich noch ungeklärt sei. Glück gehabt, könnte man also
meinen, wurden doch in den letzten Jahren die Gesetze meist nur noch
der realen
Praxis der Staatsgewalt von Polizei und Militär angepasst. Aber das
jüngste
§129a-Verfahren zeigt uns, wohin die Reise gehen wird, wenn die
radikale Linke
nicht endlich beginnt, mit bestimmten Formen der Selbstisolierung zu
brechen,
und moderate Kräfte gleichzeitig begreifen, dass ihr ewiges Lamento der
Gewalt-Distanzierung auch keine Lösung, sondern ein Teil des Problems
ist.
Den Gefangenen und drei weiteren Beschuldigten wird “Mitgliedschaft
in einer
terroristischen Vereinigung” (§ 129a StGB) vorgeworfen. Die sieben
sollen laut
Bundesanwaltschaft in der “terroristischen Vereinigung” – “militante
Gruppe”
(“mg”) – aktiv sein. Axel, Florian und Oliver wurden in der Nacht zum
31. Juli
erst observiert und dann verhaftet, nachdem sie versucht haben
sollen, vier
Fahrzeuge der Bundeswehr auf dem Gelände der Firma MAN in Brandenburg/
Havel in
Brand zu setzen. Ihre Festnahmen markieren das Ende einer gut gemeinten
antimilitaristischen Aktion. Gleichzeitig stellen sie auch einen
Generalangriff
auf militante linke Politik dar, indem sie für die jahrelange Jagd
auf die “mg”
herhalten müssen. Kurz nach den Festnahmen, am Morgen des 31. Juli
wurden die
Wohnungen und teilweise Arbeitsplätze von Andrej und drei weiteren
Beschuldigten, gegen die kein Haftbefehl vorliegt, durchsucht. Allen
vier wird
“intellektuelle Täterschaft” zur Last gelegt. Diese begründen die
Ermittlungsbehörden damit, dass Bibliotheken benutzt und bestimmte
Begriffe wie
“Gentrifizierung” in Texten verwendet wurden. Zudem hätten sich die
vier zu
Schulden kommen lassen, im Studium oder der Promotion die
intellektuellen
Fähigkeiten angeeignet zu haben, “die vergleichsweise
anspruchsvollen” Texte
der “mg” zu verfassen. Die einzige Verbindung, die es zwischen Axel,
Florian
und Oliver und jenen vier Personen gibt, sind zwei angeblich
konspirative
Treffen zwischen Florian und Andrej. Wie bei den § 129a-Verfahren vom
9. Mai
geht der Staatsschutz also von einer Arbeitsteilung von Kopf und Hand
aus, bei
der die einen Anschläge verüben während andere Urherber der Planungen
und der
Verlautbarungen sind.
Der §129a hat eine ganz eigene Logik: Mit ihm ist es möglich, ohne einen
konkreten Tatnachweis Menschen hinter Schloss und Riegel zu bringen –
und das
für lange Zeit. Unterstellungen und konstruierte Indizienketten als
Ausgangspunkt sind ständige Begleiterinnen von §129a-Verfahren. So
musste sich
Ende der 1980er Jahre die Journalistin Ingrid Strobl vorwerfen
lassen, sie
gehöre den Revolutionären Zellen (RZ) an, weil sie einen Wecker
gekauft hatte.
Denn, so der Zirkelschluss der Generalbundesanwaltschaft, die RZ sei so
verantwortungsvoll, dass sie nur Mitgliedern zumute, Material für
Anschläge zu
beschaffen. Und so wurde Ingrid Strobl zur RZ-Militanten, obwohl nie
auch nur
ein Beweis dafür vorlag, dass sie wusste, was mit dem von ihr
gekauften Wecker
passierte. Eine ähnlich absurde Konstruktion stellt das aktuelle
Verfahren dar.
Deshalb ist vor allem klar: Der §129a muss weg!
Die andauernde Verschiebung dessen, was als legitim (im Gegensatz zu
legal)
erachtet wird, hängt natürlich auch mit dem Anti-Terrordiskurs seit
dem 11.
September 2001 zusammen. Der Staat verändert ständig die Vorstellung
dessen,
was staatsgefährdend oder terroristisch ist und konstruiert im
zweiten Schritt
fleißig Terrornetzwerke. Deren diffuse und unübersichtliche Struktur
wiederum,
so die Argumentation, muss sich der Staat ebenso wie seine
Überwachungs- und
Verfolgungstechnik immer wieder neu anpassen, dies ist auch ein Grund
für die
geplante Erweiterung des §129. Die Wahnvorstellung, alles und alle
überwachen
und kontrollieren zu können, findet gerade seinen Ausdruck darin,
dass falls
der Staatsschutz etwas nicht mitkommt, dies gleich als konspirativ, ergo
subversiv und schlussfolgernd wahrscheinlich staatsgefährdend sein
muss. Hier
wirkt eines der wahnwitzigen Funktionsprinzipien des Staates, das
einen unserer
Genossen in den Knast gebracht hat. Dabei darf nicht allein bzw.
unkritisch –
wie in den letzten Monaten oft zu hören ist – auf eine ominöse
Privatsphäre,
die es zu schützen und zu bewahren gilt, verwiesen werden. Der
zunehmende
Kontroll- und Überwachungswahn sollte für eine Linke vor allem deshalb
Gegenstand von Kritik sein, weil er zunehmend die Rechte und
Möglichkeiten
politischer und sozialer Assoziation und Organisierung untergräbt.
Nach der
Logik des gegenwärtigen präventiven Sicherheitswahns darf im Kern nur
der Staat
Politik machen und die ihm wohl gesonnen Parteien und auf ihn fixierten
Interessensvertretungen. Dieses Prinzip zeigt sich vor allem daran,
dass der
präventive Charakter des Sicherheitsstaats in den Vordergrund rückt
und immer
weitere Straftaten – so genannte Vorfeldhandlungen – konstruiert
werden, die
nichts mit strafbaren Handlungen im engeren Sinn gemein haben. So
soll zum
Beispiel mit der Ausweitung des §129 (auf Absatz c und d) das
Herunterladen von
Bastelanleitungen für Sprengsätze oder das Sammeln von “nicht
unerheblichen
Vermögenswerten” bereits unter Strafe gestellt werden (Die Welt,
09.05.2007).
Dass in den letzten Jahren derart viele §129a-Verfahren ohne spürbare
öffentliche Empörung oder gar Widerstand möglich waren – die spontanen
Reaktionen nach den Razzien am 9. Mai waren angesichts des
bevorstehenden
G8-Gipfels offensichtlich eine Ausnahme – ist auch eine Konsequenz
unserer
eigenen Politik: Dass die Ermittlungsbehörden Staatsfeinde ausmachen
und gegen
jegliche rechtsstaatlichen Spielregeln wegsperren können, ist auch
das Resultat
einer politischen Ausrichtung, die Kapitalismus- und Staatskritik,
Radikalität
und antagonistische Politik mit Selbstisolierung verwechselt. Statt zu
versuchen, mit der eigenen Politik in die Gesellschaft zu
intervenieren, feiern
sich viele Linke als kleinste radikale Minderheit.
Das Vorgehen der Ermittlungsbehörden ist somit ein Ergebnis von
gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen. Mit derartigen Verfahren
sollen sie zu
unseren Ungunsten verschoben werden. Denn wie der Blick in die
Geschichte
zeigt, trifft der Paragraf 129a vor allem linke Strukturen und
Zusammenhänge,
die mit Hilfe dieser Sondergesetzgebung sehr einfach ausspioniert,
eingeschüchtert und isoliert werden können. Nicht zuletzt daher würde
es der
radikalen Linken durchaus zugute kommen, wenn die Masse an Verfahren,
VS-Ansprachen und Beobachtungen der letzten Zeit – erinnert sei an
die Spitzel
im Berliner Sozialforum – nicht als Ausdruck von Stärke, sondern
einerseits als
Schwäche der Linken und andererseits als Verdrängung
bürgerrechtlicher Standards
und linksliberaler Positionen aus der politischen Debatte und
Öffentlichkeit
gedeutet werden würde. Die Repression und Verfolgung der letzten
Monate und
Jahre ist auch Resultat der Isolierung der Linken sowie von
herrschaftskritischen und emanzipatorischen Positionen – eines zunehmend
verengten Rahmen des Sag- und Denkbaren. Dies muss als Ausdruck einer
gesamtgesellschaftlichen Konstellation verstanden werden, deren
Ursache auch im
sektiererischen Charakter linksradikaler Politik begründet ist –
einer Politik,
die sich mit sich selbst und ihren Ritualen und Gewissheiten begnügt und
gleichzeitig auch nicht willens ist, die gesellschaftlichen
Kräfteverhältnisse
insgesamt nach links zu verschieben.
Ein Ausdruck dieser Politik ist auch eine militante Praxis à la “mg”.
Auch die
“mg” muss sich durchaus scharfe, aber solidarische Kritik gefallen
lassen. Denn
eine kritiklose Akzeptanz ihrer Politik verhindert eine linke
Diskussion über
Strategien und Mittel ebenso wie die allgemeine Forderung, “der Gewalt”
abzuschwören. Doch dazu gleich.
Die Politik der “mg” geht nicht von den realen existierenden
Kräfteverhältnissen
aus. Die Folgen dieser Fehleinschätzung sind für eine radikale linke
Politik
nicht gerade von Vorteil – im Gegenteil. Die militanten Aktionen
waren trotz
thematischem Bezug zu realen Kämpfen nie Ausdruck einer realen sozialen
Bewegung und damit auch kaum vermittelbar. Die “mg” verfolgt genau
die Form
selbstbezogener Politik, die die radikale Linke isoliert hat. Das
Beispiel des
Anschlags auf das Finanzamt Berlin-Neukölln in der Neujahrsnacht
2002/2003
zeigt dies deutlich: Nachdem der Anschlag im Feuerwerk und den 500
Bränden in
jener Nacht medial unterging, zog die “mg” daraus in einer Erklärung
(25.02.2003) die Konsequenz, dass klandestine Medien erhalten und
ausgebaut
werden müssten, um den Informationsfluss zu garantieren. Die
Vermittlung und
Vermittelbarkeit der eigenen politischen Aktionen zielt so nur auf
die radikale
Linke. Manche Anschläge sind überhaupt nicht vermittelbar. So zum
Beispiel der
Anschlag auf das Polizeipräsidium in Tempelhof im April 2006, während
der
Beerdigung eines Polizisten, der im alltäglichen Einsatz erschossen
wurde.
Diese Form militanter Politik verändert an den herrschenden
Kräfteverhältnissen
wenig und trägt noch weniger dazu bei, dass sich Menschen zu
organisieren
beginnen und anfangen sich kollektiv zu wehren.
Trotz allem muss die Kritik an militanter Politik solidarisch und
konkret
bleiben. Denn auch eine allgemeine Abgrenzungswut durch das linke
Distanzierungskartell, der Leute, die z.B. ohne jede Trennschärfe
Sachbeschädigung als Gewalt verurteilen, ist an der gegenwärtigen
Lage nicht
unbeteiligt. Wer meint, sich ganz allgemein von Gewalt oder
militanter Politik
distanzieren zu müssen, der/ die stützt einen Diskurs, der die
Hau-drauf-Politik des Staatsapparats trägt. Distanzierung schließt somit
bestimmte Formen der Praxis endgültig aus, macht sie indiskutabel,
entzieht sie
der politischen Auseinandersetzung und legt somit eine Grundlage für
staatliche
Repression. Sie ermöglicht die Identifizierung derjenigen, die sich
nicht
unterwerfen wollen. Aus einem Streit über angemessene und legitime
Formen des
Widerstands und Protests, Ziele und Möglichkeiten linker Politik,
wird so
inkriminierbare Gesinnung. Was sich allgemein als Distanzierung von
jeglicher
Gewalt äußert, ließ sich zuletzt am Distanzierungsdrang während des
Gipfels in
Heiligendamm erkennen. Von pauschalen Distanzierungen, Übernahme der
Polizeipropaganda bis hin zur geforderten Auslieferung von
“Straftätern” war
vieles im Stimmengewirr der Entsolidarisierung zu vernehmen. Von
manchen wurden
da Genossen als “Fremdkörper” (taz) bezeichnet und ein Peter Wahl
macht mit
seinem “Wir wollen euch nicht mehr sehen!” den Trennungsstrich und die
Aufkündigung von Solidarität mehr als deutlich.
Distanzierungen von Gewalt einzuklagen, ist im Endeffekt nichts
anderes, als die
politischen Akteure auf den Staat und seine Logik einzuschwören.
Dieser Logik
sollten wir uns entziehen. Einer der zentralen Momente des
gegenwärtig im
stärker sich herausbildenden präventiven Sicherheitsstaats ist der
allgemeine
Verdacht gegen alle, die nicht Ja und Amen sagen. Dabei greift die
Strategie
von Angst und realer Verfolgung ineinander. Eine verallgemeinerte
Politik der
Verunsicherung funktioniert nur dann, wenn der Staat auch ernst
macht, wenn er
Personen mit §129a-Verfahren überzieht und wegsperrt. Wer hat sich in
Berlin
nach dem 31. Juli nicht überlegt, wen der Beschuldigten er/sie kennt
und wann
und unter welchen Umständen ein letztes Treffen stattfand. Aus der
“Kontaktschuld” wird so schnell eine “Berührungsfurcht” (Peter
Brückner), die
weit reichende politische Folgen hat. Das Ergebnis ist ein
umfassendes System
der Isolierung. Soll ich noch auf diese oder jene Demo gehen, wenn
dort die
Polizei wieder in großen Maßstab filmt? Soll ich wirklich mit meiner
politischen Initiative eine Solidaritätsadresse schreiben? Welche
Kneipen
sollte ich lieber nicht regelmäßig aufsuchen? Kann ich bei google
überhaupt mal
“militante gruppe” eingeben, um mich zu informieren, was die so
schreiben? Eines
ist dabei klar: Ohne offene Gewalt und Repression ist diese Form der
Politik der
Angst unwirksam und nutzlos. Aber die ständig neuen Verfahren sind
nicht einzig
und allein als Form der Kriminalisierung zu interpretieren, sind
dienen auch
der Stigmatisierung von radikalen Linken generell. Einer
Stigmatisierung, der
offensiv begegnet werden muss – durch solidarischen Umgang und einem
selbstbewusster Politik, die sich nicht einschüchtern lässt. Unsere
Solidarität
gilt deshalb allen Gefangenen vom 31.Juli 2007!
Doch Solidaritätsarbeit darf nicht zur Selbstbestätigung der eigenen
“antagonistischen” Politik werden. Mit der auch von Teilen der
radikalen Linken
forcierten Isolierung muss jetzt gebrochen werden. Vielmehr gilt es,
in den
kommenden Wochen und den folgenden Monaten deutlich zu machen, dass das
aktuelle, wie auch die anderen §129a-Verfahren ein zentrales Moment des
präventiven Sicherheitsstaats und der forcierten Politik der Angst
sind. Nicht
erst die Vorratsdatenspeicherung stellen einen Dammbruch dar, sondern
alle
Formen der Verfolgungspolitik im Rahmen des § 129a. Unser Ziel muss
es sein,
jeglichen staatlichen Einschüchterungsmaßnahmen solidarisch und
gemeinsam
entgegenzutreten.
In diesem Sinne:
Freiheit für Oliver, Florian, Axel und Andrej!
Solidarität mit den Gefangenen und Beschuldigten vom 31. Juli 2007
organisieren!
Abschaffung von Paragraf 129a ff.!
Für eine linke Strömung!
August 2007
Soliwebsite: http://einstellung.so36.net
Die Soliarbeit für die von den 129a-Verfahren betroffenen kostet viel
Geld.
Deshalb spendet auf eines der Konten.
Eins bei den Anwälten:
Thomas Herzog
Bank: Postbank Berlin
Konto-Nr.: 577 701 432
BLZ: 100 100 10
Verwendungszweck: Sonderkonto
Und eins bei der Roten Hilfe:
Rote Hilfe e.V.
Bank: Berliner Bank
Konto-Nr.: 718 9590 600
BLZ: 100 200 00
Verwendungszweck: Repression 31.7.2007