2001-09-26 

"Unverantwortliche Ausgrenzungen"

Bei der aktuellen Gewaltdebatte geht es vor allem um politische Positionierungen

Liest man seit "Göteborg" und "Genua" die Stellungnahmen von ATTAC- "SprecherInnen" oder die Beiträge in der Mailinglist des Netzwerks, sieht es so aus, als würde in der entstehenden globalisierungskritischen Bewegung derzeit vor allem über ihr Verhältnis zur Gewalt diskutiert. Dabei gehören fast alle, die da diskutieren, nicht zu denen, die bei Aktionen militant agieren und Glasbruch oder Kräftemessen mit den Bullen für strategisch sinnvolle Orientierungen hielten.

Die öffentliche Debatte im Umfeld von ATTAC dreht sich nur vordergründig um das Für und Wider bestimmter Aktionsformen. Es geht um Anderes, nämlich um Definitionsmacht und bündnispolitische Orientierungen. Diejenigen, die lautstark "klare Trennungslinien" zu "Chaoten" oder "Provokateuren" fordern, fürchten wohl vor allem, mit ihren Anliegen sonst nicht mehr "ernst genommen zu werden", und meinen damit, dass ihre realen oder erstrebten BündnispartnerInnen in den beiden sozialdemokratischen Parteien, den Grünen, den Gewerkschaften oder den Kirchen verprellt werden könnten. Diejenigen, wie etwa der BUKO, das iz3w Freiburg oder die ila, die sich gegen die Ausgrenzung bestimmter, z.B. militanter, politischer Spektren wehren, tun dies, weil sie aus einschlägigen politischen Erfahrungen heraus die Befürchtung hegen, das mit der "Gewaltdebatte" politische Abgrenzungen nach links vorgenommen und die grundsätzliche Anerkennung der herrschenden Verhältnisse in der Bundesrepublik signalisiert werden soll.

Verschärft wird die mitunter emotional, teilweise rüde geführte Debatte dadurch, dass einzelne VertreterInnen der Bewegung, vorrangig solche aus größeren Nichtregierungsorgnationen mit einschlägigen Pressekontakten, Zugang zu wichtigen liberalen Medien haben und ihre Positionen entsprechend breiter streuen können als diejenigen, die auf die Zeitschriften der Bewegung, Mailinglists oder das Internet angewiesen sind. Dies bestimmt natürlich, welche Positionen und Personen in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen werden. Das weckt fatale Erinnerungen an den politischen Domestizierungsprozess der Grünen. Als in der Partei noch linksalternative Positionen hegemonial und Fischer & Co. kaum mehrheitsfähig waren, bedienten sie sich ihrer exzellenten Kontakte zu taz, FR, Spiegel etc., um ihre innerparteilichen KontrahentInnen als nicht-politikfähige Hardliner zu diffamieren und sich selbst als einzig realisitsche Politikoption für die Grünen zu verkaufen. Natürlich unterstützten die staatstragenden Medien die Fischer-Gang nicht nur aus Freundschaft, sondern weil sie die Grünen genau da haben wollten, wo sie heute stehen.

Einen besonders unangenehmen Beitrag dieser über die bürgerlichen Medien versuchten politischen Positionierung der Bewegung, war ein Text von Rainer Falk (WEED), den die Frankfurter Rundschau am 3. August 2001 unter dem Titel "Nur die Trennlinie gegen Provokateure schützt vor Selbstzerstörung" veröffentlichte. Nach einer recht zutreffenden Analyse des offiziellen G-8-Gipfels in Genua widmet sich der Autor im zweiten Teil des Textes der Protestbewegung, dass heißt, er polemisiert gegen die militanten DemonstrantInnen. Dabei behauptet er ein "(zumindest) faktisches Zusamenspiel zwischen der Polizei und dem so genannten Schwarzen Block". wobei das "zumindest" natürlich impliziert, das es mehr als ein faktisches Zusammenspiel war. Das die Leute aus dem "schwarzen Block" Provokateure sind, weiss Falk aus seiner Kenntnis "des politischen Anarchismus". Daher weiss er auch, dass "diese Gruppierung" "vielfach infiltriert" ist. Dass es unter den militanten DemonstrantInnen auch einige Zivilbullen gab, ist aufgrund historischer Erfahrungen anzunehmen. Ebenso muß wohl davon ausgegangen werden, dass die Geheimdienste in jeder kritischen Bewegung ihre Leute plazieren. Allerdings zeugt es von politischer Naivität anzunehmen, diese würden nur in die militanten Gruppen eingeschleust. Darüber hinaus konstruieren Polizei, Dienste und Justiz auch angebliche organisatorische Strukuren, um Leute politisch verfolgen zu können. Dazu gehört die in den achtziger erstmals behauptete Existenz einer organisierten Gruppe namens "Schwarzer Block". Falk übernimmt solche Zuschreibungen einfach. Er weiss offensichtlich nichts über die politischen Strategien und Konzepte von anarchistischen oder antiautoritären Linken, sondern wiederholt die üblichen Vorurteile, die bürgerliche und stalinistische Agitatoren seit jeher gegen diese ins Feld führen.

Derartige politische Ausgrenzungen dürfen wir nicht hinnehmen. Es ist eine Sache, ob man bestimmte militante Aktionen und martialisches Macho-Gehabe, das suggeriert man könne es mit der Staatsgewalt aufnehmen, politisch kritisiert. Es ist auch nachvollziehbar, wenn man keine Aktionsbündnisse mit Leuten eingehen will, die nicht bereit sind, Absprachen zu treffen und Demos benutzen, um Konfrontationen zu suchen, die die große Mehrheit der TeilnehmerInnen nicht will und worauf sie auch nicht vorbereitet ist. Eine ganz andere Sache ist es aber, in der bürgerlichen Öffentlichkeit zu verbreiten, diese Leute gehörten nicht zur Bewegung, sondern seien "Provokateure" und wahrscheinlich von der Polizei infiltriert. Angersichts europaweit koordinierter Ausreiseverbote, Massenverhaftungen, Mißhandlungen bis zu faktischen Folterungen auf Polizeiwachen und scharfen Schüssen auf DemonstrantInnen, ist so etwas politisch unverantwortlich und Wasser auf die Mühlen der Polizei und sonstiger Repressionskräfte. Hier muß die Bewegung schnell klar machen, dass sie sich trotz politischer Meinungsverschiedenheiten und Widersprüche nicht in "Gute" und "Böse" spalten lässt und mit allen solidarisch ist, die ins Visier der Repression geraten. Wenn die Bewegung dazu nicht in der Lage ist, sollte sie es besser gleich lassen.

Gert Eisenbürger, Informationsstelle Lateinamerika (ila) e.V.

Der Beitrag erscheint in der ila 248, September 2001. Das Heft enthält mehrere Diskussionsbeiträge zu den Perspektiven der globalisierungskritischen Bewegung nach "Genua". Es ist ab 15. September bei der Informtationsstelle Lateinamerika (ila, Heerstraße 205, 53113 Bonn, Tel. 0228/65 86 13, e-mail: ila@ila-bonn.de, www.ila-web.de) erhältlich.

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