2007-08-12 

Kapitalistische Verwertungslogik blockieren

Artikel für die polnische Monatszeitung „Le Monde Diplomatique“ von Martin Krämer Liehn

Blair war noch nicht mal in Deutschland gelandet am Nachmittag des 6. Juni 2007, da strahlte mich eine Rostocker Arbeiterin bereits von hinter ihrer Supermarktkasse an mit der Nachricht, dass wir den G8 dicht gemacht hätten. „Und es gibt schon ein erstes Loch im Zaun,“ ergänzte sie in so etwas wie Badelaune. In den Tagen davor reichte es, beim Einsteigen in öffentliche Busse zu sagen, dass wir zu den Blockaden fahren. Wir wurden nicht nur ohne Fahrkarte durchgewunken, sondern auch noch außerfahrplanmäßig bis an strategisch wichtige Punkte gebracht. Die Busfahrer wussten schon, wo wir nötig waren.
Drei Monate vorher war ich nach Rostock gezogen, um in unserem Convergence Centre die Ankunft von über 100 GenossInnen aus der ehemaligen Sowjetunion vorzubereiten. Wir wurden ab März Tag und Nacht polizeilich observiert, von Zivilfahndern verfolgt, willkürlich kontrolliert und ohne Angabe von Gründen mit Platzverweisen und Ingewarsamnahme bedroht wenn wir uns nur z.B. dem Privatgelände des dubiosen Tagungsstättenmillionärs Jagdfeld in Heiligendamm näherten. Der Polizeistaat funktionierte als er noch gar nicht gebraucht wurde. Für das bloße Singen der Internationale vor dem Luxushotel im Mai saßen wir eine halbe Nacht im Polizeiarrest.

J7

Im Juni zur Zeit des offiziellen G8-Gipfels war dann plötzlich alles anders. Nie vorher konnten wir uns so frei in der Region bewegen. Der Preis für diese Freiheit war hoch. 1200 von uns wurden präventiv eingesperrt. Trotzdem kamen 10000 BlockiererInnen durch die absolute Demonstrationsverbotszone zum Hochsicherheitszaun. Die Polizei reagierte mit Panikattacken. Wasserwerfer schossen ohne Vorwarnung, gefolgt von Räumpanzern, es gab Knochenbrüche, schwere Schlagverletzungen. Einem Protestierenden wurde vom Wasserstrahl das Auge ausgeblasen. Die Gefangenen landeten für bis zu knapp eine Woche in Guantanamo-Käfigen, Tag und Nacht von allen Seiten videoüberwacht. Zwischen den 20000 Polizisten, die zum Ende ihrer größten Einsatzpleite in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland planlos in der Region hin- und herfuhren fanden sich auch die Einsatzwagen der berüchtigten Multinationalen „Sodex ho“: der Logistikpartner der USA im Folterzentrum Guantanamo und in Gefangenenlagern weltweit. Für die herrschende Klasse aber war das Ressort Heiligendamm auf dem Landweg nicht mehr zu erreichen. Wie zuletzt im Jahr 1807 war die unumschränkte Herrschaft des Kapitalismus zeitweise nur noch auf See realisierbar und auch dafür waren groteske Prügelszenen gegen AktivistInnen nötig; die mit Schiffen und Schlauchbooten angereist waren. Die Hubschrauber mit den hohen Gästen flogen lächerliche Kurven, um den Herrschenden nicht die tausenden von Farben bei Tag und die Lagerfeuer bei Nacht zu zeigen, mit denen ihr Tagungsort auf dem Landweg hermetisch vom Rest der Welt abriegelt war. Um so abstruser wurden die Reaktionen der bezahlten Repressionskräfte. Nachdem sie unserem Genossen das Auge ausgeschossen hatten und die Räumpanzer über unsere Barrikaden gegangen waren, liefen wir aus den angerenzenden Wäldern einfach wieder auf die gerade freigeprügelte G8- Zufahrtsstrasse. Ein niedersächsischer Polizeikommandant verfiel beim Anblick dieser Szene in ein haltloses Gelächter. Schon in den Monaten der Vorbereitung hatte es sich als unmöglich herausgestellt, den niederen Chargen der Polizei das Wort „Bonzenzaun“ im Funkverkehr zu verbieten. Nun mochte sich kaum jemand mehr an die offizielle Sprachregelung von der „technischen Sperre um Heiligendamm“ halten. Haltlosigkeit unter Repressionskräften öffnet in Deutschland aber auch andere Potentiale. In der Nacht zum 9. Juni wurde ich in meiner Zelle in der Gefangenensammelstelle Rostock-Ulmenstrasse von 5 uniformierten Männern angefallen, die laut gröhlend „Ganzkörperfotos“ forderten. Mit Zwangs- und Schmerzgriffen, die seit dem Faschismus zu jeder deutschen Polizeiausbildung gehören, stellten sie verschiedene Folterszenen mit meinem nackten Körper nach. Eine nannten sie „Jesus ist tot“. In derselben Nacht noch wurde die Gefangenensammelstelle – bereits die zweite in Folge – geschlossen, die Folterknechte zurück nach Berlin verlegt. Etwas an der herrschenden Ordnung war in der Tat gestorben.

Aufbauarbeit
Wie bescheiden dagegen unsere Vorbereitungsarbeit in den Monaten davor ausgesehen hatten! Wir hatten Duschen gebaut, Matratzen gesucht für die erwarteten Gäste unseres Convergence Centres. Wir knüpften Kontakte zu Ökobauern, machten Mosaike und malten Fresken. Als sich dann die strategischen Erfolge überschlugen lernten wir nur zaghaft, in Bewegung und unberechenbar zu bleiben: delegetimieren, anzünden, attackieren. Blockieren ist ja nur eine Möglichkeit. Zu viele von uns waren gebannt von unserem Erfolg und glaubten an nichts anderes mehr.
GenossInnen aus der aufständischen mexikanischen Provinz Oaxaca brachten den Schein des Erfolghabens auf den Punkt: am einfachsten ist es, Übereinstimmung zu erreichen für das Ziel einer linken antikapitalistischen Offensive. Und in der Tat erlangte „Globalisierungskritik von rechts“ keine Bedeutung in Rostock, lediglich in den Unterhaltungen der G8-Führer selber. Ihre eigenen Medien verurteilten sie im großen und ganzen zur Bedeutungslosigkeit angesichts unserer Proteste.
Aber war es genug, sich auf ein Blockieren der Zufahrtswege zu beschränken? Warum sind die überlebten, autoritären Verhaltensweisen in unserer Bewegung gerade dort am wirksamsten, wo man sich das Label anti-hierarchisch zugelegt hat? Was machen wir mit der neureichen Protest-Bourgeoisie, all die Attak-Sprecherchen, die nicht attackieren, MedienaktivistInnen, die nicht handeln und KünstlerInnen, die aus uns Art-projects und Katalogstaffage machen wollen? Die kapitalistische Verwertungslogik in unserem Leben gehört blockiert – blockiert bis zum süßen Ende. G8 unmöglich machen ist nur der Anfang, auf ein Neues 2008 in Sapporo!
auf dem Weg zur Vorbereitungskonferenz in Japan,
Leningrad, den 20. Juni 2007
Kritik und Anregungen willkommen: Caravan to Japan 2008, ul. Orla 6-55, PL-00-143 W-wa, Pologne.