2007-07-03 

Jung gesteht mangelhafte Befehlskette ein

Von Matthias Gebauer

Das Verteidigungsministerium wird sich am Mittwoch unangenehme Fragen von Bundestagsabgeordneten anhören müssen. Ein interner Bericht zum Tornado-Einsatz beim G-8-Gipfel räumt ein, dass das Ministerium nicht über alle Flüge der Jets informiert war.

Berlin - Der Gipfel der Staatschefs der G8 in Heiligendamm Anfang Juni scheint schon fast vergessen, einzig das Verteidigungsministerium muss sich weiter mit den Vorkommnissen rund um den Treff der Mächtigen beschäftigen. Die Opposition hat zum Einsatz von Bundeswehr-Tornados und weiterer Aufklärungsfahr- und flugzeuge der Truppe noch so manche kritische Frage. Morgen wird zu diesem Thema der Verteidigungsausschuss tagen. So wie es aussieht, wird sich Verteidigungsminister Fraz-Josef Jung (CDU) dabei erneut unangenehmen Fakten stellen lassen müssen.

Für die Sitzung hat Jungs Ministerium mittlerweile einen vertraulichen Bericht ("VS - nur für den Dienstgebrauch") vorbereitet, der SPIEGEL ONLINE vorliegt. Auf 30 Seiten schildert das Ministerium darin viele Details von verschiedenen Unterstützungsmaßnahmen, welche die Bundeswehr beim G-8-Gipfel leistete. Rund 10 Millionen Euro gab die Truppe für die Bereitstellung von 1100 Soldaten, Transportleistungen, Luftraumüberwachung, Küstenschutz und andere logistische Leistungen aus. Berechnen wird die Bundeswehr dem Land Mecklenburg-Vorpommern für die Mammut-Aufgabe allerdings keinen Cent.

Für die Politik interessanter werden allerdings vielmehr die hoch umstrittenen Überwachungsflüge mehrerer Tornado-Jets der Bundeswehr, die vor dem Gipfel Aufnahmen von Protest-Camps machten und dabei mindestens einmal auch die gesetzlich vorgeschriebene Mindestflughöhe unterschritten. Das Fehlverhalten der Piloten wird in dem 30 Seiten starken Bericht detailliert geschildert und auch, dass gegen die Piloten disziplinarische Maßnahmen eingeleitet worden sind. Im Anhang des Berichts finden sich dann auch Dutzende Bilder, welche die Tornados schossen, dazu die Einsatzbefehle der Düsen-Jets.

Pikant ist, dass in dem Bericht offen eine lückenhafte Befehls- und Genehmigungskette innerhalb der Bundeswehr bis hin zum Ministerium eingeräumt wird. So gesteht der Bericht ein, dass anstatt von zwei vom Ministerium im April 2007 genehmigten Missionen der Tornados vor dem Gipfel insgesamt sieben Einsätze mit 14 Flugzeugen geflogen wurden. Diese Tatsache soll dem Ministerium laut dem Bericht erst nach Überprüfungen bekannt geworden sein, die nach massiven politischen Protesten von der Opposition eingeleitet worden waren. Auf Anfragen der Opposition hatte das Ministerium von zwei Missionen gesprochen, mittlerweile listeten die Beamten sieben Flüge zwischen dem 3. Mai und dem 5. Juni auf.

Selbstbedienungsladen Luftwaffe?

Wie die Tornados angefordert worden waren, wird in dem Bericht detailliert erklärt. So meldete sich die Einsatzzentrale "Kavala", die alle Sicherheitsaspekte während des Gipfels leitete, direkt bei der Luftwaffenstaffel und sprach mit den Verantwortlichen die gewünschten Einsätze ab. Laut dem Dossier kam dabei offenbar niemand, weder bei der "Kavala" noch bei der Luftwaffe, auf die Idee, die Anforderungen der Tornados, die immerhin mehr als 42.000 Euro pro Flugstunde kosten, mit dem Ministerium oder gar dem Minister selber abzusprechen. Der grüne Politiker Hans-Christian Ströbele sprach in diesem Zusammenhang von einem "unglaublichen Selbstbedienungsladen", der nicht toleriert werden könne.

Minister Jung kündigte in dem Bericht eine Prüfung der fragwürdigen Vorgänge an. Laut dem Papier beauftragte er Generalinspekteur der Bundeswehr, die "Meldeverfahren und Befehlswege" zwischen Bundeswehr und Ministerium im Fall der "über das ursprünglich gebilligte Maß hinausgehenden Zahl der Tornadoflüge" zu klären. In den Schlussbemerkungen heißt es, die Überprüfung sei "unumgänglich". Insider wissen zu berichten, dass der Minister nach Entdeckung der heiklen Vorgänge "außer sich" gewesen sein soll. Dass er nicht informiert wurde, habe der Bundeswehr Schaden zugefügt. Besonders in der Kritik steht wegen der lückenhaften Befehlskette der Verteidigungsstaatssekretär Peter Wichert.

Neben der lückenhaften Informationskette birgt der Bericht aber noch andere Fragen. So scheint es anhand der Bilder der Tornado-Jets immer unglaubhafter, dass diese Manipulationen an Straßen und mögliche Erd-Depots entdecken sollten, wie es in ersten Stellungnahmen der Bundeswehr hieß. So sind auf den Bildern der Camps, die dem Bericht angehängt sind, zwar keine Details wie Einzelpersonen oder Autokennzeichen erkennbar. Gleichwohl sind die Bildausschnitte zu genau, als dass man auf ihnen Veränderungen im größeren Umfang erkennen mag. Vielmehr erscheinen die Bilder dafür geeignet, die Größe der Camps abzuschätzen. "Für Erd-Depots jedenfalls hätte man solche Bilder nicht machen müssen", so Ströbele.

Auch Eurofighter und Phantom-Jets im Einsatz

Das Verteidigungsministerium stellt in dem Bericht dar, dass auch die nicht direkt vom Ministerium gebilligten Flüge die Konformität des Gesamteinsatzes nicht in Frage stelle. Die Lücken rüttelten nicht "an der rechtlichen Qualifizierung dieser Flüge als verfassungsrechtlich zulässiger Amtshilfe", so der Bericht. Allgemein aber forderte das Ministerium, den Einsatz der Bundeswehr im Innern auf eine breitere Grundlage zu stellen. So seien die "rechtlichen Rahmenbedingungen" und die "Entscheidungsvorbehalte" für den Einsatz der Bundeswehr "zur Aufrechterhaltung der Inneren Sicherheit" neu zu formulieren. Genau über diese Forderung liefern sich Innenminister Schäuble und die SPD gerade einen heftigen Streit.

Für Aufregung sorgte kurz nach der Vorlage des Berichts heute auch die erstmalige Erwähnung von zwei weiteren Flugzeugtypen, die beim Gipfel zum Einsatz kamen. So standen während des Gipfels selbst, also am 6. und 8. Juni, auch vier "Eurofighter" und acht "Phantom" in der Luft zur Verfügung, falls fremde Flugzeuge in die Sperrzone eingedrungen wären. Insgesamt seien bei dem so genannten Stand-by-Einsatz 23 Flugstunden erbracht worden, so der Bericht. Auch wenn die Einsätze bisher nicht bekannt waren, dienen sie wohl kaum für einen politischen Streit. So kommen die Jets nach Angaben aus Verteidigungskreisen immer zum Einsatz, wenn fremde Staatsgäste in Deutschland sind.

[http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,492198,00.html]