2007-06-05 

Nicola Bullard: Die G8-Show ist kein Exklusivereignis

05.06.2007 — Critical Currents, No 1 / ZNet
Angesichts der zentralen Bedeutung des Öls – nicht nur in aktueller geopolitischer Hinsicht, sondern auch beim (politischen) Thema Erderwärmung -, ist es eine interessante Tatsache, dass die Gruppe der G7 ursprünglich als “Nebenprodukt” der Ölkrise 1973 zustande kam. Fast 35 Jahre später sehen sich die G8 (1998 wurde Russland formal in die Gruppe aufgenommen) einer neuen Energiekrise gegenüber. Es ist eine globale Krise der Energiepolitik – ausgelöst durch die bedrohliche Tatsache, dass irgendwann Schluss sein wird mit dem Öl, ausgelöst durch den wachsenden öffentlichen Druck, etwas zur Reduktion der Kohlendioxidemissionen zu unternehmen, und ausgelöst durch die Unfähigkeit der G8-Staaten in den letzten drei Jahrzehnten, über die eigenen Interessen hinauszudenken. Allerdings ist die Situation heute eine ganz andere als in der “unglobalisierten” Welt des Jahres 1973 (obwohl es ein paar überraschende Parallelen gibt). Und die G8 ist heute nicht mehr die einzige Show.

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Schwerpunkt Handel

In ökonomischer Hinsicht kommt der G8 nach wie vor signifikante Bedeutung zu: Die G8 repräsentieren weniger als 14% der Weltbevölkerung, aber sie produzieren Zweidrittel des globalen Wirtschafts-Outputs – das Bruttosozialprodukt als Maßstab genommen. Russland ist der einzige G8-Staat, den die Weltbank nicht unter die 10 wirtschaftlich erfolgreichsten Länder listet (siehe Weltbankliste 2006). Russland landete nur auf Rang 14. Interessanterweise sind die Volksrepublik China und Brasilien in der Top-Ten-Liste vertreten (China auf Platz 4, Brasilien auf Platz 10). Selbst Indien (Platz 12) überrundet Russland in wirtschaftlicher Hinsicht.

Die G8 in der Krise

Politisch stecken viele G8-Länder in der Krise bzw. in einer Situation des Übergangs oder der Lähmung. Nehmen wir zum Beispiel die USA, wo Präsident Bush den letzten 18 Monaten seiner Präsidentschaft entgegengeht. In beiden Häusern (Senat und Repräsentantenhaus) hat er seine Mehrheit verloren. Die Provokationen der Bush-Administration in Richtung Iran sind klar als Muskelspiel erkennbar, das vom Debakel im Irak ablenken soll. Eine hochriskante Strategie, angesichts der extrem labilen Lage im Nahen/Mittleren Osten (auch eine Gemeinsamkeit mit 1973) und angesichts massiver Opposition im eigenen Land gegen die fortwährende US-Militärpräsenz im Irak (noch eine Gemeinsamkeit mit 1973: In diesem Jahr wurde der Vietnamkrieg für die USA militärisch und politisch untragbar). Ein Kommentator drückt es so aus: Diese Administration “hat auf ewig die Fähigkeit verloren, den Rahmen einer politischen Debatte zu bestimmen”. Bushs Amtskollegen in der G8 ist das bewusst.

In Großbritannien ist Tony Blair als Premierminister am Ende. Wann er allerdings endgültig abdankt, bleibt offen. Sein Werben für die Irakinvasion und die britische Beteiligung an dieser sichern ihm einen unrühmlichen Platz in der Geschichte. Derzeit bastelt er an einer Nachbesserung seines Vermächtnisses, indem er den Abzug der britischen Truppen aus dem Irak regelt und sich dem Thema Klimawandel widmet – mit derselben pseudoreligiösen Begeisterung, die er bei seiner moralischen Mission im Irak an den Tag gelegt hat. Dieser G8-Gipfel wird für Tony Blair – mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – der letzte sein. Es ist seine letzte Chance, sich als der visionäre Staatsmann zu präsentieren, als den er sich immer gesehen hat.

In Deutschland strampelt sich derweil Angela Merkel mit einer traurigen “Großen Koalition” aus Christdemokraten und Sozialdemokraten ab. Überfrachtet mit Kompromissen ist die Koalition praktisch manövrierunfähig – von politischer Führerschaft zu irgendeinem Thema ganz zu schweigen. In Frankreich und Italien führten Präsidentschaftswahlen und labile Koalitionen zu gelähmten Regierungen: Alle warteten die Entscheidung der Wähler und Wählerinnen ab. Das generelle Problem der europäischen G8-Mitgliedsstaaten ist allerdings das fast greifbare antiamerikanische Sentiment und eine Opposition gegen die Irakinvasion, die nicht abebben will. Jeder neue Report aus Bagdad facht die Diskussion erneut an. Dies hat dazu geführt, dass die europäischen Regierungen sehr sorgfältig mit Washington verfahren müssen: Für Bush zu sein, ist heute schlecht für die Wahlchancen im eigenen Land.

Wladimir Putin – in dem sicheren Gefühl, soviel Erdöl und Ergas zu kontrollieren, wie man nur will -, rächt sich für die an Russland in den 90gern begangenen Demütigungen. Aggressiv handelt er das Westverhältnis neu aus. Vor allem über die Beziehung zu den USA verhandelt er neu, während er gleichzeitig versucht, im Osten an Einfluss und Verbindungen zu gewinnen. Im eigenen Land hält er alle an der kurzen Leine. In letzter Zeit schimpft er sogar über die G8. Japan und Kanada – die beiden anderen Mitgliedsländer der G8 – sind in dieser Debatte irrelevant.

All dies zusammen ist der Grund für die G8-Krise. Es ist der Grund für die Unfähigkeit dieser Staatengruppe, die überzeugende Botschaft zu vermitteln: Wir sind einig, wir verfügen über Kontrolle, über Führerschaft und Vision. Amerika hat seine Legitimation als “natürlicher Führer” der G8 verloren (nicht zuletzt, weil es sich sogar in der G8 wie ein G1 gebärdet), und ein anderes Land mit den Kredenzien und dem (zu unterstellenden) Interesse, “in die Lücke zu springen”, ist nicht in Sicht. Während die Macht der G8 demnach schwindet, steigen neue Bündnisse und Gruppierungen auf. Sie bilden sich aufgrund geographischer Gemeinsamkeiten und gemeinsamer Interessen. Einige könnten die Vorherrschaft der G8 – als wichtigste ‘G’-Gruppe – in der Zukunft herausfordern. Andere Bündnisse – wie etwa die ALBA (Bolivarische Alternative für die Länder Amerikas) – experimentieren mit neuen Rahmenbedingungen für Governance, die eine mögliche Alternative zur traditionellen Elitenpolitik darstellen könnten.

Die neuen Machtpole

Das heutige globale System ist charakterisiert durch Brüche und einen polarisierenden Wettbewerb. Dies wird deutlich in der Schwächung, ja Lähmung, internationaler Organisationen und Foren (wie UNO, IWF und WTO), und es wird deutlich durch den Aufstieg politischer, ökonomischer und kultureller Konkurrenzmächte, wie China, dem Islam oder den indigenen Bewegungen Lateinamerikas – um drei sehr unterschiedliche Beispiele zu nennen.

Der wichtigste “neue” Akteur auf der internationalen Bühne heißt China. Seit über einem Jahrzehnt beobachtet die Welt mit Interesse (oft auch mit Sorge) das Anschwellen der chinesischen Wirtschaftskraft. Bis vor kurzem hielt China sein Engagement mit dem globalen System grundsätzlich auf die ökonomische Ebene beschränkt. In den letzten Jahren hat es sein internationales Profil allerdings etwas geschärft – vor allem seine diplomatischen Beziehungen in Afrika und Lateinamerika. Auch die chinesische Präsenz in den internationalen Organisationen steigt. So spielt China im UNO-Sicherheitsrat eine “aktivere” Rolle und wurde erst kürzlich an die Spitze der Weltgesundheitsorganisation gewählt. Auch außerhalb des multilateralen Rahmenwerks spielt China mittlerweile selbst bei sensiblen politischen Themen (wie Nordkorea) eine führende Rolle. Gerade durch sein außenpolitisches Fingerspitzengefühl wird China für die USA zu einer Herausforderung – dieses Fingerspitzengefühl hebt die amerikanische Grobklotzigkeit besonders hervor.

Trotz seiner Bedeutung ist China kein Mitglied der G8. Der erste Kontakt auf “hoher Ebene” zwischen China und der G8 kam erst 2003 zustande, und es gibt keine Anzeichen, dass China in nächster Zeit eingeladen wird, ein Vollmitglied zu werden. Dies ist eine “Kränkung”, die an den Nationalstolz (der Chinesen) rührt – zumindest an die Gefühle eines Redakteurs der chinesischen ‘Volkszeitung’, der vor dem G8-Gipfel in Gleneagles schrieb: “Obwohl China kein Mitglied der G8 ist, verändert dieses Land…. die globale Wirtschaftsordnung; ohne eine chinesische Partizipation würden die Debatten über die globale Wirtschaft irrelevant”.

Abgesehen von einer gewissen Hybris dieser Aussage – es stimmt tatsächlich: Die G8-Staaten brauchen China mehr als umgekehrt. Würde China Mitglied des inneren Zirkels, es wäre sicher (für einige) ein Signal: China ist auf der Weltbühne “angekommen”. Andererseits hätte China politisch nur wenig dazugewonnen. Es würde seinen freien Handlungsspielraum einengen (vor allem in so sensiblen Bereichen wie Wechselkurse oder Kohlendioxidausstoß) – für den fragwürdigen Vorteil, im selben Club wie Bush und Blair zu sein.

Stattdessen führen die G8-Staaten mit China einen “Dialog” auf derselben Ebene wie mit Brasilien, Indien, Südafrika und Mexiko. Es sind die so genannten “P5”-Staaten (‘P’ steht für Politik’). Bei diesen Fünf handelt es sich um einen Mix aus Machtstaaten (China, Indien, Brasilien) und loyalen, strategisch wichtigen Freunden (Südafrika und Mexiko). Irgendwann könnten die P3, China, Indien und Brasilien, die Stellung der G8 – als einflussreichste Staatengruppe – herausfordern. Schon heute repräsentieren die P3-Staaten 40% der Weltbevölkerung und 10% des globalen Sozialprodukts – Tendenz steigend!

China, Brasilien und Indien kooperieren bereits – vor allem in der Welthandelsorganisation (WTO), wo sie die Gruppe der G20-Staaten anführen. In der WTO haben sie sich als signifikantes Hindernis für den EU-US-Bilateralismus erwiesen. Obwohl die G20 die Intereressen von über 20 “Entwicklungsländern” vertreten sollen, verhandeln Brasilien und Indien in Wirklichkeit in erster Linie ihre eigenen Ziele. Das Mandat, dem globalen “Süden” anzugehören, wird von beiden Staaten vor allem als Legitimations-Plattform genutzt. China belässt es bei einem niedrigem Profil. Falls nötig wird dieses Land aber sicherlich zu einem harten Verhandlungspartner in der Welthandelsorganisation werden. Brasilien, Indien und China arbeiten auch außerhalb des vorgegebenen internationalen Rahmenwerks zusammen. Sie haben ihre Handels- und Investitionsbeziehungen untereinander gestärkt – aber auch diesbezügliche Beziehungen zu anderen Staaten und Regionen des Südens.

Dabei geht es vor allem um die Suche nach Rohstoff- und Energiequellen – für die Industrialisierung – und um neue Exportmärkte. Den ökonomischen Interessen liegt zudem eine politische Agenda zugrunde. Die USA sind geschwächt. Dies schafft neue Spielräume im globalen System. Länder wie Brasilien befreien sich vom Gängelband der US-Dominanz. China kann seine Macht einsetzen, ohne relevantes Risiko, von den USA herausgefordert zu werden (vor allem, weil beide Staaten wechselseitige Wirtschaftsinteressen verbinden). Indien ist wohl der ambivalenteste unter den drei Staaten. Das Land scheint extrem daran interessiert, stets gute Beziehungen mit allen am Laufen zu halten. Es ist nicht nur der beste Freund Amerikas in der Region, sondern unterhält auch enge diplomatische (und militärische) Beziehungen zu Russland und China.

Zusätzlich zu seinen diplomatischen und ökonomischen Offensiven in Afrika und Lateinamerika versucht China auch in der eigenen Region Einfluss und Sicherheit zu gewährleisten. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) besteht aus China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Tatschikistan und Usbekistan. Indien, Iran, Pakistan und die Mongolei könnten möglicherweise noch dazustoßen. Hauptzielsetzung des SCO-Bündnisses – manche Kommentatoren sprechen von einer “Nato des Ostens” – ist es, ein Gegengewicht zu schaffen, um den US-Einfluss in Zentralasien zu begrenzen. Da sich in diesen Regionen allerdings massive Öl- und Gasvorkommen befinden, gibt es andererseits wohl vor allem eine Triebfeder: Das Streben nach Energiesicherung.

Im Jahr 2005 trafen sich die Vertreter Chinas, Russlands und Indiens zum erstenmal zu einem “trilateralen” Treffen. Es fand in Wladiwostok statt. Im Februar 2007 trafen sich die Außenminister der drei Staaten in Delhi und gaben ein Kommuniqué heraus, in dem es hieß: “Globale Angelegenheiten sollten eher durch Kooperation als durch Konfrontation geregelt werden”. Man stimmte überein, die UNO sei eine wichtige Plattform für den Weltfrieden und für Multipolarität – was übersetzt soviel heißt wie, man wolle in der UNO mitarbeiten, wenn es genehm ist, aber außerhalb der UNO agieren, um neue Machtpole aufzubauen. Präsident Putin brachte es noch deutlicher auf den Punkt, als er sagte, die USA müssten “sich bewusst sein, dass es neue Machtzentren gibt – wie China, Indien und Russland”. Russland, China, Brasilien und Indien bilden zudem gemeinsam die so genannte “BRIC”. Bislang besteht zwischen den vier Staaten allerdings noch kein Dialograhmen – außer dem gemeinsamen Interesse an der Gewährleistung einer sicheren Versorgung mit Öl und Gas.

Regionale Rebellen und Widerstand

Lateinamerika. Einzelne lateinamerikanische Staaten sowie die Region als Ganzes nehmen gegenüber den dominierenden Mächten eine zunehmend autarke Position ein. Die politische Landschaft Lateinamerikas ist heute eine Mischung aus offen antiimperialistischen Regierungen (Venezuela, Kuba, Bolivien, Ecuador) und Mittelinks-Regierungen mit nationaler Ausrichtung (Brasilien, Uruguay, Argentinien). Regierungen, die für Amerika und den Neoliberalismus eintreten, sind in Lateinamerika inzwischen die Minderheit. Das liegt nicht zuletzt an dem unglaublichen Aufstieg der radikalen Sozialbewegungen. Sie fordern eine Abkehr von der verheerenden neoliberalen Politik der letzten beiden Jahrzehnte. Die Wahlen, die Lula (Brasilien), Chavez (Venezuela), Morales (Bolivien) und Correas (Ecuador) an die Macht brachten, widerspiegeln diese Stimmung für den sozialen Wandel (wahrscheinlich gehört selbst Nicaraguas Daniel Ortega in dieser Riege genannt).

Venezuelas Präsident Hugo Chavez ist der offenste unter den Kritikern Amerikas. So ließ er beispielsweise armen Gemeinden in den USA subventioniertes Öl zukommen. Venezuela verfügt über große Ölreserven, die seit kurzem wieder in staatlicher Hand sind. Chavez PR-Strategie war brillant. Sie richtete sich gegen die Anti-Chavez-Kampagne in den USA und zeigte, dass es auch im Norden Armut gibt. In Ecuador und Brasilien wurden linkspopulistische Präsidenten ins Amt gewählt – mit massiver Unterstützung durch die Sozialbewegungen, vor allem der indigenen Bewegungen. Diese Präsidenten machten sich umgehend an die Verstaatlichung von Gas und Öl oder handelten zumindest die Verträge der im Länd tätigen Energieunternehmen neu aus. Auf diese Weise signalisierten sie den Bruch mit der Vergangenheit und Souveränität.

Diese drei Staaten (Venezuela, Bolivien, Ecuador) bilden die Vorhut bei dem Versuch, die Politik der Handels- und Finanzliberalisierung und -privatisierung wieder umzudrehen – eine Politik, die der Mehrheit der Bevölkerungen dieser Länder Armut eingebracht hat. Aber auch jenseits dieser drei Nationen distanzieren sich Länder von den USA und trotzen der Vorherrschaft des “Washingtoner Konsensus”. Argentinien, Brasilien und Bolivien haben ihre Schulden beim Internationalen Währungsfonds komplett abbezahlt (Venezuela verfügt derzeit über derartige Massen von Bargeld, dass viele lateinamerikanische Führer inzwischen Caracas anrufen statt Washington). In der Welthandelsorganisation spielen die Staaten Lateinamerikas eine wichtige Rolle. Sie sind in mehreren Gruppen vertreten, die sich den Verhandlungspositionen der USA und der EU entgegenstellen.

International gesehen ist Brasilien die wichtigste politische Kraft Lateinamerikas. Seit der Wahl Luiz Ignácio “Lula” da Silvas 2003 zeigt sich Brasilien offener am eigenen Nationalinteresse orientiert – zum Beispiel bei den WTO-Verhandlungen über die brasilianische Agrarwirtschaft oder beim Versuch, sich einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu sichern. Lula richtet seine Außenpolitik aber auch auf die Staaten des Südens aus. Dies ist nicht nur eine symbolische Geste, es geht auch um Handelserweiterungen und neue Märkte. Weniger aktiv in der internationalen Arena dagegen Argentinien. Allerdings ist Argentinien ein wichtiges Symbol für eine (gelungene) Selbstbefreiung aus den Klauen des Internationalen Währungsfonds und ausländischer Kreditgeber. Diese Entwicklung erfolgte in Argentinien nach der finanziellen und politischen Katastrophe im Jahre 2001.

Der härteste Schlag ins Gesicht der USA und deren ökonomischer Agenda war das Treffen in Mar del Plata 2005 – wo die Führer Lateinamerikas dem US-Plan für eine Freihandelszone (FTAA) eine Absage erteilten. Dies wurde möglich durch eine Wechselwirkung aus drei dynamischen Entwicklungen: Erstens, Venezuelas Präsident Hugo Chavez, der die neoliberale Politik und die Dominanz der USA verurteilte, zweitens, Brasilien und Argentinien kamen zu dem Fazit, dass die FTAA nicht in ihrem nationalen Interesse läge, drittens schwoll die Opposition der Sozialbewegungen in der Region massiv an. Diese Entwicklungen beschränkten sich keineswegs auf das Treffen in Mar del Plata. Selbst heute ist die dreifache Interaktion – zwischen radikalen Regierungen, gemäßigten Regierungen und Sozialbewegungen – zu erkennen. Sie drängt die Politik nach Links – denn selbst die moderaten Regierungen Lateinamerikas können es sich nicht leisten, ihre Sozialbewegungen zu ignorieren – Sozialbewegungen, die inspiriert sind durch die Entwicklungen in Bolivien, Ecuador und Venezuela. Die politische Elite Lateinamerikas kann es sich nicht länger erlauben, als Verbündete der USA und der EU dazustehen. Ihre eigenen Sozialbewegungen – die darum kämpfen, fünfhundertjährige Vorherrschaften abzuschütteln -, verlangen von ihren Regierungen, das Band mit den Imperialisten zu zerschneiden, wollen sie nicht selber abgehalftert werden.

Alternative Pole

Seit die FTAA zu Grabe getragen wurde, findet sich in Lateinamerika kaum noch Begeisterung für den Freihandel. Dagegen werden alternative Formen der regionalen Kooperation entworfen – gründend auf der grundsätzlichen Ablehnung der neoliberalen Politik.

Die ‘Bolivarische Alternative für die Länder Amerikas’ (ALBA) kam auf Vorschlag der Regierung Venezuelas zustande. ALBA ist eine Vision: Kooperation und Integration der Staaten Lateinamerikas – auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Zugrunde liegt ein Ansatz, der im Gegensatz steht zu den Prinzipien des Neoliberalismus.

Simon Bolivar, auf den die “bolivarischen” Prinzipien zurückgeführt werden, gilt in Lateinamerika als Symbol der Unabhängigkeit. Die Prinzipien gründen auf Kooperation, aber auch nationaler Souveränität, auf Transfer und Neuverteilung von Ressourcen; Kleinbauern, Kooperativen, Familien und produzierende Kleinunternehmen sollen gefördert werden. Ein Beispiel hierfür ist das ‘Volkshandelsabkommen’ (TCP) zwischen Kuba und Venezuela, das im Dezember 2004 geschlossen wurde. Der Vertrag sollte den Austausch von Öl gegen medizinische Versorgung zwischen beiden Staaten erleichtern: Venezuela lieferte circa 96 000 Barrel pro Tag an verbilligtem, staatlichem Öl nach Kuba, im Gegenzug schickte Kuba 20 000 Mitarbeiter seines staatlichen Gesundheitswesens und Tausende Lehrer in die Slums von Venezuela.

Auch Bolivien ist heute Mitglied der ALBA . Am 29. April 2006 unterzeichnete der bolivianische Präsident Evo Morales ein TCP-Abkommen – wenige Tage später verkündete er, er wolle Boliviens enorme Gasreserven verstaatlichen. Auch Nicaraguas frischgewählter Präsident Daniel Ortega trat im Januar 2007 der ALBA bei. Damit verbunden war ein Schuldenerlass vonseiten Venezuelas in Höhe von $31 Millionen. Mitte Februar traten drei karibische Staaten der ALBA bei: Saint Vincent, die Inselgrupe der Grenadinen und Dominica.

Orginalartikel: THE G8: NOT THE ONLY SHOW IN TOWN

Übersetzt von: Andrea Noll

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