2007-08-08
Der unter Terrorismusverdacht stehende Soziologe soll zum Thema Wohnungspolitik sprechen. Sein Institutsleiter Hartmut Häußermann spricht unterdessen von einem "unglaublichen Konstrukt". VON UWE RADA
Die Festnahme des Stadtsoziologen Andrej H. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beschäftigt auch die Parteien im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann, der die Beschuldigungen bereits als nicht haltbar kritisiert hatte, kündigte gegenüber der taz an, Andrej H. auf die Fraktionsklausur zum Thema Wohnungspolitik einzuladen. "Das Einladungsschreiben an H. sowie ein Schreiben an die Bundesanwaltschaft gehen heute raus", so Ratzmann am Dienstag.
Als Grund für die Einladung nannte Ratzmann H.s Forschungsprojekt zur Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände an der Humboldt-Universität. "Das ist ein wichtiges Thema unserer Klausurtagung", sagte der grüne Fraktionsvorsitzende. Die Klausur findet am 30. August und am 1. September statt. Ratzmann geht davon aus, "dass der Haftbefehl bis zu diesem Datum wieder aufgehoben ist".
Wie berichtet beschuldigt die Bundesanwaltschaft H. der Mitgliedschaft der "militanten gruppe" (mg). Indizien dafür seien eine Ähnlichkeit von Texten von H. und Bekennerschreiben der mg sowie zwei angeblich konspirative Treffen mit Florian L. L. war letzte Woche zusammen mit zwei anderen Berlinern bei einem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehrautos in Brandenburg (Havel) festgenommen worden. Die drei wurden ebenfalls wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach Paragraf 129 a festgenommen.
Auch für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus sind die Vorwürfe gegen H. "grotesk" und "in höchstem Maße spekulativ". "Wissenschaftliche Texte () sowie zwei angeblich konspirative Treffen werden in abenteuerlicher Weise zu Verdachtsmomenten hochstilisiert, mit denen der Tatvorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung begründet wird", sagt Fraktionschefin Carola Bluhm. "Jahrelange Misserfolge bei den Ermittlungen", so Bluhm, "setzen offenbar rechtstaatliche Grundsätze außer Kraft." Dies bestätige die Linkspartei in ihrer Forderung nach Abschaffung des Paragrafen 129 a.
Unterdessen hat sich nach seiner Rückkehr von einem Auslandsaufenthalt auch H.s Institutsleiter Hartmut Häußermann zu Wort gemeldet. "Das ist völlig absurd", sagte Häußermann. "Wie kann man Leute, die lesen und schreiben können, verdächtigen, Terroristen in die Hände zu arbeiten?" Häußermann, der an der Humboldt-Universität ebenfalls zu "Gentrification", der Aufwertung von Wohnquartieren, arbeitet, sprach von einem "unglaublichen Konstrukt": "Wenn das Schule macht, muss sich jeder Wissenschaftler bedroht fühlen."
Die Anwältin von H. verlangt eine Überprüfung des Haftbefehls. Spätestens in zwei Wochen muss der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof den Haftbefehl bestätigen oder aufheben.
[http://www.taz.de/index.php?id=berlin-aktuell&art=2855&id=820&cHash=4eea87dbc8]