2007-07-24
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Reddelich. Alles fing vor mehr als zwei Jahren an, als Heiligendamm zum Konferenzzentrum der deutschen G8-Präsidentschaft 2007 ernannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt dachte in Reddelich wohl noch niemand an die konkreten Auswirkungen dieser Entscheidung. Erst im Herbst 2006 wurde das Großereignis in unserer Region medienwirksam thematisiert. Nach und nach wurde klar, dass der Gipfel nicht nur Staats- und Regierungschefs nach Heiligendamm lotsen würde, sondern auch Polizei, Bundeswehr
und Gipfelgegner vorbeischauen würden. Mittlerweile sind die schon alle wieder verschwunden und in Heiligendamm, Bad Doberan und Reddelich geht alles wieder
seinen gewohnten, beschaulichen Gang.
Doch für mehr als eine Woche lebten die Bürger nicht nur in Reddelich in einer Art “Ausnahmezustand”.
Bereits im Februar reisten Botschafter des Protests gegen den G8-Gipfel durch die Region, um potentielle Camp-Standorte für die vielen nachfolgenden Gipfelgegner zu suchen.
Das Gewerbegebiet von Reddelich war so ein potentieller Standort. Anfangs durch die Polizei, in Form der BAO Kavala, noch abgelehnt, entschied sich diese nach Beratungen mit dem Landkreis und dem Amt Bad Doberan-Land am 8. März 2007, ein Camp im Gewerbegebiet von Reddelich zu befürworten. Die Befürwortung des Camp Standortes Reddelich bestätigte ein Sprecher der Polizei auf einer Veranstaltung, an der auch der Bürgermeister von Reddelich, Erhard Rünger, teilnahm. Dieser zeigte sich von der Information überrascht, wusste er doch selbst noch nichts von dieser Entscheidung. Später wird er sagen, höhere Gewalten hätten ihm die Dinge aus der Hand genommen und man hätte ihn nicht gefragt.
Dennoch beschäftigte sich die Gemeindevertretung zu dieser Zeit mit dem Thema Camp in Reddelich. Die Gemeindevertreter ließen es sich nicht nehmen, trotz aller Befürwortungen und höheren Gewalten selbst zu entscheiden, ob sie der Camp AG die leer stehenden Flächen im Gewerbegebiet zur Verfügung stellen. Nach vielen Klärungsgesprächen war man bereit, dem Vorhaben zuzustimmen. Es gab einen Vertrag, der die Gemeinde im Schadensfall absichern würde.
Der Bürgermeister informierte, nachdem der Genehmigungsprozess abgeschlossen war, am 10. Mai die Bürger über das bevorstehende Ereignis. Kurz darauf folgten die Gipfelgegner, die sich im Partyhaus Hackendahl zu erklären versuchten. Bei der “Einwohnerfragezeit” war die Stimmung sehr gereizt. Einerseits verständlich, denn die Angst vor dem Ungewissen war groß. Dennoch, Aussagen wie “Spart euch den Scheiß hier doch einfach und steckt das Geld doch den Niggern in den Arsch!” vor laufender Kamera des ZDF zeigt unser Dorf in der Weltöffentlichkeit nicht von der besten Seite.
Es wurde dann mehr oder weniger sachlich über die Sicherheit im Camp, den Schutz der Anwohner und deren Eigentum, Schadenersatz und vieles mehr diskutiert.
Erklärungsversuche der Camp AG konnten die Dorfbewohner kaum beruhigen, die Skepsis blieb. Erste Annährungen gab es aber doch: Martin Eimer, Bauunternehmer in Reddelich, beschloss spontan, der Camp AG sein Bürogebäude nebst Außen bereich zur Verfügung zu stellen. Auch andere Unternehmer und Anwohner boten im Laufe der nächsten Wochen ihre Hilfe an. Im Camp konnte man später lesen: “Lasst die Unternehmer und Anwohner in Ruhe, das sind nette Leute. Haben uns geholfen!”
Nicht viel später trafen bereits die ersten Trupps der Camp AG ein, um mit dem Aufbau zu beginnen. Neben der Infrastruktur für das Camp entstanden in “Marke, Eigenbau” Bauten wie ein Aussichtsturm, die “VeränderBar” und der Kinderspielplatz. Zur gleichen Zeit konnten die Dorfbewohner weitere Gäste begrüßen: die Polizei! So füllten sich bis Ende Mai die Reihen auf beiden Seiten. Hubschrauber kreisten stündlich über dem Camp und der Gemeinde, Polizeitruppen postierten sich in Nähe zur Campeinfahrt und auf dem Bahnhofplatz. Aber trotz der räumlichen Nähe mochten sie sich nicht, so war das Camp nach dem “Tag der offenen Tür” für die Polizei tabu. Nicht anders erging es der Presse, sie musste sich anmelden und wurde auf ihrem Rundgang begleitet. Nur die Dorfbewohner hatten freien Zugang zum Camp und nutzten diese Gelegenheit, um sich mit den “NeuReddelichern auf Zeit” vertraut zu machen. Die Skepsis der ersten Tage schien verflogen. Immer wieder traf man nun Einheimische im Camp an.
Einer der täglich im Camp vorbeischaute, war der Bürgermeister. Barfuß ließ er sich das eine oder andere Mal durch die Barrios, so nannten die Camper ihre Zeltstätte, führen.
Am 2. Juni stand dann die Großdemonstration in Rostock auf dem Plan. Es kam zu Krawallen. Von den Krawallmachern sollen auch einige im Camp Reddelich ihr Quartier bezogen haben. Zu dieser Zeit mag die Skepsis der Bürger wieder zurückgekehrt sein.
Dennoch strömten weiterhin Anwohner ins Camp, nachmittags ein Spaziergang und abends vielleicht auf ein Bier an einer der vielen Stände. “Revolution am Ostseestrand, wir grillen für den Widerstand”, stand auf der Angebotstafel der Hackendahls. Axel Hackendahl, der noch im Vorfeld des Großereignisses seine Bedenken hatte, unterstützte später sogar die Camper. “Fleischfressern” unter den Campern bot er eine Alternative zur sonst rein vegetarischen Kost im Camp. Dafür fanden wiederum Anwohner den Weg zu den Volksküchen der Camper. Der Speiseplan wechselte hier spontan: Rote Bete mit Erdnussbutter, Grießsuppe mit Rosinen, Kartoffelpfanne mit Kohl und Kichererbsen.
Von Montag bis Mittwoch gaben zusätzlich Bands aus der linken Szene ihr Stelldichein auf dem Open-Air Konzertplatz gegenüber dem Camp. Spannend wurde es dann erst wieder am Mittwoch, dem ersten Gipfeltag. Die Gipfelgegner versuchten, sich einen Weg durch die Polizeimassen hin zum Zaun zu schlagen. Schätzungsweise bis zu 8.000 Menschen machten sich durch den Hinterausgang des Gewerbegebiets in Richtung B105 auf den Weg. Der Tross marschierte in Richtung Bad Doberan. An der Abzweigung Brodhagen wartete dann Polizei. Deren Versuch, die Demonstranten auf ihrem Weg zu behindern, misslang. Die Gegner des Gipfels liefen zu Tausenden durch die Wälder in Richtung Brodhagen. Am Rande des Waldes angekommen, schlugen sie einen rechten Haken und marschierten geradewegs auf den Zaun zu. Erst durch den Raps, dann durch die Wiesen und am Ende durch den Hafer. Die Polizei hielt man sich mit unzähligen “Bio-Barrikaden” aus Baumstämmen, Sträuchern und Pflanzenöl auf Distanz. Am Ende waren die Wanderer am Ziel ihres Protests angelangt, dem Zaun. Der Mittwoch blieb in Reddelich soweit friedlich. Man hoffte weiterhin auf einen ruhigen Gipfelverlauf. Doch für einige Anwohner im Dorf zerschlug sich diese Hoffnung schon um 4:00 Uhr morgens. Ein Trupp vermummter Autonomer wütete in der Gemeinde, hier vor allem in der Dorf und Steffenshäger Straße. Ziel schien es zu sein, Straßensperren zu errichten. Dafür bedienten sich die Autonomen u.a. der Mülltonnen der Anwohner der Steffenshäger Straße auf Höhe Heiriet. Nach einem Knall brannten diese. Anwohner verständigten die Polizei, die am Donnerstag zwar massive Kräfte nach Reddelich schickte, dem Spektakel aber wieder einmal nur zusah. Doch dieser erste Zwischenfall in
Reddelich sollte auch der letzte sein, Freitag war der Gipfel vorbei und die Camper reisten ab. Zum Abschied hinterließen viele Camper ihre Grüße. “Danke und Tschüss!” stand an der Bushaltestelle vor dem Bahnhof geschrieben. Nur das Aufräumkommando der Camp AG verweilte noch eine weitere Woche im Dorf, um alles so zu hinterlassen, wie man es vorgefunden hatte. Zum Abschluss gab dann der Bürgermeister sein OK und damit verabschiedete sich auch der letzte Gast aus Reddelich.
Michael Reincke
G8 Camp in Reddelich – Eindrücke
Einige Gedanken vor dem Treffen
G8- Treffen, das heißt für den Normalverbraucher, übersetzt aus dem “Politikchinesisch”: es versammeln sich die acht Staatsoberhäupter von Ländern, die sich für die mächtigsten dieser Welt halten, zu einem regelmäßigen Treffen. Im Juni 2007 ist Deutschland an der Reihe und der Veranstaltungsort ist Heiligendamm. Als das im Vorjahr verkündet wurde, haben wir es zunächst einmal zur Kenntnis genommen.
Wer bei nüchterner Betrachtung die Lage von Heiligendamm beachtet, erkennt einfache Gründe für die Auswahl: Nobelhotel, Umgehungsstraße, leichte Absperrmöglichkeit, strategisch günstige Lage. Diskussionen über Heiligendamm werden leiser, wenn man darauf verweist, dass dort vor über 200 Jahren ein Badeort für den Großherzog und nicht für Gewerkschaftsmitglieder und Aktivisten des Arbeiter- und Bauernstaates begründet wurde.
Im Spätherbst 2006 kam dann einiges auf uns zu. Da wurde diskutiert über die Sicherheitskosten und verschwendetes Geld. Dass der Zaun schon verkauft war, bevor er aufgebaut wurde, wird kaum erwähnt. Wer spricht über Milliardensubventionen für Steinkohle und Zuckerrüben. Wer erwähnt auch nur ganz leise, dass jeder Bundeswehrsoldat im Ausland pro Tag minimal 100 € ,Auslöse" erhält, das macht für das Jahr 2007 nur für den Afghanistaneinsatz etwa eine Milliarde Euro.
Und dann Reddelich! Erst waren wir im Bereich der Sicherheitszone, plötzlich Gastgeber für das Basiscamp der G8Gegner. Wir waren gespannt, wir wollten würdige Gastgeber sein. Für wen soll man denn nun Partei ergreifen? Ein privater Test am Tag der offenen Tür – 15 junge Leute wurden einzeln im Gespräch gefragt: “Gehörst Du zu Attac?” Antwort von allen: “Ja”. Nächste Frage: “Was bedeutet Attac?” Vier wussten es nicht genau und elf deuteten es mit Attacke oder Angriff. Niemand wusste, dass es die Abkürzung für den französischen Namen einer Organisation ist, die sich ursprünglich sinngemäß für den Schulden- und Zinserlass armer Länder einsetzte (Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger – 1998).
Da tun sich Fragen und Befürchtungen auf! Es ist wohl doch zwingend notwendig für jeden Menschen, eine solide Basis an politischem Grundwissen zu besitzen! Ist es besser, dass sich die Mächtigen dieser Welt treffen oder sollen sie lieber ihre jungen Menschen aufeinander losschicken und für “Volk und Vaterland” heldenhaft sterben lassen? Wogegen sind denn die G8Gegner überhaupt? Da sagt ein Mitorganisator in laufende Kameras (Nachrichtensender N 24): “Wir sind überhaupt nur gegen den ganzen Scheiß!”
In Leipzig wurden im März vor dem Schulhof Gymnasiasten angesprochen (zufällig auch einer, der seine Ferien oft in Reddelich verbringt), ob sie mitwollen zum “Bullen aufklatschen und Fischköppen Manieren beibringen”, mit 5 € sollen alle Kosten abgedeckt sein! Wer bezahlt eigentlich Berufs-Chaoten ihren Lebensunterhalt und ihre Ausflüge? Wofür sind diese Menschen denn? Welchen aktiven, persönlichen, konstruktiven Beitrag leisten sie im täglichen Leben? Wie wird Reddelich nach dem Treffen aussehen? Der Aufbau des Camps und das Erscheinungsbild der Erbauer hat doch schon ein unterschiedliches Distanzverhalten der Reddelicher ausgelöst.
Von Bernd Lahl Redaktionsmitglied der “Raducle”
Eine aufregende Woche
Unser Ortsname war während des G8Gipfels weltweit in aller Munde und zahlreich in den Medien vertreten. Die Befürwortung der Errichtung des Gegnercamps in unserem Gewerbegebiet war eine Entscheidung, bei der wohl jeder Gemeindevertreter aber auch die Anwohner Bedenken hatten. Geht alles gut ab, sind Bürger und Häuser geschützt vor Angriffen oder Beschädigungen? Komme ich noch zur Arbeit, sind die Straßen gesperrt, werde ich kontrolliert? Aber am Tag der offenen Tür und auch später merkte man, dass auch die Reddelicher bereit waren, mit den Campern freundschaftlich umzugehen. In den Verhandlungen merkte man bereits, dass die Organisatoren des Camps gute Absichten hatten. Es wurde ein Vertrag abgeschlossen und eine Kaution hinterlegt. Es reisten stündlich hunderte Leute mit der Bahn an. Zum Glück lief bis auf einige Zwischenfälle alles gut für uns und unser Dorf ab. Nach den Ausschreitungen während der Demonstration in Rostock hatte ich doch einige gemischte Gefühle, was noch so bei uns passieren kann. Die Gewalttätigen des schwarzen Blockes kann ich nicht akzeptieren. Die Gegner hatten weiterhin die Absicht neben ihren zahlreichen Veranstaltungen und Demonstrationen in Rostock an den Zaun in die Nähe von Heiligendamm zu kommen, um dort ihre Blockaden zu errichten. Sie möchten nicht ihre Gastgeber verärgern, was sie uns immer wieder bei den Besuchen im Camp versprachen. Im Camp waren Reddelicher Bürger immer willkommen. Selbst am Stand der Fleischerei Hackendahl war an den Abenden ein reges Treiben und die Musikkonzerte wurden auch von anderen Bürgern aus der Umgebung besucht. Im Camp war wirklich ein friedvolles, buntes Leben angesagt, was gut organisiert wurde. Es reisten sogar Familien mit ihren Kindern an, einige aus der ganzen Welt. So etwa aus England, Spanien, Holland, Italien, Frankreich und aus einigen osteuropäischen Ländern. Ich habe die Film- und Presseberichte während der Tage genau verfolgt und bin der Meinung, dass die Menschen enormen Mut bewiesen haben, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Gerieten sie doch so oft in Konflikt mit den Beamten der Polizei. Dass einige Felder zerstört wurden bei den Aktionen, ist für die Bauern nicht akzeptabel. Sie müssen dementsprechend entschädigt werden. Die Gegner begründeten es aber, dass es keinen anderen Weg gab, um an den Zaun zu kommen und ihre Blockade zu errichten. Das Großereignis liegt nun hinter uns und die Versprechen der Camp AG, das Gelände im Gewerbegebiet aufgeräumt zu hinterlassen, wurden eingehalten.
Von Petra Reincke Gemeindevertreterin
Das war der Gipfel
Immer noch schallt es aus dem Camp zu uns auf die Terrasse und ins Schlafzimmer herüber und wir brauchen noch immer keine eigene Musik. Lediglich der Abbau vieler Zelte lässt uns aufatmen, es ist bald vorbei. Wir werden wieder allein sein, ohne Camper, ohne Polizei, ohne Hubschrauberlärm, ohne Sorge um unser Eigentum und Angst vor dem Ungewissen. Und froh sind wir allemal, das alles verhältnismäßig friedlich und ohne große Schäden in unserer Gemeinde ausgegangen ist.
Zugegeben, ein paar aufregende Tage liegen hinter uns. Diese Stimmung teile ich mit den meisten unserer Nachbarn im unteren Teil der Dorfstraße. Tage voller emotionaler Spannung, Tage, in denen mehr als sonst alle Nachrichtensendungen aufgenommen wurden, Tage, an denen wir immer wieder untereinander im Gespräch waren, Tage, in denen wir offensichtlich unser schönes Zuhause mit sehr vielen anderen interessanten Menschen teilten.
Innere Unruhe und Neugier führten meinen Mann und mich recht regelmäßig zu den Bewohnern des Camps. Immer trafen wir Einwohner aus Reddelich, denen es wohl so wie uns ging. Wir freuten uns über jedes Detail, das im Camp in der Vorbereitungsphase entstand. Als wir, Monika Eimer, Simone Krause, Peter Höfer und ich die Erfahrung mit dem selbstgebauten Karussell machten, waren wir total begeistert. Schnell wurde klar, das Camp wird mit Umsicht und viel Liebe aufgebaut. An vieles ist gedacht.
Als das Camp zahlenmäßig anwuchs, nahmen wir ein buntes Bild mit internationalem und multikulturellem Flair in uns auf. Wer sind nur die jungen Menschen, die aus aller Welt zu uns kommen? Nach und nach ergaben sich bei unseren Besuchen im Camp auch Gespräche mit den Gipfelgegnern. Da waren die Studenten, die für eine bessere Welt anreisten und selbst auf der Suche nach ihrer eigenen Perspektive sind und nicht genau wissen, wie lang die Suche noch dauern wird. Wir trafen auf einen jungen Mann, der seine mit Pfefferspray durchtränkte Wäsche in einen Waschsalon bringen wollte und auf die Polizei fluchte und nicht zuletzt auf ein junges Mädchen aus Bochum, das gern bei uns übernachten wollte. Sie hatte Panik und Angst im Camp zu bleiben. Das passierte uns am Donnerstagabend, an dem die Stimmung im Camp zu kippen drohte. Wir spürten Ängste. Da war die Angst davor, dass das Camp von dem schwarzen Block angegriffen werden könnte oder die Polizei das Camp umstellt.
Wir haben eine interessante Zeit erlebt, sind angeregt durch viele Gespräche, Erlebnisse und unsere Beobachtungen. Die meisten Gipfelgegner sind mit wirklich friedlichen Absichten und mit vielen kreativen Einfällen zu den Demos angereist. Das Camp war gut organisiert. Camper schätzten ein, es hat an nichts gefehlt, die sanitären Einrichtungen, die kulturelle Unterhaltung, die Informationssicherung, die Versorgungsleistungen, die Arbeit der Tagesmuttis und selbst eine Aufladestation für Handys standen bereit. Das Organisationsmanagement hat von Anfang bis Ende perfekt funktioniert.
Die Gastfreundschaft der Bewohner der Gemeinde und der gesamten Region wurde gewürdigt. Das kann sich schon sehen lassen. Damit ist klar, die Entscheidung der Gemeindevertreter zur Durchführung dieses Camp’s in Reddelich hat sich positiv ausgezahlt. Wir alle gehen als tolle Gastgeber in die Geschichte ein.
Besonderen Anteil daran hat durch die unmittelbare Zusammenarbeit mit den Campern die Fa. Hackendahl. Ihnen und ihren Mitstreitern möchten wir auf diesem Wege besonders danken.
Uns ist aufgefallen, dass das Leben im Camp ganz unproblematisch, quasi wie von selbst funktionierte. Jeder hat sein Plätzchen gefunden, das Gespräch oder die Ruhe gesucht, mitgemacht oder sich verwöhnen lassen, alles ohne Druck und Zwang. Genau das war es auch, was ich mitgenommen habe aus den Begegnungen und was mich nicht zur Ruhe kommen lässt..
Die Gipfelgegner artikulieren sich für eine bessere, gerechtere Welt. Soweit findet das auch meine Zustimmung. Aber die Wege dahin, die sie beschreiben, scheinen verschwommen und unrealistisch, zumindest aus meinem Blickwinkel. Die vorrangig jungen Menschen, die wir im Camp gesprochen haben, lehnen Regeln, Druck, Zeitraster, eigene Anstrengungen, Übernahme von Verantwortung und Entbehrungen für die Erreichung ihres definierten anspruchsvollen Zieles ab. Das soll die Politik, die Regierung leisten.
Und noch ein Wort über den Einsatz der aus meiner Sicht “ausgeschlafenen” Polizisten. Das war in jüngster Vergangenheit kein einfacher Job. Danke für ihre Besonnenheit und ihre Präsenz in Reddelich. Auch wenn es dieser Tage vielfach andere Einschätzungen gibt, die im Einsatz gewesenen Polizistinnen und Polizisten, liebe Reddelicher, die auch unsere Kinder sein könnten, haben Großes vollbracht und sind oft bis an ihre psychischen und physischen Leistungsgrenzen gegangen. An sie alle geht mein Dank und meine Anerkennung.
Sicher gibt es neben meinen, andere Gedanken und Erfahrungen zum Gipfel. Die Redaktion würde sich über Ihre Meinung sehr freuen. Wir rufen sie auf, mit uns in Diskussion zu gehen. Schreiben Sie auf, was sie erlebt haben und hinterlegen sie ihre Gedanken bei den Mitarbeitern der Raducle. Wir suchen dann nach einer geeigneten Möglichkeit der Veröffentlichung.
Von Bärbel Höfer
Ltd. Redakteurin der “Raducle”
G8 in Reddelich
Schon mehrere Wochen vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm waren die Anwohner von vielen Polizisten, aber auch Organisatoren der Camp AG umgeben. Durch die Presse und Polizei waren viele Bürger besorgt, da auch in Reddelich ein Demonstranten-Camp eingerichtet werden sollte. Was wird wohl passieren? Wird unser Dorf verwüstet werden?
Die Einwohnerversammlung am 15.05. ließ die meisten jedoch aufatmen. “So schlimm wird es schon nicht werden, es sind ja auch nur Menschen”, hörte man dort. Ihre Menschlichkeit haben die Demonstranten dann auch unter Beweis gestellt. Sie haben ihren Kindern einen Spielplatz gebaut. Auch ein ‘Tag des offenen Camps’ fand statt. Viele Anwohner waren sogar recht begeistert über das, was die G8-Gegner sich dort aus den einfachsten Materialien gebaut haben. Natürlich darf auch ein darf auch ein Aussichtsturm nicht fehlen, um zu gucken, ob die Polizei im Anmarsch ist. Diese hatte sich schon vorher im Dorf aufgestellt. Auch das ZDF war vor Ort, jedenfalls solange bis sie mit Farbbeuteln beworfen wurden. Später entschuldigte sich die Camp Organisation für den “Farbanschlag” einzelner Aktivisten. Die Dorfbewohner schienen sich in dem Camp recht wohl zu fühlen, da man an den Abenden immer auch Anwohner im Camp und besonders an den Bierständen gesehen hat. Dann irgendwann wurde das Camp immer voller, Leute aus aller Welt kamen hier bei uns zusammen und fanden sich im Feministen-Camp, Anti-Sexisten-Camp oder in anderen Gruppierungen wieder. Sogar ein großes Zirkuszelt bauten sie auf und versammelten sich dort, um selbst zu debattieren. Dann war da noch die Großdemo in Rostock, wo es zu Krawallen kam. In den Medien wurden natürlich nur die allerschlimmsten Bilder gezeigt, aber so extrem war es wirklich nicht. Wie immer gab es ein paar Autonome, die mit Steinen und Flaschen nach der Polizei werfen mussten, der Großteil jedoch hat friedlich demonstriert. Umso schlimmer, dass sogar Zivilpolizisten unter den Demonstranten waren, dies bestätigte sogar die Polizei. Einigen Zeugen zufolge sollen diese sogar versucht haben, andere Demonstranten anzustiften Steine zu werfen. Die entsprechenden schwarzen Klamotten dafür trugen sie auf jeden Fall schon. Außerdem hat die Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas auch auf viele friedliche Demonstranten gezielt, auch auf Kinder. Der Wasserstrahl ist wirklich unangenehm, ich konnte es vor Ort selber spüren. Auch wenn die Polizei sicher keinen leichten Job hatte, muss man ihr Vorgehen dennoch kritisieren dürfen, zu viele Fehler sind da passiert. Einige Überreaktionen musste ich sogar selbst erleben. Ständige Ganzkörperkontrollen nerven schon, wenn man dabei kaum noch als Mensch behandelt wird. Immer wieder wurde man von Beamten kontrolliert und aufgehalten. Einmal saß ich mit Freunden in Bad Doberan einfach nur so auf der Wiese und wir haben uns unterhalten, keine Demo oder Blockade. Da kamen sie von hinten und haben einen von uns gewürgt, eine andere haben sie brutal zur Seite gezogen, auf den Nächsten sind sie sogar zu acht losgegangen. Wir haben wohl die falschen Klamotten getragen, um durch das Raster zu fallen, wie die meisten Anwohner es geschafft haben. Und ich möchte zu Bedenken geben, dass wir ganz normale Anwohner sind. Nachdem wir also die Berliner Prügeltruppe losgeworden sind, wollten wir an der Blockade bei der Rennbahn vorbeischauen. Aber wie erwartet, haben sie uns mal wieder den Weg versperrt. Deswegen sind wir durch den Wald und über eine Wiese, es war mittlerweile schon dunkel. Auf einmal suchten sie uns mit Scheinwerfern und Hubschraubern, später auch mit Wärmebildkameras. Dabei hatten wir doch gar nichts verbrochen, nicht einmal über ein Feld sind wir gegangen. Als wir dann von Weitem auch noch die Suchhunde hörten, dachten wir, gleich ist es aus. Geradeso erreichten wir die Blockade, in der Menge war man sicher. Die Demonstranten waren sowohl unterwegs als auch im Camp größtenteils nett. Viele waren sehr von den Anwohnern und deren Hilfsbereitschaft begeistert und wollen auf jeden Fall noch mal zum Urlaub wiederkommen. Die G8-Politiker haben nebenbei gesagt auch nicht viel erreicht: Tag 1: Essen gehen. Tag 2: Gespräche führen, Interviews geben, in die Kameras lächeln. Tag 3: Die Armen 8 und die Schwellenländer vertrösten, hier gab es keine neuen Hilfen. Perfekte Show. Mehr aber nicht. Es ist halt alles beim Alten geblieben.
Von Sandra Heinze, Redaktionsmitglied der Raducle
Brief an die Redaktion (Auszug):
Mein Name ist Wolfgang Lau, ich bin 73 Jahre alt und wohne in Hamburg. Da ich bereits seit meinem 17. Lebensjahr bemüht bin, mich global für Frieden, Demokratie, Schutz der Umwelt sowie soziale Gerechtigkeit einzusetzen, wollte ich gemäß, meiner Einstellung auch bei den Anti-G8-Aktivitäten dabei sein. Und das, um gemeinsam mit Gleichgesinnten den G8-Repräsentanten das Recht abzusprechen, als Vertreter von 13% der Weltbevölkerung Verabredungen für die gesamte Menschheit zu treffen. Zumal diese Verabredungen nicht weltweit die Kriegsgefahr vermindern, den Hunger der Menschheit beseitigen sowie die Klimakatastrophe verhindern.
Nachdem ich bereits am Samstag zur Großdemonstration in Rostock war, kam ich nun am Dienstag erneut in die Region. Ich kam mit meiner “Ente” nach 2 1/2 Stunden Fahrt gegen 18:00 Uhr wohlbehalten in Reddelich an. Ein Freund von mir, aus Gera (Thüringen), hatte für mich ein Privatquartier auf Solidaritätsebene besorgt. Und so landete ich bei Anna-Barbara Timm, wurde mit einer Friedensfahne am Eingang ihres Hauses, an der F 105 neben dem Motorradladen, empfangen, bezog ein schönes Zimmer, erhielt einen Haustürschlüssel, konnte mich’" im Haus frei bewegen und wurde am nächsten Morgen gefragt, ob ich Tee oder Kaffee zum Frühstück möchte!
Diese Solidarität sowie dieses Vertrauen einem wildfremden Demonstranten gegenüber haben mich tief beeindruckt. Denn wir hatten uns vorher doch noch nie gesehen! Ich lernte auch einen Teil ihrer Familie sowie ihres Freundeskreises kennen, mit dem ich ebenfalls in einen guten Kontakt kam. An dieser Stelle herzliche Grüße und nochmals vielen Dank für die tolle Unterstützung. Im Dorf traf ich freundliche Menschen, die ich zum Teil in “Camp-Reddelich” wieder sah.
Hier hielten sich ca. 6.000, überwiegend junge Menschen auf, diskutierten in den verschiedensten Sprachen, hörten Musik und ließen sich die vielen Köstlichkeiten schmecken, die von den drei “Volksküchen” zubereitet wurden. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ist immer wieder faszinierend. Alles per “Du”, egal wie alt und woher, einig im Ziel, eine bessere Welt zu installieren nach dem Motto: “Eine bessere Welt ist möglich!” Das gibt Stimmung, die dann vielleicht noch durch ein kühles Rostocker gesteigert wurde.
Ich blieb bis Sonntag, nahm an den verschiedensten Aktionen teil und fuhr überglücklich nach Hause, da die AntiG8-Großaktion dann doch so friedlich und erfolgreich verlaufen ist.
Machen wir weiter so und bündeln uns noch internationaler und zahlreicher. So lässt sich u.a. der Prozess stoppen, dass reich immer reicher und arm "immer ärmer wird. Zum Schluss noch eine Bemerkung: Ich bin stolz auf die vielen Jugendlichen, die in der menschlichpolitischen Bewegung nachgewachsen sind und sich so mutig, wie z.B. bei den zahlreichen Blockaden, engagiert haben.
Mit freundlichen Grüßen
G8-Camp in Reddelich – Ein Interview
…mit Henry Gärtner aus Reddelich:
Vom dem Camp habe ich als erstes über die Medien erfahren. Später dann auch über Gespräche im Dorf, denn anfangs habe ich das Camp nur für ein Gerücht gehalten.
Ich hatte zuerst keine genauen
Vorstellungen, dann habe ich mich aber auf der Internetseite von Attac über die Gipfelkritiker informiert.
Ich hatte schon Befürchtungen, dass es zu Vandalismus und Gewaltausschreitungen kommen könnte. Vor allem nach den vorausgegangenen Demonstrationen z.B. in Hamburg. Und natürlich hat man auch gewisse Ängste vor Terroranschlägen gegen den G8-Gipfel.
Die Aktionen der Demoveranstalter im Vorfeld des Gipfels habe ich als sehr positiv empfunden, denn mit Hilfe von Flugblättern, persönlichen Gesprächen und der Infoveranstaltung haben sie versucht, Ängste zu nehmen, die Bürger mit einzubinden und ihre Ziele und Hintergründe deutlich zu machen.
In diesem Punkt dachte ich, dass die Gemeinde keine Entscheidungsgewalt gehabt hätte. Im Nachhinein denke ich, dass es die richtige Entscheidung war, die “Flucht nach vorne” zu ergreifen und mit den Campbetreibern zu kooperieren.
Ja, ich war mehrmals in dem Camp und war auch zwei Abende bei den Konzertveranstaltungen in Reddelich.
Nein, eher wenig.
Auf mich machten die Leute einen organisierten und demonstrationserfahrenen Eindruck. Erstaunt war ich auch über die Internationalität und den Zusammenhalt unter den Leuten. Wie viel Biss muss man haben, um Strapazen wie den Medienrummel, die Polizeiüberwachung und die Witterungsbedingungen eine Woche lang auf sich zu nehmen? Dennoch hatte ich das Gefühl, dass auch hier in Reddelich Gewaltpotenzial vorhanden war. Aber die Masse machte einen friedlichen und aufgeschlossenen Eindruck.
Natürlich sind die Themen des Gipfels wichtig und die Gespräche zwischen den G8 müssen stattfinden, um Probleme, wie den KlimawandeI, zu lösen. Allerdings bleibt für die Zukunft zu überlegen, ob diese Treffen dann noch über 100 Mio. € kosten müssen. In meinen Augen ist der Protest der Kritiker gerechtfertigt.
Ich glaube, die Polizei hat in solchen Angelegenheiten einen nicht beneidenswerten Job. Vielleicht hätte sich sogar manch ein Beamter auf die Seite der Kritiker gestellt, aber musste stattdessen die Macht des Staates demonstrieren und dafür seine Gesundheit riskieren.
Und egal wie die Polizei handelt, ob mit Gewalt, Präsenz oder Zurückhaltung. durch die Medien wird ihre Arbeit in jedem Fall kritisiert.
Meine Mutter hat die Woche über in Bad Doberan “gecampt”, um auf dem Weg zur Arbeit dem Verkehrsstau aus dem
Wege zu gehen. Sie kam bei ihrer Arbeit in der Apotheke mit vielen jungen Leuten ins Gespräch und bewunderte den Enthusiasmus und die Energie der Jugend. Sie meinte zu mir “Wenn die jungen Leute nicht für ihre Zukunft kämpfen, wer dann?”.
Sie nahm auch die Gelegenheit wahr, im Kamp-Theater den Film “Eine unbequeme Wahrheit” von Al Gore zu sehen. Sie fand den Film sehr gut in die Gipfel-Woche passend und meinte, dass man diesen Dokumentarfilm zum Pflichtstoff für jeden Bürger machen müsse, damit jeder endlich begreife, warum man für den Klimaschutz, gegen die Armut Afrikas und die Ausbeutung der Naturressourcen dieser Erde kämpfen muss.
Das Interview führte Michael Reincke, Redaktionsmitglied der “Raducle”