2001-08-20 

UnterstützerInnengruppe der Berliner Inhaftierten: Redebeitrag zur Situation der in Genua immer noch Inhaftierten

Berlin, den 20.08.01

Die folgenden Informationen haben wir aus Besuchsgesprächen, Briefen und vom Ermittlungsausschuss in Genua.

Alle 15 deutschen Gefangenen und ein Italiener hatten jetzt ihren zweiten Haftprüfungstermin mit dem Ergebnis, dass die Untersuchungshaft weiter andauert. Die Volxtheaterkarawane aus Österreich ist endlich aus der Haft entlassen und abgeschoben worden, ein weiterer Gefangener aus Deutschland ebenfalls.
In Italien sitzen also noch immer 17 Menschen im Gefängnis, 2 Italiener und 15 Deutsche.

Die deutschen Gefangenen sind in verschiedenen Gefängnissen in Italien inhaftiert, im Frauenknast Pontedecimo und im Männerknast Marassi. Die Haftbedingungen sind in den Gefängnissen sehr unterschiedlich.
Aus Pontedecimo wissen wir:
Die 7 Frauen in Pontedecimo sind in 2 Zellen, die gegenüber voneinander liegen, untergebracht. 4 Stunden pro Tag haben sie Hofgang, können täglich duschen und Kleinigkeiten einkaufen.
Frisches Gemüse, Obst und vegane Lebensmittel können nur von Besuch mitgebracht werden. Pro Monat können sie 4 Päckchen empfangen und 6 Stunden besucht werden. Jeweils eine Angehörige kann eine Dauerbesuchserlaubnis beantragen, Besuche von FreundInnen sind abhängig vom Ermessen der Richter. Mit ihren Eltern und engsten Angehörigen können die Gefangenen 10 Minuten pro Woche telefonieren.

In Marassi, wo die 8 anderen Deutschen sitzen, sind die Haftbedingungen sehr viel schlechter. Die Männer dort sitzen zu 9. in einer 20m² großen Zelle. Obwohl ihnen laut Gefängnisordnung eine Stunde Hofgang pro Tag zusteht, haben sie oft nur alle zwei Tage ca. 20 Minuten Hofgang, den sie isoliert von den anderen Gefangenen verbringen müssen. Ebenso das Duschen: Von den ihnen zustehenden 2 Minuten Duschzeit pro Tag bleiben oft nur ca. 10 Sekunden.

Die Gefangenen haben einen Indizienprozess zu erwarten, es besteht also die Möglichkeit, sie aufgrund von Indizien zu verurteilen. Ziel ist die Konstruktion einer Organisation „schwarzer Block“. Der sogenannte „schwarze Block“ wird als „politisch reife, nicht hierarchische, militante Gruppe“ beschrieben, die sich aus autonom agierenden Kleingruppen zusammensetzt.
Um Gesetze aus dem Antiterrorismus- und Mafiabereich gegen den sogenannten „black bloc“ anzuwenden oder neue Gesetze zu dessen Bekämpfung zu erlassen, muss seine Existenz in dieser Form ersteinmal bewiesen werden. Die Gefangenen sollen dafür als Paradebeispiel herhalten. Zum Beispiel befinden sich die 10, die in den Campingmobilen verhaftet wurden, scheinbar deshalb noch in Haft, weil sie als Gruppe unterwegs waren. Einige Einzelpersonen mit zum Teil schwerwiegenderen konkreten Anschuldigungen sind inzwischen wieder frei.
Alle noch Inhaftierten sind erst nach den Protesten in Genua festgenommen worden, zum Teil sogar erst auf der Heimreise.
Hauptbeweismittel sind dunkle Kapuzenpullover, die in den Autos gefunden wurden, sowie diverse Campingausrüstungs- und Autoreparaturwerkzeuge. Aus den Zigarettenfiltern wurde Baumaterial für Molotovcocktails, ein Zierstein vom Strand zu Munition.
Nach diesen Beweisen wäre so ziemlich jede gut ausgerüstete, autofahrende und rauchende Camperin Mitglied des "schwarzen Blocks".
Schließlich ist auch zweifelhaft, ob tatsächlich alle als Beweismittel angeführten Gegenstände aus den durchsuchten Autos stammen. So erzählen einige der Gefangenen, dass sie aus Angst vor weiteren Mißhandlungen mehrere italienische Papiere unterschrieben, unter denen sich auch eine Liste der beschlagnahmten Gegenstände befand. Auch Heidi Lippmann, Bundestagsabgeordnete der PDS, berichtet im "Neuen Deutschland" vom 4./5. August, dass in Genua einigen Gefangenen falsche Beweise zugeschoben wurden. Wieder andere schildern, dass bei ihnen beschlagnahmte Gegenstände bei anderen Gefangenen wieder aufgetaucht sind.

Die Gefangenen bleiben nun nach dem 2. Haftprüfungstermin in Untersuchungshaft. Ab Montag wurden 10 der deutschen Gefangenen einzeln vor den StaatsanwältInnen Canepa und Pellegrini verhört. Die Zwangsanhörungen sollen vorrausichtlich bis Mittwoch dauern, danach teilt die Staatsanwaltschaft den Haftrichtern ihre Überlegungen über die Haftumstände mit. Nach Einschätzungen der italienischen Anwälte entscheiden die Haftrichter am Freitag, ob die Gefangenen weiterhin im Knast bleiben müssen, oder abgeschoben werden. In einem Gespräch mit dem Staatsanwalt Pellegrini hat Heidi Lippmann, Bundestagsabgeordnete der PDS gefordert, die Haft in Hausarrest umzuwandeln. Im schlimmsten Fall allerdings bleiben die Leute bis zum Prozess, der etwa in einem Jahr sein soll, in Untersuchungshaft.
Wenn die italienische Staatsanwaltschaft mit ihrem Konstrukt Erfolg hat, sind für die Leute lange Haftstrafen, möglicherweise sogar bis zu 15 Jahren, zu befürchten.

Die Gefangenen bitten darum, unbedingt den politischen Druck zu erhöhen. Es ist wichtig, dass sich nicht nur die FreundInnen und Angehörigen der Gefangenen betroffen fühlen. Die Leute im Knast sind politische Gefangene und das betrifft uns alle!

An dieser Stelle möchten wir einen Wunsch der Gefangenen aus Pontedecimo aus einem Brief vorlesen:

„Es tut verdammt gut, euch da draussen zu wissen, das hilft uns sehr, manch schweren Moment besser zu verpacken.
Wir wollen nicht, dürfen nicht nach dem Sommerloch wieder vergessen werden.
Bildet breite Bündnisse, springt über eure Schatten und laßt euch nicht spalten! In Italien reicht die Solidaritätsbewegung bis in weite Teile der Gesellschaft hinein, das finden wir sehr wichtig“.

Was können wir tun? Es gibt UnterstützerInnen der Gefangenen, die sich zum Beispiel um AnwältInnen, Päckchen oder die Koordinierung von Besuchen kümmern.
Ausserdem gibt es Gruppen, die die Öffentlichkeit und Interessierte mit Informationen versorgen oder durch Demos und Aktionen auf die Gefangenen aufmerksam machen.
Werdet aktiv, sorgt dafür, dass die Gefangenen nicht vergessen werden, schreibt Artikel und LeserInnenbriefe, verteilt Flugblätter, malt Transpis, helft den Soli-Gruppen mit Übersetzungen, macht Aktionen, Soli-Partys –
lasst die Gefangenen wissen dass sie nicht allein sind!!!

Kämpft für die sofortige Freilassung von Uli, Almi, Alex, Petra, Sven, Henne, Inge, Tine, Mona, Carsten, Michael, Peter, Michael, Victor, Björn und allen anderen!!!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!!!