2007-07-19
Seriöse Presseagenturen haben das Ausmaß der Gewalt falsch wiedergegeben. Das muss Konsequenzen haben, so dju-Vorstandsmitglied MICHAEL BACKMUND.
taz: Herr Backmund, haben die kommerziellen Medien beim G-8-Gipfel versagt?
Michael Backmund: So pauschal würde ich das nicht sagen. Aber es hat sich gezeigt, dass große Medien und Nachrichtenagenturen wie die Deutsche Presse-Agentur dpa eklatante Falschmeldungen produziert und Grundregeln der Recherche missachtet haben. Dagegen haben nichtkommerzielle Medienkollektive und das Legal Team des Republikanischen Anwaltsvereins genau diese Regeln befolgt. Sie haben die Menschen mit gut recherchierten Informationen versorgt, wo etablierte Medien versagt haben. Sie haben ihre Arbeit oft besser gemacht.
Können Sie diese Behauptungen belegen?
Ja. Die Gewerkschaft dju war mit Beobachtern vor Ort und hat selbst recherchiert. Das machen wir bei Großereignissen häufig. Zwei Beispiele: erstens die Falschmeldung über das Zitat des Globalisierungskritikers Walden Bello. Dpa hatte gemeldet, er hätte am Samstag bei seiner Rede gesagt, man solle den Krieg in die Demonstration tragen - das war frei erfunden, hat aber das "Bild" der Demo massiv geprägt.
Auch Journalisten machen Fehler. Die Agentur hat ihren berichtigt.
Aber erst nach drei Tagen. Unabhängige Medienkollektive und Journalisten haben den richtigen Wortlaut der Rede bereits am Sonntag veröffentlicht. Das gilt auch für das zweite Beispiel: Am Samstag war von 433 verletzten Polizisten die Rede, davon mindestens 32 Schwerverletzten. In Wahrheit wurden rund 158 Beamte behandelt, zwei davon stationär, nur einer blieb über Nacht in der Klinik. Also keine Schwerverletzten, die meisten wurden sogar durch ihr eigenes CS-Gas verletzt, dessen Einsatz meiner Ansicht nach innenpolitisch unbedingt verboten werden muss. Viele Medien haben diese falschen Zahlen übernommen, ohne sie zu prüfen und ohne die Quelle anzugeben. Andere gingen von einer Eigenrecherche der Agenturen aus. Sie haben diese Nachrichten übernommen, weil die Agenturen hohe Glaubwürdigkeit genießen.
Dafür hat sich dpa entschuldigt.
Das ändert aber nichts daran, dass weltweit ein Millionenpublikum falsch informiert wurde. Teilweise geistern diese Zahlen noch heute durch Online-Seiten renommierter Medien. Eine Entschuldigung klingt zwar schön, kann aber die globale Desinformation nicht mehr revidieren. Mit dieser Arbeit wären die Agenturprofis in jedem Recherchegrundkurs einer Journalistenschule durchgefallen. Dabei war schnell klar, dass die Zahlen nicht stimmen.
Dpa hat sich darauf verlassen, dass sie von der Polizei richtig informiert wird. So sollte das auch sein, oder?
Richtig, Behörden sind zu wahrhaftigen Auskünften verpflichtet und Medien dazu, sich um wahrheitsgemäße Informationen zu bemühen. An diesem Punkt sollte man über Sanktionen nachdenken. Aber abgesehen davon hätte die Agentur selbst am Ort des Geschehens recherchieren sollen oder zumindest die Polizei als alleinige Quelle ihrer Information angeben müssen.
Sind Journalisten zu staatsgläubig geworden?
Ja, leider zu viele. Nach den Erfahrungen in Heiligendamm muss sich einiges ändern: Medien sollten mit eigenen Journalisten direkt vor Ort sein, um per Augenschein recherchieren zu können. Medienbetriebe müssen die Grundlagen der Recherche, wie das Befragen verschiedener Quellen, regelmäßig reflektieren. Und die Arbeitsbedingungen von Journalisten müssen verbessert werden. Wenn immer weniger immer mehr Nachrichten liefern müssen, führt das automatisch zu fehlerhafter Arbeit.
Sie sprachen von Sanktionen. Wie sollten die Ihrer Meinung nach aussehen?
Bisher gibt es keine wirksamen Sanktionsmechanismen gegen Behörden, die falsch informieren. Darüber sollte man nachdenken. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt. Derzeit werden Medien leider immer mehr als Renditeunternehmen geführt. Deshalb sitzen immer weniger Leute in den Redaktionen. Wenn Nachrichten als Ware betrachtet werden, sollte man konsequenterweise bei eklatanter Desinformation über empfindliche finanzielle Konsequenzen nachdenken. Dann müssten sich die Verleger überlegen, ob es für sie nicht rentabler ist, ihre Leute besser auszubilden und mehr Redakteure einzustellen.
Glauben Sie nicht, dass Wirtschaftsgrößen und Politiker versuchen, kritische Berichte mit solchen Mitteln zu verhindern?
Dazu darf es natürlich nicht kommen. Diese Sanktionen dürfen weder präventiv noch politisch zensierend eingesetzt werden können, sondern nur, wenn gravierende Falschmeldungen publiziert werden. Am liebsten wäre es mir, wenn Medien überhaupt nicht unter Renditegesichtspunkten betrieben werden dürften. So wie man das Menschenrecht auf medizinische Versorgung oder Nahrung und Bildung für alle Menschen einfordern muss, sollte es auch das Recht geben, sich frei von kommerziellen Zwängen zu informieren. Aber solche Ideen fordert die Mehrheit der Gesellschaft noch nicht ein.
MICHAEL BACKMUND ist Mitglied im Vorstand der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) beim Ortsverband München. Er gehört zu einem medienpolitischen Arbeitskreis der Gewerkschaft, der die Berichterstattung und die Falschmeldungen der Medien während des G-8-Gipfels untersuchen wird. Ein Zwischenergebnis der Studie soll im Winter veröffentlicht werden, die gesamte Untersuchung im Frühjahr 2008. Die Studie soll eine Diskussion über die Umstände von journalistischer Berichterstattung anstoßen - zum Beispiel über den Anspruch zu gründlicher Recherche in Zeiten des steten Einsparens in den Redaktionen.