2005-08-26 

Gregor Samsa: Von der Afrika-Kommission zur Autobahnblockade

Stichworte zum G8-Gipfel im schottischen Gleneagles

Gregor Samsa
ak- Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 497 / 19.8.2005

Wohl noch nie dürfte ein G8-Gipfel das Interesse derart vieler und unterschiedlicher Menschen auf sich gezogen haben wie das diesjährige Stelldichein der laut Selbstauskunft acht mächtigsten Staats- und Regierungschefs Anfang Juli im schottischen Gleneagles. Mit von der Partie sind nicht nur die bereits hinlänglich bekannten DarstellerInnen gewesen - als da wären: globalisierungskritische (Grassroot-)AktivistInnen, NGOs und Polizei. Vielmehr hat auch die von der britischen Regierung wohlwollend unterstützte Massenbewegung Make Poverty History eine zentrale Rolle gespielt. Und natürlich die globale Fangemeinde des Pop - im Zuge der acht von Bob Geldof initiierten und weltweit ausgestrahlten Live-8-Konzerte am 2. Juli.

Eine Analyse dieses Gemengelages wird ohne Schwerpunktsetzungen nicht auskommen. Dennoch gilt es, die Gesamtdynamik nicht aus den Augen zu verlieren. Eine sorgfältige Beschäftigung mit den jüngsten Erfahrungen sollte hier zu Lande auch deshalb erfolgen, weil 2007 der G8-Tross im Ostseebad Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) Station machen wird. Zahlreiche Gruppen, Bündnisse und Netzwerke sitzen bereits in den Startlöchern, mehrere Aufrufe zirkulieren - kurzum: Der G8-Widerstand steht vor der Tür! (1)

Die Wurzeln der politischen Dynamik rund um den diesjährigen G8-Gipfel sind tief, sie reichen zurück bis zur Millenniumserklärung der UNO im September 2000. Damals beschloss die UNO-Vollversammlung, dass bis 2015 Armut und Hunger weltweit halbiert, Krankheiten bekämpft, Geschlechter-Gleichheit gefördert, ökologische Nachhaltigkeit verankert etc. werden sollten. Festgehalten wurde dies in acht Haupt- und 18 Teilzielen sowie 48 Indikatoren - den Millennium Development Goals. So sehr diese auch dem herrschenden, mithin kapitalistischen Status Quo verpflichtet sein mögen, sie zeichnen sich - anders als das gemeinhin der Fall ist - durch konkrete Prozentsätze und klare zeitliche Fristen aus. Das ist der Grund, weshalb sie derzeit von der Mehrheit der Regierungen, NGOs etc. als verbindlicher Rahmen für so genannte Entwicklungs-Strategien angesehen werden. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass die reichen Industrieländer in Hauptziel Nr. 8 die Verpflichtung eingegangen sind, durch Schuldenabbau, Marktöffnungen etc. einen ernsthaften Beitrag zur Umsetzung der Millenniumsziele zu leisten. Und doch: Zur Zeit scheint es, also ob die Millenniumsziele genauso versanden könnten wie viele vergleichbare Projekte in der jüngeren Zeit auch.

Tony Blairs Afrika-Coup

Just diese Verfahrenheit hat sich der in großen Gesten ja einschlägig erfahrene britische Premier Tony Blair zu Nutze gemacht. Bereits früh kündigte er an, seine G8-Präsidentschaft dazu nutzen zu wollen, dem ins Stocken geratenen Millenniumsprozess neuen Schwung zu verleihen. Bereits im Februar 2004 rief er eine Afrika-Kommission ins Leben - schließlich sei die Lage in Afrika dramatischer als überall sonst. Der Kommission gehörten überwiegend Persönlichkeiten aus afrikanischen Ländern an, aber auch zwielichtige Gestalten wie der ehemalige IWF-Boss Michel Camdessus.

Mit viel Brimborium veröffentlichte die Kommission im März dieses Jahres ihren 450-Seiten starken Abschlussbericht unter dem vielsagenden Titel "Unser gemeinsames Interesse". Ihre insbesondere auf die armen Länder Afrikas gemünzten Forderungen wie Schuldenerlass, Erhöhung der Entwicklungshilfe, Förderung so genannter guter Regierungsführung etc. dienten Blair fortan als Blaupause seiner im Hinblick auf den G8-Gipfel formulierten entwicklungspolitischen Vorschläge.

Vor allem zweierlei dürfte Blair mit seiner Initiative im Blick gehabt haben: Erstens, sein eigenes Image aufzupolieren. Immerhin hatte er als Folge seiner Irak-Politik enorme Sympathieverluste erleiden müssen, nicht nur im Ausland, sondern auch zu Hause, insbesondere unter linken Labour-AnhängerInnen. Da kam ihm natürlich ein moralisch hochgejazztes Projekt à la Hilfe und Entschuldung bestens zupass. Zweitens weiß Blair nur zu gut, dass gespreizte Mitmenschlichkeitsrhetorik immer noch ein äußerst vielversprechender Weg ist, ureigenste, in diesem Fall neoliberale Interessen ohne größeren Aufruhr durchsetzen zu können.

Anlässlich der Vorstellung des Afrika-Berichts ließ Blair die britische Öffentlichkeit wissen: "Es gibt keine Entschuldigung, keine Verteidigung und keine Rechtfertigung für das Elend von Millionen Mitmenschen im heutigen Afrika. Uns sollte nichts daran hindern, dies zu verändern." Was das praktisch heißt, darüber gibt der Kommissions-Bericht an exponierter Stelle Auskunft: "Afrika ist letztlich deshalb arm, weil seine Wirtschaft nicht gewachsen ist. Der öffentliche und private Sektor müssen zusammenarbeiten und ein Klima schaffen, das den Unternehmergeist der Völker in Afrika freisetzt, Beschäftigung schafft und in- und ausländischen Einzelpersonen und Firmen den Anreiz zu investieren vermittelt."

Unterm Strich sollte sich Blairs Kalkül einmal mehr als absolute Meisterleistung in Sachen Public Relation entpuppen: Je näher der Gipfel rückte, desto stärker schienen größere Teile der britischen Gesellschaft - allen voran die Medien - von einer regelrechten Euphorie einschließlich nationalistischer Untertöne erfasst zu sein. Die Wörter "Afrika", "Hilfe" und "Entwicklung" waren in aller Munde, niemand wollte den historischen Augenblick verpassen, in dem Afrika dank britischer Initiative auf ein neues Gleis seiner Geschichte gesetzt würde.

Höhepunkt dieses mitunter grotesken Spektakels war der 2. Juli, der Samstag vor dem G8-Gipfel: Einerseits gingen an diesem Tag die vom Afrika-Kommissions-Mitglied Bob Geldof relativ kurzfristig aus dem Boden gestampften Live-8-Konzerte über die Bühne (8 = aid = Hilfe). Andererseits fand in Edinburgh eine maßgeblich von Make Poverty History (Macht Armut zur Geschichte) organisierte Großdemonstration mit 250.000 Menschen statt. Make Poverty History ist eine britische, von über 500 Organisationen getragene Kampagne unter zentraler Beteiligung entwicklungspolitischer NGOs.

Die Demonstration hat sich weniger gegen die herrschende, durch den G8-Gipfel verkörperte Weltordnung gerichtet. Sie war vielmehr ein ernst gemeinter Appell an die TeilnehmerInnen des Gipfels, die Chance am Schopfe zu packen und endgültig, so eine Oxfam-Sprecherin, "der Seuche extremer Armut" ein Ende zu bereiten. Nichts hätte dieses (hochgradig illusionenunterwanderte) Arrangement trefflicher auf den Punkt bringen können als der Umstand, dass Blair einer von über neun Millionen BritInnen gewesen ist, der das Symbol der Make-Poverty-History-Kampagne, ein weißes Armbändchen, getragen hat.

Festzuhalten bleibt: Durch seine Strategie der offensiven Umarmung ist es Blair gelungen, relevante Teile des britischen NGO-Spektrums milde zu stimmen, ja zu vermeintlichen PartnerInnen hochzustilisieren und somit größere Proteste während des Gipfels zu verhindern. Es dürfte unstrittig sein, dass dies ein gewaltiges Manko (nicht nur) für den eigentlichen, mehr oder weniger radikalen G8-Widerstand gewesen ist. Immerhin sind hierdurch sämtliche Synergieeffekte flöten gegangen, die normalerweise entstehen, sobald unterschiedliche Strömungen mit unterschiedlichen Positionen, Herangehensweisen und Aktionsformen gemeinsam als kritische Masse agieren.

Widerstand unter sich

Im Kern ist der G8-Widerstand von zwei großen Netzwerken getragen worden: Einerseits den G8-Alternatives, einem stark in Schottland verankerten Bündnis, in dem vor allem linke GewerkschafterInnen, (traditionssozialistische) FriedensaktivistInnen und diverse trotzkistische Gruppen zusammengeschlossen waren. Während sich die G8-Alternatives im Wesentlichen auf einen eintägigen Gegengipfel in Edinburgh und die zentrale Demonstration in Gleneagles am Auftakttag des Gipfels beschränkt hatten, ist das Dissent! Network als zweite große Kraft deutlich umtriebiger gewesen: Auf seine Kappe ging ein Großteil der Aktionen während der gesamten G8-Woche, insbesondere die Straßen- und Autobahnblockaden am ersten Tag des Gipfels.

Das nicht nur auf Großbritannien beschränkte Dissent! Network ist ein wilder Querschnitt durch sämtliche Sub-Szenen undogmatisch linksradikaler bzw. anarchistischer Politik (gewesen) - einschließlich genialer Neukreationen wie der Rebel Clown Army. Ausgangspunkt für die meisten Aktionen war das ca. 25 Kilometer von Gleneagles entfernte Aktionscamp (namens Ecovillage) in Sterling - mit permanent etwa 3.000 AktivistInnen. Was lässt sich resümierend über das Tun insbesondere des Dissent! Network sagen?

a) Der G8-Widerstand ist von linksradikaler Seite aus verdammt mickrig ausgefallen - nicht zuletzt, was die internationale Beteiligung betrifft: Mit durchschnittlich 5.000, lediglich am ersten Gipfel-Tag 10.000 G8-GegnerInnen (inklusive G8-Alternatives) konnte de facto nicht an die Mobilisierungserfolge der vergangenen Jahre angeknüpft werden. Zukünftig dürfte sich das nur verändern, sollte der Vorbereitungsprozess von Anfang an eine breite internationale Verankerung erfahren.

b) Die soziale Zusammensetzung von Dissent! Network ist ebenfalls alles andere als optimal gewesen: Mehrheitlich hat es sich um eine stark subkulturell aufgeladene Veranstaltung junger, weißer EU-EuropäerInnen gehandelt. MigrantInnen bzw. Menschen mit migrantischem Hintergrund, Flüchtlinge oder Menschen aus dem Trikont waren kaum vertreten. Das ist zwar weder neu noch ändert es etwas an der über weite Strecken irrsinnig sympathischen, mitunter grotesk-witzigen Camp-Atmosphäre, aber eine "andere" Welt sieht schlicht und ergreifend anders aus.

Lehren für Heiligendamm

c) Kehrseite des anti-autoritären, überaus strukturpessimistischen Selbstverständnisses innerhalb des Dissent! Network ist ein zum Teil (!) nur schwer überbietbares Verantwortungs- und Informationschaos gewesen. Insbesondere während der Vorbereitung des Blockadetags hat sich das negativ bemerkbar gemacht. Dass dieser dennoch äußerst erfolgreich verlaufen ist, hatte vor allem mit einer allenthalben großen Entschlossenheit, viel Dusel und einer völlig überforderten Polizei zu tun. Der Mangel klarer und durchschaubarer Verantwortlichkeiten hat außerdem so manches manipulatives Einfallstor geöffnet - was in Sterling z.B. von einem scheinbar versierten, faktisch jedoch absolut manipulativ agierenden (weil Moderation und eigene Interessen nahtlos verklammernden) Moderationsteam weidlich ausgenutzt wurde. Die Frage, wie politische, mehrsprachig zusammengesetzte Großgruppen unter Zeitdruck sachlich und effektiv sowohl kommunizieren als auch entscheiden können, bleibt mit anderen Worten eine spannende Herausforderung.

d) Das merkwürdigste Defizit dürfte indessen die weitgehende Abwesenheit nicht nur inhaltlicher Diskussionen unter den AktivistInnen, sondern auch politischer Positionierungen im öffentlichen Raum gewesen sein. Während sich andernorts die Köpfe über Fragen wie Landreform, Wasserrechte oder Verschuldung heiß geredet wurden, schien hiervon das gemeine Dissent!-Network-Publikum reichlich unbekümmert. Konkrete Brückenschläge etwa zu den auf den Weltsozialforen verhandelten Themen und Konzepten fehlten völlig, genauso wie ein Bezug auf die Forderungen des afrikanischen, zeitgleich in Mali tagenden, Anti-G8-Gipfels. Diese inhaltliche Leere setzte sich auch in der Außendarstellung fort. Flugblätter, Zeitungen, Transparente? Mehr oder weniger Fehlanzeige! All das sollte in Zukunft auf jeden Fall anders werden. Konkret dürfte das vor allem eine frühzeitige Bestimmung der Themen erforderlich machen, die anlässlich einer Anti-G8-Mobilisierung zum Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung gemacht werden sollen.

Es bleibt: Bei aller Kritik, die positiven, hier nur am Rande angedeuteten Erfahrungen überwogen bei weitem - es lohnt, diese Fäden fortzuspinnen. Am ärgsten dürften letztlich viele der NGOs zu knabbern gehabt haben, denn deren hochfliegende Hoffnungen entpuppten sich im Lichte der konkreten Ergebnisse des Gipfels als das, was sie immer schon waren: Luftschlösser, leider nicht mehr!

Gregor Samsa

Anmerkung:

1) attac diskutiert über 2007, das Dissent! Network im deutschsprachigen Raum lädt Anfang Oktober groß in Hamburg ein und das Bündnis linker Gruppen und Einzelpersonen hat unter dem Motto "Für eine interventionistische Linke" einen Aufruf veröffentlicht, ein breites Vorbereitungsbündnis aus allen Strömungen der linken sozialen Bewegungen und Organisationen zu schaffen: www.g8-2007.de

Täuschung als PR-Strategie

Was auf dem G8-Gipfel beschlossen wurde

Schenkte mensch den offiziellen Verlautbarungen im Anschluss an den diesjährigen G8-Gipfel Glauben, so müssen die im schottischen Gleneagles versammelten Staats- und Regierungschefs tatsächlich Ungewöhnliches vollbracht haben: Allenthalben war von historischen Durchbrüchen die Rede.

Es schien, als wäre auf dem G8-Gipfel weltweiter Armut und Verschuldung endgültig das Totenglöckchen geläutet worden. Bei genauerem Hingucken entpuppten sich diese Erfolgsmeldungen jedoch als dreiste Propaganda. Die Kritik selbst moderater NGOs fiel dementsprechend harsch aus.

Was ist auf dem G8-Gipfel Anfang Juli konkret beschlossen worden? Wie lautet die Kritik - immanent wie grundsätzlich?

Entschuldung: Bereits Mitte Juni hatten die G7-Finanzminister (ohne Russland) eine entsprechende Entscheidung getroffen, sie wurde auf dem G8-Gipfel nur noch abgenickt. Danach sollen 18 Ländern, davon 14 aus Afrika, ihre Schulden bei drei multilateralen Finanzinstitutionen erlassen werden (IWF, Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank). Unter bestimmten Voraussetzungen können noch neun, maximal 20 weitere Länder dazukommen. Praktisch handelt es sich um einen sofortigen Schuldenerlass, zumindest für die Länder, die sich bereits qualifiziert haben (s.u.). Der Schuldenerlass ist eine Mogelpackung sondergleichen, er hält nicht im mindesten, was er verspricht:

a) Anders als von G8-Seite kolportiert, wurde mitnichten ein hundertprozentiger Schuldenerlass in die Wege geleitet. Erlassen werden lediglich Schulden bei oben genannten drei Finanzinstitutionen. Die restlichen Schulden - ob bei einzelnen Staaten, Privatbanken oder anderen multilateralen Finanzinstitutionen, sind demgegenüber nicht Bestandteil des Deals. Für die betroffenen Länder hat sich also gerade mal ihr jeweiliger Schuldenstand verringert - mehr nicht.

Mogelpackung Entschuldung

b) Durch den aktuellen Schuldenerlass müssen die betroffenen Länder jährlich etwa eine Milliarde US-Dollar weniger Zins- und Tilgungszahlungen aufbringen. Wie lächerlich gering diese Summe ist, dürfte im Lichte einer weiteren Zahl deutlich werden: Sämtliche Entwicklungsländer zahlen zusammen über 300 Milliarden Zinsen und Tilgungen jährlich. Nach Einschätzung verschiedener NGOs deckt die eine Milliarde US-Dollar gerade mal zehn Prozent des tatsächlichen Entschuldungsbedarfs. Bezugspunkt sind die so genannten Millenniumsziele: Danach sei für 62 hochverschuldete Länder die von der UNO in ihrer Millenniumserklärung angepeilte Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 nur durch einen hundertprozentigen Schuldenerlass realisierbar.

c) Von dem aktuellen Schuldenerlass können laut Beschluss maximal 38 Länder profitieren. Hintergrund sind völlig willkürliche, bereits aus früheren Schuldenerlass-Initiativen bekannte Unterstellungen darüber, welche Schuldenrate (gemessen an den Exporteinnahmen) als tragfähig gilt und welche nicht. Demgegenüber ist festzuhalten, dass es sehr viel mehr Länder gibt, die auf einen teilweisen oder kompletten Schuldenerlass angewiesen sind.

d) In den Genuss des aktuellen Schuldenerlasses kommen ausschließlich so genannte HIPC-Länder (Heavily Indepted Poor Countries). Die 1996 von IWF und Weltbank lancierte und 1999 auf dem Kölner G8-Gipfel neu aufgelegte HIPC-Initiative ist ebenfalls ein Entschuldungsprogramm. Die beteiligten Länder haben als Voraussetzung für den Schuldenerlass ein dreijähriges so genanntes Strukturanpassungsprogramm des IWF zu durchlaufen. Hierbei handelt es sich um ein Bündel haushalts-, finanz-, handels- und arbeitsmarktpolitischer Vorgaben (Konditionen), die seitens der jeweiligen Regierungen auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen. Die dem Geist neoliberaler Denken ganz und gar verpflichteten Strukturanpassungsprogramme des IWF (die auch im Falle von Kreditzahlungen greifen) sind hochgradig problematisch. Im Kern zielen sie auf radikale Öffnung der Märkte, Privatisierung, einseitige Förderung der Exportwirtschaft und umfassenden Abbau staatlicher Regulierungen (z.B. Streichung von Subventionen für Grundnahrungsmittel). Sie sind mit anderen Worten - jedenfalls letztinstanzlich - als Türöffner westlicher Interessen im Trikont zu verstehen. Offiziell heißt es zwar, dass der jüngst beschlossene Schuldenerlass nicht unmittelbar an Konditionen gekoppelt sei; lediglich allgemein ist u.a. von "guter Regierungsführung" als notwendiger Voraussetzung die Rede. Doch das ist bestenfalls untertrieben. Denn auch die 20 Länder, die sich derzeit um Qualifizierung bemühen, müssen zunächst das HIPC-Programm durchlaufen (von den bereits qualifizierten ganz zu schweigen).

Entwicklungshilfe und Handel

e) Last but not least: Der aktuelle Schuldenerlass ist auch deshalb abzulehnen, weil es sich um illegitime Schulden handelt - und nicht etwa um unbezahlbare Schulden (eine Diktion, der sich selbst viele westliche NGOs befleißigen). Darauf hinzuweisen, ist während des G8-Gipfels vor allem NGOs aus dem Süden vorbehalten gewesen, allen voran Jubilee South als einer der größten unter ihnen. Sie fordern ihrerseits sofortige Streichung sämtlicher Schulden für alle so genannten Entwicklungsländer - und überdies Reparationen, nicht nur für die Folgen jahrelanger IWF-Strukturanpassungsprogramme, sondern auch für Kolonialismus und Sklaverei.

Entwicklungshilfe: In dieser Hinsicht ist zwar eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe um 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr bis 2010 beschlossen worden. Doch auch dieser Beschluss ist nicht wirklich der Rede wert. Denn hierbei handelt es sich überwiegend nicht um zusätzliches Geld, sondern um solches, das bereits mehrmals versprochen wurde - das erste Mal vor 35 Jahren (zumindest was die Erhöhung der staatlichen Entwicklungshilfe auf 0,7% des Bruttosozialprodukts betrifft).

Handel: Hier wurde faktisch gar nichts erreicht. Einmal mehr wurden keine festen Zusagen zum Abbau der skandalösen Exportsubventionen im Agrarbereich gemacht, durch die Millionen Kleinbauern im Trikont schlicht und ergreifend niederkonkurriert werden. Lediglich von einer Abschaffung "zu einem glaubwürdigen Zeitpunkt" ist diesbezüglich die Rede gewesen.

Gregor Samsa