2007-07-18 

18.7.2007 Heiligendamm

- Collective Radar G8 2007: Help Build the Action Map!
- Auswertungsbroschüre (Campusition Nr. 21) zu Heiligendamm
- Zwei Plakate - fünf Tage inhaftiert
- OZ: Wortgefechte um Gipfel-Krawalle
- MV: Parlament blickt auf Gipfel zurück
- Hilfe, Sanitäter!
- m&m (massen&militanz): BLACK BLOCK FOREVER
- Adriane van Loh: "Ich habe mich in diesen Tagen verändert"
- Wir sind hier weil wir eure Grenzen zerstören:
- Christoph Kleine: Wir nehmen uns unser eigenes Recht
- Angela Klein: Sieben Tage gegen G8
- Erste Auswertungsgedanken der Campinski Pressegruppe

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Collective Radar G8 2007: Help Build the Action Map!

Resistance to the G8 in and around Heiligendamm was as massive as it was multiple and diverse.
To show this, the facilities to build a collective action map depicting all of the actions that happened, are being put together. The map will have icons that indicate where what kind of action took place. The individual icons will be linked to texts, films or pictures about the actions. You will also be able to view a brief summary while scrolling with your mouse.

To view the existing map: www.gipfelsoli.org/rcms_repos/maps/action.html

The map needs your input! Whether you know about a spontaneous demo that happened, a blockade of any kind, a visit to the fence, a swim in the sea or an outing to the forest, help complete the map by adding your stories (where, when, what).

The map will be in English only. So please help find comments on the event in English or translate existing texts.

To add information about actions, email g8-2007@riseup.net or use the Web-Interface: www.gipfelsoli.org/start/contact

Please note:
All information published on criminalized actions might potentially incriminate individuals. So please be careful with your comments.
July 2007

[International Press Group MediaG8way | Gipfelsoli Infogruppe | Dissent Netherlands | six hills berlin]

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Auswertungsbroschüre (Campusition Nr. 21) zu Heiligendamm

Sonne, Strand und Pfefferspray
Ja, es ist auch in der BRD möglich, kräftige Massenproteste auf die Beine zu stellen und hoch symbolisch aufgeladene Ereignisse wie den G8-Gipfel zu beeinträchtigen. Ja, es gibt nicht nur Untertanen, die angesichts von hochgerüsteter Staatsmacht und Terrorparagraphen ihre Rollläden herunterlassen, sondern Zehntausende, die alle Kontrollen umgingen und demonstrierten und blockierten, wo und wie sie wollten. Ja, und es waren sogar viele StudentInnen dabei, die sich in den Camps und auf der Straße unmodularisierte politische Bildung in Theorie und Praxis aneigneten. Sätze wie "Der nächste Streik wird anders" und "Wenn der Gipfel letztes Jahr gewesen wäre, hätten wir die Studiengebühren am popligen Jülicher Zaun verhindert" spiegeln die Erfahrungen von organisierter Solidarität wieder, die bei denen, die rund um Heiligendamm mit dabei waren Selbstbewusstsein und Handlungsfähigkeit befördert haben. Und das waren viele aus Köln; so viele, dass wir uns entschlossen haben, diese Ausgabe der Campusition den GipfelgegnerInnen aus unserer Fakultät für ihre Reflexionen, Berichte und Polemiken zur Verfügung zu stellen. Und die, die nicht dabei sein konnten: Nicht traurig sein - der/die nächste Boykott, Streik oder Besetzung kommen bestimmt ...

Eure Redaktion

Download: http://www.uni-koeln.de/ew-fak/allg/asta/pdf/Campu_G8_07.pdf

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Zwei Plakate - fünf Tage inhaftiert

Festgenommener GS-Protestierer reicht Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein
Eigentlich wollte Malte G. in Rostock gegen den G8-Gipfel protestieren. Doch die Reise endete für den 21-jährigen Berliner anders als geplant. Kurz nach seiner Ankunft in Rostock wurde er zusammen mit einem Freund festgenommen und erst in einer Gefangenensammelstelle (Gesa) und dann fünf Tage in der Justizvollzugsanstalt (JV A) Bützow. festgehalten.
Der Grund für den Ärger waren zwei Transparente. "Am Abend des 3. Juni habe ich mit einem Freund eine Gruppe aus Russland begleitet. die zur JVA Waldeck fahren wollte". erzählt Malte. Es sollte eine Solidaritätsbekundung für gefangene Demonstranten werden. Deswegen hatten sie die beiden Transparente im Auto. "Freedom for Prisoners" und "Free all now" stand darauf. die Forderung nach sofortiger Freiheit für alle Gefangenen.

Auf dem Parkplatz der JVA Waldeck wurden sie von der Polizei kontrolliert und gleich in Gewahrsam genommen. Nachts folgte der Termin beim Amtsrichter in der Gesa. "Der hat dann die Ingewahrsamnahme bis zum 9. Juni 12 Uhr angeordnet, bis einen Tag nach Ende des Gipfels". sagt Malte. Am Morgen danach hat er zum ersten Mal seine Anwältin gesehen. Im Gerichtsbeschluss heißt es, der 21-jährige Student habe zu einer Gruppe von neun Personen gehört die nach Rostock gereist seien. um mit Transparenten an einer Demonstration teilzunehmen. Nach Meinung der Gerichte konnten die Transparente "ihrem Inhalt nach dazu auffordern bzw. anstiften, eine Gefangenenbefreiung zu begehen". Zudem habe es eine auf Polizei- und Medienberichte gestützte Gefahrenprognose für Rostock gegeben. "Unterbindungsgewahrsam" nennt man das. Konkret: Malte G. saß sechs Tage, weil er Transparente dabei hatte, die er hätte zeigen können, auf einer Demo, die hätte stattfinden können - Konjunktiv Deluxe.
Im Beschluss steht auch, dass er diese Vermutung als "lebensfremd" bezeichnet hatte. Beim Treffen in einem Cafe wird er deutlicher: "Die Beschuldigung, dass wir zur Gefangenenbefreiung aufrufen bzw. diese Begründung ist völliger Blödsinn. Das würde ja bedeuten, dass du mit einem Transparent zu einer Demo gehen könntest, und alle machen, was da drauf steht," sagt er und schüttelt den Kopf. Doch "zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" war es nach Ansicht von Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht "unerlässlich", dass Malte G. eingesperrt bleibt. Für seine Anwältin Anna Luczak war es ein "lapidarer Anlass", auf den eine "so harte Maßnahme" wie mehrtägige Freiheitsentziehung gestützt wurde. "Freiheitsentziehungen können allenfalls bei Leuten legitim sein, die schwere Straftaten begangen haben", sagt Luczak.
Auch der Republikanische Anwaltsverein erhob nach einem Hearing zu den G8-Erfahrungen (ND berichtete) schwere Vorwürfe gegen Polizei und Justiz. Von Grundrechtsbrüchen war da die Rede, von willkürlichen Kontrollen und Gewahrsamnahmen. "Politische Zielvorgabe war die weiträumige und totale Abschottung der Gipfelteilnehmer von ihren Kritikerinnen", heißt es beim RAV. "Das war Einschüchterung". sagt Malte G. Neben seinem Studium macht Malte Musik. In seiner "Crew" schreibt er Texte und rappt. Zehn bis 15 Konzerte haben sie in diesem Jahr schon gegeben. Er erzählt seine Geschichte klar und überlegt; eben wie jemand, der den Umgang mit dem Mikrofon gewöhnt ist. Als es um seine Erfahrungen im Gefängnis geht, wirkt er unruhiger, spricht schneller. Am ersten Tag seien sie in käfigartige Zellen eingesperrt gewesen. "Das waren fünf mal drei Meter Maschendraht. Das Licht brannte permanent. Anfangs lagen wir auf einem Betonboden. Nach Bitten haben wir einen Zentimeter dicke Matten bekommen." Die Beamten hätten sie "permanent unter Druck gesetzt". Er hätte "kein Gerechtigkeitsbewusstsein" und habe den "Kopf voller Scheiße". habe ein Beamter zu ihm gesagt als er keine Aussage machen wollte. Sein Freund - Vegetarier - sei später in der JVA als "Grasfresser" verspottet worden, auf dem Essen stand "G8-Assi" geschrieben. "Vor allem diese fünf Tage in der NA waren für mich eine ziemlich schlimme Erfahrung. Das merke ich auch jetzt wieder, wenn ich davon erzähle." Besonders die Ohnmacht und das Gefühl, dass "sie mit dir machen können, was sie wollen", sei schlimm gewesen. Einen Rap-Text darüber habe er auch schon geschrieben, um die Erlebnisse zu verarbeiten.
Gegen die Inhaftierung hat Malte G. jetzt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Für ihn geht es aber nicht nur um ihn selbst, sondern um freie Meinungsäußerung. Die will er weder auf der Straße noch auf der Bühne verboten wissen.

[Neues Deutschland vom 09.07.2007]

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OZ: Wortgefechte um Gipfel-Krawalle

Anwälte haben gestern vor dem Innenausschuss ihre Kritik am Umgang der Polizei mit G8-Demonstranten erneuert
Schwerin (OZ/dpa) Ursprünglich war eine Anhörung zu den Krawallen anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm geplant - mit Vertretern des Verteidigungsministeriums und des Landesinnenministeriums. Doch daraus wurde vor dem Innenausschuss des Landtages gestern nichts. Die Ministerialen zogen es vor, durch Abwesenheit zu glänzen. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) schob anderweitige Verpflichtungen vor. Berlin hatte auf die Einladung aus MV noch nicht einmal geantwortet.
Trotz parteienpolitischen Geplänkels ging es wenigstens zeitweise auch um Inhaltliches.

Vertreter des Republikanischen Anwaltsvereins (RAV) sowie des Strafverteidigervereins erhoben heftige Vorwürfe gegen das Innenministerium und die G8-Einsatzleitung Kavala. Rechtsanwältin Verena Speckin vom Strafverteidigerverein MV sagte, die Polizei habe im Zuge der G8-Demonstrationen Anwälte massiv daran gehindert, Kontakt zu Mandanten in Gefangenensammelstellen (Gesas) aufzunehmen. Speckin sprach von einer "Missachtung der Gewaltenteilung sowie der Unabhängigkeit der Justiz". Die Kavala habe das alleinige Hausrecht durchgesetzt, obwohl die Gesas den Justizbehörden, nicht aber der Polizei unterstellt gewesen seien.
Laut Anwalt Dietmar Sasse vom RA V waren die Zustände in den Zellen der Gesas "menschenunwürdig". Gefangene hätten über Stunden gefesselt auf dem Boden in überfüllten Zellen verbringen müssen, ohne die Chance zu haben, einen Anwalt einzuschalten.
CDU-Fraktionschef Armin Jäger versuchte durch Zwischenrufe, die Aussagen der Anwaltsvereine anzuzweifeln und damit Innenminister Caffier aus der Schusslinie zu bringen. Jäger behielt sich zwischenzeitlich sogar vor, die Öffentlichkeit von der Sitzung ausschließen zu lassen. Er sagte, die "aufgeblasene Aufregung um den Einsatz der Polizei beim G8-Gipfel" erweise sich als "Seifenblase". Jäger warf dem RAV vor, "wenige Einzelfälle" aufzubauschen.
FDP-Innenexperte Leonhard erklärte dagegen, die Anhörung habe gezeigt, dass es in den Gesas Verfahrensweisen gegeben habe, die zumindest "grenzwertig" gewesen seien. Das Innenministerium kündigte an, erst im Oktober einen weiteren Zwischenbericht zum G8-Gipfel vorzulegen.
Wie aus der Antwort auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken hervorgeht, belaufen sich die Kosten der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe für MV auf rund drei Millionen Euro. Gemäß einer Verwaltungsvereinbarung mit dem Land verzichte die Bundesregierung aber darauf, sich diese Summe erstatten zu lassen. Die besonders teuren Flüge mit Tornado-Jets werden demnach aus dem Jahresflugstundenprogramm der Luftwaffe beglichen. An den Aufklärungsflügen sollen laut Verteidigungsministerium 14 Flugzeuge beteiligt gewesen sein.

[14. Juli 2007]

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MV: Parlament blickt auf Gipfel zurück

Debatte um G8-Sicherheitskonzept mit unterschiedlichen Bilanzen
Knapp eine Woche nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm haben Redner in der Aktuellen Stunde des Landtages am 13. Juni unterschiedliche Bilanzen gezogen. Während die Landesregierung ein insgesamt positives Fazit zog und die Polizeistrategie verteidigte, äußerte die Opposition teilweise Kritik am Vorgehen der Sicherheitskräfte und forderte Auskunft über die vom Land zu tragenden Sicherheitskosten.

CDU-Fraktionschef Dr. Armin Jäger lobte die Polizei, die bis zum Schluss die Strategie der Deeskalation durchgehalten habe. "Das war eine Leistung", sagte der Parlamentarier. Die Polizisten aus allen Ländern und vom Bund hätten Mecklenburg-Vorpommern einen "freundlichen, werbewirksamen G8- Gipfel" beschert. Der Gipfel sei - allen Unkenrufen zum Trotz - ein Erfolg für das Land, die Bundesrepublik, die Entwicklungsländer und die Umwelt geworden. Mit Empörung reagierte er auf "gewaltbereite Autonome", die in den Protestcamps "abtauchen" konnten. Er kritisierte, dass es von Seiten der friedlichen Protestler keinerlei Anzeigen gegen Steinewerfer gegeben habe.
Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff bezeichnete den Verlauf des Gipfels trotz der Krawalle von Rostock als Erfolg. "Insgesamt ist das Sicherheitskonzept aufgegangen. Die Strategie der Deeskalation war richtig", betonte er. Die Mehrzahl der Demonstranten habe friedlich und fantasievoll protestiert. Mecklenburg-Vorpommern habe Deutschland und der Welt bewiesen, "dass es in der Lage ist, Ereignisse dieser Kategorie zu stemmen". Viele positive Bilder des Landes seien um die Welt gegangen, Mecklenburg-Vorpommern habe an Bekanntheit als Urlaubsland und Investitionsstandort gewonnen. "Mecklenburg-Vorpommern war ein guter Gastgeber", sagte der Regierungschef.
Innenminister Lorenz Caffier hat Defizite beim Polizeieinsatz eingeräumt, die Kritik an der Strategie der Deeskalation aber zurückgewiesen. Bei einem "so komplexen Einsatz von bis zu 20.000 Menschen" könne "nicht alles hundertprozentig optimal verlaufen", sagte er. Zur Grundsatzstrategie habe es aber keine Alternative gegeben. "Das Gebot zur Deeskalation durch die Polizei ist ständige Verpflichtung aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz." Die Polizei sei bei den schweren Krawallen am 2. Juni in Rostock unter anderem deshalb so spät gegen den "schwarzen Block" eingeschritten, um Ausschreitungen im Stadtzentrum zu verhindern. Bei den Straßenschlachten zwischen Polizei und Autonomen im Stadthafen hatte es mehrere hundert Verletzte auf beiden Seiten gegeben. Laut Caffier waren nach den Krawallen 43 Polizisten vorübergehend dienstunfähig. Er kündigte für Ende Juni einen detaillierten Bericht im Landtags-Innenausschuss an.
Die oppositionelle Linkspartei.PDS kritisierte den erst kurz vor der Landtagssitzung bekannt gewordenen Einsatz von Aufklärungsflugzeugen der Bundeswehr. "Afghanistan lässt grüßen", sagte Prof. Dr. Wolfgang Methling, Fraktionschef der Linken. Er forderte die Landesregierung auf, die vom Land zu tragenden G8-Sicherheitskosten genau aufzulisten, und stellte in Zweifel, dass die veranschlagten 70 Millionen Euro genügen werden. Ein wichtiger Maßstab für die Bewertung sei auch das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen. Der friedliche und fantasievolle Protest Zehntausender und die konstruktiven Vorschläge des Alternativgipfels sind aus seiner Sicht "zweifelsohne das beste Ergebnis".
SPD-Fraktionsvorsitzender Volker Schlotmann begrüßte ausdrücklich, dass sich "Attac und andere friedliche Organisationen" erstmals klar von den "kriminellen Chaoten" distanziert haben. Seine Bewertung des Gipfels aus politischer Sicht fiel eher zurückhaltend aus. Dass die USA die UNO als Dach für die weltweiten Bemühungen zum Klimaschutz akzeptieren, sei "ein einziges positives Signal". Scharf kritisierte er die "braunen Demagogen" von der NPD. Deren Landtagsfraktion habe die Demonstrationen in Rostock, Schwerin und Ludwigslust angemeldet. Damit bezahle die Fraktion NPD-Parteiarbeit. "Aus unserer Sicht sind das klipp und klar illegale Parteispenden", sagte er.
FDP-Fraktionschef Michael Roolf warf der NPD vor, nur provozieren zu wollen. "Ihr geht es an keiner Stelle um Aufklärung", sagte er. Er bezog sich dabei auf einen Eklat bei der Innenausschuss-Sitzung, die in der Vorwoche abgebrochen wurde. Mit "persönlichen Beleidigungen" habe die NPD "unter die Gürtellinie" gezielt. "Sie wollen diffamieren. Sie wollen die Demokratie in die Ecke stellen. Das wird es mit uns nicht geben", betonte er. Von der Regierung forderte er eine genaue Kostenaufstellung. Es gehe aber auch um eventuelle Einschränkungen der Demonstrationsrechte. Die FDP werde nachfragen, inwieweit Bürgerrechte durch die Polizei beschnitten worden seien.
NPD-Fraktionschef Udo Pastörs warf der Polizei vor, nicht entschieden gegen "Schwerverbrecher" aus dem linken Lager vorgegangen zu sein. Zudem beklagte er, seine Partei sei durch Versammlungsbehörden und Gerichte ungleich behandelt worden. Diese hatten Demonstrationen der NPD verboten. Auf die Kritik von Volker Schlotmann hin betonte er, die NPD-Demonstration in Schwerin habe die Partei angemeldet und nicht die Fraktion. Dem Innenminister warf er ein Scheitern der Deeskalationsstrategie vor. "Spätestens nach dem 2. Juni wäre es Ihre Pflicht gewesen, in diese Lager einzudringen", wo man sich verschanzt habe, "und diese Waffenlager auszuräumen". Die NPD stehe hinter den Ordnungskräften.
Ein Erfolg des G8-Gipfels allein sei schon die Tatsache, dass die NPD überhaupt keine Rolle gespielt habe, unterstrich Wolf-Dieter Ringguth (CDU). Im Namen seiner Fraktion dankte er der Polizei und auch den nicht-polizeilichen Organisationen für ihren Einsatz zum Weltwirtschaftstreffen, der eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden gewesen sei. Die Deeskalationsstrategie habe sich als richtig erwiesen. Die Einwohner des Landes hätten sich als gute Gastgeber gezeigt. Bei einem Einsatz dieser Größenordnung gibt es seiner Meinung nach immer auch Dinge, die zu kritisieren sind. Er schloss sich der Forderung nach Aufarbeitung und Nachbereitung des Gipfels an.

Anmerkung: In dieser Ausgabe wird noch die Bezeichnung "Linkspartei.PDS" verwendet, da der Berichtszeitraum vor der Vereinigung von PDS und WASG zur Partei "DIE LINKE" liegt.

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Hilfe, Sanitäter!

Wir schildern im Folgenden die Ereignisse und Eindrücke rund um die Auseinandersetzungen um die Großdemonstration, die Kundgebungen und das Anti-G8-Musikfestival am Samstag, den 2. Juni aus der Sicht eines Demo-Sanis.
Der Antikapitalistische Demonstrationszug, der später als "Schwarzer Block" bezeichnet wurde, verhielt sich am Auftaktplatz der Demo, dem Platz der Freundschaft hinter dem Rostocker Hauptbahnhof, wie alle anderen Menschen auch, nämlich völlig friedlich. Trotzdem kreisten hier bereits mehrere Polizei- Hubschrauber und filmten mit hoch auflösenden Beobachtungskameras die zehntausenden Versammelten. Im Bahnhofsgebäude war die angespannte Stimmung unter den Einsatzkräften der Polizei, des Bundesgrenzschutzes und der Sonderkommandos an deren grimmigen Gesichtsausdrücken und schneidigen Äußerungen wahrnehmbar. Als der Teil der Demonstration rund um den Wagen des ersten Antikapitalistischen Blocks kurz nach dem Beginn der Demo an der ersten Eisenbahnbrücke ankam, waren dort bereits offen filmende PolizistInnen und andere, zivil getarnte BeobachterInnen postiert, um die Beteiligten genauestens unter die Lupe nehmen zu können. Tausende offenkundig antikapitalistisch gesinnte Menschen dürfen eben nicht unbeobachtet bleiben, wenn man sie schon ungehindert ziehen lassen muss, wie es laut Versammlungsgesetz abgesichert ist. Die Störung der Demonstration durch kleinere Polizeitrupps wurde später dann intensiver. An einigen Stellen versuchten sie bei der Durchquerung des Rostocker Einkaufs- und Bankenviertels Zugriffe auf die DemonstrantInnen. Am Rand der Abschlusskundgebung wurde dann ein Streifenwagen der Polizei so am Weg der Demoroute postiert, dass er den potentiell von den Schikanen der Polizei aufgebrachten DemonstrantInnen ein Dorn im Auge sein musste und sie ihn in Mitleidenschaft ziehen würden. Das sollte dann die weiteren Stör- und Zugriffseinsätze rechtfertigen, die sich an die Beschädigung des Polizeifahrzeugs anschließen sollten. Zum Zeitpunkt der Polizeiangriffe befanden sich nach Durchsagen der Veranstalter ca. 80.000 Menschen auf dem Kundgebungsplatz am Stadthafen. Dort unternahm die Polizei die meisten Angriffe, eine Reihe von Demonstrierenden wusste sich aber organisiert zu verteidigen. Die Polizei musste sich zurückziehen und ging dann kurz darauf mit verstärktem Aufgebot wahllos und willkürlich gegen den gesamten Platz vor. Im Bereich der Abschlusskundgebung und des Konzertes gab es Angriffe der Robocops mit brutaler körperlicher Gewalt, den Einsatz von Wasserwerfern, Rauch- und Reizgasgranaten und wurden friedliche VersammlungsteilnehmerInnen bedrängt. Weder die Übertragungswagen der Massenmedien, noch die Menschen in den hintersten Reihen am Rande der Kaimauer sind von den Polizeieinsätzen verschont geblieben. Ein Wasserwerfer fuhr sogar frontal in eine Menschenmenge direkt vor dem Hafenbecken, so dass einige unbeteiligte Menschen fast von der Kaimauer ins Wasser fielen. Diese Einsätze sind allesamt scharf zu kritisieren und zu verurteilen. Während der Gewalttätigkeiten durch die Polizei wurden viele Menschen durch direkten Pfeffersprayeinsatz im Gesicht, Augen-, Mund-, Nasen- und Rachenraum und an den Schleimhäuten verletzt. Die dadurch auftretenden Reizungen können in einigen Fällen über Tage bis Wochen anhalten.
Andere wurden mit beschwerten Handschuhen, Panzerung und Knüppeln auf Kopf, Arme, Beine, Rücken und Hüfte geschlagen. Einer jungen Frau wurde in unserer Gegenwart die Hand so verdreht, dass sich danach eine im inneren heraus gebrochene Gelenkknorpelverstellung am Mittelfinger ergab, die mit Sicherheit eine lange und kostenintensive Nachbehandlung erfordern wird. Dass dies nicht die einzige und bedrohlichste Verletzung während der Tage geblieben ist, ist bekannt. Medizinische Versorgung gab es anfangs nur durch die Demosanis. Rettungsdienste, NotärztInnen oder Krankenwagen waren erst nach den Ausschreitungen vor Ort. Diese Vorgehensweise der Einsatzleitung ist unentschuldbar fahrlässig. Wer schon in Kauf nimmt, bei einem Polizeieinsatz viele Menschen zu verletzen, muss wenigstens für die teilweise Wiedergutmachung Vorsorge treffen. Bei Veranstaltungen dieser Größenordnung kann auch ohne einen nachweisbaren Grund oder speziellen Anlass immer wieder eine Massenpanik auftreten. Für diesen Fall wäre nicht genügend Rettungspersonal vor Ort gewesen, um rechtzeitig Hilfe leisten und Menschen zur Not versorgen zu können. Während mit Menschen, die an systemkritischen Veranstaltungen teilnehmen, geringschätzig umgegangen wird, steht dazu z. B. die allinclusive- Betreuung von Volks-, Schützen-, Feuerwehr-, Bürger-, Jahrmarkts und/oder sonstigen Rummelfesten in krassen Gegensatz. An den allerkleinsten Orten werden dafür manchmal sogar der Löschzug und ehrenamtliche Rettungstrupps des ganzen Landstriches oder der gesamten Kreisstadt aufgefahren. Aber hier treffen sich ja nicht Menschen zur kritischen Meinungsäußerung, sondern eher ein schwarz-rot-goldener Alltagsmob, um sich in bierlastiger Glückseligkeit das Liedchen von Einigkeit und Recht und Freiheit um die feinen deutschen Ohren zu grölen. Was mensch auf diese Vorhaltungen hin von einem Polizisten am Rande der Ereignisse in ruppigem Tonfall alles zu Hören bekommt, ist dann, dass die Demonstrierenden doch eigentlich alle nur selber an ihrer Anwesenheit Schuld seien und man ja ansonsten auswandern könnte. Solche Zitate lassen tief ins mit Menschenverachtung zugequarzte Hirn eines Staatsschützers blicken.
Viele der Polizeikräfte waren auch aus anderen Gründen überfordert - sie waren zu jung und unerfahren, erhielten ständig sich widersprechende Befehle, bekamen unabschätzbare Bedrohungssituationen suggeriert usw. Wir werten diese desolaten Zustände als katastrophales Bild einer so gewollten Notstandssituation, die mit Absicht zur Unterdrückung des Widerstandes herbeigeführt und inszeniert wurde. Wir verpassen der BRD dafür hiermit einen Stempel mit dem Prädikat der besonders heimtückischen Unterminierung der Menschenrechte im Sinne der tausendfach unterlassenen Hilfeleistungen, bei vorsätzlichem Handeln und der ständig befohlenen Bereitschaft, massive physische Gewalt gegenüber unbewaffneten Menschen einzusetzen. Wir wünschen uns eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung, strukturelle Gewalt, Freiheitsberaubung, Knäste, Polizei und sonstige Repressionsorgane oder überflüssige Behörden.
Bundeswehr und Polizei abschaffen - Uniformismus aufheben - Militarismus und Gewaltherrschaft entkräften.

Ein Demo-Sani der ADSK (Autonome Demo-Sanis Köln; adsk@af-i.de)

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m&m (massen&militanz): BLACK BLOCK FOREVER

ein Diskussionsbeitrag zu Demos und Massenmilitanz
Wir befinden uns in einer Retrophase - und das ist gut so. Die Phase der Fahrrad durchdrungenen Latschdemos mit lauter lustiger Lautsprechermusik und dazu wippenden Köpfen scheint für den Moment verbannt. Die Demos um den G8-Gipfel herum zeichneten sich durch größere organisierte Blöcke, Ketten, Seitentransparente, laute Parolen und eine kraftvolle Stimmung aus. Der Höhepunkt: der 2. Juni in Rostock. Eine solch große, geschlossene, dynamische und auch noch zu großen Teilen vermummte Demo gab es wohl lange nicht mehr. Endlich kamen wir mal wieder zum agieren. Aber wäre nicht vielleicht noch viel mehr möglich gewesen? Lassen wir uns zu sehr durch bekannte Bullentaktiken beeinflussen, um dennoch bestehende Möglichkeiten zu nutzen?

Dynamisch war nicht nur der 2. Juni in Rostock. Auch die Spontandemos in Berlin (z.B. nach den Razzien) waren kraftvoll und laut. Doch dabei blieb es (leider). Wären nicht auch hier mehr Chancen zum eignen Handeln gewesen? Warum gehen Spontandemos eigentlich immer durch Kreuzberg? Weshalb laufen alle wie die Schafe in die Vorkontrollen, selbst wenn sie einfach zu umgehen sind? Und wieso reden immer noch so viele Leute mit (Anti-Konflikt-)Bullen?
Diese und mehr Fragen haben uns bewegt und zu einer Diskussion über Demoverhalten und Massenmilitanz geführt. Wir wollen ausgehend von den momentanen Bedingungen und Bullentaktiken darüber diskutieren was eben vielleicht doch möglich ist, aber auch darüber welche Verhaltensweisen auf Demos uns nerven und weshalb. Wir hoffen auf eine anregende Diskussion! .
Die Zeiten sind wahrlich nicht die besten und leider auch nicht um auf Demos aktiv zu werden: Angefangen bei den Kameras von vorne, hinten, links und rechts über die vor allem in Berlin beliebten Vorkontrollen, immer strenger werdende Auflagen, den massiven Bullenapparat bis hin zu Zivis und Greiftrupps. Dies sind wohl Dinge, die wir nur bedingt beeinflussen können. Aber es gibt Möglichkeiten einen besseren Umgang mit vielem davon zu finden und mensch muss sich nicht allem in vorauseilendem Gehorsam beugen.

Vorkontrollen
Ein schönes Beispiel hierfür sind die Vorkontrollen. Warum lassen sich eigentlich so viele immer brav durchsuchen? Dabei gibt es schwerwiegende Gründe die dagegen sprechen: schon allein sich dem Willen der Bullen zu fügen und sich von ihnen betatschen zu lassen, spricht für uns entschieden dagegen. Außerdem überlässt es mensch dadurch den Leute, die sich nicht durchsuchen lassen wollen, einzeln Auswege bzw. eher freie Eingänge zu finden - anstatt nach einem kollektiven Umgang zu suchen. Wohlwollend könnte mensch denken, die Leute, die sich kontrollieren lassen tun dies als Ablenkung, um anderen die Möglichkeit zu verschaffen an den Durchsuchungen vorbei zu kommen. Dies ist aber wahrscheinlich bei den wenigsten der Fall. Wir glauben viel eher das viele einfach nicht darüber nachdenken, immer nach dem Motto: "Mir macht das nicht so viel aus, ich hab ja eh nichts dabei."
Einzeln kann mensch das Problem natürlich auch lösen, Wege gibt es immer. Wie könnte ein kollektiver Umgang aussehen? Hierzu hat uns der Vorschlag von "one of us" aus der Interim 658 gut gefallen. Was wird wohl passieren, wenn die Bullen die einzigen auf dem Auftaktort sind? Wenn wir mal einfach nicht blöd durch die Kontrollen trotten, sondern davor stehen bleiben? Ist es nicht eine aussichtsreiche Situation mal die Bullen einzukesseln?

Greiftrupps, Zivis und Festnahmen

Machen wir es den Schweinen nicht zu leicht! Viel zu oft werden Leute auf Demos weggehaftet ohne dass andere eingreifen. Eine geschlossene Demo, organisierte Ketten und Seitentransparenten sind gute Hilfsmittel, aber nichts wert ohne unser_ Entschlossenheit Festnahmen nicht einfach so hinzunehmen. JedeR ist gefragt in solchen Situationen einzugreifen und wenn wir dies alle tun haben wir auch Erfolg! Auch hier möchten wir den Text von "one of us" unterstützen: eine solche Umgehensweise würde uns selbst doch auch viel mehr Sicherheit geben! Wir könnten viel sicherer handeln im Wissen, dass sich alle bei einem Festnahmeversuch um unsere Befreiung bemühen.

Kameras und Überwachung
Kameras sind mittlerweile überall: im Technikwagen vor der Demo, im Wasserwerfer, im Hubschrauber, links und rechts filmen Bullen und was da nicht dokumentiert ist, das findet sich bestimmt auch noch woanders. Zum Beispiel auf einem der tollen Fotohandys, auf den Video- und Fotomaterial der Presse, vielleicht auf dem Titelblatt am nächsten Tag? Oder aber bei einer/m unserer unzähligen Bewegungsreporterinnen und wenn da nicht, gibt es ja immer noch die Anwohnerinnen die vom Balkon alles mitgeschnitten haben...
Manches hiervon ließe sich einfach verhindern. Nämlich alles an Aufnahmengeräten was tatsächlich in unseren Händen liegt. Hier sollte ein verantwortungsvoller Umgang gefunden werden. Auf den Demos kann es hilfreich sein, wenn ständig alle die filmenden und fotografierenden Leute bitten, dies zu unterlassen.
Bei den Bullen wird es da schon schwieriger. Schön wäre natürlich wenn wir einfach flächendeckende Vermummungen wieder einführen würden... Doch dies ist wohl nicht ganz so einfach. Bis dahin können uns Transparente, Hochtransparente, Schilder und ähnliches als Hilfsmittel dienen. Wir können Kamerabullen zurückdrängen oder sie zum Ziel für Farbeier und ähnliches machen. Kameras
und Überwachung machen es schwieriger auf Demos zu agieren - keine Frage, aber sie machen es nicht unmöglich!

Seitentransparente
Es kann nicht sein, dass wir uns immer weiter auf die irrsinnigsten Auflagen einlassen! Ein Höhepunkt war wohl das (zum Glück nicht eingehaltene) Hüpf- und Rennverbot in HH am 28.5., oder war das nur ein Gerücht?
Die Endlos-Seitentransparentecnur-noch-1,50 - Diskussion sollte endlich ein Ende finden. Und dieses Ende kann nicht so aussehen, dass wir all unseren schönen Transparente mit wichtigen Inhalten in Stücke reißen! Vielmehr sollten wir uns um die Transparente streiten, sogar vermehrt wieder welche mitbringen. Wenn sie uns nur deshalb nicht mehr weiterlaufen lassen, warum es nicht mal darauf anlegen, was passiert wenn sie die Demo in einer solchen Situation auflösen. Wenn wir uns jedem Unsinn fügen, werden sie sich immer neue Sachen einfallen lassen.

Aktion statt Reaktion
Wir sollten aber nicht immer nur auf Bullen reagieren, sondern auch agieren. Eine der großen Stärken des 2. Juni in Rostock. Wir sollten uns wieder mehr Sachen für Demos überlegen. Solches Agieren kann darin bestehen, nicht den vorgeschriebenen Weg zu laufen, die Bullen zu überraschen, mal ein Farbei hier oder ein gesprühter Slogan da... Wir sind uns sicher ihr habt alle noch ganze viele andere Ideen! Organisierte Blöcke sind gut, sie sind geschlossen und bieten Schutz, aber leider dadurch manchmal auch etwas zu statisch. Lasst uns Wege finde wieder mehr Dynamik zu entwickeln!

Lautsprecherwagen und Moderation
Die Demos der letzten Monate sind auch durch die lauten, gemeinsamen Parolen kraftvolle Demos gewesen. Wenn sich einEr solche Stimmung entfaltet, ist es schade, wenn sie von lauter Musik überdröhnt wird. Dies war zum Glück in letzter Zeit auch weniger der Fall. Dennoch finden wir es wichtig auch die Funktion des Lautsprecherwagens zu diskutieren.
Was uns stört ist, dass der Lauti, zugespitzt, zum Bullensprechwagen verkommt. Der Lauti sollte für uns sprechen, nicht für die Bullen! Wir sollten ihn für offensiven Ansagen nutzen und nicht zum Sprachrohr von Bullenansagen machen.

Selbstverständlichkeiten
Zu guter letzt einige Selbstverständlichkeiten... Hunde, Fahrräder und Alkohol sollten auf Demos nichts verloren haben. Einzeln zwischen Ketten rumzulaufen ist nervig. Fotos fürs Tagebuch sollten auch unterbleiben. Und Steine und Flaschen aus der 10., 15. Reihe verletzen nur die eigenen Leute! Geht doch einfach ein Stück weiter vor und versucht euch selbst realistisch einzuschätzen.

Wir freuen uns auf eine dynamische Diskussion und ebensolche Demos.

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Adriane van Loh: "Ich habe mich in diesen Tagen verändert"

Das sagten mir junge Leute aus unserer Region, die zunächst auf den Camps waren, "um mal zu gucken", dann aber blieben... Ein Teil erzählte mir, dass sie an Aktionen teilnahmen, andere wollten einfach mehr über die Proteste und Motivation von Aktiven erfahren, Menschen kennen lernen, Internationalität erleben. Und sie wollten wissen, wie sich Globalisierungskritiker denn nun eine andere Welt vorstellen und ob und wie sie diese selbst leben. Der Blick für mehr und auch fürs "Anderssein", weg vom Mainstream, hat sich geöffnet. Und da ist jetzt die Erfahrung, dass Geld, Karriere und Angepasstheit nicht gottgegebene Grundwerte der Menschheit in der sog. Zivilgesellschaft sein müssen. Das da noch anderes ist...

Viele Einwohner, nicht nur unmittelbare Anlieger, schauten mal in die Camps, es gab erstaunte Blicke, Solidarität, Neugier, aber wenig Ablehnung. Nein, die schlimmen Bilder von Rostock am 2. Juni sind nicht das, was blieb im Kreis Bad Doberan.
Am Morgen des 3. Juni sah ich im Zelt der Bundestagsfraktion der Linkspartei, das auf dem Doberaner Camp aufgebaut war, zahlreiche Einheimische, Unternehmer, Verwaltungsbeschäftigte, Künstler, Rentner, Gymnasiasten - eben quer durch. Es überraschte und freute mich gleichermaßen und das Thema bei den Unterhaltungen war durchaus auch die Gewalt, aber nicht ausschließlich und vor allem nicht unkritisch in Bezug auf die staatliche Gewalt.
Der Bürgermeister von Reddelich, der einiges im Vorfeld des Gipfels wagte, als er seine Zustimmung für die Einrichtung eines Camps gab, ist der Meinung, dass es großartig war, einmalig für die Region. Er war täglich im Camp, kannte jede Ecke und auch die Probleme. Und was sagt er nun: "Probleme? Ach, die paar Kleinigkeiten." Bei dem, was hier stattgefunden hat, zeitweise seien 10000 Menschen aus der halben Welt in seiner Gemeinde gewesen, da solle man die Schwierigkeiten mit Augenmaß sehen.
Der Hauptamtsleiter von Bad Doberan meint, er habe das Engagement der Organisatoren und die Disziplin der meisten Demonstranten nur bewundern können. Dass es möglich sei, Aktionen von Tausenden so zu koordinieren, wäre beeindruckend. Er war täglich beim Infopoint auf dem Camp gewesen, und ich hörte von beiden Seiten, dass die Zusammenarbeit klappte, sogar in der Frage der Dixis. Der Kröpeliner Bürgermeister kümmerte sich ebenfalls täglich um "seinen" Infopoint. "Bunte, einfallsreiche Proteste", sagt die Bad Doberaner Bürgervorsteherin.
Das Verbot des Sternmarschs sorgte dafür, dass die Proteste von der Straße auf die Felder gezwungen wurden. Schneisen in den Weizenfeldern - die bringen Verluste und da kann man nicht auf Sympathiekundgebungen hoffen. Bauern arbeiten hart und sind von der Globalisierung betroffen, aber wenn Einkommenseinbußen auf Globalisierungsgegner zurückgehen, na ja.
Das politische Verständnis ist aber da; denn sie fordern Schadensersatz von der Landesregierung. Da gehört's wohl auch hin! Denn wenn ich jetzt Kavala als Adressat vorschlage, bleibt's das gleiche: Mecklenburg-Vorpommerns Steuergelder werden es letztendlich sein, und wir sind eh ein armes Land.
Ob's dem Einzelhandel und dem Tourismus geholfen hat - keine Ahnung. Ich will es nicht grundsätzlich anzweifeln, denn irgendwer wird schon mal 'ne Zahnbürste gekauft haben. Vollmundige Erklärungen dazu gibt es bereits von Politikern, aber ich denke, da möchte ich abwarten und Zahlen sehen. Aber wenn ihr alle wiederkommt - dann klappt's bestimmt mit dem Aufschwung Ost!
Ich denke, dass die Gipfelproteste viele Menschen in der Region zumindest zum Nachdenken gebracht haben.
Die Meisten sind einfach nur froh, dass alles vorbei ist. Gestern war ich in Heiligendamm und hab geguckt, was los ist, ich war auch in anderen "betroffenen" Gebieten. Die Leute erobern sich einfach ihre Strandkörbe, den Strand, die Eisdiele, ihre Spazierwege zurück - es herrscht wieder Frieden. Alles war ziemlich ruhig, kein Trubel, so als hätten alle zunächst Erholung nötig. Der Pavillon für die Gäste und andere staatstragenden Gerüste werden abgerüstet und mir fehlt fast etwas - nirgendwo ist Polizei, nach den Monaten der Belagerung ungewohnt, die sind halt auch erholungsbedürftig.
Die Schlagzeilen in der Ostsee-Zeitung lauten: "Eine Region atmet auf", "Doberan spürte Atem des Aufruhrs", "1200 Meter Stacheldraht weggeräumt". Wochen-, eher monatelang war die Situation hier angespannt, die Polizeipräsenz teils unerträglich, und es wurde von Tag zu Tag heftiger. Die Einschränkungen belasteten den Alltag der Menschen erheblich, dazu kamen die diffusen Ängste vor Gewalttätigkeiten und den "Chaoten".
Birgit Schwebs, Landtagsabgeordnete der Linkspartei, und viele Leute aus der Protestbewegung haben 16 Monate lang Aufklärungs- und Informationsarbeit im Kreis geleistet, unzählige Gespräche geführt, insbesondere mit Gipfelsoli-Aktivisten von Attac und der Camp AG. Das hat nicht unwesentlich zu einer guten Atmosphäre in der Protestwoche beigetragen; denn es gab Verständnis und Solidarität von Einheimischen bei den Blockaden in Börgerende, bei den Infopoints, den Camps in Wichmannsdorf und Reddelich.
In Bad Doberan und im Kreis gab es kaum "zugenagelte" Ecken. In Rostock sieht das anders aus, zumindest geht das aus Berichten und Leserbriefen hervor. Aber ich lebe nicht in Rostock und kann die Situation dort nicht wirklich beurteilen.
Ich danke allen, die die entschlossenen Proteste hierher getragen haben, die ein Stück "große Politik" mitbrachten und manch Entmutigtem im Osten auch zeigten, dass Widerstand möglich ist und wie.
(Bad Doberan, 13. Juni 2007)

[http://www.vsp-vernetzt.de/soz-0707/0707044.htm]

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Wir sind hier weil wir eure Grenzen zerstören:
carava.net

Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen - München
Rede von Ilsemarie von der Karawane auf einem Straßenfest in München am 2. Juni '07
Ich bin von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen und soll euch erzählen, warum Vertreter verschiedener Flüchtlingsorganisationen wie z.B. die Karawane bei der Demo gegen den G8 Gipfel an der Spitze des Westteils der Demo marschieren.
Bei den 8 Mächtigen des G8 Gipfels soll angeblich u.a. der Fokus auf die mangelnde ökonomische Entwicklung der afrikanischen Ländern gerichtet werden und darauf, wie man dieses Problem auch ökologisch in den Griff bekommt. Selbst wenn man die Entwicklungshilfe erhöhen und die Verschuldung der ärmsten Länder abbauen würde, was natürlich wichtig ist, wären damit noch lange nicht die eigentlichen Probleme gelöst, da sie am Kern der Situation vorbei gehen. Deshalb lautet auch das Motto der Flüchtlingsorganisationen
"Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört".

Etliche von den Flüchtlingen, die an der Demo in Rostock und anderen Veranstaltungen des Gegengipfels teilnehmen, kommen aus afrikanischen Ländern. Sie werden aus eigener Erfahrung berichten, wie ihre Länder, besonders solche, die viele Bodenschätze haben, wie Öl, Bauxit, Coltan, Diamanten u.s.w., von den wirtschaftlichen Vertretern der westlichen Industrienationen und inzwischen auch von China ausgebeutet werden. So sind bis heute die reichen Bodenschätze eines afrikanischen Landes eher ein Fluch als ein Segen.
Ein Flüchtling wird die Situation in Nigeria und besonders aus seiner Heimat dem Niger-Delta schildern, wo die größten Erdölvorkommen des Landes sind. Er wird berichten, wie die transnationalen Ölkonzerne mit Hilfe der nigerianischen Regierung, die kräftig an der Ausbeutung durch Geldgeschenke (Schmiergelder) mitverdient, die Gegend total verwüstet und verseucht hinterlässt und so den Bewohnern dieser Gegend die Lebensgrundlage entzieht.
Die Menschen in dieser Region haben keinerlei Vorteil von diesem Reichtum. Im Gegenteil: Die Arbeitslosigkeit erhöht sich durch Umweltverschmutzung und das Fehlen von Fabriken, in denen Erdöl zu Produkten von Gebrauchsgütern hergestellt werden, da das Rohöl sofort außer Landes kommt.
Solange man diesen Ölkonzernen nicht Einhalt gebietet, ihnen strenge Umweltauflagen auferlegt und Schutzzölle einführt, wird sich an der Ausbeutung nichts ändern! Die Menschen in den Industrieländern sind deshalb aufgefordert, den dadurch entstehenden höheren Ölpreis hinzunehmen oder über Alternativen nachzudenken.
Oder sie müssen über alternative Energien nachdenken, damit meine ich aber nicht das Biogas, das beim Anbau der Rohstoffe wie Mai, Zuckerrohr u.s.w. große Anbauflächen erfordert, die es z.B. in Europa gar nicht ausreichend gibt. So wird man wieder auf die Entwicklungsländer als Anbaufläche zurückgreifen, dort Wälder abholzen, und Feldfrüchte und Getreide, die eigentlich als Nahrungsmittel dienen sollten, für die Autos der Reichen verfüttern. Versteppung der Landschaft, Wassermangel, koloniale Ausbeutung, und weitere Ausbreitung von Hunger werden die Folge sein. Beispiele dieser Fehlentwicklung konnte man schon in Mexiko spüren. Durch den Maisanbau im großen Stil zur Gewinnung von Biogas wurden die Preise des Mais in die Höhe getrieben. Die Mexikaner, deren Hauptnahrungsmittel Mais ist , können sich wegen der hohen Preise davon nicht mehr ernähren. Also hilft nur, den Ölverbrauch einzuschränken.
Ein weiteres Thema, das ein Flüchtling aus Burkina Faso ansprechen wird, ist die Zerstörung der bäuerlichen Strukturen in den ländlichen Gebieten Afrikas, die den Hauptanteil Afrikas ausmachen. Schon aus der Kolonialzeit zerstörten die Monokulturen, etwa des Kaffee- , Kakao-, Mais- , Bananen- und Baumwollplantagen die ursprünglichen bäuerlichen Strukturen. Das hieß schon damals, dass für die Ernährung der Landbevölkerung selbst wenig übrig blieb. Für unterschiedliche Feldfrüchte, Getreide oder Obst war sein Platz mehr.
Heute ist das auch nicht viel anders, diese Agrarländer sollen auf dem internationalen Markt bestehen, gegen die Einfuhr von westlichen subventionierten Lebensmitteln und Gebrauchsgütern, die dann den einheimischen Markt kaputt machen. Die Konsequenz ist eine hoffnungslose Verschuldung. Um dem zu entkommen, entschließen sich viele Entwicklungsländer, Hilfe bei der Welthandelsorganisation (WTO) und dem Internationalen Währungsfond (IMF) zu suchen. Diese verordnen als erstes die totale Öffnung der Märkte, das heißt, Schutzzölle gegen Billigimport werden als erstes verboten. Oberstes Gebot der WTO, offene Grenzen für die Waren (nicht etwa für die Menschen!!) und freier Handel. Den Regierungen dieser Länder wird erst zu spät bewusst, in welche ökonomische und ökologische Falle sie dadurch geraten. Durch die WTO wird der Anbau der Monokulturen immer mehr vorangetrieben, da man ihnen weis macht, je mehr angebaut wird, desto mehr bleibt für den Export übrig, was ein Trugschluss ist, denn durch den Billiganbau z.B. von Baumwolle aus den USA können die afrikanischen Länder nicht konkurrieren. Also treibt die Verschuldung weiter voran.
Deshalb meine Forderung: Wenn schon Anbau im großen Stil wie z.B. Baumwolle, dann auch gleich die Fertigstellung zu Bekleidungsartikeln im eigenen Land, und das unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen mit ausreichendem Lohn für die Arbeiter. Und deshalb können die Endprodukte auch nicht zu Schleuderpreisen auf den internationalen Markt geworfen werden. Wir als Verbraucher in den reichen Ländern müssen begreifen, dass bestimmte importierte Produkte auch ihren Preis haben.
Ein weiteres Mittel in Entwicklungsländern, ihre Schulden zu mindern ist die Privatisierung von Wasser, Strom und Wohnungen: Beispiel Südafrika: Privatisierung der Elektrizität. Bolivien: Privatisierung des Trinkwassers. (dagegen wurde ein blutiger Kampf gefochten, den am Ende die Demonstranten gewannen.) Die Privatisierungen nehmen den armen Menschen endgültig jede Lebensgrundlage. Eine weitere Folge von Armut, Wassermangel und Ungerechtigkeiten sind Kriege, die durch Waffenlieferungen besonders auch aus Deutschland immer wieder in Gang gehalten werden.
Dies sind nur einige der Gründe, warum Flüchtlinge zu uns nach Europa flüchten. Wobei zu bedenken ist, dass nur ganz wenige Flüchtlinge im Vergleich zu allen Flüchtlingen der Welt den Weg zu uns finden.
Tausende von Flüchtlingen kommen auf dem Weg nach Europa über das Mittelmeer ums Leben. Europas Außen- und Innenminister überlegen sich immer neue Methoden der militärischen Überwachung und Abschreckung, die Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Aber, die Menschen sind so verzweifelt, dass sie bewusst die Gefahren auf sich nehmen, da ihnen keine Alternative bleibt.
Wenn die Flüchtlinge dann bei uns angekommen sind und Asyl beantragen, kommen sie in ein Erstaufnahmelager, wo sie schon die ersten negativen Erfahrungen mit Behörden und dem Lagerleben mit wildfremden Menschen machen. Nach ca. drei Wochen sind die Flüchtlinge dann völlig unvorbereitet einer Erstanhörung ausgesetzt, die praktisch über ihr weiteres Schicksal, ob sie anerkannt werden oder nicht, entscheidend ist. Viele sind so traumatisiert, ich denke da besonders an Frauen, die bestimmt nicht über evtl. Vergewaltigungen oder andere sexuelle Übergriffe reden können. Nur ein sehr geringer Prozentsatz der Asylantragsteller werden auch anerkannt. Diejenigen, die nicht anerkannt werden, haben noch die Chance des Folgeantrags, sonst müssen sie mit der baldigen Abschiebung rechnen, es sei denn, es gibt Gründe, die gegen eine Abschiebung sprechen.
Diese Menschen leben dann im Zustand der Duldung über mehrere Jahre, sie werden oft in von der Bevölkerung abgelegenen Lager weitergeleitet. Dort leben sie in Lagern (auf Neudeutsch Unterkünfte), bis zu 6 Personen in einem Raum von 16 qm. Sie müssen tagtäglich mit der Angst leben, doch abgeschoben zu werden, die meisten haben Arbeitsverbot. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen sie nur Sachleistungen wie Essenspaketen, Zuteilung von Hygieneartikeln und ein Taschengeld von 40,- Euro im Monat. Sollten sie doch eine Arbeit haben, müssen sie für ihren Schlafplatz 200,- Euro bezahlen. Sie erhalten kein Geld für die Integrationskurse, die jetzt gefordert werden, diese Kurse sind nur für anerkannte Flüchtlinge und MigrantInnen vorgesehen. Die medizinische Versorgung ist sehr eingeschränkt.
Nächtliche Polizeikontrollen sind keine Seltenheit. Dies ist besonders für die Kinder traumatisierend.
Wie überhaupt die Kinder die Leidtragenden sind. Obwohl gerade Flüchtlingskinder sich schnell integrieren, nützt ihnen das wenig, wenn sie irgendwann zusammen mit ihren Eltern in ein Land abgeschoben werden, das sie nie gesehen haben, und deren Sprache sie nicht sprechen.
Durch eine neue Bleiberechtsregelung soll nun Flüchtlingen, die sehr lange hier in Duldung leben, die Möglichkeit gegeben werden, einen sicheren Aufenthaltsstatus zu bekommen. Dies ist aber noch kein Gesetz sondern nur eine einmalige Regelung.
Dabei gibt es Fristen. Familien müssen mindestens 6 Jahre hier ununterbrochen leben und Alleinstehende 8 Jahre. Integrationskurse, dauerhafte Beschäftigung und Sicherung des Lebensunterhalts ohne Sozialleistungen sind Bedingung. Weiter dürfen die Antragsteller nicht vorbestraft sein, selbst bei geringen, nur Ausländer betreffenden Delikten kann ihnen für immer der Weg in den sicheren Aufenthalt versperrt sein. Diese Kriterien sind immerhin ein Anfang für eine humanere Flüchtlingspolitik, obwohl Kranke, Alte und Behinderte außen vor bleiben.
Ausgeschlossen aus dieser Bleiberechtsregelung sind alle Iraker. Weil sie angeblich alle unter Terrorismusverdacht stehen, sollen sie in den Irak abgeschoben werden, mit der Begründung, die Fluchtursache, nämlich die Verfolgung durch Saddam Hussein, sei nicht mehr gegeben.
Nun noch kurz etwas über die Arbeit der Karawane.
Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten ist ein Zusammenschluss von Zugewanderten und Deutschen, von Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen. Wir engagieren uns im Kampf für soziale und politische Rechte, Gleichheit und Respekt der Menschenwürde.
Ein Karawane-Aktivist wird am Gegengipfel in Rostock über unsere Arbeit und unsere Ziele berichten, wie Aktionen gegen Abschiebungen durch Pressearbeit, Beeinflussung der abschiebenden Fluggesellschaften durch Telefonanrufe oder Faxe, oder Protestaktionen am Flughafen; über Boykottaktionen in Flüchtlingsheimen gegen Essenspakete; über Öffentlichkeitsarbeit durch Demos oder Kundgebungen zum Thema Bleiberecht u.s.w.

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Christoph Kleine: Wir nehmen uns unser eigenes Recht

Über die Delegitimierung der G8 durch autonome Aktion
Die Interventionistische Linke (IL) hat eine zentrale Rolle bei der Organisierung der Proteste in und um Rostock gespielt. Die IL ist ein Netzwerk aus verschiedenen linken Gruppen und Kleinorganisationen, wie die Antifaschistische Linke und FelS aus Berlin, die Radikale Linke Nürnberg, Libertad oder Avanti, aber auch Einzelpersonen aus Zeitungsredaktionen wie "Analyse & Kritik" und "Fantômas". Es gibt keine feste organisatorische Struktur aber das gemeinsame Bestreben, undogmatische linksradikale Politik aus der Marginalisierung herauszuholen und mit ihr gesellschaftlich interventionsfähig zu werden.

Die IL war an den meisten Bestandteilen der Gipfelmobilisierung beteiligt: an der Organisierung der Demonstration, am Alternativgipfel, am Aktionstag Migration, an Block G8, und auch am Kulturprogramm "Move against G8". Christoph Kleine ist in der IL aktiv. Mit ihm sprach Angela Klein.

Die IL war eine der tragenden Säulen der Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel. Was wolltet ihr erreichen und habt ihr es erreicht?

Wir haben alle unsere Ziele ziemlich vollständig erreicht: Wir wollten eine Massenmobilisierung nach Heiligendamm, wir wollten eine Delegitimierung der G8 in der Aktion, und wir wollten eine Bewegung, in der eine undogmatische, linksradikale Position nicht nur sichtbar wird, sondern auch keinen marginalen Platz mehr einnimmt. All das haben wir geschafft. Bei den Blockaden am Schluss, die die gesamte Bewegung als ihren Erfolg feiert, hat sich vor allem eins realisiert: eine Bewegung in Deutschland hat gelernt, dass sie siegen kann. Das wird der nachhaltige Effekt von Heiligendamm 2007 sein.

Delegitimierung in der Aktion - wie hat sich das hergestellt? Und worin bestand der Sieg?

Wir hatten vorher die Auseinandersetzung darüber, ob die G8 ein legitimer Ansprechpartner sind, ob sie Adressat von Forderungen sein können, ob sie nicht vielmehr eine Institution sind, die in Gänze abzulehnen ist, weil sie eine Weltordnung repräsentiert, die überwunden werden muss. Darin den Standpunkt stark zu machen, dass es um eine komplette Überwindung des Systems der G8 bzw. des globalen Kapitalismus geht, funktioniert nicht allein auf der Ebene der theoretischen Debatte, sondern nur dadurch, dass viele Menschen, eben eine Bewegung, das praktisch in Aktion umsetzen. Am Schluss waren es die Blockaden, die zum Ausdruck gebracht haben, dass die Macht und die Kompetenz der G8, aber auch des aufgebotenen Sicherheitsapparats, nicht anerkannt werden, sondern dass wir uns unsere eigene Macht, unser eigenes Recht nehmen. Das verstehe ich unter Delegitimierung in der Aktion.

Der Sieg bestand darin, dass man mit den Aktionen bis zum Zaun vorgedrungen ist?

Es ging gar nicht so sehr um den Zaun. Es ging darum, dass trotz der Mobilisierung von 16000-18000 Polizisten, trotz eines unglaublichen Sicherheitswahns, trotz der Einschüchterungen, die in den Tagen davor stattgefunden haben, die teilweise an Terrorisierung grenzten, so viele Menschen den Mut gefunden haben, den Gipfel zu blockieren, so dass Heiligendamm über Stunden landseitig eingeschlossen war. Dies geschah trotz des weiträumigen Demonstrationsverbots, das gerade vom Bundesverfassungsverfassungsgericht bestätigt worden war. Deutlich mehr als zehntausend Menschen haben das Verbot bewusst missachtet. Dass es gelungen ist, die Taktik der Polizei ins Leere laufen zu lassen und dass wir stärker als die Polizei sein können, wenn wir uns einig und ein bisschen kreativ sind, das ist die praktische Erfahrung des Sieges.

Euer Block war der vielleicht größte auf der Demonstration am Samstag in Rostock. Die IL hat ihn angeführt. Wer gehörte alles dazu?

Der Block war ein offenes Angebot unter einer relativ offenen Überschrift, nämlich "Make capitalism history". Ich vermute, dass die 8000 Leute, die sich da eingereiht haben, nicht alle Wort für Wort die G8-Xtra gelesen haben und jedes Wort unterschreiben würden, das da drin stand. Insofern war der Block erst einmal ein Ausdruck davon, wie stark eine grundsätzlich oppositionelle Haltung zu den G8, zum Kapitalismus insgesamt ist - das gilt natürlich nicht nur für unseren Block, sondern für andere auch. Daran zeigt sich, wie stark eine undogmatisch linksradikale Strömung in der Bewegung ist. Die organisierenden Gruppen, die in die IL eingebunden sind, haben einen Rahmen gestellt, aber sie stellten nicht die Mehrheit der Teilnehmenden.

Aus eurem Block heraus haben die gewaltsamen Auseinandersetzungen begonnen. Wie stellen sich die Ereignisse vom Samstag aus eurer Sicht dar?

Was genau geschehen ist, ist immer noch unübersichtlich. Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen, je nachdem wer wo wann was zu erst gesehen hat, es gibt auch unterschiedliche Bewertungen, so dass ich Abschließendes dazu nicht sagen kann. Sicher scheint mir: Es gab Polizeiprovokationen und ein Polizeiverhalten, das sehr stark auf Eskalation angelegt war, aber man wird nicht leugnen können, dass es auch aus den Reihen der Demonstranten Leute gab, die Auseinandersetzungen wollten. Die IL als Ganzes hat im Vorfeld erklärt, dass sie einen Verlauf der Demonstration ohne solche Auseinandersetzungen anstrebt. Das hat letztendlich nicht funktioniert aus Gründen, die wir zu analysieren haben.

Habt ihr Hinweise darauf, ob die Polizeiprovokationen der Auslöser waren, oder waren sie selber Reaktionen auf Aktionen aus den Reihen der Demonstrierenden?

Genau das muss im Detail aufgearbeitet werden. Letztendlich ist es für die Bewertung aber gar nicht so entscheidend. Es gab sowohl Polizeieinheiten als auch Demonstranten, die ganz offensichtlich Interesse an solchen Auseinandersetzungen hatten. Von daher ist die Frage "Wer hat angefangen?" eine nach der Henne und dem Ei.

Wie meint ihr, dass die Debatte darum jetzt geführt werden soll?

Meine persönliche Ansicht dazu ist, dass es jetzt nicht so sehr auf eine exakte Aufarbeitung dessen ankommt, was in Rostock geschehen ist, sondern dass wir eine überfällige Debatte zu führen haben über die Funktionen und Formen von Militanz. Da ist ja exemplarisch etwas aufgebrochen in einer Situation, wo ein Spektrum, das sich von der Polizei nicht alles gefallen lässt, plötzlich wieder in einer aktionsfähigen Stärke versammelt war. Was man mit so einer Situation macht, in der es ja nicht nur um die eigenen Bedürfnisse und Konzepte geht, sondern man gleichzeitig in einem Bündnis mit anderen Organisationen steht, und daraus Lehren für eine künftige Praxis zu ziehen - das ist es, worauf es jetzt ankommt. Darüber werden wir eine sehr sorgfältige und solidarische Debatte führen, deren Ergebnisse sicherlich über kurz oder lang schriftlich vorliegen werden.

Wie würdest du die Polizeitaktik charakterisieren?

Sie hatte zwei Gesichter: es gab immer wieder Stellen und Zeiten, wo man zumindest das Gefühl haben konnte, dass tatsächlich Deeskalation angestrebt sei; am Anfang der Demonstration war die Polizei z.B. so gut wie nicht sichtbar. Andererseits haben wir wieder Punkte erlebt, wo sie sehr massiv rein gegangen ist, wo Einschüchterung, Brutalität und Übergriffe in erschreckendem Ausmaß stattgefunden haben, wie z.B. an den Tagen nach der Demonstration. Ich bin mir nicht sicher, wie groß der Anteil von Desorganisation und Inkompetenz bei der Polizei war und wie groß der Anteil einer absichtsvollen Planung.
Die BFE-Einheiten sind speziell darauf trainiert, in Demonstrationen rein zu gehen, um Leute festzunehmen, aber auch um Verunsicherung und Schrecken zu verbreiten; sie sind uns in Heiligendamm nicht zum ersten Mal begegnet. Diese Einheiten sind seit langem aufgestellt und es gibt praktische Erfahrungen mit ihnen.
In Rostock auf der Kundgebung sind sie aber mit einer Wucht über den Platz gegangen, dass Unbeteiligte in hohem Maß in Mitleidenschaft gezogen und teilweise auch in Lebensgefahr gebracht wurden. Einige wären von den Wasserwerfern beinahe ins Wasser getrieben worden. Das Problem liegt allerdings schon in der Aufstellung und Anlage dieser Sondereinheiten - ob das jetzt die BFE sind oder das bayrische USK oder die Berliner Einsatzhundertschaften. Darauf wird ein besonderes Augenmerk zu richten sein, denn dadurch werden in hohem Maße Grundrechte unterhöhlt.

Wie setzt ihr euch damit auseinander?

Ohne das verherrlichen oder überwerten zu wollen, hat der Mythos der Unbesiegbarkeit dieser Einheiten in Rostock Kratzer bekommen. Die mussten schon manches Mal schnell den Rückzug antreten. Dort wo Menschen solidarisch beisammen stehen, sind eben auch solche übertrainierten und bewaffneten Polizeieinheiten nicht allmächtig. Dennoch wird diese Frage nicht im Zentrum unserer Debatten stehen, sondern vielmehr: Was wollen wir auf Demonstrationen? Wie bekommen wir es hin, dass Aktionen nicht nur radikal sind, sondern auch radikalisieren, d.h. Menschen mitnehmen und aktivieren, dass solidarische Gegenwehr möglich wird, und sich nicht die Kluft auftut zwischen denen, die sich mehr oder minder bereitwillig in Auseinandersetzungen mit der Polizei begeben, und denen, die nur erschreckt und geschockt am Rande stehen.

Bei den Blockaden scheint das insofern gelungen zu sein, als ihre Zielsetzung - man geht bis zum Zaun, aber nicht darüber - respektiert wurde. Das war mir eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Einheit in der Aktion aufrecht erhalten werden konnte. Bei der Demonstration am Samstag war das anders. Da sind Aktionen gelaufen, die den Grundkonsens verletzt haben. Wie soll man damit umgehen?

Ich stimme der Beobachtung erst einmal zu. Der große Unterschied zwischen den Ereignissen am Samstag und denen am Mittwoch und Donnerstag war der, dass wir bei den Blockaden ein klares Aktionsziel hatten; das war am Samstag nicht vorhanden - außer vielleicht Gegenwehr und Schutz der Demo, was aber von etlichen immer wieder überschritten worden ist. Darüber hinaus gab kein definiertes Aktionsziel: nichts wo man hin wollte, nichts was erreicht werden sollte. Ich denke, darin besteht ein großes Problem. Die Stärke der Blockaden war, dass wir das Aktionsziel sehr genau definiert hatten, nämlich "effektive, lang andauernde Massenblockaden mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams". Das wurde auch so deutlich kommuniziert, dass es in der ganzen Breite der Bewegung und bei jedem Teilnehmenden angekommen ist.

Was hätte denn ein Aktionsziel am Samstag sein können?

Ich sehe ein solches an dieser Stelle eben nicht - bis auf den Schutz der Kundgebung vor Polizeiübergriffen. Das war nach einer viel zu langen Zeit der Scharmützel auch das, was die meisten von uns gemacht haben: Durch feste Ketten am Rand dafür zu sorgen, dass die Kundgebung gegen Polizeiübergriffe geschützt wird, aber auch das ständige Nachsetzen aufhört.
Für die Einschätzung der IL ist noch wichtig: Sie hat gezeigt, was in ihr an Möglichkeiten und auch an Notwendigkeit steckt. Sie erschien größer, als sie ihren inneren Strukturen nach ist. Wir haben gehandelt als eine Als-ob- Organisation. In der Phase, die vor uns liegt, müssen wir das ein- und nachholen. Deswegen steht jetzt nicht die nächste Kampagne auf der Tagesordnung, sondern intensive Debatten und Diskussionsangebote.

[http://www.vsp-vernetzt.de/soz-0707/070705.htm]

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Angela Klein: Sieben Tage gegen G8

Spiel, Satz und Sieg für Gipfelgegner
In ihrer Gesamtheit betrachtet waren die sieben Tage rund um Heiligendamm für die Gegnerinnen und Gegner der G8 ein gigantischer, in diesem Umfang unerwarteter Erfolg. Will man diesen verstetigen, muss benannt werden, was ihn ermöglicht hat, und auch, was warum falsch gelaufen ist.

1
Zunächst sah es gar nicht danach aus. Bis Anfang Mai dümpelte die Mobilisierung vor sich hin. Das Nebeneinander verschiedener Aktionsformen und Themenschwerpunkte wurde erkauft durch einen Mangel an Zuspitzung und inhaltliche Konturlosigkeit. Ausländer fragten schon mal: Was wollt ihr eigentlich in Rostock?
Die G8 selbst boten inhaltlich nicht allzu viel Reibungsfläche, hauptsächlich deshalb weil sehr früh klar war, dass nichts dabei herauskommen würde. Soweit ist die Delegitimierung ja durchaus schon gediehen, dass kaum noch jemand an eine Lösungskompetenz der G8 glaubt. Wenn Blair in Gleneagles noch in der Lage war, Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit für seine Afrikainitiative einzunehmen und das Wasser des Protests auf die Mühlen einer zahnlosen Kritik zu leiten, war Angela Merkel das nicht mehr. Bono und Grönemeyer empörten sich schon im Vorfeld medienwirksam über die Unwirksamkeit der sog. Afrikahilfe.
Wahrscheinlich wäre es bei einer eher lauen Mobilisierung geblieben, wäre es nicht der Staatsgewalt noch eingefallen, Heiligendamm zum Testfeld für die innere Hochrüstung zu machen und den Versuch zu unternehmen, ihrerseits die Proteste durch Kriminalisierung zu delegitimieren. Zu Beginn ging der Schuss nach hinten los, die Razzien im Vorfeld haben einen richtiggehenden Mobilisierungsschub ausgelöst. So kamen am Samstag in Rostock doch noch 60000 bis 80000 Menschen zusammen, an den Aktions- und Blockadetagen danach jeweils um die 10000, zum Konzert von Herbert Grönemeyer noch mal 80000. Insgesamt werden also um die 150000 Menschen mobilisiert worden sein - und dies ohne nennenswerte Mobilisierung der Gewerkschaften (mit Ausnahme ihrer Jugend).

2
Den Erfolg der großen Zahl haben Innenminister und Polizei versucht, durch Provokation von Gewalt wieder zunichte zu machen. Am Samstag ist das auch zum Teil gelungen. Auf Bilder von Steinhagel, Wasserwerfereinsätzen und brennenden Autos folgte eine systematische Desinformation durch die Polizei und ein breit angelegter Medienkrieg, der die Demonstranten in "gute" und "böse" aufteilen wollte. Teile des Protests sollten delegitimiert und der Erfolg insgesamt damit in Frage gestellt werden.
Leider sind einige auf die Spaltungspolitik hereingefallen. Die vorschnelle Distanzierungserklärung, die einige Vertreter von Attac unterschrieben haben, war zum gegebenen Zeitpunkt völlig überflüssig. Es hätte gereicht, die gewalttätigen Auseinandersetzungen scharf zu kritisieren, sich aber eine Schuldzuschreibung erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts vorzubehalten. Die Glaubwürdigkeit von Attac hat dadurch schweren Schaden genommen - zum Nachteil der gesamten Bewegung.

3
Was am 2.6. in Rostock wirklich passiert ist, erschließt sich erst allmählich aus der Vielzahl von Augenzeugenberichten und Fotomaterial, das der Republikanische Anwaltsverein, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Rote Hilfe und andere Organisationen derzeit sammeln und auswerten. Was davon auf das Konto von Demonstrierenden geht, muss offen gelegt und der Umgang damit diskutiert werden. Nichts wäre falscher als den Mantel der Barmherzigkeit darüber zu breiten. Der Schutz der Massenaktion vor ihrer Denaturierung und Instrumentalisierung für fremde Zwecke muss gewährleistet sein - und zwar von den Akteuren selbst.
Denn eins ist am 2.6. und in den darauf folgenden Tagen überaus deutlich geworden: Teile des Repressionsapparats haben versucht, etwas Genua zu spielen. Willkürlich, ohne Vorankündigung und vor allem unter systematischer Verweigerung des Dialogs mit den G8-Gegnern wurden deren Demonstrationsrechte immer wieder außer Kraft gesetzt.
Eine Polizeistrategie war dabei nicht erkennbar und wurde auch nicht verlautbart. Es gab Polizisten, die sich darauf konzentrierten, friedliche Demonstrationen zu ermöglichen, und es gab Polizisten, die das Recht auf Demonstration in Frage stellten. Wie viel davon schlechte Koordination zwischen den Polizeieinheiten, wie viel aber Kalkül oder interessierte Inkaufnahme von Chaos war, wird man in Erfahrung bringen müssen.
Fakt ist, dass wir angesichts der Zunahme sozialer Spannungen auch in Deutschland nicht mehr davon ausgehen können, dass die Staatsgewalt friedliche Massenproteste gewähren lässt, auch und gerade dann wenn sie eine Mehrheitsmeinung der Bevölkerung zum Ausdruck bringen. Die herrschende Politik hat sich längst davon verabschiedet, die sozialen Zerstörungen, die den "freien Wettbewerb" begleiten, abfedern zu wollen. Sie hat auf die verheerenden Folgen ihres Handelns keine Antwort und tut auch immer weniger so, als suche sie danach. So kommt es zu Umfragemehrheiten, die einen tiefen Bruch zwischen der Bevölkerung und der politischen Klasse erkennen lassen. Damit kann die Politik leben - solange diese Mehrheiten nicht in der Lage sind sich zu organisieren. "Spalte und herrsche" lautet deshalb das Gebot der Stunde. Die Ausübung von Gewalt spaltet.
So ist es nur folgerichtig, dass die Hauptzielscheibe der Polizeiangriffe nicht die sog. Randalierer des Schwarzen Blocks waren, sondern friedliche Demonstranten. Das sind keine "Fehler", das hat Methode: durch Einschüchterung und Angstmache sollte das breite politische Bündnis, das der Aktionswoche an der Ostseeküste zugrunde lag, auseinander gesprengt werden. Das ist nicht gelungen, und das ist neben der Breite der Mobilisierung der größte Erfolg von Rostock.

4
Die Ereignisse vom 2.6. hatten erneut den Effekt, die Reihen fester zu schließen. Die Aktionstage danach waren mit jeweils 10000 Teilnehmenden sehr gut besetzt, die Eröffnungsveranstaltung des Alternativgipfels brechend voll, und die Auftaktrede Jean Zieglers hat den richtigen, offensiven Ton angeschlagen.
Den größten Erfolg haben jedoch die Blockaden der Zufahrtswege nach Heiligendamm gebracht; dass es noch vor dem Eintreffen der Delegationen gelungen ist, die Zufahrtswege dicht zu machen, und dies ohne Gewaltanwendung seitens der Demonstrierenden, hat den Rückschlag vom Samstag mehr als wett gemacht. Der Ablauf des offiziellen Gipfels konnte effektiv behindert werden: die Mollybahn für die Journalisten war blockiert; Journalisten und Delegationen mussten eingeflogen werden; das Catering von der Seeseite her angeliefert werden; auch beim Verlassen des Geländes gab es Zeitverzögerungen von mehreren Stunden.
Das war jedoch nicht der größte Erfolg der Blockaden. Ihr größter politischer Erfolg war, dass sie es geschafft haben, dass die vielfältigen Polizeiprovokationen, die es auch bei den Blockaden am 6. und 7.Juni gab, ins Leere liefen. Die Blockierer antworteten auf den zum Teil massiven Einsatz von Wasserwerfern, Knüppelorgien und Tränengas mit stoischer Ruhe, mit Lachsalven, wenn die Wasserwerfer der einen Polizeitruppe die der anderen beschoss, und mit vielfältigen Ausweichmanövern - sie hatten den Geländevorteil, weil die Kräfte der Polizei nicht ausreichten, den Ring um Heiligendamm zu schließen.
Vor allem aber hatten sie sich von Anfang an ein realistisches Ziel gesetzt, das eine Massenaktion ermöglichte: Man will an den Zaun ran, aber man stürmt ihn nicht. An diesen Konsens haben sich alle gehalten, und wenn es einmal Provokateure gab, die versuchten, ihn zu durchbrechen, wurden sie davon abgehalten. Es gab keine Minderheiten, die durch eine vermeintliche Radikalisierung der Aktion den errungenen Erfolg aufs Spiel gesetzt hätten. Darin zeigt sich eine große politische Reife.

5
In den Tagen von Rostock hat es eine neue Demonstrationskultur gegeben - bunt, laut, einfallsreich, international, witzig, humorvoll und nicht verbissen, mit Musik, Straßentheater, viel Kultur und unzähligen Einfällen. Entdeckt wurde die subversive Macht des Lachens und des Lächerlichmachens. Der Gewalt des Repressionsapparats wird nicht vorrangig mit gleicher Münze begegnet.
Für die Frage der Legitimität ist dies von erstrangiger Bedeutung. Denn die Tatsache, dass die G8 in den Augen sehr vieler Menschen eine schwindende Legitimität haben, bedeutet noch nicht, dass die globalisierungskritische Bewegung Legitimität hätte - dass ihr zugetraut würde, die Geschicke der Menschheit besser zu lenken. Wenn aber keine der beiden Seiten genügend Glaubwürdigkeit besitzt, schlägt die Stunde der Populisten und Demagogen. Zur Gewinnung von Glaubwürdigkeit aber gehört, dass die Alternativbewegung sich nicht nur in den Zielen, sondern auch in den eingesetzten Methoden vom herrschenden Politikbetrieb unterscheidet.

[http://www.vsp-vernetzt.de/soz-0707/070709.htm]

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Widerstand ist angesagt, auch wenn der Gipfel nicht mehr tagt

Erste Auswertungsgedanken der Campinski Pressegruppe
Wer ein paar Tage vor der Großdemonstration angereist war und sich auf den Camps oder im Protestzentrum in Evershagen aufhielt, bemerkte gleich: Die G8-Proteste werden eine internationale Veranstaltung werden. Die deutsche Sprache war auf den Wegen und Fluren eindeutig in der Minderheit. Die Proteste begannen mit einem Erfolg. Ca. 60.000 Menschen demonstrierten am historischen 2. Juni durch Rostock. Der Schwarze Block ließ es sich nicht nehmen, das zu praktizieren, was viele - möglicherweise jedoch zu einem anderen Zeitpunkt und an anderer Stelle - erwartet bzw. erhofft haben: Menschen griffen militant in das Geschehen ein, Banken wurden entglast und martialisch ausgerüstete PolizistInnen zurückgedrängt.
Diese Angriffe waren ein Ausdruck davon, dass eine radikale Linke an der Protestvorbereitung und -durchführung beteiligt war, die sich nicht auf Mittel des zivilen Ungehorsams beschränkt und der Auffassung ist, die kapitalistischen Verhältnisse nicht allein auf friedlichem Weg überwinden zu können.
Bündnisse, Gruppen und Einzelpersonen - auch aus der Linken - befürchteten danach, ihre geplanten friedfertigen Proteste nicht mehr wie vorgesehen umsetzen zu können. In diesem Sinne ist die Strategie der Mainstream-Medien zumindest bis Montag aufgegangen. Verschiedene AktivistInnen und Organisationen ließen Abgrenzungsbestrebungen erkennen oder distanzierten sich bis zum Schluss von militantem Widerstand. Wobei vieles gar nicht mehr in die Öffentlichkeit drang: In den Medien war nichts von dem in Flammen stehenden Reifenlager an der Autobahn bei Laage einige Zeit nach der Ankunft von Bush zu lesen, ebenso nichts über die gestoppte Limousine - vermutlich der russischen Delegation. Auch die Brandanschläge auf deutsche Firmen und Vertriebsstellen im - hauptsächlich europäischen - Ausland als Reaktion auf die Polizeimaßnahmen während des G8-Gipfels sind weitgehend untergegangen.
Weder dezentrale Blockadekonzepte noch andere Aktionsformen, die weitgehend dem dissent!-Netzwerk zugeordnet werden, waren medial vertreten. Genau dieses hätte unserer Meinung nach aber notwendiger Teil einer politisch offensiven Strategie sein müssen. Der radikalen Linken - und damit auch uns - ist es so gut wie nicht gelungen, eigene Akzente jenseits des zivilen Ungehorsams zu setzen und beispielsweise auf den morgendlichen Pressekonferenzen oder gezielt mit ausgesuchten Medien dem Black bloc eine öffentliche Stimme zu geben. Die Chance dazu hätte es vielfach gegeben. PressevertreterInnen hätten liebend gern mit Menschen aus dem Schwarzen Block gesprochen. Dieses Bedürfnis ließ sich aus verschiedenen Gründen nicht befriedigen und doch hätten viele gern anderes in den Medien gesehen, als die Hetze über die "schlimmsten Krawalle, die Deutschland je erlebt hat". Mit, nebenbei, dem wahrscheinlich geringsten Sachschaden, der bei "Krawallen" in Deutschland je entstanden ist.
Das öffentliche Schweigen trug seinen Teil dazu bei, dass nach der Großdemonstration am Samstag fast nur noch der Wille zu Friedfertigkeit bis hin zu denunziatorischen Wortbeiträgen zu hören war. Die Aufregung um die Demonstration am Samstag brachte aber noch einen weiteren Erfolg für die Gegenseite. So hatte die Pressestelle von Kavala bereits am Samstag mit ihren gezielten Desinformationen angefangen und es dauerte einige Tage, bis auch die Medien - zumindest einige - dahinter eine Strategie erkannten.
Die Deutsche Presseagentur dpa hat im Verlauf der Protestwoche zumindest eine Entschuldigung über ihre Ticker gejagt, in der die Agentur eingesteht, dass sie ihre Quelle - Kavala - nicht benannt hat und damit Meldungen aus der Polizeipressestelle zu Wahrheiten gemacht hat. Bei Spiegel online steht dies noch aus. Ob nun reihenweise verletzte ausgeflogene Polizisten, Giftattacken der Rebel Clowns Army oder Steinwürfe in Lichtenhagen, Vermummte bei der Migrationsdemo oder in den Blockaden: Deren Ticker hat wirklich keine der unzähligen Falschmeldungen ausgelassen und so die Stimmung gegen den militanten Teil der Antiglobalisierungsbewegung angeheizt und damit sicher auch die Debatte um die Wahl der Aktionsformen mit bestimmt.
Unsere Aufgabe als Pressegruppe lag hier in erster Linie in der Reaktion auf die gezielte Desinformation und nicht im offensiven Umgang mit militanten Aktionsformen. Auch wenn gute Argumente dafür sprechen, aus unserer Sicht wäre es medienpolitisch die richtige Strategie gewesen, hier stärker offensiv zu agieren. Nun bleibt zu hoffen, dass zumindest die damit angestoßenen Diskussionen einen emanzipatorischen Weg einschlagen werden, der nicht im Reformismus endet.
Weit über 20.000 Menschen haben über die Tage verteilt auf den Camps genächtigt. Während die Kundgebungen am Militärflughafen Rostock-Laage Tausende von PolizistInnen binden konnten, gelang es zehntausend Menschen, an den Zaun um Heiligendamm vorzudringen und bis zum Gipfelende Zufahrtswege zu blockieren. Diese Bilder gingen ebenso wie die der Ausschreitungen ein paar Tage zuvor um die Welt. Die Stimmung, die diese Bilder produzierten, führte unterm Strich wieder zur Einigkeit: Wir sind an den Zaun gekommen und haben in diesem Punkt gewonnen. Aber eines ist allen ebenso klar: Das kann es nicht gewesen sein. Eine viele Jahre alte Parole behält jetzt erst recht ihre Gültigkeit: Widerstand ist angesagt, auch wenn der Gipfel nicht mehr tagt.

Lotta und Carl Kemper

"Das Recht auf Revolution ist ja überhaupt das einzig wirkliche ,historische Recht`, das einzige, worauf alle modernen Staaten ohne Ausnahme beruhen, Mecklenburg eingeschlossen ..." (F. Engels, MEW 22, 523).

[ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 518 / 22.6.2007]