2005-10-16 

THESEN ZUR LINKSRADIKALEN ORGANISIERUNG - G8 Widerstand 2007 Heiligendamm

Hier auch ein Beitrag der mitten aus einem Diskussionsprozeß heraus entstanden ist.
Deswegen skizzenhaft zu verstehen ist.

Six Hills

Die Machtdemonstration der G8 2007 in Heiligendamm könnte auf sieben Ebenen beantwortet werden und für die radikale Linke genutzt werden:

1.- LINKSRADIKALE POSITIONEN STÄRKEN:
Einmal bietet es die Möglichkeit, den Anlaß zu nutzen linksradikale Positionen zu verbreitern und stärker in die Öffentlichkeit zu bringen. Dazu vorweg unsere Positionen neu zu überarbeiten. Die günstigen Rahmenbedingungen sind hier von Nutzen, wie das Interesse der Medien, das erhöhte Interesse der Bevölkerung, der lokalen Politik und Verbände, von NGOs, Kirchen, Gewerkschaften, ebenso wie das der überregionalen und internationalen radikalen Linken.
Hierbei ist von Vorteil, dass die Mobilisierung bereits jetzt angelaufen ist, zwei Jahre vor dem Gipfel. Es also Zeit gibt, einiges zu erarbeiten.

2.- KONFRONTATIVE INTERVENTION/ WIDERSTÄNDISCHE PRAXEN:
Durch konfrontative Interventionen im Vorfeld und während des G8 macht die radikale Linke die Entschiedenheit ihrer Positionen deutlich. Sie erteilt so eine eindeutige Absage an Machtpolitik, Kapital und Neoliberalismus. Die G8 Treffen werden dadurch aufwändiger und kostenintensiver. Wie ein Widerstandscamp 2007 aussehen könnte und was für Aktionsziele/ Blockadeziele es haben könnte, wäre zu erarbeiten.

3.- SELBSTORGANISATION/ FERIENKOMMUNISMUS:
Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, aber es gibt die Utopie und die gelebte Annäherung an sie. Der linksradikale Widerstand organisiert sich im Vorfeld und während des/der Widerstandcamps experimentell anarchistisch/kommunistisch (Stichwort: Ferienkommunismus der antirassistischen Grenzcamps). Dies beinhaltet Konsensprinzip, Kollektivität und Selbstorganisation, eine möglichst hierarchiefrei, möglichst frei von Rassismen und Sexismen freie Organisierung und eben auf die Art und Weise wie die radikale Linke sich ein schönes Leben vorstellt. Der Versuch des richtigen Lebens im Falschen sollte nicht unterschätzt werden, einmal für die radikale Linke selbst, für ein Gefühl von "hier bin ich richtig", für experimentelle Weiterentwicklung und für die eigene Glaubhaftigkeit. Ebenso könnte das Experiment stärker publiziert werden, wie es z.B. in Schottland 2005 der Fall war, wo die Presse das Zusammenleben, -kämpfen und die Organisationsform des Widerstandscamps aufgegriffen hat.

4.- LOKALE RADIKALE LINKE STÄRKEN:
Linksradikale Strukturen vor Ort stärken. Es ist wichtig, dass die lokalen linksradikalen Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern nicht von einer überregionalen und internationalen Mobilisierung überrollt werden. Denn es ist klar, dass der Widerstand, bzw. ein Widerstandscamp immer auch eine Belastung, bzw. Überlastung für die lokalen Strukturen darstellt. Deswegen ist es wichtig, sie auch nach dem G8 2007 nicht mit den Hinterlassenschaften eines solchen Widerstandes allein zu lassen, u.a. der Repression, evtl. Kündigung von Räumen und Geldern, Bedrohung von Faschos. Sondern dass sie im Gegenteil durch die verstärkte Aufmerksamkeit und Aktivität in der Region auch Unterstützung und Verbreitung für ihre Politik finden. Das spricht u.a. dafür, dass lokale Politikfelder Platz in der Mobilisierung finden und aufgegriffen werden.

5.- LÄNGERFRISTIGE STRUKTUREFFEKTE, ZÜNDFUNKEN LINKSRADIKALER BEWEGUNG:
Die überregionale Mobilisierung könnte die Chance bergen, dass ein Großteil der überregionalen radikalen Linken zusammenkommt und auch über den Gipfel hinaus zusammen arbeitet, bzw. eine darüber hinausreichende Struktur schafft. Viele versprechen sich hier eine neue Zündung für die linksradikale Bewegung von grundlegender, perspektivischer Tragweite. Wie realistisch das ist sei dahin gestellt, wünschenswert wäre es alle Mal. Dass sich im Vorfeld und während des G8-Widerstands noch mal mehr bewegt ist gewiß. Wie könnte eine neue Stärke erreicht werden, eine größere politische Ausstrahlung? Wie könnte sich eine linksradikale Bewegung auch nach dem G8-Gipfel verstärkt aufeinander beziehen und gemeinsamen Widerstand organisieren.

6.- TRANSNATIONALE VERNETZUNG:
Der linksradikale Widerstand kommt zu den Gegen-Aktivitäten über die Grenzen hinaus zusammen. Dies hatte bisher u.a. den Vorteil, dass verschiedenste Aktionsformen erfahrbar wurden. So z.B. die Tutte Bianchi in Italien/Genua, Pink & Silver u.a. in Prag, critical mass (fahrende Fahrradblockaden) und Clowns in Schottland, durch dieses Erleben wurden Aktionsformen in die eigene politische Praxis übertragen. Ganz davon abzusehen, dass mit vielen Menschen noch mal ganz andere Aktionen möglich sind. Über diese praktischen Aspekte hinaus, gibt es noch den Vernetzungsaspekt, wie bei der noborder-, Frassanito- und Euromayday-Vernetzung oder PGA. Will die radikale Linke eine transnationale Vernetzung und wie könnte die aussehen?

7.- BÜNDNISSE EINGEHEN:
Im Zuge der Mobilisierung könnten Bündnisse über die radikale Linke hinaus eingegangen werden. Diesen Ansatz verfolgt die IL (Interventionistische Linke), die eine Zusammenarbeit von autonomen Gruppen und Gewerkschaften, Sozialforen, attac, Kirchen, trotzkistischen Gruppen, Linkspartei usw. anstrebt. Gibt es von der überregionalen, linksradikalen Mobilisierung Interesse an so einer Politik? Ist es politisch gewollt ist, bzw. sinnvoll ist hier Energie reinzustecken? Derartige Bündnisse sind z.B. bei dem Widerstand gegen den EU-Gipfel in Kopenhagen versucht worden und letztendlich an der Frage konfrontativer Intervention gescheitert. Andererseits könnten solche Bündnisse z.B. beim Castorwiderstand als erfolgreich gewertet werden.

zu 1.- LINKSRADIKALE POSITIONEN STÄRKEN:
Hierzu ein paar vertiefende Gedanken.
A.-
Linksradikale Positionen stärken und verbreiten, dies meint die ganze Bandbreite linksradikaler Politikfelder. Alle linksradikalen Politikfelder können auf G8 bezogen werden. Erst zusammen stellen sie in ihrer Komplexität, Verschränkung miteinander und Bezogenheit aufeinander die Fülle des Widerstandes dar und zeigen wie eben alles zusammenhängt und miteinander verknüpft ist. Deswegen sollten alle linksradikalen Politikfelder die Möglichkeit haben, ihre spezifischen Inhalte einzubringen und es wäre wünschenswert, wenn viele Gruppen das nutzen und sich an der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel beteiligen, so z.B. die FrauenLesben- FrauenLesbenTransgenderbewegung, die Antifa, Flüchtlingsselbstorganisationen und migrantische Gruppen, die Bauwagen- und Häuserszene, umweltpolitische Gruppen, Gruppen die zu Befreiungsbewegungen arbeiten (z.B. zu den Zapatistas) und zu internationalen Kämpfen (wie z.B. in Indien u. Lateinamerika gegen die Privatisierung von Wasser) und viele andere Gruppen mehr u.a. zu Gentechnik, Arbeit und Prekarisierung, Bodyismus usw.
Die überregionale Mobilisierung sollte allen linksradikalen Gruppen Raum und Unterstützung für die Verbreitung ihrer spezifischen Inhalte und Schwerpunktthemen geben, sei es in Veranstaltungen, Mobilisierungsaufrufen, -zeitschriften, Website/Links im Vorfeld und auf den/dem Widerstandscamp/s selbst.

B.-
Darüber hinaus könnten z.B. drei Schwerpunktsetzungen verstärkt innerhalb der überregionalen Mobilisierung ausgearbeitet werden. Hier wiederum der Vorteil, dass z.B. gut 3/4 Jahr Zeit wäre Inhalte zu er-, bzw. überarbeiten und 1 weiteres Jahr um sie zu propagieren und zur Diskussion zu stellen. Die Zahl Drei ist hier erst mal beliebig. Ein Schwerpunkt würde nie die Komplexität wiedergeben und es wäre zum anderen schwer sich auf eine Thematik zu einigen, zu der viele gerne arbeiten würden.
Es gäbe verschiedene Möglichkeiten von Schwerpunktsetzungen. Ein Idee hierzu wäre:

ÖKONOMIE/ PRIVATISIERUNG:
In Berlin haben wir u.a. erst mal vage damit begonnen uns mit neoliberaler Ökonomie zu beschäftigen und als ein Teil derer mit Privatisierung am Beispiel der Privatisierung von Wasser. Dies könnte ein Schwerpunkt werden, der die ökonomische Seite, deren Folgen, den konkreten Widerstand und Aneignungspraxen dagegen betont. Wie es gerade aussieht (ist noch nicht entschieden) hätten verschiedene Berliner Gruppen/Einzelpersonen Interesse zu dieser Thematik vertiefend zu arbeiten.
MIGRATION und ANTIKOLONIALISMUS:
Ein zweiter Schwerpunkt könnte Migrationspolitik und Neokolonialismus sein. Migrationspolitik ist aktuell z.B. in den Tagesthemen durch die Situation in den Lagern in Marokko präsent. Anti-Koloniale Forderungen von Entschuldigung und Entschädigung beziehen sich direkt auf die Politik der G8 und könnten an die Anti-Koloniale-Konferenz 2004 anschließen.
UMWELT, KLIMA, KÖRPER
Hier gäbe es auch verschiedenste Themen, die vertieft werden könnten. U.a. würde sich der Schwerpunkt Anti-Gentechnologie anbieten (Genlebensmittel, Medizin, Forschung, Anknüpfung an die Biopiraterie-Kampagne). Gentechnologie als ein neuer, umkämpfter Markt und eine neue Ressource neoliberaler Ökonomie trägt die Ausbeutung und Verwertbarkeit des Menschen bis in seinen Körper hinein.

Die Zeit bis zum Sommer 2006 könnte genutzt werden, um diese Inhalte zu erarbeiten und Ideen zu entwickeln, wie sie propagiert werden können. Diese könnten dann einige Monate vor dem G8-Widerstandscamp über einen längeren Zeitraum, z.B. 6 Monate verbreitet werden. Eine größere Wanderausstellung oder ein Film, der als Vorfilm in Kinos laufen könnte, eine Broschüre, Veranstaltungsreihen, Konzerte, Gegen-Gipfel, eine Fahrradwiderstandstour durch Mecklenburg-Vorpommern z.B. 3 Wochen vor dem G8-Widerstandscamp oder ein mobiler Infobus, der im Zeitraum von 6 Monaten davor temporär immer mal wieder Inhalte verbreitet und lokale Strukturen stärkt, usw. usw. all das könnten Verbreitungsformen sein.
Auch könnten z.B. ein Jahr vor dem Widerstandscamp über das Jahr verteilt immer wieder Orte aufgesucht werden, gegen die oder an die wir unseren Protest richten, wie z.B. Genfelder in Mecklenburg-Vorpommern, Wasserkonzerne oder Flüchtlingslager. Oder auch die Anknüpfung an den lokalen Protest in Heiligendamm gegen die Privatisierung z.B. von öffentlichen Radwegen durch die Hotelkette, die Tagungsort der G8 werden wird (Fundus, bzw. Kempinski).

Die Idee von einem Widerstandscamp im Sommer 2006 möchten wir ebenfalls unterstützen, da es uns sowohl auf der Aktionsebene, auf der Ebene der Inhalte als auch auf der Vernetzungs- und Bündnisebene Raum gibt weiter zu kommen.

-we will rock it- -smash g8

Six Hills, Berlin im Oktober 2005