2002-12-20
Schöne Aussicht
Fünf Wochen vor der Eröffnung des WEF in Davos sind die Konfliktlinien vorgezeichnet. Der Staat dreht durch. Die Bewegung reagiert flexibel.
Am 13. Dezember hat das Oltner Bündnis einen Appell verabschiedet, der aufhorchen lässt. Man werde sich dem "Polizei-, Geheimdienst- und Militärapparat aktiv widersetzen", wenn die Bündner Regierung nicht auf das "Herausfiltern von DemonstrationsteilnehmerInnen" verzichtet. Man muss in der Geschichte der Schweizer Linken weit zurückschauen, um einen solchen Aufruf zum "zivilen Ungehorsam" zu finden. Im Oltner Bündnis sind bekanntlich auch im Parlament vertretene Kräfte und erklärte PazifistInnen vertreten. Es kam so weit, weil der Staat und sein Sicherheitsapparat für den 25. Januar 2003 ein Szenario der Spannung vorbereitet haben, das den behäbigen Schweizerinnen und Schweizern das Staunen lehren sollte.
Das Szenario
Inzwischen kennt man die Eckwerte dieses Szenarios. Zuerst soll dafür gesorgt werden, dass DemonstrantInnen und andere Reisende getrennt kutschieren. Die aus dem Prättigau stammenden Menschen bittet man, am 25. Januar den Bahnhof von Landquart zu meiden. In Chur stünden Busse bereit, die den Verkehr von und nach Küblis, Schiers und St. Anthönien garantieren. Für Zugsreisende ins Unterengadin ist der Vereina geschlossen. Sie schickt man auf die lange Fahrt über den Albulapass.
Für die so von den ZivilistInnen getrennten DemonstrantInnen steht beim Spanplattenwerk von Fideris im Prättigau ein von der Polizei und vom Militär eingerichteter Kontrollbahnhof bereit. Die von Landquart kommenden Züge werden angehalten, die Reisenden müssen aussteigen und eine Polizeischleuse passieren. In diesen Schleusen werden die Demonstrierenden einer selektiven Personenkontrolle unterzogen, die vermutlich vor allem jüngere Menschen und fremdländisch aussehende Personen treffen wird. Wer auf den Listen der Polizei verzeichnet ist, wird in Polizeihaft genommen. Die Behörden gehen davon aus, dass rund fünf Prozent der Demonstrierenden "Personen mit bösen Absichten" sind, die man nicht nach Davos durchlassen werde. Das heisst, dass die Polizei damit rechnet , im Prättigau bis zu 500 Personen zu internieren. Für sie müssen Verhafträume vorbereitet sein - wie damals 1999 in Genf, als man die willkürlich Arretierten in Tiefgaragen festband...
Wer soll in diesen Schleusen "herausgefiltert" werden? Laut Demonstrationsbewilligung sind das Personen, die "Knallkörper", "Feuerwerk" oder "Ausrüstungsgegenstände und Schutzbekleidungen, welche für Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften geeignet sind" mitführen. Und es sind "Personen, die als Anführer oder Teilnehmer gewaltsamer Ausschreitungen polizeilich bekannt sind oder zu solchen aufrufen, oder als Sicherheitsrisiko für Davos eingestuft werden müssen". Und was sagt das uns konkret? Wenn der bekannte Secondo Fritzli Müller am 1. Mai auf der Zürcher Kanonengasse verhaftet wird, dann schickt die Züri-Police seine Personalien an den Dienst für Analyse und Prävention (DAP - ehemals Bupo) in Bern. Diese computerisiert die Personalien und schickt der Bündner Polizei vor dem 25. Januar ein Update, das als Basis für die "Triage" dient. Fussballfans kennen dies. Jetzt sollen auch DemonstrantInnen wie "Hools" behandelt werden. Das tönt einfach, ist es aber nicht. Denn die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration steht in den meisten Kantonen nicht unter Strafe. Wenn man deswegen nicht mehr in Davos demonstrieren kann, so entzieht die Polizei den Betroffenen auf kaltem Weg die bürgerlichen Rechte.
Ganz neu ist die Information, dass Ähnliches auch für die Busreisenden geplant ist. Die Glarner Polizei hat bei der Schweizer Armee Schützenpanzer bestellt, um im Raum Ziegelbrücke - im Polizeidispositiv ist das die "Zone Mitte" - einsatz- und handlungsfähig zu bleiben. Der Verdacht liegt auf der Hand, dass für die Busreisenden Fideris in Bilten, Niederurnen oder Weesen liegen wird. Ein Busbahnhof mit Triage-Stelle und Verhafträumen - gesichert von Schützenpanzern der Marke "Igel".
Der Widerstand
Ein halbes Jahr lang hat sich das Oltner Bündnis auf diese Situation vorbereitet. Lange wurde debattiert, ob in Plattform und Demoaufruf das Wörtchen "friedlich" auftauchen soll. Das Bündnis hat darauf verzichtet - und dafür klargemacht, welchen Charakter die Demonstration in Davos haben wird. Nicht der Fight mit der Polizei ist angesagt, wohl aber Aktionen, die den sozialen Raum der Global Leader in Beschlag nehmen. Nicht Konfrontation in und mit Davos steht auf dem Programm, sondern eine kraftvolle Manifestation, die zeigen soll, dass der Anti-WEF-Bewegung die Zukunft gehört, und im Kongresshaus die Mumien tagen ("Open Forum").
Klar war in den Diskussionen in Olten immer, dass sich die Anti-WEF-Bewegung nicht in liebe und böse Buben und Mädchen aufspalten lassen wird; dass man gemeinsam Widerstand leisten wird, wenn Polizei und Militär ein Triage-Konzept realisieren und DemonstrantInnen nicht nach Davos durchgelassen werden. Entsprechend kurz war die Diskussion am 13. Dezember an der VV des Oltner Bündnisses, als über den Appell gesprochen wurde, der zum Widerstand gegen dieses Kontrollszenario aufruft. Damit hat diese Bewegung auch den alten Streit zwischen friedlichen Latschdemos und sektiererischen Radikalinski-Aktionen hinter sich gelassen. Jetzt muss sich zeigen, wie ein Konzept des massenhaften Ungehorsams gegen einen Staat, der die Ausbeuter und Kriegstreiber schützt und den Protest gegen diese Leute "eindämmen" will, in der Praxis umgesetzt werden kann.
Die Chancen, dass die Anti-WEF-Proteste eine neue Phase der Aktionen gegen Neoliberalismus und Krieg einleiten, sind besser denn je. Den Aufruf des Oltner Bündnisses zur Demonstration haben bereits dreissig Gruppen unterzeichnet. Neben den Kräften, die bereits vor zwei Jahren hinter den Protesten standen, haben sich wichtige neue Gruppen angeschlossen. Dass Gewerkschafts-Sektionen, der VPOD, der Solifonds, die Theologische Bewegung, die schweizerischen und die Davoser Grünen ihre Unterschrift unter den Oltner Aufruf gesetzt haben, ist Produkt eines in langen Diskussionen aufgebauten Vertrauens. Andere Kräfte werden mit eigenem Aufruf für die Demo mobilisieren. Zum Beispiel SMUV, GBI und comedia, die über die Gewerkschaftsjugend verbilligte Busreisen für die Demo vom 25. Januar anbieten. Und die Erklärung von Bern, die am Ruhetag des "Public Eye on Davos" mit von der Partie sein wird, wenn auf der Talstrasse von Davos die Mumien vertrieben werden.
VV des Oltner Bündnisses, 10. Januar
18 Uhr, Bahnhofbuffet Olten
http://www.oltnerbuendnis.ch
[Vorwärts 20.12.02 , www.vorwaerts.ch]