2006-02-26
hi,
in den letzten wochen und monaten ist immer wieder die forderung erhoben worden, dass wir mit ‚unserem' g8-widerstand nicht einfach in mecklenburg-vorpommern einfallen dürften. vielmehr müsste sich konkret auf die lokale situation bezogen werden. vor allem gelte es, die sozialen kämpfe, die bereits ausgefochten werden, als wichtige bezugspunkte zu begreifen. nur so sei es möglich, nicht in die ‚wir-die'-falle zu tappen, sondern den widerstand gegen den g8 als einen gemeinsamen prozess zu gestalten - mit politischer (signal-)wirkung über die tage des gipfels hinaus.
im großen und ganzen teilen wir diese einschätzung. wir möchten deshalb die aufmerksamkeit auf den (lokal und überregional organisierten) widerstand antirassistischer und selbstorganisierter flüchtlingsgruppen gegen abschiebungen aus mecklenburg-vorpommern nach togo lenken (als dem derzeit wohl wichtigsten antirassistischen kampf in mecklenburg-vorpommern). wir möchten das aus drei gründen tun: erstens finden wir diesen und vergleichbare kämpfe wichtig (wir sind an ihnen deshalb auch beteiligt), zweitens befindet sich der kampf gegen abschiebungen nach togo derzeit in einer äußerst kritischen phase und drittens lassen sich aus den dort (erst jüngst wieder) gemachten erfahrungen interessante rückschlüsse ziehen, welch' ambivalenter prozess es ist, konkret mit der linkspartei.pds zusammenzuarbeiten. letzteres scheint uns deshalb wichtig zu sein, weil ja diese frage vor allem unter bündnispolitischen gesichtspunkten bereits mehrmals zu äußerst kontroversen debatten unter ‚uns' geführt hat (und im zusammenhang mit dem von der interventionistischen linken angestoßenen breiten bündnis noch führen dürfte).
1. ausgangspunkt ist, dass in mecklenburg-vorpommern (m-v) derzeit mehr als 300 flüchtlinge allein aus togo akut von abschiebung bedroht sind. ‚akut bedroht' heißt, erstens, dass die betreffenden nur noch eine duldung haben (d.h. umgehend abgeschoben werden können, sobald alle für die abschiebung erforderlichen reisepapiere vorliegen und auch ansonsten keine hindernisse wie z.b. krankheit im weg stehen), zweitens dass sich die deutschen behörden in direkter kooperation mit der togoischen botschaft derzeit erfolgreich um die erforderlichen reisepapiere bemühen (dafür gab es u.a. im juni 2005 zwangsvorführungen mehrerer hundert togoischer flüchtlinge aus mehreren bundesländern) und drittens dass es seitens der innenminister den konkreten beschluss gibt, auch langjährig geduldete flüchtlinge zukünftig vermehrt abzuschieben. die abschiebung der togoischen flüchtlinge mit duldung aus m-v soll in den nächsten 6-12 monaten stattfinden (jedenfalls wenn es nach dem willen der behörden geht). dafür ist u.a. eine sammel-charterabschiebung nach togo im april von hamburg aus geplant. charterabschiebungen heißt, dass sich an board des flugzeugs (neben der crew) ausschließlich flüchtlinge und abschiebebullen (und ggf. -ärzte) befinden. solche sammelabschiebungen soll es laut eu-beschluss in zukunft häufiger geben. denn bei solchen flügen sind keine proteste durch passagiere oder aktivist/innen am flughafen zu erwarten, außerdem sind die piloten auf ihre ‚gäste' eingestellt, es ist also nicht davon auszugehen, dass eine abschiebung an der crew scheitert.
2. wie ernst es den behörden (u.a.) in m-v mit abschiebungen nach togo ist, zeigt die gestern als nacht- und nebel-aktion durchgeführte abschiebung von allassane moussbaou. allassane moussbaou saß seit dem 2. dezember in abschiebehaft im abschiebegefängnis bützow, zusammen mit dem ebenfalls aus togo stammenden regimegegner adzrakou komi anani befand er sich seit über 2 wochen im hungerstreik und war deshalb bereits auf die krankenstation verlegt worden. nachdem eine abschiebung am 10. januar am widerstand von allassane moussbaou gescheitert war (auf diesen termin hatten verschiedene flüchtlingsaktivist/innen während des berliner treffen immer wieder hingewiesen), kamen die abschiebebullen gestern nacht und brachten allassane moussbaou direkt zum flughafen.
3. der ‚fall' allassane moussbaou ist nicht nur deshalb wahnsinnig bitter, weil allassane moussbaou in togo direkte verfolgung droht (laut amnesty international landen viele abgeschobene flüchtlinge direkt im knast, dort erleiden sie folter, viele verschwinden oder sind 1-2 jahre ohne jeden prozess eingesperrt; darüber hinaus müssen auch familienmitglieder und freund/innen mit direkten repressionen rechnen). vielmehr zeigt dieser verlorene kampf auch, wie schwach die linke derzeit ist. oder ungeschminkter: wir, die (radikale) linke, sind derzeit noch nicht einmal in der lage, erfolgreich unsere genoss/innen zu verteidigen - jedenfalls nicht im größeren maßstab (von mehr ganz zu schweigen). was diese schwäche konkret bedeutet, kann mensch sich am ‚fall' allassane mousbaou klar machen: für allassane mousbauou haben sich unglaublich viele leute stark gemacht: einerseits gab es über 1000 direkt an die behörden gerichtete briefe und faxe sowie mehrere aktionen. andererseits haben sich zahlreiche prominente politer/innen, ngos und politische gremien für allassane mousbauou ausgesprochen. genauer: der landesvorsitzende der lankspartei.pds. peter ritter in m-v hat sich in einem langen brief direkt ans außenministerium gewandt und die lageberichte (u.a. über togo) kritisiert. auch petra pau (mdb) und dietmar bartsch (bundesgeschäftsführer der linkspartei.pds) haben sich gegen eine abschiebung von allassane mousbauou ausgesprochen. tobias pflüger (mitglied des eu-parlaments), hinrich küssner (spd, ehemaliger präsident des landtags in schwerin) und wolfgang dietrich (landesvorstand linkspartei.pds und sprecher der landesarbeitsgemeinschaft migrationspolitik und antifaschismus) haben sich in eigenen presseerklärungen nicht minder klar positioniert. hinzu kamen der unhcr (der darauf hingewiesen hat, welche konkrete gefahr allassane moussbaou im falle seiner abschiebung drohen würde), der m-v-landesverband von bündnis90/die grünen und zu guter letzt der petitionsausschuss des schweriner landtags, der ausdrücklich darum gebeten hatte, von einer abschiebung allassane moussbaous abzusehen und stattdessen die vorherige anhörung von expert/innen abzuwarten.
und doch: es hat nicht sein sollen: allassane moussbaou ist abgeschoben worden. dies darf auf keinen fall einzig dem für seine brachialität einschlägig bekannten spd-innenminister timm angelastet werden (seines zeichens: ex-pastor). in der tatsache, dass diese abschiebung trotz aller proteste stattfinden konnte, drückt sich vielmehr ein gesamtgesellschaftliches kräfteverhältnis aus: die behörden wissen, dass solche abschiebungen (d.h. abschiebungen von etwas prominenteren leuten) stets einiges an staub aufwirbeln, sie wissen aber auch, dass ihnen hierdurch derzeit (noch) kein politisches ungemach droht. sie können mit anderen worten davon ausgehen, dass sich solcher staub bald wieder legen wird. in diesem sinne müssen die für die nächsten monate geplanten massenabschiebungen nach togo sehr ernst genommen werden!!!
4. der ‚fall' allassane moussbaou und die linkspartei.pds: es dürfte bereits deutlich geworden sein - die linkspartei.pds ist eine der maßgeblichen kräfte, die sich für allassane moussbaou eingesetzt hat, und zwar mit politer/innen aus der ersten reihe!!!. gleichzeitig ist die pds aber auch, das darf nicht vergessen werden, an der regierung in m-v beteiligt. mit anderen worten: die linkspartei.pds hätte es durchaus in der hand gehabt, diese konkrete abschiebung zu verhindern. sie hätte dafür der spd allerdings klar machen müssen, dass mit ihr an diesem punkt nicht zu scherzen ist. das hat die linkspartei.pds nicht getan - die gründe müssen an dieser stelle wohl kaum erläutert werden. aus unserer sicht folgt hieraus nicht, dass nie und auf keinen fall mit der linkspartei.pds zusammengearbeitet werden sollte, der ‚fall' allassane moussbaou ist aber ein gutes beispiel, wo die absoluten grenzen einer zusammenarbeit liegen - oder positiv formuliert: wo eine kritische zusammenarbeit mit der linkspartei.pds ansetzen muss. konkret für die nächsten monate sollte das aus unserer sicht heißen: mehr denn je dürfte es nun gelten, die linkspartei.pds beim wort zu nehmen. die linkspartei.pds hat sich in sachen togo sehr weit aus dem fenster gehängt. dies gilt es, in der auseinandersetzung offensiv an die linkspartei.pds als forderung heranzutragen. denn in dieser positionierung (genauso wie in der positionierung vieler anderer einzelpersonen, gruppen, parteien, institutionen etc.) liegt auch die chance, zumindest in m-v. einen abschiebestopp für togo zu erreichen (auf jeden fall standen die chancen noch nie so gut wie heute). ein solcher vorläufiger abschiebestopp wäre sicherlich ein erster konkreter sieg über den g8 in m-v - wie es ein aktivist von the voice auf einem treffen formulierte. gleichzeitig ist aber auch klar: ein togo-abschiebestopp allein genügt nicht. denn erstens gibt es noch viele andere flüchtlinge in m-v (die genauso von abschiebung bedroht sind) und zweitens gilt natürlich immer noch das motto: "für globale bewegungsfreiheit! gleiche rechte für alle!" konkret könnte das aus unserer sicht heißen, dass sich der anti-g8-widerstand in nächster zeit auch praktisch (!) mit dem widerstand gegen abschiebungen nach togo solidarisiert. aktionen (z.b. morgen, am 2. februar in schwerin) und kritische zeitpunkte (z.b. geplante sammelabschiebung im april) gibt es ja zuhauf. eine solche praktische beteiligung würden wir als (erste) konkrete realisierung einiger der vorschläge und forderungen begreifen, die in der anlässlich des berliner treffens veröffentlichten deklaration des nolager-netzwerks und anderer gruppen formuliert wurden (vgl. www.gipfelsoli.org).
5. togo mag zwar nur (wie es immer heißt) ein handtuchgroßes land in westafrika sein - und obendrein eine völlig anachronistische diktatur (wie es sie in dieser form heutzutage ungleich seltener gibt als noch vor 20 jahren), und doch: togo steht auch (mit bestimmten aspekten) exemplarisch für die die art und weise, wie sich in den letzten 6 jahrzehnten die postkolonialen beziehungen zwischen globalem süden und globalem norden entwickelt haben. in dieser hinsicht ist die bezugnahme auf togo und vergleichbare länder in afrika (und anderswo) etwas, was im g8-widerstand geradezu zu hause sein sollte. d.h. unseres erachtens sollte die länder-bezogene perspektive genauso bestandteil des g8-widerstands sein (zumindest dort, wo das durch die konkreten verhältnisse geboten erscheint) wie die quer zu einzelnen ländern liegende auseinandersetzung mit bestimmten problemkomplexen wie z.b. iwf, wto, kampf um wasser, globale landwirtschaft etc. etc. (vgl. unser input-papier für das berliner treffen).
neben dem, dass togo als ‚exemplarisches land' in sachen post-koloniale entwicklung zu begreifen ist, darf aber auch nicht übersehen werden, dass hier & heute konkrete menschen - vor allem direkt betroffene - gegen abschiebungen nach togo kämpfen. und mecklenburg-vorpommern ist ein ort dieser kämpfe...
für die, die mehr über togo wissen möchten, haben wir im anhang bzw. als link einige (mehrheitlich grundsätzlich ausgerichtete) texte zu togo mit auf die reise geschickt:
a) text aus le monde diplomatique (april 2003)
b) karawane-flugblatt (april 2004): http://carava.net/download/aufruf.togo.2004.de.pdf
c) telepolis-artikel (märz 2005)
d) taz-artikel von dominic johnson (mai 2005)
hinsichtlich aktueller entwicklungen sei des weiteren auf die karawane-website verwiesen
(www.thecaravan.org) und auf einen aktuellen bericht
auf der website von umbruchbildarchiv: http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/280106alassane_moussbaou.html
herzliche grüße,
nolager bremen