2006-05-12 

FÜR EIN GANZ ANDERES GANZES!

Reflexion und Beitrag zur Diskussion der Inhalte AG

Nachdem sich die Diskussionen der Inhalte AG während der ersten beiden Treffen um die inhaltliche Ausrichtung der teilnehmenden Gruppen drehte und versucht wurde, einen kleinsten gemeinsamen Nenner herauszuarbeiten, hatte mensch in Leipzig den Punkt erreicht, an dem das gegenseitige Abtasten unter einem inhaltlichen Slogan für die weitere inhaltliche Arbeit bzw. Mobilisierung zusammengefasst werden sollte. Als größtes Problem erwies sich dabei, dass die Grundlage für die Diskussion in Leipzig die festgestellte Heterogenität der radikalen Linken in Deutschland war. Diese sollte und soll nun unter einem Dach in Form eines inhaltlichen Slogans zusammengefasst werden.

Der inhaltliche Slogan sollte seinem Charakter nach einer sein, der die Heterogenität der Diskussion widerspiegelt und es den verschiedenen Gruppen bzw. Einzelpersonen ermöglicht, die eigenen inhaltlichen Ausrichtungen darunter zu vermitteln. Dem gemäß wird er sich von den Mobilisierungssologans (die ihrer Absicht nach komplexe inhaltliche Analysen auf griffige Forderungen herunterbrechen, wie z. B. smash capitalism) unterscheiden, deren Aufgabe es sein wird, als identitätsstiftendes Moment den Protesten auf den Straßen Mecklenburg-Vorpommerns Zugkraft und Schlagfertigkeit zu verleihen. Aufgabe der Inhalte AG des dissent!-Spektrums sollte es nun sein, einen inhaltlichen Rahmen zu entwickeln, mit dem es möglich wird, gesellschaftliche Diskurse mit (heterogenen) linksradikalen Positionen zu verändern.

Globale Rechte aneignen?
Diskussionsbeitrag des Bremer G8-Plenums

nolager Bremen stellte den Slogan "Globale Rechte aneignen!" zur Debatte. Rechte seien in dieser Argumentation festgeschriebene Ergebnisse sozialer Kämpfe, die in formalen Aussagen festgehalten würden. Gleichzeitig formiere sich die bürgerliche Gesellschaft genau auf diese Weise. Insofern sei die Forderung nach Rechten schwierig, obwohl die Frage bleibe, ob Recht gleich (bürgerliches) Recht sein müsse (vgl. "Globale Rechte aneignen?", Bremer G8-Plenum).

Meiner Ansicht nach ist diese Frage in sich problematisch, vor allem durch den Rechtsbegriff. Rechte auch als Ergebnis sozialer Kämpfe zu sehen, ist zwar prinzipiell möglich, unterschätzt aber die Bedeutung der Tatsache, dass die Strukturierung des Zusammenlebens der Menschen durch Rechte eben ein Hauptmerkmal der bürgerlich organisierten Gesellschaft ist. Rechte werden innerhalb des herrschenden gesellschaftlichen Diskurses gewährt, d. h. sie richten sich maßgeblich nach dem Konsensrahmen der volonté générale, dem maßgeblichen Organisationsprinzip moderner Gesellschaften. Dieser steht synonym für die Zurichtung des Menschen zum bürgerlich vergesellschafteten Subjekt (von lat. subiacere = unterwerfen), also genau dem in Zwangsverhältnissen lebenden Menschen, der die Organisierung seines sozialen Zusammenlebens an eine ihm übergeordnete Instanz abgibt. Es ist also grundsätzlich eine zweischneidige Angelegenheit, von Rechten zu sprechen.

Innerhalb dieses Rahmens bewegen sich auch die von sozialen Bewegungen erkämpften Rechte. Sie mögen zwar ein Schritt hin zu einer "befreiten Gesellschaft" sein, doch ist die Rede von einer "befreiten Gesellschaft" genauso problematisch wie die Rede von Rechten. Beide Male wird nicht mit den herrschenden Organisationsprinzipien moderner Gesellschaften gebrochen, die m. E. als erster Schritt für die Organisierung emanzipatorischen gesellschaftlichen Zusammenlebens nötig ist, sondern versucht, bestehende Strukturen zu infiltrieren und auszuhöhlen.

Durch eine Aneignung von Rechten wird zunächst nicht mehr erreicht, als eine Verschiebung des status quo nach links. Die so gewonnenen (abstrakten) Freiräume können der Ort sein, an dem Menschen beginnen, sich von gesellschaftlichen Zwängen zu emanzipieren. Sie können aber genauso gut der Ort sein, an dem eine ursprünglich emanzipatorisch gedachte Bewegung zum Stillstand kommt.

Gegen die Vernichtung Verwertung Verelendung durch die G8!
Emanzipatorische, soziale Kämpfe unterstützen/organisieren/führen

Nachdem der Slogan "Globale Rechte aneignen!" in der Diskussion der Inhalte AG in Leipzig keinen Konsens gefunden hatte, wurden verschiedene Slogans jeweils in Form eines "3-Klangs" plus Zusatz vorgeschlagen. Exemplarisch werde ich für meine Ausführungen hierzu "Gegen die Vernichtung Verwertung Verelendung durch die G8 - Emanzipatorische, soziale Kämpfe unterstützen/organisieren/führen" heranziehen.

Die Griffigkeit eines "3-Klangs" für die inhaltliche Mobilisierung steht außer Frage. Die inhaltliche Schwere der Begriffe Vernichtung, Verwertung und Verelendung erfasst die schwerwiegendsten Auswirkungen kapitalistischen Wirtschaftens, die sich institutionell u. a. durch die G8 ausdrücken. Doch ist die inhaltliche Mobilisierung in dieser Form des "3-Klangs" m. E. zu eng geführt, so dass sie die Heterogenität der Diskussion, v. a. in der analytischen Herangehensweisen, darin nicht wieder gegeben wird.

"Vernichtung Verwertung Verelendung" verweist auf eine kapitalismuszentrierte Analyse. In den vorangegangenen Diskussionen der Inhalte AG wurde aber durch die Inhalte AG des Anti-G8-Plenums Mannheim/Heidelberg immer wieder darauf hin gewiesen, dass gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse nicht nur in und durch die ökonomische Sphäre zustande kommen, sondern dass Unterdrückungsverhältnisse, wie Rassismus, Sexismus, vertikale Gesellschaftsstrukturen, etc. auch unabhängig davon entstehen. Dementsprechend hat die Inhalte AG des Anti-G8-Plenums Mannheim/Heidelberg stets von multiple oppression gesprochen. Damit ist ein analytischer Ansatz gemeint, der gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse ausgehend vom Individuum, dem kleinsten unteilbaren Element jeder Gesellschaft, beschreibt.

Und genau diesen Aspekt der Diskussion finde ich in den Begriffen Vernichtung, Verwertung und Verelendung nicht wieder. Es fehlen die anderen Unterdrückungsverhältnisse, für die die G8 ebenfalls symbolisch herangezogen werden kann. Die G8 sind eine Spitze des Eisbergs deren Fundament ein breites Geflecht aus Unterdrückungsmechanismen bildet, das einzelne Menschen zum gesellschaftlichen bürgerlichen Subjekt zurichtet. Konkret heißt das: Die G8 stehen am oberen Ende einer vertikalen Struktur, die aufgrund von kapitalistischen, sexistischen, rassistischen, etc. Ausgrenzungsmechanismen zustande kommt und beibehalten wird. Der inhaltliche Slogan sollte auch diesen Aspekt in sich aufnehmen.

G8 abschaffen! Emanzipatorische Kämpfe unterstützen! Soziale Revolution machen!
Vorschlag eines inhaltlichen Slogans

Zusammenfassend lässt sich also für die bis jetzt gemachten Vorschläge für Slogans für eine inhaltliche Mobilisierung festhalten, dass alle dafür geeignet waren, die Diskussion zu eröffnen, aber m. E. keiner den Kern dessen getroffen hat, was mit der Mobilisierung erreichen werden soll und zugleich auch das heterogene linksradikale Spektrum unter sich vereint. "Globale Rechte aneignen!" steht dabei für eine zu bestimmte politische Ausrichtung und der "3-Klang" für eine analytische. Mein Vorschlag für einen Slogan für die inhaltliche Mobilisierung ist daher folgender: "G8 abschaffen! Emanzipatorische Kämpfe unterstützen! Soziale Revolution machen!"

Es handelt sich dabei um den Versuch einer Synthese aus den beiden vorgeschlagenen Slogans. Einerseits ist es ein "3-Klang", unter dem sich inhaltliche Positionen verschiedener Couleur sammeln können (wie z. B. "Globale Rechte aneignen!"). Andererseits gibt er die politische Richtung in so weit vor, als dass er die radikale Änderung gesellschaftlicher Verhältnisse fordert.

Konkret wird darin als erstes der Anlass und die Forderung genannt, weshalb sich das dissent!-Spektrum zusammenfand und in Mecklenburg-Vorpommern im Juni 2007 zusammenfinden wird (G8 abschaffen!). Zweitens wird darin die internationalistische Perspektive betont und klar gemacht, dass gesellschaftliche Veränderung nicht punktuell an einem Ereignis festzumachen ist, sondern ein breites Netzwerk verschiedenster emanzipatorischer Bewegungen weltweit an jedem Ort und zu jeder Zeit erfordert (Emanzipatorische Kämpfe unterstützen!). Und als drittes ist eine Formel genannt, die den Zweck und die Absicht einer jeden emanzipatorischen Bewegung auf den Punkt bringt: radikale gesellschaftliche Veränderung - soziale Revolution! (Soziale Revolution machen!)

Quo vadis, radikale Linke?
Schlussbemerkungen

Der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm war und ist Anlass für das (deutschsprachige) linksradikale Spektrum sich zu (ver)sammeln und zu diskutieren, wie linksradikale Positionen Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse nehmen und die herrschende gesellschaftliche Organisation maßgeblich verändern können. Dieser Gesichtspunkt scheint mir bei der laufenden Mobilisierung zu kurz zu kommen bzw. aus dem Blick geraten zu sein.

Ein blockierter Gipfel und die gelungene Organisierung dessen ist ein großer Erfolg und Grund zu feiern. Die herrschenden Verhältnisse werden sich aber nicht allein dadurch ändern, dass ein Treffen nicht stattgefunden hat, auf dem u. a. die Zurichtung der Menschen zu geknechteten Wesen diskutiert und geplant wird. Es wird vielmehr, seien wir realistisch, weitergehen wie zuvor.

Deshalb sollten wir weiterhin das Unmögliche versuchen zu schaffen - eine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Eine Chance bietet sich uns dazu in der Mobilisierung nach Heiligendamm. Wir bauen Strukturen auf, die es Tausenden Menschen ermöglichen wird, im Juni 2007 ihre Ablehnung gegenüber diesen Zuständen zu zeigen. Diese Strukturen könnten wir auch nach dem Gipfel weiter nutzen: zur Diskussion nach innen, zur größeren Wahrnehmbarkeit nach außen.

Gerade aus der internationalistischen Perspektive, die Vernetzung von Menschen über Ländergrenzen hinweg, böte uns die Möglichkeit emanzipatorische Kämpfe aus verschiedensten Regionen der Welt miteinander zu verbinden, aufzunehmen und an welchem Ort auch immer weiter zu kämpfen und zu entwickeln. Veränderung kennt keine Zentren, sie findet dezentral statt. Doch es sollte ein Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen ein Austausch stattfinden kann. dissent! wäre m. E. eine ideale Grundlage dafür.

Einzelperson, Heidelberg