2007-07-16
ein Diskussionsbeitrag zu Demos und Massenmilitanz
Wir befinden uns in einer Retrophase - und das ist gut so. Die Phase der Fahrrad durchdrungenen Latschdemos mit lauter lustiger Lautsprechermusik und dazu wippenden Köpfen scheint für den Moment verbannt. Die Demos um den G8-Gipfel herum zeichneten sich durch größere organisierte Blöcke, Ketten, Seitentransparente, laute Parolen und eine kraftvolle Stimmung aus. Der Höhepunkt: der 2. Juni in Rostock. Eine solch große, geschlossene, dynamische und auch noch zu großen Teilen vermummte Demo gab es wohl lange nicht mehr. Endlich kamen wir mal wieder zum agieren. Aber wäre nicht vielleicht noch viel mehr möglich gewesen? Lassen wir uns zu sehr durch bekannte Bullentaktiken beeinflussen, um dennoch bestehende Möglichkeiten zu nutzen?
Dynamisch war nicht nur der 2. Juni in Rostock. Auch die Spontandemos in Berlin (z.B. nach den Razzien) waren kraftvoll und laut. Doch dabei blieb es (leider). Wären nicht auch hier mehr Chancen zum eignen Handeln gewesen? Warum gehen Spontandemos eigentlich immer durch Kreuzberg? Weshalb laufen alle wie die Schafe in die Vorkontrollen, selbst wenn sie einfach zu umgehen sind? Und wieso reden immer noch so viele Leute mit (Anti-Konflikt-)Bullen?
Diese und mehr Fragen haben uns bewegt und zu einer Diskussion über Demoverhalten und Massenmilitanz geführt. Wir wollen ausgehend von den momentanen Bedingungen und Bullentaktiken darüber diskutieren was eben vielleicht doch möglich ist, aber auch darüber welche Verhaltensweisen auf Demos uns nerven und weshalb. Wir hoffen auf eine anregende Diskussion! .
Die Zeiten sind wahrlich nicht die besten und leider auch nicht um auf Demos aktiv zu werden: Angefangen bei den Kameras von vorne, hinten, links und rechts über die vor allem in Berlin beliebten Vorkontrollen, immer strenger werdende Auflagen, den massiven Bullenapparat bis hin zu Zivis und Greiftrupps. Dies sind wohl Dinge, die wir nur bedingt beeinflussen können. Aber es gibt Möglichkeiten einen besseren Umgang mit vielem davon zu finden und mensch muss sich nicht allem in vorauseilendem Gehorsam beugen.
Vorkontrollen
Ein schönes Beispiel hierfür sind die Vorkontrollen. Warum lassen sich eigentlich so viele immer brav durchsuchen? Dabei gibt es schwerwiegende Gründe die dagegen sprechen: schon allein sich dem Willen der Bullen zu fügen und sich von ihnen betatschen zu lassen, spricht für uns entschieden dagegen. Außerdem überlässt es mensch dadurch den Leute, die sich nicht durchsuchen lassen wollen, einzeln Auswege bzw. eher freie Eingänge zu finden - anstatt nach einem kollektiven Umgang zu suchen. Wohlwollend könnte mensch denken, die Leute, die sich kontrollieren lassen tun dies als Ablenkung, um anderen die Möglichkeit zu verschaffen an den Durchsuchungen vorbei zu kommen. Dies ist aber wahrscheinlich bei den wenigsten der Fall. Wir glauben viel eher das viele einfach nicht darüber nachdenken, immer nach dem Motto: "Mir macht das nicht so viel aus, ich hab ja eh nichts dabei."
Einzeln kann mensch das Problem natürlich auch lösen, Wege gibt es immer. Wie könnte ein kollektiver Umgang aussehen? Hierzu hat uns der Vorschlag von "one of us" aus der Interim 658 gut gefallen. Was wird wohl passieren, wenn die Bullen die einzigen auf dem Auftaktort sind? Wenn wir mal einfach nicht blöd durch die Kontrollen trotten, sondern davor stehen bleiben? Ist es nicht eine aussichtsreiche Situation mal die Bullen einzukesseln?
Greiftrupps, Zivis und Festnahmen
Machen wir es den Schweinen nicht zu leicht! Viel zu oft werden Leute auf Demos weggehaftet ohne dass andere eingreifen. Eine geschlossene Demo, organisierte Ketten und Seitentransparenten sind gute Hilfsmittel, aber nichts wert ohne unser_ Entschlossenheit Festnahmen nicht einfach so hinzunehmen. JedeR ist gefragt in solchen Situationen einzugreifen und wenn wir dies alle tun haben wir auch Erfolg! Auch hier möchten wir den Text von "one of us" unterstützen: eine solche Umgehensweise würde uns selbst doch auch viel mehr Sicherheit geben! Wir könnten viel sicherer handeln im Wissen, dass sich alle bei einem Festnahmeversuch um unsere Befreiung bemühen.
Kameras und Überwachung
Kameras sind mittlerweile überall: im Technikwagen vor der Demo, im Wasserwerfer, im Hubschrauber, links und rechts filmen Bullen und was da nicht dokumentiert ist, das findet sich bestimmt auch noch woanders. Zum Beispiel auf einem der tollen Fotohandys, auf den Video- und Fotomaterial der Presse, vielleicht auf dem Titelblatt am nächsten Tag? Oder aber bei einer/m unserer unzähligen Bewegungsreporterinnen und wenn da nicht, gibt es ja immer noch die Anwohnerinnen die vom Balkon alles mitgeschnitten haben...
Manches hiervon ließe sich einfach verhindern. Nämlich alles an Aufnahmengeräten was tatsächlich in unseren Händen liegt. Hier sollte ein verantwortungsvoller Umgang gefunden werden. Auf den Demos kann es hilfreich sein, wenn ständig alle die filmenden und fotografierenden Leute bitten, dies zu unterlassen.
Bei den Bullen wird es da schon schwieriger. Schön wäre natürlich wenn wir einfach flächendeckende Vermummungen wieder einführen würden... Doch dies ist wohl nicht ganz so einfach. Bis dahin können uns Transparente, Hochtransparente, Schilder und ähnliches als Hilfsmittel dienen. Wir können Kamerabullen zurückdrängen oder sie zum Ziel für Farbeier und ähnliches machen. Kameras
und Überwachung machen es schwieriger auf Demos zu agieren - keine Frage, aber sie machen es
nicht unmöglich!
Seitentransparente
Es kann nicht sein, dass wir uns immer weiter auf die irrsinnigsten Auflagen einlassen! Ein Höhepunkt war wohl das (zum Glück nicht eingehaltene) Hüpf- und Rennverbot in HH am 28.5., oder war das nur ein Gerücht?
Die Endlos-Seitentransparentecnur-noch-1,50 - Diskussion sollte endlich ein Ende finden. Und dieses Ende kann nicht so aussehen, dass wir all unseren schönen Transparente mit wichtigen Inhalten in Stücke reißen! Vielmehr sollten wir uns um die Transparente streiten, sogar vermehrt wieder welche mitbringen. Wenn sie uns nur deshalb nicht mehr weiterlaufen lassen, warum es nicht mal darauf anlegen, was passiert wenn sie die Demo in einer solchen Situation auflösen. Wenn wir uns jedem Unsinn fügen, werden sie sich immer neue Sachen einfallen lassen.
Aktion statt Reaktion
Wir sollten aber nicht immer nur auf Bullen reagieren, sondern auch agieren. Eine der großen Stärken des 2. Juni in Rostock. Wir sollten uns wieder mehr Sachen für Demos überlegen. Solches Agieren kann darin bestehen, nicht den vorgeschriebenen Weg zu laufen, die Bullen zu überraschen, mal ein Farbei hier oder ein gesprühter Slogan da... Wir sind uns sicher ihr habt alle noch ganze viele andere Ideen! Organisierte Blöcke sind gut, sie sind geschlossen und bieten Schutz, aber leider dadurch manchmal auch etwas zu statisch. Lasst uns Wege finde wieder mehr Dynamik zu entwickeln!
Lautsprecherwagen und Moderation
Die Demos der letzten Monate sind auch durch die lauten, gemeinsamen Parolen kraftvolle Demos gewesen. Wenn sich einEr solche Stimmung entfaltet, ist es schade, wenn sie von lauter Musik überdröhnt wird. Dies war zum Glück in letzter Zeit auch weniger der Fall. Dennoch finden wir es wichtig auch die Funktion des Lautsprecherwagens zu diskutieren.
Was uns stört ist, dass der Lauti, zugespitzt, zum Bullensprechwagen verkommt. Der Lauti sollte für uns sprechen, nicht für die Bullen! Wir sollten ihn für offensiven Ansagen nutzen und nicht zum Sprachrohr von Bullenansagen machen.
Selbstverständlichkeiten
Zu guter letzt einige Selbstverständlichkeiten... Hunde, Fahrräder und Alkohol sollten auf Demos nichts verloren haben. Einzeln zwischen Ketten rumzulaufen ist nervig. Fotos fürs Tagebuch sollten auch unterbleiben. Und Steine und Flaschen aus der 10., 15. Reihe verletzen nur die eigenen Leute! Geht doch einfach ein Stück weiter vor und versucht euch selbst realistisch einzuschätzen.
Wir freuen uns auf eine dynamische Diskussion und ebensolche Demos.