2007-07-14 

G8 Genua 2001: Kontinuität der Polizeiführung

Elettra Deiana / Gewerkschaftsforum Hannover

Jahrelang wurden von der globalisierungskritischen Bewegung und von der radikalen Linken in Italien Konsequenzen für das blutige Gemetzel gefordert, das Polizei und Carabinieri während des G8-Gipfels im Juli 2001 in Genua unter den Gegendemonstranten anrichteten. Jetzt gab es erstmals größere Veränderungen an der Polizeispitze - in Form von Beförderungen. Die linke Tageszeitung "il manifesto" brachte (auch zur Verantwortung der "Regierungslinken" für diesen Vorgang) am 27.6.2007 ein Interview mit der Abgeordneten von Rifondazione Comunista, Elettra Deiana.

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Jahrelang wurden von der globalisierungskritischen Bewegung und von der radikalen Linken in Italien Konsequenzen für das blutige Gemetzel gefordert, das Polizei und Carabinieri während des G8-Gipfels im Juli 2001 in Genua unter den Gegendemonstranten anrichteten. Die Knüppelorgien während der Demos, die Erschießung Carlo Giulianis, die massenhaften Folterungen in der Bolzaneto-Kaserne und der blutige nächtliche Polizeiüberfall auf die in der Diaz-Schule schlafenden Demonstranten sind allen unvergesslich. Der dafür wesentlich mitverantwortliche Polizeichef Gianni De Gennaro blieb allerdings (wie fast alle anderen) auf seinem Posten. Nach Ablauf seiner Amtszeit wurde er nun durch seinen „ewigen Stellvertreter“, Antonio Manganelli (57) ersetzt, wie die FIAT-Tageszeitung „La Stampa“ vom 24.6.2007 schreibt. De Gennaro wurde von der Mitte-Linksregierung unter Romano Prodi allerdings nicht geschasst, sondern fiel die Treppe herauf: Er wurde zum Kabinettschef des italienischen Innenministeriums befördert und ist damit faktisch die rechte Hand von Innenminister Giuliano Amato (dem ehemaligen PSI-Chef).

Haidi Giuliani, die Mutter von Carlo, die seit kurzem als Unabhängige für Rifondazione Comunista (PRC) im Senat sitzt, sagte, den Tränen nahe, dazu: „Die Beförderung De Gennaros und die Ernennung Manganellis zeigen, dass die Regierung keinerlei Achtung vor der Arbeit hat, die das Gericht von Genua leistet, keine Achtung vor den Forderungen der Bürger und keinen Respekt vor der Gerechtigkeit.“ Und weiter: „Ich wusste bereits, dass der PRC diese Position vertrat, aber ich bin sehr verbittert. Jeden zweiten Tag kommt mir die Versuchung, meinen Platz im Senat aufzugeben. Wenn dies die Ergebnisse sind, dann möchte ich wissen, was ich hier soll. Meine Wahl sollte mit einer Entwicklung in dieser Sache verbunden sein. Jetzt fange ich an zu denken, dass sie zu etwas ganz anderem diente.“ („il manifesto“ 26.6.2007)

Dieses Vorgehen zeigt einmal mehr, wie wenig sich die regierende Mitte-Links-Koalition (trotz ihrer ach so „kommunistischen“, „sozialistischen“ und „radikal linken“ Bestandteile) auch in der Innenpolitik von Berlusconis Mitte-Rechts-Regierung unterscheidet. Weitere Beispiele dafür sind die insbesondere von Amato und dem DS-Bürgermeister von Bologna Sergio Cofferati geschürte Sicherheitshysterie, die Anti-Terror-Razzien gegen kommunistische Betriebsräte, Gewerkschafter und andere Linke z.B. im Februar 2007 in Norditalien oder die Einwanderungspolitik und die Sammellager für Flüchtlinge (CPT). Vergessen werden sollte allerdings auch nicht, dass die Vorbereitung für die blutigen Ausschreitungen der Polizeitruppen in Genua im Juli 2001 von der Mitte-Links-Regierung unter Giuliano Amato (!) getroffen wurden. Die Berlusconi-Regierung trat ihr Amt nämlich erst im Mai 2001 an. Da waren die wichtigsten Planungen längst abgeschlossen.

Die linksradikale und bewegungsorientierte Tageszeitung „il manifesto“ brachte am 27.6.2007 zu dieser Personalpolitik ein Interview mit der Abgeordneten Elettra Deiana von Rifondazione Comunista (PRC). Die in Sardinien geborene Alt-68erin und ehemalige Trotzkistin (sie gehörte zur Führung der „offiziellen“ 4.Internationale um Ernest Mandel, Livio Maitan etc.) Deiana ist seit April 2001 italienische Abgeordnete und seit Mai 2006 stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Abgeordnetenkammer. Sie ist Mitglied der 29köpfigen Nationalen Leitung von Rifondazione und zählt zur Parteimehrheit um den Sekretär Franco Giordano und die „graue Eminenz“ Fausto Bertinotti.

„Was Manganelli anbelangt, hat der PRC einen Fehler begangen. Ein Schaden für das Verhältnis zu den Bewegungen“

Elettra Deiana: „Da wurde eine Kultur gefördert, die die Effizienz für wichtiger hält als das Recht. Die Untersuchungskommission zum G8-Gipfel hat mittlerweile keinen Sinn mehr.“

Sara Menafra

„Ich teile die Entscheidung nicht, die in Sachen De Gennaro und Manganelli getroffen wurde. Ich fürchte, dass wird die x’te Verletzung im Verhältnis zwischen Rifondazione und der Welt ((der sozialen Bewegungen)) sein, zu der wir gehören.“ Die stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Abgeordnetenkammer, Elettra Deiana, gehört zu den wenigen Führungsmitgliedern des PRC, die Lust haben, über die Montagnachmittag ((25. Juni 2007)) von Innenminister Amato und dem Ministerrat getroffenen Entscheidungen zu diskutieren. Sie wiederholt mehrmals, dass sie an den Polemiken nicht interessiert sei. Das Schweigen überzeugt sie allerdings noch weniger und sagt am Ende, was sie denkt.

Beginnen wir mit einer Einschätzung über das Ticket De Gennaro / Manganelli, das durch die Entscheidungen am Montag bestätigt wurde.

„Das ist eine Lösung, mit der ich unzufrieden bin und die absolut keine Antwort auf die große Forderung nach Gerechtigkeit ist, die von den Teilnehmern an den Demonstrationen des Jahres 2001 (nicht nur in Genua) und den Betroffenen der Übergriffe gestellt wird. Ich teile diese Entscheidung nicht. Es wurde gesagt, dass die Auswechselungen auf dem Prinzip des ‚promoveatur ut amoveatur’ (‚Jemanden befördern, um ihn loszuwerden’) beruhte. Ich habe allerdings, angesichts des sehr prestigeträchtigen Amtes, das man ihm übertragen hat, nicht den Eindruck, dass De Gennaro in irgendeiner Form entfernt wurde.“

Warum sind Sie nicht der Meinung, dass die Ernennung von Antonio Manganelli zum Polizeichef per sé eine Wende, ein Taktwechsel ist?

„Bei der Entscheidung für Manganelli wird die Fähigkeit zur Ermittlung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit den Fähigkeiten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Beziehungen zu den Bürgern miteinander vermengt. Die Qualität dieses Polizisten steht außer Frage. Das Problem ist, dass ein Kommandostrang bestätigt wird, der Protagonist jener Kultur der Effizienz war, die Regeln und Rechte nicht beachtet. Wer, wie ich, 2001 in Genua war, wird sich daran erinnern, dass wir den Eindruck hatten, als befänden wir uns auf einem Schauplatz, der von der realen Welt getrennt war. Es schien in der Tat so als wären wir in einem gigantischen Stadion eingeschlossen. Manganelli war in jenen Tagen im Urlaub, wird gesagt. Er ist allerdings Bestandteil jener Logiken. Wenn nicht noch aus anderen Gründen dann deshalb, weil er sich niemals davon distanziert und auch keine Fragen zum Geschehen gestellt hat.“

Rifondazione ist Teil der Regierungsmehrheit. Ihr könnt nicht bestreiten, dass Ihr bezüglich dieser Entscheidungen konsultiert wurdet…

„Ich hätte eine stärkere politische Dialektik bevorzugt. Die Entscheidung bezüglich des Personalwechsels im Innenministerium und die Beförderung De Gennnaros berühren einen schmerzhaften Punkt der Politik der letzten Jahre. Es wurde eine für die Regierung und für die Rechte beruhigende Entscheidung getroffen. Was uns anbelangt, ist es allerdings eine Entscheidung, die dem Problem nicht auf den Grund geht, sondern es verbirgt.“

Jetzt wird es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss über die Geschehnisse beim G8-Gipfel 2001 in Genua geben, zumindest scheint es so. Genügt Euch das nicht?

„Dieses Projekt ist mittlerweile vollkommen sinnentleert. Die Idee, einen Untersuchungsausschuss zum G8-Gipfel einzurichten, entstand nicht aus der Notwendigkeit heraus, die Fakten genauer zu kennen und zu vertiefen. Vom juristischen Standpunkt aus weiß man über jene Tage alles. Das Ziel bestand allenfalls darin den Strang der politischen Verantwortung innerhalb der Polizei zu rekonstruieren; zu begreifen, welche Mechanimen ausgelöst wurden und warum und die Manöver hinter den Kulissen zu untersuchen. Wer wusste was und warum hat er nicht geredet. Die Beförderung von De Gennaro und Manganelli beinhaltet ein politisches Urteil über das, was in jenen Stunden geschah. Diesbezüglich gibt es wirklich nichts mehr zu untersuchen oder politisch zu beurteilen.“

Für die Beteiligung an den G8-Demonstrationen und dann für die Anerkennung jener Geschichte hat Rifondazione jahrelang gekämpft – durchaus auch mehr als andere Parteien der radikalen Linken. Und nun?

„Diese Entscheidung läuft Gefahr, zu einer weiteren Verletzung im Verhältnis zu unserem Umfeld zu werden. Genua ist ein Teil unserer Geschichte, auf dem wir ein Profil mit politischem Wiedererkennungswert aufgebaut haben. Diese Entscheidung wird ein ähnlicher Boomerang werden wie die separate Demonstration am 9.Juni 2007 gegen Bush ((in Rom)).“

((Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in doppelten Klammern: Gewerkschaftsforum Hannover))