2006-08-16
Globale Rechte im Spannungsfeld von Utopie, sozialen Kämpfen und positivem Recht
Gregor Samsa
Ist von "Rechten" bzw. "Menschenrechten" die Rede, reagieren immer noch beträchtliche Teile der Radikalen Linken wahlweise gelangweilt, abfällig oder aufgebracht. Gängige Schlagworte lauten unter anderem: Systemimmanente Flickschusterei, naives Gutmenschentum oder humanitär verkleisterte Kriegsideologie. Und doch, bei aller berechtigten, ja notwendigen Kritik an der herrschenden Menschenrechtsindustrie, der Wind dreht sich: Ob auf den Euromayday-Paraden oder anlässlich der G8-Mobilisierung für Heiligendamm, immer öfter wird ein ausdrücklicher Bogen zu "Globalen Rechten" geschlagen. Die Erkenntnis beginnt sich durchzusetzen, dass globale Rechte weder durch Geburt gesetzt sind noch staatlicherseits verfügt werden. Globale Rechte entspringen vielmehr sozialen Kämpfen von unten; ob und inwieweit sie tatsächlich Oberwasser gewinnen, ist demnach das Ergebnis je konkreter, mithin gesamtgesellschaftlicher Kräftekonstellationen.
Insgesamt heißt dies also, dass es der Frage auf den Grund zu gehen gilt, was Rechte überhaupt sind, was gemeint ist, wenn globale, d.h. politische, zivile und soziale Rechte eingefordert werden. Hierzu gehört zunächst eine kritische Auseinandersetzung mit den Hintergründen der traditionellen Geringschätzung emanzipatorischer Rechtsverhältnisse durch Linke nahezu jeder Couleur. Auf dieser Basis soll sodann in mehreren Schritten gezeigt werden, inwiefern die Sprache der globalen Rechte grundsätzlich nicht anderes als den Versuch darstellt, in begrifflicher Ausdifferenzierung das auf den Punkt zu bringen, was ansonsten kurz und bündig unter Titeln wie ‚Kommunismus', ‚Assoziation freier Individuen' oder ‚Marsch der Würde' (Zapatistas) firmiert.
Die Argumente, welche das politische Operieren mit globalen Rechten in Frage stellen, sind vielstimmig; nicht alle können gleichermaßen berücksichtigt werden, manche kommen nur beiläufig zur Sprache:
1. Der wohl gängigste Einwand bewegt sich im Fahrwasser einer insbesondere in den letzten Jahren immer stärker kritisierten Dichotomie. Er besagt, dass sich eine Politik der Rechte gleichsam von selbst im Dickicht systemimmanenter Reformen bzw. Reförmchen verlieren würde. Schlimmer gar: Häufig ginge es nur noch um die Abwehr von Verschlechterungen. Der utopische Blick nach vorn sei demgegenüber weitgehend verstellt. Bemerkenswert ist, dass dieser Einwand globalen Rechten zumindest das Potential einer gewissen Schutzfunktion einräumt, während die übrigen Einwände größtenteils auf den ideologischen, wenn nicht verlogenen Charakter (menschen-)rechtlicher Verhältnisse abzielen.
2. Globale Rechte unterlägen der Gefahr einer Versonntagredung durch den politischen, zivilgesellschaftlichen und medialen Mainstream. Sie würden allenthalben beschworen und in immer neuen Verträgen fixiert - ohne ernsthafte Berücksichtigung davon, dass das Gros dieser Verträge zahnlose Tiger seien. Denn Ziel des herrschenden Menschenrechtsdiskurses sei es, die Gesellschaft mit einer wohlfeilen Patina aufgeklärter Zivilität zu überziehen. Und das wiederum mache es erforderlich, jeden Hinweis auf den Umstand zu tilgen, dass globale Rechte unter unfreien, d.h. kapitalistischen, patriarchalen, rassistischen etc. Bedingungen unweigerlich verletzt würden.
3. Die ideologische Instrumentalisierung der Menschenrechte habe seit Mitte der 1990er Jahre zu einer zunehmend aggressiv aufgeladenen Legitimation des westlichen Way of life geführt. Gipfel dieser Entwicklung sei das, was in zynisch-dreister Verdrehung der Sprache als "humanitär" begründete Militärintervention schöngeredet würde, etwa in Afghanistan oder im Kosovo: Die nicht zuletzt durch westliche Regierungen propagandistisch hochgejazzte Verklammerung von Menschenrechten, Demokratie und entfesselten Märkten in einem moralischen Prinzip der Freiheit habe außerdem unmissverständlich vor Augen geführt, wie illusorisch es wäre, von staatlichen Institutionen die Einlösung menschenrechtlicher Forderungen zu erwarten. Denn diese seien Teil des Problems, auf keinen Fall seine Lösung.
4. Der grundlegendste Einwand ist indessen rechtstheoretischer Natur: Danach sei Recht strukturkonservativ, d.h. dem Erhalt des herrschenden Status Quo verpflichtet. Im Prinzip geht diese Argumentation auf keinen geringeren als Karl Marx zurück. Bereits im "Kommunistischen Manifest" heißt es, "dass euer Recht nur der zum Gesetz erhobene Wille eurer Klasse ist, ein Wille, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen Lebensbedingungen eurer Klasse." Und das gelte nicht nur für Straf-, Miet- oder Öffentliches Recht, sondern ausdrücklich auch für die Menschenrechte. Denn die im Namen von "Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit" erfolgte Zerschlagung feudaler Schranken und Abhängigkeitsverhältnisse könnte schlechterdings als selbstloses Unterfangen des aufstrebenden BürgerInnentums beschrieben werden. Nicht ein solidarisches Gemeinwesen sei geschaffen worden, vielmehr seien, so die Marxsche Argumentation, die Rechte des Mitglieds der bürgerlichen Gesellschaft endgültig verankert worden, "d.h. des egoistischen Menschen, des vom Menschen und Gemeinwesen getrennten Menschen". Die Menschenrechte hätten also der in jedweder Hinsicht unreglementierten "Nutzanwendung des Privateigentums" Tür und Tor geöffnet. Erst unter ihrer Ägide hätte sich das für die bürgerliche Gesellschaft grundlegende Kapitalverhältnis herausbilden können, jener Prozess, der mit einem vermeintlich freiwilligen Arbeitsvertrag zwischen formal Gleichgestellten beginne und der im weiteren Verlauf (qua Mehrwertproduktion bzw. -raub) in immer größer werdende Ungleichheit und Unfreiheit umschlage.
5. Der nicht nur innerhalb linker Theoriezirkel viel diskutierte italienische Philosoph Giorgio Agamben kommt ebenfalls zu einer grundlegenden Kritik herrschender Rechtsverhältnisse, wenn auch mit gänzlich anderen Argumenten als Marx. Laut Agamben ist spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine permanente Ausweitung staatlicher Ausnahmezustände zu verzeichnen: Unter Verweis auf drohende Sicherheitsrisiken u.ä. würde zunehmend mit administrativen Verordnungen regiert. Diesen käme zwar keine unmittelbare, aber faktische Gesetzeskraft zu - Agamben spricht von einer "Gesetzeskraft ohne Gesetz". Kehrseite dieser schleichenden, auch die Menschenrechte betreffenden Erosion demokratisch legitimierter Rechtsverhältnisse seien regelmäßig wiederkehrende Gewaltexzesse des Staates gegenüber denjenigen, die ohnehin schon entrechtet seien bzw. durch Ausnahmeverordnungen entrechtet würden. Heute beträfe das nicht zuletzt papierlose Flüchtlinge und MigrantInnen.
Zumindest soviel sollte deutlich geworden sein: Es gibt reichlich Anlass, nicht nur den Rechtsverhältnissen an sich, sondern auch globalen Rechten mit einer gehörigen Portion Skepsis zu begegnen. Dies jedoch mit der These einer prinzipiellen Unbrauchbarkeit, ja Illegitimität globaler Rechte zu verknüpfen, hieße schlicht und ergreifend, in die ideologische Falle der herrschaftsförmigen Verdinglichung bzw. Zurichtung des Rechts zu tappen. Denn die in der Kritik des Rechts sichtbar gewordenen Grenzen, Widersprüche und Verdrehungen sind nicht diejenigen des Rechts in seiner Gesamtheit, sondern diejenigen der derzeit hegemonialen Rechtspraxis (zu der natürlich auch die Apparate der Repression zur Durchsetzung herrschender Rechtsnormen gehören). Den linken PauschalkritikerInnen des Rechts ist also der Vorwurf zu machen, dass sie besagte Verdinglichung einfach nur reproduzieren - wenn auch im Modus der Kritik - und sich somit der Chance begeben, das Konzept globaler Rechte von seiner emanzipatorischen Seite aus kennenzulernen, d.h. als ein Instrument ‚von unten', mit dem soziale Bewegungen bereits seit dem 19. Jahrhundert rund um den Globus erfolgreich operieren. Was es mit diesem zugleich fordernden, antizipierenden und selbstermächtigenden Verständnis globaler Rechte auf sich hat und in welchem Verhältnis es zur hegemonialen Rechtspraxis steht, möge nunmehr in mehren Schritten erläutert werden
1. Der Terminus der "Globalen Rechte" ist ein linker bzw. kritischer, er hat sich erst in den letzten Jahren herauskristallisiert. Er umfasst zivile, politische und soziale Rechte: Unter zivilen oder bürgerlichen Rechten werden klassische Abwehrrechte gegenüber dem Staat verstanden, z.B. Recht auf Leben, Verbot von Folter sowie Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Politische Rechte zielen auf das Recht politischer Partizipation; hierzu gehören unter anderem Meinungs- und Meinungsäußerungsfreiheit sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Zu den sozialen Rechten gehören wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, etwa Recht auf Arbeit, Recht auf Ernährungssouveränität, Recht auf Bildung, Recht auf gesundheitliche Versorgung etc. Systematisch und detailliert dargelegt (und trotzdem nicht vollständig) sind die zivilen, politischen und sozialen Rechte unter anderem in zwei von der UN-Generalversammlung 1966 verabschiedeten völkerrechtlichen Vereinbarungen: Im Pakt über politische und bürgerliche Rechte, Zivilpakt genannt, und im Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Sozialpakt genannt.
Grundsätzlich gilt, dass globale Rechte untereinander in einem wechselseitigen Verweisungszusammenhang stehen, d.h. unteilbar bzw. nicht-hierarchisch sind: Wer nicht lesen kann, es aufgrund fehlender Transportmöglichkeiten nicht bis zur nächsten Wahlurne schafft oder hungerbedingt die Fähigkeit eingebüßt hat, überhaupt klare Gedanken zu fassen, dem nützen politische Teilhaberechte herzlich wenig (und gleiches trifft mit etwas anders gelagerten Beispielen auch auf die Situation in den reichen Industrieländern zu). Umgekehrt werden die zivilen und politischen Rechte oftmals vor allem deshalb systematisch unterdrückt, um Menschen davon abzuhalten, für ihre sozialen Rechte einzustehen. Bekanntestes Beispiel ist sicherlich China. Vor diesem Hintergrund ist es ein durchaus starkes Stück, dass globale Rechte hier zu Lande, so denn sie innerhalb der (radikalen) Linken überhaupt Anklang finden, meist auf soziale Rechte eingedampft werden - so geschehen in einem viel gelesenen Positionspapier der Berliner Anti-G8-Gruppe von attac oder im Aufruf zum diesjährigen Anti-G8-Camp (Camp Inski) in Mecklenburg-Vorpommern. Unverständlich ist das auch aus einer historischen Perspektive, ist doch das ursprünglich verheißungsvolle Projekt der Oktoberrevolution nebst realsozialistischer Ausläufer nicht zuletzt an der politisch begründeten Weigerung seiner Führer zugrunde gegangen (Stichwort: Avantgarde-Partei), den revolutionären Prozess sowohl pluralistisch als auch horizontal zu gestalten, d.h. politische und zivile Rechte als emanzipatorische Produktivkräfte wirklich anzuerkennen.
2. Auch wenn globale Rechte in zahlreichen Konventionen, Grundrechtskatalogen oder Präambeln niedergelegt sind, so ist dies auf keinen Fall mit Kodifizierung im positiven Recht gleichzusetzen. Denn positives Recht ist tatsächlich geltendes Recht - einschließlich (repressiver) Durchsetzungsmechanismen. Genau hiervon sind jedoch globale Rechte oft meilenweit entfernt, wie ja die diesbezügliche Kritik von links völlig zu Recht betont. Wohlgemerkt: oft. Punktuell ist es nämlich sehr wohl möglich, einzelnen globalen Rechten im Rahmen politischer bzw. sozialer Kämpfe zum positiven Durchbruch zu verhelfen. Praktisch hat dies mit dem jeweiligen Kräfteverhältnis zwischen den maßgeblichen gesellschaftlichen Akteuren bzw. Strömungen zu tun (und somit einer Vielzahl ganz unterschiedlicher, teils auch widersprüchlicher Interessenkonstellationen). Exemplarisch skizziert sei dies am Beispiel von Arbeitsrecht und Sozialgesetzgebung, deren faktische Funktion es bereits seit jeher ist, dem Kapitalismus in seinen wüstesten (manchestergleichen) Ausformungen die Spitze zu brechen. Die diesbezüglich zentralen Meilensteine lauten in Deutschland unter anderem: 1839 Kinderarbeit unter 9 Jahren verboten; 1853 Kinderarbeit unter 12 Jahren verboten; 1883 Krankenversicherung; 1889 Invaliditäts- und Altersversicherung; 1918 Achtstundentag; 1920 Betriebsrätegesetz; 1921 Arbeiterschutzgesetz; 1926 Arbeitsgerichtsgesetz; 1949 Tarifvertragsgesetz; 1951 Kündigungsschutzgesetz; 1963 Mindesturlaubsgesetz; 1976 Mitbestimmungsgesetz. Es sollte kein Zweifel bestehen, dass die Welt im Geltungsbereich dieser und verwandter Gesetze in den letzten 150 Jahren eine buchstäblich andere geworden ist. Und doch, es besteht kein Anlass zum Frohlocken. Denn im globalen Maßstab (als dem einzig relevanten) sind Arbeitsrecht bzw. Sozialgesetzgebung die große Ausnahme. Und auch hier zu Lande ist das Leben im Kapitalismus für viele Menschen alles andere als ein Zuckerschlecken, die Debatten rund um Arbeit, Migration und Prekarisierung dürften das in den letzen Jahren mehr als deutlich gemacht haben. Unter'm Strich heißt dies, dass sich globale Rechte immer schon in einem nicht auflösbaren Spannungsfeld bewegen: Sie schielen zwar stets auf die Möglichkeit ihrer positiven Verankerung - als dem Status, der ihnen eigentlich gebührt. Grundsätzlich sind sie jedoch von der Warte eines nicht-eingelösten Zukunftsversprechens her zu begreifen, nur so können sie ihr volles, bereits in der französischen Revolutionstrikolore "Freiheit, Gleichheit, Brüderlicht (Geschwisterlichkeit)" angelegtes Potential unverkürzt entfalten: "Die bürgerliche Revolution war zwar zweifelsohne an den meisten Punkten mehr bürgerlich als Revolution, aber sie hat (...) eben auch jenes Versprechen und jenen utopisch-konkreten Inhalt eines Versprechens in sich, an das die wirkliche Revolution sich halten kann. Es ist der Gehalt der Menschenrechte" (Ernst Bloch).
3. Globale Rechte sind keineswegs Ausfluss ewiger Vernunftwahrheiten, auch wenn das Heer der SonntagsrednerInnen nichts unversucht lässt, globale bzw. Menschenrechte zur weltlichen Variante der alttestamentarischen Zehn Gebote hochzujubeln und folglich zu entschärfen. Globale Rechte sind vielmehr umkämpftes Terrain, in ihnen artikuliert sich das Selbstverständnis politischer und sozialer Bewegungen, mithin ihre Analysen, Konzepte und Forderungen. Konkret: Es sind ArbeiterInnen, SklavInnen, (Neo-)Kolonisierte, Frauen, rassistisch Diskriminierte, Indigene, Schwule, Lesben, religiös Verfolgte, Kranke, (Bürger-)Kriegsopfer, Favela-BewohnerInnen, Bauern und Bäuerinnen, Flüchtlinge, MigrantInnen, Behinderte und viele Ungenannte mehr gewesen, die es in praktischen Kämpfen überhaupt erst möglich gemacht haben, dass ihr jeweiliges Selbstverständnis sich sowohl formieren, als auch ans Licht der Öffentlichkeit dringen konnte und so zur Gesamtheit dessen beigetragen hat, was heute unter dem Terminus globale Rechte verfochten wird. Mit anderen Worten: Globale Rechte werden durch nichts und niemanden gewährt - schon gar nicht durch Geburt. Sie müssen stattdessen von unten Schritt für Schritt erkämpft werden, von ihrer erstmaligen Formulierung über ihre Anerkennung im Rahmen allgemeiner Konventionen bis hin zur Verankerung als positives Recht. Hieraus folgt auch, dass das Feld globaler Rechte ein für politische und soziale Bewegungen prinzipiell offenes ist und somit eines, das permanent im Wachsen begriffen ist.
4. Prinzipiell zielen globale Rechte auf eine Ausbuchstabierung dessen, was unter Würde und Gerechtigkeit - als den beiden zentralen Eckpunkten gesellschaftlicher Emanzipation - zu verstehen ist. In diesem Kontext kommt insbesondere dem Recht auf aktive gesellschaftliche Teilhabe eine elementare Bedeutung zu. Denn einzig die Möglichkeit, die eigene "Situation zu erklären, Wünsche zu formulieren und Lösungen vorzuschlagen" (Étienne Balibar) ist das Unterpfand dafür, dass tatsächlich allen Mitgliedern bzw. Gruppen der Gesellschaft Würde und Gerechtigkeit gemäß ihrer eigenen Vorstellungen widerfährt. Dieser Fokus ist alles andere als zufällig, steht doch die radikale Verweigerung des Rechts auf aktive Teilhabe und folglich auch des Rechts auf Zugehörigkeit an der Schwelle jenes Zustands, welcher als nackte Rechtlosigkeit (vgl. Georgio Agamben) bekannt ist. Von ihm sind - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung - Frauen in Bangladesh genauso betroffen wie Favela-BewohnerInnen in Brasilien oder Papierlose in Deutschland. Die Forderung des Rechts auf aktive Teilhabe ist demnach unmittelbar verschränkt mit dem, was Hannah Arendt pointiert als das "Recht, Rechte zu haben" auf den Punkt gebracht hat. Lateinamerikanische Basisbewegungen sprechen in diesem Zusammenhang von einer aktiven Staatsbürgerschaft von unten ("Citizenship from below"). Im Zentrum dieser bereits begonnenen Prozesse stünde die Selbstermächtigung der gesellschaftlichen Akteure. Ziel sei es, neue "Soziabilitäten" zu schaffen, d.h. neue Regeln des solidarischen Zusammenlebens, etwa des Verständnisses öffentlicher Verantwortlichkeit, der Gestaltung gemeinsamer Konfliktregulierung oder der Organisation von Produktion und Reproduktion. Praktisch impliziere dies vor allem die wechselseitige Anerkennung der gesellschaftlichen Akteure, also kollektive Aushandlungsprozesse, in welchen sich die Beteiligten Schritt für Schritt globale Rechte einräumen bzw. verschaffen und somit Würde und Gerechtigkeit auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene zum kommunistischen Durchbruch verhelfen.
Es bleibt die Frage, worin für die (radikale) Linke der spezifische Nutzen liegen soll, ihre eigenen Kämpfe mit der Begrifflichkeit globaler Rechte kurzzuschließen, z.B. in Slogans wie "Ein Sonntag für globale Rechte" (Euromayday-Parade Hamburg) oder "Globale Rechte aneignen!" (kontrovers diskutierter Vorschlag für ein gemeinsames Anti-G8-Motto). Einige Antworten lauten:
1. Die Identifikation mit globalen Rechten stellt eine Selbstvergewisserung dar. In ihnen bringt die (radikale) Linke das zum Ausdruck, worum es ihr grundsätzlich geht. In kondensierter Form kann dies mit Würde und Gerechtigkeit umschrieben werden, ein weiteres, sinnverwandtes und ebenfalls oft propagiertes Schlagwort lautet: "Recht auf ein gutes Leben" - bedingungslos und unhintergehbar. Ausschlaggebend ist nun, dass es ohne derartige Selbstvergewisserung gar nicht geht. Das hat Bloch bereits Marx vorgeworfen, nach welchem die proletarische Klasse "kein besonderes Recht in Anspruch nimmt, weil kein besonderes Unrecht, sondern das Unrecht schlechthin an ihr verübt wird." Hierzu Bloch: "Ein Unrecht schlechthin kann als solches aber weder bezeichnet noch gemessen noch gutgemacht werden, wenn kein Recht schlechthin, keine Rechtsutopie gesehen wird."
2. Globale Rechte sind systemsprengend, einerseits weil ihre Verwirklichung die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse voraussetzt, andererseits ob ihres globalen, gleichfalls Maßstäbe setzenden Charakters. Diese im besten Sinne des Wortes doppelte Radikalität ist kein Zufall. In ihr spiegelt sich der Umstand wieder, dass es politische und soziale Bewegungen weltweit sind, die bereits seit jeher den Teppich globaler Rechte gewoben haben.
3. Aller systemsprengenden Kraft zum Trotz, globale Rechte unterlaufen die sterile, eingangs bereits erwähnte Dichotomie zwischen Reform und Revolution: Als positives Recht ermöglichen sie nicht nur Schutz und Ressourcenzugang, sondern auch Selbstermächtigung. Als Rechtsutopie machen sie hingegen dort weiter, wo das positive Recht auf seine Grenzen stößt. Sie entpuppen sich hierdurch genauso wie die viel beachteten Richtungsforderungen (vgl. ak 499) als produktives Brückenkonzept.
4. Linke Politik droht immer wieder, von dem, was sie kritisiert bzw. bekämpft, in den Bann geschlagen zu werden. Die Rede der globalen Rechte entzieht sich dieser Logik: Ohne die kritische Analyse des herrschenden Status quo aus den Augen zu verlieren, hebt sie dennoch hervor, worum es der (radikalen) Linken politisch geht. Das ist ein in jedweder Hinsicht attraktives Kommunikationsangebot, auch in der Auseinandersetzung mit denjenigen, welche globale Rechte zum harmlosen Bettvorleger degradieren möchten.
Gregor Samsa