2003-05-11 

Diaz-Schule: Richterin weist Vorwürfe der Polizei ab

Die genuesische Richterin Anna Ivaldi hat heute die Einstellung des Verfahrens
gegen die 93 Menschen verfügt, die in der Nacht vom 21. Juli 2001 zur Zeit des
damaligen g8 in der Diaz-Schule in Genua überfallen und verhaftet wurden. Die
Richterin verfügte die Einstellung aufgrund der Feststellung, dass in dieser
Nacht keinerlei Widerstand seitens der Opfer des polizeilichen Überfalls gegeben
hat und die diesen vorgeworfenen Taten nicht begangen wurden. 62 der Personen,
die sich in den Räumen der Schule befanden, waren in dieser Nacht zum Teil
lebensgefährlich verletzt worden.
Mit der heutigen richterlichen Entscheidung werden die von der Polizei gegen die
93 Gäste der Diaz Schule erhobenen Vorwürfe des schweren Widerstands gegen die
Staatsgewalt, des schweren Diebstahls, der Körperverletzung und des
Waffenbesitzes ohne jede Einschränkung und ohne jeden Vorbehalt fallen gelassen.
Den polizeilichen Protokollen aus der Verfahrensakte sah sie sich nicht
imstande, Glauben zu schenken.

In der Urteilsbegründung hat die Richterin die Widersprüche in den polizeilichen
Protokollaussagen ausdrücklich hervorgehoben und auch darauf hingewiesen, dass
die Verlässlichkeit der selben durch die Unleserlichkeit der Unterschriften
relativiert wird und dass man festgestellt hat, dass sich diese nicht
vollständig mit den Namen der in der Schule tatsächlich anwesenden Beamten
deckten: “Der Umstand, dass Elemente aufgetaucht sind, die den Staatsanwalt
veranlasst haben, in Zusammenhang mit den Protokollen den Straftatbestand der
Fälschung zu vermuten, schließt aus, dass sich aus diesen Protokollen jedwede
Gewissheit über den tatsächlichen Hergang der Dinge gewinnen ließe”, schrieb
hierzu die Richterin. Unter anderem stellte sie fest: “Die befragten Beamten
haben nicht übereinstimmende Versionen über das Eintreten in das Schulgebäude
abgegeben, in dem sie alle jeweils den anderen zugeschrieben haben, als erste
hineingegangen zu sein”.
Die Aussagen der 93 Verhafteten Gäste der Diaz-Schule hingegen fand Die
Richterin einwandfrei, weil vollkommen übereinstimmend, “insbesondere
diejenigen, die bei der Haftbestätigungsverhandlung gemacht wurden, wobei die
Tatsache zu betonen ist, dass die 78 verhafteten Ausländer in vier verschiedene
Haftanstalten (Pavia, Voghera, Vercelli, Genova Marassi) überführt wurden,
während einige von ihnen verhört wurden, als sie in den zivilen Krankenhäusern
Genuas lagen. Dieser Umstand macht die Möglichkeit, dass selbige ihre Aussagen
hätten koordinieren können, voll und ganz unwahrscheinlich und verleiht somit
der Tatsache, dass ihre Schilderungen auch in spezifischen Punkten
übereinstimmen, besonderen Wert. Außerdem wurden die Ausländer, sobald man sie
frei gelassen hatte, zum Gegenstand von Ausweisungsmaßnahmen. Ein Umstand, der
ausschließen lässt, dass sie die Version über die Ereignisse mit den 15
Italienern hätten absprechen können, die später vom Staatsanwalt gehört wurden”.
Der Antrag auf Einstellung des Verfahrens war am 5. Dezember 2002 vom
Generalstaatsanwalt der Stadt Genua Francesco Lalla eingereicht worden. Dieser
hatte seinen Antrag damit begründet, dass es nicht möglich sei, die einzelnen
Verantwortlichen für die unterschiedlichen vorgeworfenen Taten auszumachen.
Anders sprach sich heute die Richterin Ivaldi aus: “Die einzige auf der
Grundlage der Verfahrensakten mögliche Rekonstruktion dessen, was sich in der
Nacht vom 21. zum 22. Juli 01 in der Diaz (-Schule A.d.Ü.) ereignete ist die,
die de facto ausschließt, dass die Beschuldigten Akte des Widerstands geleistet
haben”. Dies Begründete die Richterin damit, dass “Das, was diese zu Protokoll
gaben, keinerlei Widerlegung finden konnte”.
Seinerzeit hatte der Antrag auf Einstellung des Verfahrens des
Generalstaatsanwalts Lalla aus drei Gründen gleichzeitig Aufsehen erregt.
Erstens hatte er diesen einen Tag nach der Verhaftung von 23 seit dem mit
schwersten Anschuldigungen belasteten Protestteilnehmern eingereicht, zweitens
hatte Lalla zuvor den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung aus dem
Anklagekatalog ausgeklammert, so dass dieser nicht Gegenstand der Einstellung
des Verfahrens sein konnte und damit auch weiter besteht. Der Vorwurf wurde in
einen anderen “Ermittlungsstrang” integriert, der sich mit den Straßenunruhen
befasst. Drittens sorgte der Umstand für viel Aufregung, dass der Staatsanwalt
in vollem Umfang die Glaubwürdigkeit der Version der Ordnungshüter bejahte (Bau
einer Barrikade, Wurf von Gegenständen und mehr) und “sowohl weil eine
Beteiligung aller Beschuldigter an allen oder an einigen der angenommenen
Vergehen nicht nachvollzogen werden kann, als auch weil sich die individuelle
Feststellung der Verantwortlichen seitens der Polizei als mangelhaft erwiesen
hat” die Einstellung des Verfahrens beantragte.
Mit den polizeilichen Verantwortlichkeiten in Verbindung mit den Ereignissen in
der Diaz-Schule, mit den polizeilich gefälschten “Beweisen” in Form von
Molotow-Flaschen , die mit dieser Affäre in Verbindung stehen, mit den getürkten
Dienstprotokollen und der beschädigten Weste des Polizisten Nucera, der
behauptet, mit einem Messer angegriffen worden zu sein, beschäftigen sich
derzeit sieben Staatsanwalte. Dass einer von den Urhebern und Mitwissern dieser
Taten je verurteilt wird, bezweifeln viele.

[indymedia.de, von r.f. – 13.05.2003 01:04]