2007-07-09
Angriffe auf Polizisten, Attacken mit Pflastersteinen – etliche Demonstranten in Heiligendamm fanden die militanten Aktionen des Schwarzen Blocks angemessen, zeigt eine neue Umfrage. Doch im Laufe des G-8-Gipfels drehte die Stimmung.
Der junge Mann im schwarzen Outfit gehörte zu den ganz Vorsichtigen im Camp bei Reddelich. Der selbstgebaute Wachturm aus Holz und die Eingangskontrollen des Demonstranten-Zeltlagers reichten ihm da nicht. Obwohl die Befrager vollkommene Anonymität versprachen, fasste er den Fragebogen des “Zentrums für Kindheits- und Jugendforschung”(ZKJF) der Universität Bielefeld recht misstrauisch nur mit Handschuhen an: “Ich werde doch keine Fingerabdrücke darauf hinterlassen!”
Ausgefüllt hat er ihn dann aber doch, insgesamt vier Seiten mit 100 Fragen. Vielleicht gehört er zu den zehn Prozent aller Demonstranten, die bei der “angemessenen Protestform hier in Heiligendamm” hinter “Werfen von Pflastersteinen” ihr Kreuzchen unter “angemessen” gemacht haben. Tatsächlich wurden alle 3576 ausgefüllten Fragebogen zwecks Wahrheitsfindung strikt vertraulich behandelt, ging es doch um teils sehr intime Aussagen Jugendlicher bis zu 25 Jahren.
Dass eine Demonstrantengeneration in Deutschland derart gezielt und zeitnah in Aktion untersucht wird, ist auch für die beteiligten Wissenschaftler Neuland. Die Soziologen und Demografen der Uni Rostock und die Bielefelder Jugendforscher sind mit ihrem Projekt “Motivstrukturen jugendlicher Globalisierungsgegner” zwar noch nicht vollständig fertig, doch liegen jetzt – nur einen Monat nach den Protesten und Befragungen – erste repräsentative Ergebnisse vor. Die Forschung fand zielgenau im Echtzeit-Modus statt, während der Aktionstage in den Camps, sowie bei der Auftakt- und Abschlussveranstaltung.
Auf den ersten Blick scheint der Befund alarmierend: Der Kern militanter Globalisierungsgegner wird getragen von der Zustimmung eines Großteils aller Demonstranten – wie seit den Zaunschlachten an der Frankfurter Startbahn-West Ende der achtziger Jahre nicht mehr. Dies ist nicht mehr die Spaß-Generation des Love-Parade-Zeitalters. Projektleiter Uwe Sander hat jedoch auch festgestellt: “Die Mehrheit der Demonstranten war zu Beginn ein Schutz für den Schwarzen Block. Im Laufe der teils gewaltsamen Aktionen wurde diese Akzeptanz aber eher verspielt.”
Die Details der Untersuchung dürfte daher Politiker wie den schwarzen Block gleichermaßen interessieren. Nicht nur weil sich 63 Prozent aller Teilnehmer als links und 20 Prozent sogar als linksradikal bezeichnen. Zwar würde nur jeder zehnte selbst aktiv “Firmeneigentum verwüsten” – doch für solche Gewalttaten hätte er von jedem vierten die volle Zustimmung (siehe Grafik). “Angriffe auf die Polizei”, “Werfen von Pflastersteinen, Farbbeuteln oder Flaschen” wollen bis elf Prozent der Aktivisten mitmachen – und auch hier ist das Sympathisantenfeld weitaus größer. Die allgemeine Zustimmung zu illegalen Protestmitteln schnellt bei “Demontage von Schutzeinrichtungen” auf bis zu 37 Prozent hoch.
Eine 19-jährige Abiturientin schrieb dazu noch den Satz: “Dieser Zaun in seiner absoluten Wahnsinnigkeit, Sinnlosigkeit und Ungerechtigkeit muss schlicht weg!” Und eine 21-jährige Studentin formulierte sophisticatet: “Die ziehen einen Gartenzaun und bauen nichts an.”
Für alle Befragten stehen klar politische Ziele im Vordergrund. “Zwar wird die Teilnahme an der Demonstration auch genutzt, um neue Erfahrungen zu sammeln, Spaß zu haben und neue Leute kennen zu lernen”, heißt es in der ersten Auswertung. Dies seien aber sekundäre Gründe. “Es geht hauptsächlich gegen eine Form der Globalisierung, als deren Konsequenz Armut und Unterdrückung der dritten Welt gesehen wird und Perspektivlosigkeit als Folge der Dominanz ökonomischer und politischer Macht.”
[http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,493332,00.html]