2006-10-19
Während der G8-Gipfel-Protesttage im Juni 2007 wird es einen Aktionsschwerpunkt zu Militarisierung und Krieg geben.
Andrea Anton/ Mechthild Exo
Der Tag der Blockade des Flughafens Rostock-Laage ist bereits in den Aktionskalendern vermerkt: am Dienstag, den 5. Juni, einen Tag vor dem offiziellen Gipfelbeginn. Der Aktionstag richtet sich gegen die deutsche Vorbereitung auf globale Kriege, wichtige militärische Infrastruktur in der Region und nicht zuletzt gegen die Anreise der Regierungschefs für ihre verbrecherischen Verabredungen.
Weniger bekannt bisher und noch in der Ideen-Entwicklungsphase ist eine Aktion auf dem so genannten Bombodrom in der Kyritz-Neuruppiner Heide am Wochenende zuvor. Die Mobilisierung gegen Krieg und Militarisierung zum G8 wird dabei als Dreischritt gedacht: "Von der Heide zum Strand - vom Bombodrom über Rostock-Laage nach Heiligendamm." Soviel steht fest: Es wird am Sonntag vor dem Gipfel eine Aktion auf dem geplanten Bombenübungsabwurfplatz geben. Die Begriffe "Probe-Besetzung", "Wiederaneignung" und "Wiederbelebung" kursieren in diesem Zusammenhang, womit betont werden soll, dass das Gelände den Menschen für viele Zwecke zusteht, aber nicht der Bundeswehr für Luftkriegsübungen. Die Politik der G8 und Kriegsvorbereitungen hängen eng zusammen, das steht für alle KritikerInnen außer Frage. Die G8 ist eine der Institution internationaler Politik, die Marktliberalisierung, verbesserte Investitionsbedingungen, Wachstum der Märkte und der Produktivität organisieren und vorantreiben. Dazu gehört die Schaffung von Marktzugang, Stabilität, Vertragssicherheit und rechtliche Sicherheit zur Durchsetzung privatwirtschaftlicher Interessen. Die G8 als institutioneller Angelpunkt treibt weltweite entsprechende Standards voran - durch finanzielle Anreize, Kreditbindung und Entwicklungshilfe. Wo dies nicht ausreicht, werden sie auch militärisch durchgesetzt. Dabei sind alleine schon die so genannten Strukturanpassungsprogramme strukturelle Gewalt, indem sie die Lebensbedingungen Marginalisierter zunehmend verschlechtern. Doch notfalls werden Strukturanpassungen auch mit Wirtschaftssanktionen, Kriegsdrohungen wie gegen den Iran oder direkter militärischer Gewalt durchgesetzt. In der selben Logik werden neokoloniale Protektorate mit oder ohne direkte militärische Gewaltanwendung errichtet wie in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan, im Südsudan und dem Kongo. Protektorate werden aber auch für zahlreiche Staaten im Afrika südlich der Sahara vorgeschlagen, die als Failed States eingestuft werden.
Der herrschende Diskurs des Global (Liberal) Governance verankert ein Denken, das die Gewalt in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen rechtfertigt. "Dass eine gute Gesellschaft auf den Grundpfeilern repräsentativ-demokratischer Staat, Marktwirtschaft und Wissenschaft ruht, dass sie industrialisiert, säkular und modern und ihre Mitglieder individualistisch, flexibel, rational und produktiv sein sollen - dies bildet eine der unausgesprochenen Grundannahmen des Diskurses", so Aram Ziai. (1) Insofern ist das Gerede von Failed States ein Vehikel, um eine gewaltsame Einmischung zur Durchsetzung des vermeintlichen "Konsens der Menschheitsgemeinschaft" zu legitimieren.
Terrorismusbekämpfung ist ein anderes Schlagwort, das jede Form der Überwachung, Intervention und Gewaltanwendung rechtfertigt. Die G8 haben neben dem "Counter Terrorism Committee" (CTC) und der "Counter Terrorism Action Group" (CTAG) die Roma-/Lyon-Gruppe als wichtigstes Forum zur Kooperation in der Terrorismusbekämpfung aufgebaut. Deutschland übernimmt 2007 im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft auch den Vorsitz dieses Forums. In der Erklärung des letzten G8-Gipfels zur Terrorismusbekämpfung zeigt sich wie eng die Herstellung von Investoren-Sicherheit mit dem "Krieg gegen den Terrorismus" verknüpft wird: "Sie (die Terrorismusbekämpfung, ak) wird die Wahrscheinlichkeit von Konflikten und sozialen Unruhen verringern, zu einem Anstieg der Auslandsinvestitionen beitragen und eine verantwortungsvolle Regierungsführung sowie nachhaltige Entwicklung fördern."
"Peace support operations" öffnen derzeit gemäß dem G8-Handlungsplan von 2004 vor allem afrikanische Staaten für westliche Militär- und Wirtschaftsinteressen. In neuen vorgelagerten militärischen Stützpunkten findet die Ausbildung von Spezialkräften statt. Diese übernehmen dann eigenständig militärisches Krisenmanagement und Aufstandsbekämpfung und sichern damit die Bedingungen für den Raubbau an Rohstoffen und Öl, aber auch für die Entsorgung westlichen Giftmülls.
Hier setzen nicht nur antimilitaristische und antikapitalistische Kritik an. Auch die Kritik der patriarchalen Ausrichtung der postkolonialen und gleichzeitig neokolonialen Gesellschaftsordnung ist zu leisten: Kriege zu führen, bedeutet nur einen kleinen weiteren Schritt in eine Normalität von Polarisierungen und Ungleichheit, die die eigene Realität als überlegen begreift. Die dichotome, hierarchisierende Praxis patriarchaler Geschlechterrollen unterstützen Militarisierungsprozesse und werden für und durch Kriege weiter verstärkt. In und um Rostock hat die Bundeswehr eine "homebase" für die neuen globalen Kriege. In Rostock-Warnemünde sind Korvetten der Bundesmarine stationiert, mit denen Hochseeeinsätze wie am Horn von Afrika oder vor dem Libanon durchgeführt werden können. Auf dem Militärflugplatz Rostock-Laage ist das Jagdgeschwader 73 Steinhoff stationiert. Dort werden die ersten Erfahrungen mit dem Eurofighter, dem neuen milliardenschweren Rüstungsprojekt der Bundeswehr, im Praxistest gesammelt und alle Eurofighter-Piloten der Luftwaffe für die Interventionskriege geschult. Der schon oft vor der Pleite stehende zivile Flughafen Rostock-Laage nutzt die gleiche Startbahn und hat mit dem militärischen Nachbarn einen zuverlässigen Partner an seiner Seite. Ein weiteres Novum ist die Aufnahme der Polizeihubschrauberstaffel in das dortige Jagdgeschwader - ehrenhalber. So wird an der Basis die Trennung von Armee und Polizei aufgehoben, um dann wie im Fall von Afghanistan militärischen Angriff und polizeiliche Kontrolle ineinander fließen lassen zu können.
Die Umstrukturierung der Bundeswehr geschieht nach der Vorgabe, schnelle Eingreiftruppen mit dem nötigen technischen Know-how einsetzen und der NATO und den Krisenreaktionskräften der Europäischen Union zur Verfügung stellen zu können. Spezialeinheiten und Luftkrieg spielen dabei die größte Rolle. Sie ermöglichen eine Kriegsführung mit wenigen eigenen Opfern. Praktisch bedeutete das, dass die Verbindung von Waffensystemen auf dem Boden und in der Luft geübt werden muss. Das wiederum erfordert ein Gelände wie den Bombenabwurfplatz in der Kyritz-Ruppiner Heide.
Hier, in direkter räumlicher Nähe zu Rostock-Laage, will die Bundeswehr Gelände für Luftkriegsübungen einschließlich Atombombenabwurftraining und Abwürfe mit zielsuchenden Bomben einrichten. Das Bombodrom wäre der größte Bombenabwurfplatz Festland-Europas. Nur auf Sardinien gibt es einen annähernd großen Platz - mit den entsprechenden Transportproblemen für die Waffensysteme am Boden übers Meer. Zudem hat der Platz noch einen weiteren Vorteil: "Das Gelände ist so weitläufig, dass es auch den Manöversoldaten Platz bieten könnte, die auf einem künftigen Truppenübungsplatz in der Wittstocker Heide üben sollen", sagt der Stützpunkt-Kommandant Wolfgang Engel.
Der aggressive, militärische Charakter der Neuen Deutschen Außenpolitik kommt in einem solchem Nato- und EU-weit bedeutenden militärischen Schulungszentrum genauso zum Ausdruck, wie in Projekten wie dem "European Headquater" in Potsdam, der Verschickung von Truppen auch bis südlich des Äquators oder dem Streben nach einem Veto-Sitz im UN-Sicherheitsrat.
Zwar wurde die Inbetriebnahme des Bombodroms bislang verhindert, aber schon vor der Freigabe durch die Gerichte findet die widerrechtliche Aneignung des Geländes durch die Bundeswehr statt: Üppig dimensionierte Häuser, Zielpunktmarkierungen für Bomberpiloten, Infrastruktur u.a. für Radarsteuerung und Messungen machen die Wunschvorstellung zur Tatsache. Ein Autobahnanschluss, zwei Tower für den Flugverkehr und die Umverlegung des Straußberger-Bataillons sind geplant. So wird der als strukturschwach bekannten Region von der Bundeswehr ein Aufschwung versprochen. Mitten in der seen- und waldreichen Landschaft wurde ein riesengroßes Areal (144 qkm) für Kriegsübungen besetzt.
Doch Widerstand dagegen hat dort Tradition. Seit über 15 Jahren verhindert die Region mit Protestwanderungen, Ostermärschen, Kunstaktionen und juristischen Klagen die (Wieder-)Inbetriebnahme des ehemaligen sowjetischen Übungsgeländes. Die Sensibilität des Militärs für "unmännliche" Symbole reizend, wird dabei bewusst die Farbe Rosa als Protestmittel eingesetzt: Die Bundeswehr hatte ein ehemaliges Kommandogebäude empört abgerissen, nicht weil das funktionslose und leerstehende Gebäude über Nacht komplett angestrichen, sondern weil es rosafarben bemalt worden war.
Doch ein gemeinsamer Widerstand gegen die Inbetriebnahme des Bombenabwurfplatzes südlich von Rostock mit der globalisierungskritischen Bewegung gestaltet sich schwieriger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Der regionale Protest fußt neben der antimilitaristischen Motivation auch auf dem Wunsch nach Sicherung von Ruhe, von Eigentumswerten und der Tourismusindustrie und unvergifteter Landwirtschaft. Viele regionale Bombodrom-GegnerInnen sind skeptisch und tun sich schwer mit einer Öffnung hin zur Globalisierungskritik - sowohl inhaltlich wie auch in Bezug auf die in ihrer Verschiedenheit als fremd erachteten AktivistInnen. Gleichzeitig hat die globalisierungskritische und radikale Linke sich die zentrale militärpolitische Bedeutung des Bombodroms noch nicht klar gemacht bzw. greift andere Anti-G8-Themen leichter auf.
Gleichwohl wachsen die Beziehungen, die den gemeinsamen Widerstand gegen Kriegspolitik und das Bombodrom auch auf lange Sicht ermöglichen. In diesem Sommer gab es gegenseitige Besuche und gemeinsame Workshops auf dem Campinski-Camp und dem Aktionscamp der Bombodrom-Kampagne "Bomben Nein - Wir gehen rein". Schon gibt es die Zusage, materielle Unterstützung für die Unterbringung von auswärtigen AktivistInnen auf zukünftigen Treffen in der Region zu leisten. Die MitarbeiterInnen der DGB-Jugendbildungsstätte in Flecken-Zechlin am Rande des militärisch verplanten Geländes brachten das Motto "Von der Heide zum Strand" in Umlauf und führten Anfang Oktober in einer "Herbstakademie Globalisierung" eine Veranstaltung zur Diskussion möglicher Aktionen gegen Bombodrom und G8 durch. Und die BI Freie Heide hat beschlossen, am Sonntag vor dem Gipfel eine ihrer traditionellen Protestwanderungen durchzuführen. Darüber hinaus berät die BI derzeit, in welcher Form sie koordiniert mit den G8-AktivistInnen am Flughafen Rostock-Laage demonstrieren will.
Andrea Anton/Mechthild Exo
aktiv in der Berliner Koordinierung G8 + Krieg
Anmerkung:
1) Aram Ziai: Zwischen Global Governance und Post-Development. Münster 2006
Veranstaltung zu den Aktionen 25. Oktober 2006, 19.30 Uhr im Kato, U-Bahnhof Schlesisches Tor, Berlin-Kreuzberg. Weitere Informationen zur Kampagne "Bomben Nein - Wir gehen rein!" unter www.resistnow.freieheide-nb.de
Strukturanpassung - notfalls auch durch Krieg
Kriegsvorbereitungen in Gipfelnähe
Regionalen und globalen Widerstand zusammen bringen
[ak 510 vom 20.10.2006]