2007-06-25 

Bewegung im G8-Prozess von Genua

Beamter bestätigt Aussagen von Globalisierungskritikern / Polizeichef von Prodi abgesetzt
Von Jens Herrmann
Fast sechs Jahre hat es gedauert, bis Konsequenzen aus den Polizeiübergriffen während des G8-Gipfels in Genua in der Chefetage der italienischen Ordnungshüter folgen. In der vergangenen Woche setzte Regierungschef Romano Prodi den obersten Polizeichef des Landes, Gianfranco De Gennaro, überraschend ab.
Seit April 2005 stehen in Genua 29 – zum Teil hochrangige – Polizisten vor Gericht. Sie müssen sich wegen eines Polizeiangriffs auf eine Schule verantworten, die während des G8-Gipfels im Jahre 2001 von Globalisierungskritikern als Übernachtungsstätte genutzte wurde. Obwohl die schweren Übergriffe mit Videos und zahlreichen Zeugenaussagen gut belegt sind, leugneten bisher alle Angeklagten in ihren Aussagen die brutale Gewalt.

2001

Dass De Gennaro jetzt so plötzlich seinen Hut nehmen musste, liegt wohl an den bekannt gewordenen Ermittlungen der Genueser Staatsanwaltschaft gegen ihn. Er soll Polizisten dazu angehalten haben, falsche Aussagen zu den Ereignissen während des G8-Gipfels zu machen. Erst Anfang Juni packte Michelangelo Fournier, Vizechef eines römischen mobilen Spezialkommandos, vor Gericht aus: In Wirklichkeit sei die Aktion in der Diaz-Schule »eine blindwütige Prügelei« gewesen, die »nur von einer Seite ausging« – der Polizei. Was sich in der Nacht vom 21. auf den 22. Juli dort abspielte, sei »ein Gemetzel« gewesen.
Fournier gab damit als erster Polizist zu, was die 93 G8-Gegner aus der Schule (unter Ihnen 40 Deutsche) in Zeugenaussagen berichtet hatten. 81 von ihnen waren bei der Polizeirazzia verletzt worden. Drei schwebten in Lebensgefahr, als Sanitäter sie aus dem Schulgebäude trugen. Drei Jahre lang hielten Polizei und Staatsanwaltschaft Anklagen gegen die 93 Demonstranten aufrecht. Ein Richterspruch setzte den absurden Anschuldigungen der Bildung einer terroristischen Vereinigung, Plünderung und Verwüstung sowie anderer Straftaten schließlich ein Ende.
Aus Solidarität mit seinen Kollegen habe er sechs Jahre lang geschwiegen, berichtete Fournier, der im Prozess von zahlreichen Opfern der Übergriffe eindeutig identifiziert worden ist. Doch mit seiner Aussage verfolgte der vermeintlich so reuige Polizist auch eigene Interessen. So wollte er vor Gericht nachweisen, dass seine Einheit nicht verantwortlich war für die Gewaltexzesse, obwohl viele Opfer gerade diese stark belastet hatten. Seine Männer seien mit Sprechfunkgeräten in den Helmen ausgerüstet gewesen. Die prügelnden Polizisten habe er jedoch über den Helmfunk nicht erreichen können. Sie hätten es also nicht sein können.
Damit versuchte Fournier eine These zu bekräftigen, nach der eine bisher unidentifizierte Einheit von etwa 30 Polizisten für die Gewaltexzesse verantwortlich sei. Eine Aussage, die ihn und andere angeklagte Polizisten entlasten soll, aber keine Aufklärung über die Täter bringt. Die Prügelpolizisten aus den Reihen der rund 300 eingesetzten Beamten stehen jedoch ohnehin nicht vor Gericht. Ihre Identitäten konnten in den Ermittlungen nicht festgestellt werden. Sie waren vermummt. Zudem blockierte die Polizei eine Aufklärung mit allen Mitteln. Erst im Januar war bekannt geworden, dass zwei Molotowcocktails aus der Asservatenkammer der Polizei verschwunden sind. Sie waren vermeintlich bei der Durchsuchung der Diaz-Schule gefunden worden. Aber schon zu Anfang der Ermittlungen kam heraus, dass die Polizei die Brandsätze, die an anderer Stelle am Vortag sichergestellt wurde, selbst in der Schule deponiert hatte.
Ob das späte Eingeständnis des Polizisten auf den Verlauf des Prozesses große Auswirkungen haben wird, muss bezweifelt werden. Die prügelnden Polizisten werden wohl niemals zur Rechenschaft gezogen, denn bereits in zwei Wochen verjähren die ersten Straftaten.

Informationen zu G8-Prozessen:
www.supportolegale.de.vu

[http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=111798&IDC=2]