2007-06-26
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 518 / 22.6.2007
Die Zahlen allein schon geben einen Eindruck davon, was seit der ersten Juniwoche anders ist: Achtzigtausend Menschen haben an der internationalen Großdemonstration gegen den G8 in Rostock teilgenommen, mehr als zwanzigtausend sind während der Aktionswoche in der Region geblieben und weit über zehntausend haben sich an den Blockaden beteiligt. Erstmals wurde ein G8-Gipfel in seinem Ablauf tatsächlich gestört, die Versorgung musste zeitweise nach Notfallplänen organisiert werden. Damit ist die globalisierungskritische Massenmobilisierung auch in Deutschland angekommen. Heiligendamm 2007 wird zukünftig in einer Reihe mit Seattle und Genua genannt werden.
Dabei war der Erfolg durchaus bis zum Schluss ungewiss. Das aufrufende Bündnis war streng genommen gar keines. Die beteiligten Gruppen deckten ein so breites Spektrum ab, dass sie ein formales Bündnis ausdrücklich ablehnt hatten. Während sich die traditionellen kirchlichen Bündnispartner der Bewegung wie etwa die großen Friedensverbände eher zurückgehalten hatten, waren mit dem Evangelischen Entwicklungsdienst oder Brot für die Welt Teile der institutionellen Kirche involviert. Die setzten naturgemäß eher auf Gespräch und Vorschläge für eine andere Politik als auf Delegitimierung. Auch eine ganze Zahl von größeren Nichtregierungsorganisationen, die zu Beginn der Mobilisierung noch einen eigenständigen Kreis zur Vorbereitung gemeinsamer Aktionen gebildet hatten, entschied sich letztlich für diesen Kurs. Sie organisierten im Vorfeld zusammen mit der Bundesregierung eine zweitägige Veranstaltung unter dem Titel „Civil G8“, wo sie mit den G8-Regeirungen ihre Inhalte diskutierten.
Die öffentliche Aufmerksamkeit war nicht sehr groß und die Kritik leise. Fast alle akzeptierten, dass viele NGOs sich so entschieden hatten, ohne ihre Position zu teilen. Die verbleibenden Organisationen bildeten den Koordinierungskreis G8, der zwar tatsächliche Beteiligung einbüßte, aber dennoch als Austauschplattform bis weit in das Dissentnetzwerk hinein funktionierte.
Die tatsächliche Vorbereitungsarbeit aber geschah nicht dort, sondern in den einzelnen „Modulen“, also den thematischen Aktionstage, der Großdemonstration, dem Alternativgipfel, der Camping AG, etc. So konnte durch eine unterschiedliche Zusammensetzung der Einzelbündnisse die Arbeitsfähigkeit für alle gewährleistet werden. Das geschah allerdings auf Kosten der Verbindlichkeit, da jedeR sich nur für die Bereiche engagierte, wo man direkt drinsteckte. Vor allem die Finanzierung ist damit bis heute nicht für alle Module wirklich geklärt.
Auch eine gemeinsame Einschätzung der Chancen und Notwendigkeiten fand nicht wirklich statt, so dass vor allem Großdemonstration und Camps nicht von allen Beteiligten die nötige Aufmerksamkeit erfuhren. Während der Aktionen selbst relativierte sich dieses Manko aber wieder. Das war ganz wesentlich dem Umstand geschuldet, dass jeden Vormittag eine gemeinsame Pressekonferenz durchgeführt wurde, zu der ein breiter Kreis einlud. Dieser war auch in der Lage, einige Widersprüche und Krisen zu entschärfen, auch wenn er keine gemeinsamen Positionen formulierte, sondern lediglich für die einzelnen Akteure einen Ort schuf, in je ihrem eigenen Namen aufzutreten.
So kam es trotz deutlicher Unterschiede nicht zur offenen Spaltung. Das Bündnis, das keines war, hat gehalten. Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil Organisationen dabei waren, die sehr spezialisierte Themenstellungen und keine entwickelte Bündnispraxis haben, wie etwa Greenpeace, oder die ihrerseits eng mit großen NGO verbunden sind, wie etwa erlassjahr.de oder die Welthandelskampagne. Netzwerke wie attac oder die Interventionistische Linke, die selbst über ein sehr breites Organisierungsspektrum verfügen, sind allerdings intern teilweise unter erheblichen Druck geraten, der sich in einigen widersprüchlichen Stellungnahmen auch öffentlich niederschlug.
Die politische Gesamtkonstellation der letzten Mobilisierungswochen war nämlich durch eine Kampagne der Regierungsrechten für eine massive Verschärfung der Sicherheitspolitik geprägt. Es hatte unter der Verantwortung von BKA und Bundesanwaltschaft umfassende Durchsuchungen bei linken Projekten und Personen gegeben, der Vorwurf Bildung einer terroristischen Vereinigung war offensichtlich konstruiert. Dennoch tat sich ein Teil der Gruppen schwer mit kritischen Stellungnahmen. Einige Akteuren fürchteten offensichtlich, dass an den Vorwürfen etwas dran sein könnte oder wollten nicht in eine Debatte um ein ihnen fern stehendes politisches Spektrum hineingezogen werden.
Die öffentliche Meinung kippte, als keinerlei belastendes Material gefunden und keine Festnahmen durchgeführt wurden. Das ganze Manöver war als Angriff auf das Demonstrationsrecht erkennbar und sogar Heiner Geißler trat aus diesem Grund attac bei. Man kann davon ja ansonsten halten, was man will, diese Debatte war damit öffentlich gewonnen, ohne dass die Verunsicherung aufgehoben worden wäre. Dennoch bekam die Mobilisierung erheblichen Schwung.
Das hat die Gesamtzahlen sicher nach oben getrieben, aber gleichzeitig ein Problem geschaffen. Einige argumentieren völlig zu recht, dass staatliche Sicherheitsapparate ein Interesse an Gewaltbildern in Rostock haben mussten. Das war nicht nur an den erwähnen und anderen Aktionen der Bundespolizei erkennbar, sondern auch am widersprüchlichen Verhalten der für das Demonstrationsrecht zuständigen Polizeisonderkommission „Kavala“. Während die Kooperation mit dem Veranstalterkreis für die Großdemo gut und umfassend war, wurden Camps und Sternmarsch von Anfang an schikaniert, letzterer schließlich ganz verboten, ebenso wie alle Ersatzanmeldungen.
Auch während der Demo war dieses widersprüchliche Polizeiverhalten deutlich. Während der Demonstrationszüge selbst war die Polizei nur mit schwachen Kräften sichtbar, die Einsatzleitung war für die Demonstrationsleitung erreichbar, Probleme wie über den Auftaktkundgebungen kreisende Hubschrauber der Bundespolizei wurden geregelt. Das kippte nach den Vorfällen auf dem Platz der Abschlusskundgebung. Zwar steht eine exakte Rekonstruktion der Abläufe noch aus, aber die Eskalation setzte ein, nachdem DemoteilnehmerInnen zwei mit ihrem Auto auf dem Platz stehende Verkehrspolizisten angegriffen hatten. Polizeieinheiten trugen sofort zur Verschärfung bei, völlig Unbeteiligte wurden in die Geschehnisse hineingezogen, nach einer Weile wurden Wasserwerfer gegen große Teile der Kundgebung eingesetzt, fuhren auf den Platz. Es spricht einiges dafür, dass die Polizei so wie später für die Blockaden beweisen auch bei der Demonstration Spitzel und Agents Provocateurs auf dem Platz hatte.
Aber so sehr dieses Polizeiverhalten zu benennen und zu kritisieren ist, so sehr Bilder wie sie dann später durch die Medien gingen, auch dem Interesse des Bundesinnenministeriums und anderer entsprechen, es reicht als Erklärung nicht aus, weil es den an den Ereignissen beteiligten DemonstrantInnen den Status als politische Akteure nimmt. Zwar ist nicht auszuschließen, dass auch weniger politisch motivierte als nur einfach gerade auf Krawall gebürstete Personen beteiligt waren. Aber es gibt eben auch ein Spektrum, das solche Aktionen für richtig und notwendig hält. Das muss man nicht gut finden, ist aber angesichts der Gewaltverhältnisse in der Welt unvermeidlich und international Realität bei allen Großmobilisierungen.
Unsere Erwartung im Vorfeld, dass die nicht organisiert bei der Demo auftreten würden, weil es nirgendwo eine entsprechende Ankündigung gegeben hatte, war eine Fehleinschätzung. Ich nehme nicht an, dass man das Agieren der Beteiligten hätte ganz verhindern können, aber eine direkte politische Debatte mit ihnen über den Charakter der Demonstration wäre notwendig gewesen. Da waren Kinderwagen und Rollstühle und ich halte es für verantwortungslos, aus einer solchen Umgebung heraus auch dann noch die Auseinandersetzungen fortzusetzen und die Polizei anzugreifen, wenn sie den Platz verlassen hat. Das genau war mehrfach der Fall. Durch nichts zu rechtfertigen ist auch der massive Angriff auf die Verkehrspolizisten. Wir alle haben als Veranstalter der Demo und die il als Aufruferin zum Block „make capitalism history“ eine Verantwortung für den Charakter der Demonstration und wir müssen zukünftig noch genauer darauf achten, dass der nicht so leicht enteignet werden kann.
Dennoch bleibt zu betonen, dass wir diese Fehler gemeinsam gemacht haben. Es gab keinen Bruch der Absprachen durch daran Beteiligte. Es gab keinen „Schwarzen Block“, der randaliert hat und von dem man sich abgrenzen müsste. Über 90 Prozent des make-capitalism-history-Blocks haben so agiert, wie es vorher vereinbart war. Alle anderen Vorwürfe entbehren jeder Grundlage.
Im Laufe der Woche haben dann gerade diejenigen politischen Kräfte, die diesen Block wesentlich mit getragen haben, ihre Verantwortlichkeit beweisen. Die Demonstrationen am Sonntag (globale Landwirtschaft) und am Montag (Migration) fanden in einer sehr schwierigen Atmosphäre statt. Die PolizistInnen waren aufgehetzt, Lügenzitate (Redner hätten gefordert, „den Krieg in die Demo zu tragen“ oder die Demoleitung habe zum Steineschmeißen aufgerufen) waren ihnen vorgesetzt worden und das gesamte Agieren blieb provokativ. Es gab zahllose Übergriffe, aber auch Widersprüche, wenn etwa der Einsatzleiter vor Ort keine Vermummten sah, der Hubschrauberpilot dagegen mehr als zweitausend. Nur der Ruhe und Disziplin der DemonstratntInnen ist es zu verdanken, dass es nicht zu erneuten Auseinandersetzungen kam.
Die JournalistInnen merkten das zum Teil schon am Montag und Dienstag. Die Polizeiführung tat mit ständiger Desinformation ihr Teil dazu und am Mittwoch kippte die Stimmung. Über zehntausend Leute gingen in die Blockaden, umliefen die Polizei in breiten Reihen, die völlig desorientiert war, und machten Heiligendamm komplett dicht. Zwar wurde abends eine Zufahrt von dreien wieder geräumt, aber am Donnerstag erneut geschlossen. Hier kam es auch wieder zu überhartem Vorgehen der Polizei. Gleichzeitig machte Greenpeace eine Aktion im Sperrgebiet auf der Ostsee, so dass auch von dieser Seite her der Tagungsort eingeschlossen war. Am Donnerstag Morgen war das Zeitungsbild einheitlich: Die Bewegung hatte die Diskurshoheit zurückgewonnen.
Dabei waren es wieder die Teilnehmenden selbst, die eine beeindruckende Haltung zeigten. Vorsichtige Diskussionsansätze, die Blockade am Mittwoch Abend zu beenden („den politischen Erfolg kann uns keiner mehr nehmen und wer weiß, was die Polizei heute Nacht noch alles macht“), wurden vor allem von den jungen AktivistInnen empört zurückgewiesen: „Ihr habt gesagt, wir sind gekommen um zu bleiben. Und jetzt bleiben wir!“
Dabei waren im Vorfeld durchaus Zweifel am Gelingen vorhanden gewesen. Vor allem Teile des attac-Kokreises hatten Angst vor Eskalationsrisiken in den Blockaden. Das Block G8-Bündnis reagierte darauf sehr umsichtig: In richtiger Wahrnehmung der entschlossenen Stimmung hielten sie an ihrem Aktionskonzept fest, verstärkten aber die Bemühungen, den lange diskutierten Konsens über den nicht eskalierenden Charakter der Aktion bekannt zu machen. Viele Diskussionen in den Camps, Aktionstrainings und klare öffentliche Aussagen („wenn die Polizei zu sehr eskaliert, brechen wir ab“) stellten für alle Beteiligten Klarheit her. Andere Aktionskonzepte waren zeitgleich, aber räumlich getrennt, möglich. Auch die anwesenden Attacies plädierten in überwältigender Mehrheit für die Teilnahme.
Insgesamt geht also die Bewegung gestärkt aus den Aktionen hervor: Massenmobilisierung in Deutschland ist möglich ohne den Apparat und die Finanzstärke einer Großorganisation. Und innerhalb der Bewegung ist es der aktionsorientierte Teil, der gewinnt: Camps und Blockaden hielten über ein Viertel der DemonstrantInnen vom 2. Juni in der Region. Schließlich haben sich in diesem Spektrum die linksradikalen Ansätze bewährt, die auf Selbstbewusstsein, Massenhaftigkeit und genaue Vorbereitung gesetzt hatten. Nun werden die Beteiligten wie etwa die il zeigen müssen, dass sie Strukturen aufbauen können, die den anstehenden Aufgaben und Chancen gewachsen sind.