2007-06-25
ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 518 / 22.6.2007
Das richtige Konzept zur richtigen Zeit: Massenblockaden
Die Vision von massenhaften Blockaden des Gipfels, von der Delegitimierung der G8 in der Aktion ist Wirklichkeit geworden. Das bleibende Bild des Gipfels 2007 sind die Tausende, die durch Wälder, über Wiesen und Felder unaufhaltsam den Blockadepunkten entgegen streben und sich dabei von der völlig desorganisierten Polizei weder provozieren noch aufhalten lassen. Heiligendamm war zeitweise landseitig komplett eingeschlossen, der Transport von Delegierten und JournalistInnen nach Heiligendamm musste per Hubschrauber oder auf Booten durchgeführt werden. An Vorbereitung und Durchführung dieser Blockaden hatte die Kampagne Block G8 entscheidenden Anteil. Der Triumph der Bewegung gelang aber nur durch das Zusammenwirken aller unterschiedlichen Blockadekonzepte.
Die Grundlagen für den Erfolg von Block G8 wurden lange vor dem Gipfel gelegt: In den Zeit raubenden, manchmal nervenaufreibenden Debatten um das gemeinsame Aktionskonzept ging es darum, eine strömungsübergreifende Kampagne zu formen, in der sich Linksradikale aus dem Spektrum der Interventionistischen Linken ebenso wiederfinden konnten wie explizit gewaltfreie Gruppen wie z.B. X-tausendmal-quer, und die schließlich anschlussfähig war für über 120 weitere Organisationen aus allen Spektren der linken und globalisierungskritischen Bewegung.
Der strategische Ausgangpunkt für Avanti, ebenso wie für viele andere Beteiligte aus der radikalen Linken, war, die praktische Delegitimierung des G8-Gipfels zu organisieren: Aktionen, in denen ein symbolischer und praktischer Bruch mit dem globalen Kapitalismus vollzogen wird und in denen gleichzeitig viele Menschen positive Aktionserfahrungen machen, Ohnmacht überwinden und erkennen, dass kollektiver Widerstand möglich ist. Deshalb ging es nicht um die radikalste aller Aktionsformen, sondern um diejenige, die am besten geeignet ist, mit vielen Menschen gemeinsam einen bewussten Schritt vom Protest zum Widerstand zu gehen.
Die Suche nach einem Aktionsvorschlag, der viele in die Radikalisierung mitnehmen kann, schlägt sich auch im Block-G8-Aktionskonzept nieder: Die Aktionen von Block G8 sind der Idee des Zivilen Ungehorsam verpflichtet und ganz ausdrücklich nicht eskalativ. Ein ideologisches Bekenntnis zur Gewaltfreiheit wird vermieden, der Begriff von Block G8 bewusst nicht benutzt. Das wichtigste Mittel gegen die Polizeiübermacht sollte die schiere Zahl der Teilnehmenden sein. Das Aktionskonzept legte aber ebenso unmissverständlich fest, dass es um effektive und lang andauernde Blockaden geht und nicht etwa um rein symbolische Aktionen, die den Gipfelbetrieb gar nicht stören.
Das Aktionskonzept ist zwei unterschiedlichen Aufgaben sehr gut gerecht geworden: Es musste einerseits die Einigung von unterschiedlichen politischen Strömungen ermöglichen und andererseits für die erwartete Masse von Teilnehmenden eine realistische und attraktive Handlungsperspektive eröffnen.
Um letzteres ging es Block G8 ganz besonders: Den AktivistInnen Mut zu machen und Selbstvertrauen zu geben, damit sie gegen die riesige Polizeiarmee und gegen die drohende staatliche Gewalt ihre Handlungsmöglichkeiten erkennen. Denn die Aktionserfahrenen und Risikobereiten allein hätten niemals ausgereicht, um die Blockaden des G8-Gipfels tatsächlich zu Massenblockaden zu machen. Transparenz in den Aktionsformen und -abläufen war entscheidend, um auch Menschen ohne Aktionserfahrung in größerer Zahl zu mobilisieren.
Von überragender Bedeutung für die Mobilisierung waren die Aktionstrainings. Nach Schätzungen haben bis zu 4.000 Menschen daran teilgenommen. Das ist fast die Hälfte aller Menschen, die schließlich gemeinsam mit Block G8 aufgebrochen sind. Die Trainings haben vor allem eines vermittelt: Widerstand ist möglich, eine Polizeikette ist nicht unüberwindlich. Dieses Bewusstsein der Teilnehmenden war mindestens so wichtig für den Erfolg, wie die konkrete Bewegung der Finger in der Landschaft.
Kollektiver Widerstand ist möglich
Begleitet wurde Block G8 von einer intensiven Presse- und Medienarbeit. Sie hatte vor allem ein Ziel: Die Legitimität der geplanten Blockaden öffentlich deutlich zu machen und damit sowohl zu mobilisieren und zu ermutigen, wie gleichzeitig die Repression und die Polizeigewalt gegen die Blockaden zu erschweren. Ein besonders wirksames Mittel der Öffentlichkeitsarbeit waren die öffentlichen Aktionstrainings, um die sich die Presse geradezu gerissen hat. Gleichzeitig wurde damit vermittelt, dass Block G8 tatsächlich ein Konzept hat, wie Blockaden zu organisieren sind und dass dieses Konzept ohne Eskalation funktionieren kann.
Block G8 strebte von Beginn an keine Exklusivität an. Andere Blockadekonzepte, seien es die dezentralen von Paula oder die Blockaden am Flughafen Rostock-Laage, wurden stets begrüßt und als wichtig für das Gelingen der Gipfelaktionen insgesamt angesehen. Dass manche AktivistInnen angesichts der hohen medialen Präsenz von Block G8 und dem Phänomen, dass von der Presse oft alle Aktionen Block G8 zugerechnet wurden, eine zu starke Dominanz beklagten, war wohl unvermeidlich.
Als nach Monaten der öffentlichen Ankündigung der Tag der Blockaden gekommen war, fanden die Aktionen in einer besonderen Stimmung statt. Die Gewalteskalation am Rande der Großdemonstration am Samstag war der Auftakt zu Tagen voller Polizeischikane und Drohungen gegen die AktivistInnen. In dieser Situation machte sich eine starke Verunsicherung in Teilen des Protestspektrums – insbesondere bei der attac-Führung – bemerkbar. Die Forderung wurde laut, dass Block G8 von der Ankündigung von “effektiven und dauerhaften Blockaden” Abstand nehmen sollte. Ein solcher Schritt stand jedoch für den überwiegenden Teil von Block G8 nie zur Diskussion. Er hätte eine Kapitulation vor der Polizeigewalt bedeutet, obwohl Block G8 doch gerade als ein Konzept gedacht war, trotz der staatlichen Übermacht handlungsfähig zu sein.
Während sich bei den FunktionärInnen Verunsicherung breit machte, stieg die Entschlossenheit bei den AktivistInnen. Viele waren einfach wütend über die ständigen Polizeiprovokationen, andere wollten es nach der Eskalation am Samstag ganz bewusst noch einmal mit einem anderen Konzept versuchen. Und ganz viele waren ja hauptsächlich wegen der Blockaden an die Ostsee gekommen.
Block G8 unternahm noch einen öffentlichkeitswirksamen Schritt zur Deeskalation, um den sich abzeichnenden Polizeiterror zu delegitimieren: Unter Vermittlung des Rostocker Superintendenten wurde die Polizeiführung zu einem Gespräch am Montagabend eingeladen. Hierbei ging es nicht um Verhandlungen, sondern um Transparenz. Block G8 hat noch ein letztes Mal sein Vorgehen beschrieben: Tausende von Menschen werden sich auf den Weg machen, sie werden die Polizei nicht angreifen, aber sie werden immer weitergehen, bis sie die Blockadepunkte erreicht haben. Dort werden sie bleiben und auch auf Aufforderung nicht gehen. Die Polizei sicherte in allgemeinen Worten “angemessenes” Vorgehen zu. Absprachen wurden keine getroffen, aber der beabsichtigte Effekt, die veröffentlichte Meinung zugunsten der Blockaden zu beeinflussen, gelang.
Der “Schwarze Block” war Teil von Block G8
In der Presse wurde oft der Eindruck erweckt, als gebe es eine scharfe Trennung zwischen dem “Schwarzen Block” vom Samstag und den bunten BlockiererInnen vom Mittwoch und Donnerstag. Dieser Eindruck ist grundfalsch. Die SprecherInnen von Block G8 haben mehr als einmal versucht, die Dinge gerade zu rücken: Der Erfolg der Blockaden beruhte darauf, dass alle mitgemacht und zusammen gehalten haben. Block G8 hat niemanden ausgeschlossen, sondern im Gegenteil alle eingeladen mitzumachen. Der “Schwarze Block”, der ja ohnehin keine Organisation, sondern eher eine Aktionsform ist, war ein Teil von Block G8, auch wenn das für die bürgerlichen Medien nicht leicht zu erkennen war.
Am Morgen des 6. Juni wurden dann die kühnsten Erwartungen der Block-G8-OrganisatorInnen übertroffen. Mehr als 6.000 Menschen machten sich von Reddelich aus auf den Weg, ca. 4.000 starteten vom Camp Rostock aus. Die Stimmung war geprägt von freudiger Entschlossenheit. Der Zug von Reddelich erreichte sein Ziel, die Straße direkt vor dem Osttor des Sperrzauns an der Galopprennbahn ohne nennenswerten Widerstand der Polizei, die einfach perplex zu sein schien, dass nicht die Straßen benutzt wurden, sondern sich der riesige Zug seinen Weg durch Feld und Wiesen bahnte. Tatsächlich waren an der Galopprennbahn so wenige PolizistInnen aufgeboten, dass die Menge wohl auch durch den Sperrzaun hätte marschieren können, wenn sie es denn gewollt hätte.
Der Zug vom Camp Rostock hatte mehr unangenehmen Polizeikontakt. Viermal mussten Absperrungen umgangen oder wie geübt “durchflossen” werden. Dabei sind AktivistInnen mit Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken angegriffen und verletzt worden – aber der Zug ließ sich nicht aufhalten, bis schließlich bei Börgerende eine feste Blockade formiert wurde, die die Küstenstraße nach Heiligendamm sperrte. Damit hatte Block G8 zwei wichtige Zufahrtsstraßen blockiert.
Entscheidend für den letztendlichen Erfolg der Gipfelblockaden war aber, dass weitere Aktionen – z.B. am Flughafen Rostock-Laage – Polizeikräfte gebunden haben und dass die dezentralen Blockaden es geschafft haben, die Schmalspurbahn Molli bei Kühlungsborn zu unterbrechen und dass sich Tausende von der Galopprennbahn auf den Weg zum Westtor im Zaun bei Hinter Bollhagen machten. Dort wurden selbstorganisiert Fünf-Finger-Taktik und viele andere Elemente von Block G8 praktiziert. Am Nachmittag war dann klar, dass die GipfelgegnerInnen gewonnen hatten: Heiligendamm war landseitig eingeschlossen. 16.000 PolizistInnen scheiterten an fünf Fingern.
Während das Westtor Schauplatz von Blockadeversuchen blieb und die Polizei dort am Mittwoch und vor allem am Donnerstag mit massiver Gewalt gegen BlockiererInnen vorging, hielten die Blockaden an der Galopprennbahn und in Börgerende. Hier übernachteten die Leute zwei Nächte auf der Straße, bis sie am Freitag unter Jubelgesängen “So sehen Sieger aus” zur Abschlusskundgebung nach Rostock fuhren.
Mit der Dauer der Blockaden waren die Strukturen von Block G8 völlig überfordert. In der Vorbereitung und auf dem Weg hatte (fast) alles perfekt geklappt, aber dann fielen die Leute einfach wegen Übermüdung reihenweise aus und für eine ordentliche Rotation war die Personaldecke zu dünn. In dieser Situation kam die Selbstorganisation der BlockiererInnen ins Spiel, die in den Delegiertenplena oft mehr Motivation und Durchhaltewillen zeigten als die Blockade-OrganisatorInnen. Das ging zunächst nicht ganz konfliktfrei ab. So wurde von vielen bei der Blockade an der Galopprennbahn das Vorgehen der OrganisatorInnen am Mittwoch Abend zu Recht als intransparent und wenig demokratisch empfunden. Doch schließlich hat sich auch bei Block G8 die Erkenntnis durchgesetzt, dass es ein ganz wunderbares Ergebnis ist, wenn die Basis über die OrganisatorInnen hinausgeht und sich die Bewegung als ganzes die Aktion und den Sieg aneignet.
Die Bewegung hat erfahren, dass sie siegen kann
Block G8 hat seine Ziele erreicht: Widerstand gegen hochgerüstete Polizeitruppen ist möglich. Der Gipfel wurde real und andauernd blockiert. Für den Augenblick des Juni 2007 wurde deutlich, wie eine linksradikale Praxis aussehen kann, die nicht der Eskalationslogik folgt, wie sie nach Genua (und zunächst auch in Rostock) zwangsläufig zu sein schien. Strategisch geht es aber nicht um Aktionsformen, sondern um die Interventionsfähigkeit einer radikalen Linken, deren inhaltliche und praktische Angebote bündnis- und anschlussfähig sein müssen, ohne dabei zahnlos zu werden und in eine systemimmanente Logik zu verfallen. Ziviler Ungehorsam und Fünf-Finger-Taktik waren in diesem Sinne die richtigen taktischen Antworten für den Gipfel 2007. Aber sie sind nicht die Blaupause für die gesamte Bewegungspraxis der kommenden Jahre.
Wichtiger als Aktionsvereinbarungen und Marschordnungen ist, dass die Bewegung praktisch erfahren hat, dass sie siegen kann. Die Aktionen des Juni 2007 werden allen, die dabei waren, noch sehr lange im Gedächtnis bleiben und ihnen Kraft geben für die Auseinandersetzungen, die noch auf uns warten.
Christoph Kleine, aktiv bei Avanti
- Projekt undogmatische Linke