2007-06-13 

john doe in jungle world: Ins Schwarze treffen!

Nummer 24 vom 13. Juni 2007

Die Randale war das Beste, was die G8-Proteste zu bieten hatten. von john doe

Nach dem furiosen Rambazamba in Ros­tock sitze ich gutgelaunt beim Frühstück, als mir Tim Laumeyer, der Pressesprecher der »Interventionistischen Linken«, durchs Radio in den Morgenkaffee pinkelt. Als Sprecher einer der derzeit wichtigsten linksradikalen Zusammenschlüsse in diesem Land distanziert er sich von den militanten Demonstranten. Später lässt sein Verein wissen, dass diese Erklärung dem Stress und dem Lärm der Polizei­hub­schrau­ber geschul­det gewesen sei. Doch flirtet Herr Laumeyer offensichtlich mit den Reformisten, dabei stören die Autonomen. Darum lädt er unsereins vom Peacenik-Picknick vor Heiligendamm aus.

Während mich die taktische Distanzierung des linksradikalen Herrn Laumeyer ärgert, amüsieren mich die phantasievollen wie hysterischen Lügengeschichten der Medien über die Ereignisse in Rostock. Dabei muss man nicht einmal dort gewesen sein, es reicht, die Bilder und Berichte genauer zu betrachten, um zu erkennen, dass es sich bei diesen Dar­stellungen um maßlose, politisch motivierte Übertreibungen handelt. Zugleich zeigt der mediale Hype, dass der Schwarze Block mit dem bisschen Randale ins Schwarze getroffen hat. Nicht trotz, sondern wegen der Straßenkämpfe wurde der 2. Juni 2007 ein Erfolg!

Der Autonome Werbeblock zur Prime Time hat allen anderen die Show gestohlen. Der von der Bild-Zeitung zum »Bürgerkrieg« geadelte Krawall legt sich wie ein Tränengasnebel über die Inhalte der Demonstration. Und das ist auch gut so, denn der staatsfetischistische Quark von Attac und der antiimperialistische Firlefanz aus dem gleichnamigen Block verdienen es, ohne Gehör zu bleiben.

Dabei ist der Schwarze Block im doppelten Sinne aufregend. Er hebt sich nicht nur durch seine ebenso bizarre und unterhaltsame Selbstinszenierung angenehm vom Rest ab. Neben vielen Spinnern, Pyromanen und Verkleidungskünstlern finden sich bei den Autonomen Gruppen und Personen, die mit der Systemkritik aufs Ganze gehen und gegen die Diktatur der Produktion über die Bedürfnisse das Primat der Bedürfnisse über die Produktion fordern.

Der Schwarze Block macht die Radikalität und Kompromisslosigkeit dieser Systemkritik sichtbar. Schon um der Glaub­würdigkeit willen muss das staat­liche Gewaltmonopol in Frage gestellt werden. Kol­lektiv wird durch die Straf­tat »Vermummung« das Demonstrationsrecht gebrochen. Alleine die Formierung eines solchen Blocks ist ein Zeichen von politischem Selbst­bewusst­sein. Der zur Schau gestellte Unwille, sich von den Knüppelschergen verkloppen zu lassen und gegebenenfalls zurückzuschlagen oder sogar selber anzugreifen, ist Teil einer politischen Strategie. Angriffe auf die Polizei sind Ausdruck einer Staatsfeindlichkeit, die wiederum Folge einer radikalen Gesellschaftskritik ist. Das in dieser symbolischen und trotzdem handfesten Auseinandersetzung dem einen oder anderen mitunter wehgetan wird, liegt in der Natur der Sache. Schön ist das nicht, aber mein Mitleid für Leute, die auf Befehl und für Sold andere Leute mit dem Knüppel bearbeiten, hält sich in Grenzen. Es ist eine politische Entscheidung, sich zum Werkzeug zu machen, wie es eine politische Entscheidung ist, militante Systemkritik zu betreiben.

In eher seltenen Fällen wie bei Castor-Transporten oder Antifa-Aktionen verfolgen militante Aktionen unmittelbare politische Ziele. Doch meistens ist das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei ein Herumtollen auf einer abgesteckten Spielwiese. Das aber tut der Sache keinen Abbruch. Die propagandistische Simulation einer militanten Bewegung ist nicht mit einer militärischen Auseinandersetzung zu verwechseln. Und die Militanten wissen, dass die Rauferei mit der Staatsmacht nicht die Organisation einer alltäglichen, antikapitalistische Praxis ersetzt. Besser als alle anderen verstehen sie es, sinnlich und nachdrücklich die Wut auf die Zustände zu artikulieren. Die autonomen Straßenkünstler vollführen die Negation jeder Sinnstiftung für Staat, Nation, Kapital und die daraus resultierenden Gewaltverhältnisse. Und spätestens, seitdem sich die deprimierende Erkenntnis durch­gesetzt hat, dass sie, sobald sie ernst genommen werden, im Knast landen, nehmen viele Militante ihre Militanz weit weniger ernst, als man von außen annehmen könnte.

Ach, es lässt sich nur schwer abstrakt über Militanz reden. In ein paar Minuten auf der Straße kann man manchmal mehr über die Verhältnisse lernen als beim jahrelangen Sitzen im Lesekreis. Da stellt man etwa schnell fest, dass ein rot-grüner Polizei­knüppel genauso weh­tut wie ein schwarz-gelber. Wer nie das erotische Kribbeln beim Flambieren einer Wanne erfahren hat, wird es nie verstehen. Überhaupt, warum soll man angesichts der ungeheuren Gewalt­tätig­keit der Verhältnisse friedfertig bleiben? Nein, es gilt, auf die Barrikaden zu gehen und den Verhältnissen wenigstens symbolisch den Krieg zu erklären.

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