2007-06-20 

Horst Stowasser: Der „Schwarze Block“

Ein medienstarkes Phänomen zwischen Traditionsverband und fliegendem Suizidkommando

Gestern früh habe ich in der
Warteschlange vor der Supermarktkasse schnell einen
Blick in die Bildzeitung geworfen, um endlich einmal zu
erfahren, was der Schwarze
Block ist: Ein Handynetzwerk
blutjunger Hooligans. Aha. Es
hat keine 50 Sekunden gedauert, den ganzen Artikel zu
lesen.

Wenig später sitze ich mit meinem Sohn beim Frühstück in
einem Gartenlokal. Er hatte gerade per Handy die neuesten
Nachrichten von seinem Kumpel Kai aus Heiligendamm bekommen. Kai ist neunzehn,
macht beim AnArchiv mit und
sitzt gerade am Sicherheitszaun fest: Sitzblockade und
nichts zu essen… Am Tag zuvor, so berichtet Kai völlig
konsterniert, marschierte er gerade in bester Proteststimmung
mitten im bunten Gewimmel
eines unglaublich riesigen,
phantasievollen und gewaltfreien Demonstrationszuges,
als urplötzlich, schwuppdiwupp, eine 50-köpfige Kohorte
schwarzgewandeter Kampfkader an die Spitze stürmte,
einige Parolen von sich gab, in
perfekter Synchronisierung eine Salve von Steinen verschoss,
um sich daraufhin ebenso blitzschnell und in bestaunenswert
disziplinierter Rückzugsformation wieder zu verziehen: Ein
Stoßtrupp des „Schwarzen
Blocks“ in einer manöverreifen
Vorführung! Noch bevor den
DemonstrantInnen so recht
klar wurde wie ihnen geschah,
war die Kacke auch schon am
dampfen…

Schablone

Erregt unterhalten wir uns
über die Sinnhaftigkeit solcher
Aktionen. Automatisch schießt
mir das Bild der selbsternannten Kampfschwadrone vom
„Fliegenden Suizidkommando“ aus Monty Pythons „Leben
des Brian“ ins Hirn. Mein
Sohn findet es unmöglich, andere so zu instrumentalisieren
und will wissen, was das mit
Anarchie zu tun habe. Der
Mittfünfziger am Nebentisch
faltet seine „Bild“ zusammen
und mischt sich ins Gespräch:
Er könne das alles nicht mehr
begreifen und denke mittlerweile ans Auswandern in ein
Land, in dem nicht alles so
bescheuert sei.
Am Nachmittag ruft Genosse
Drücke an und schildert mir
seine frischen Eindrücke aus
Heiligendamm. Er bestärkt meine Assoziation vom „Fliegenden Suizidkommando“ noch –
durch eine ganz andere Spielart
von „Schwarzem Block“: Auch
die Polizei, so Bernd, schicke
jetzt schwarz vermummte
Stoßtrupps rücksichtslos in die
Reihen friedlicher Demonstranten, wo die ebenfalls blutjungen Polizisten mit voller
Brutalität drauflosprügelten,
Leute herausgriffen, Gegengewalt provozierten. Was läuft
da eigentlich ab, frage ich
mich. Eine Art kampfsportliches Kräftemessen nach militärischen Ritualen? Ein Schaukampf zwischen linksradikalen
und staatlichen Avantgardekämpfern um die Lufthoheit im
TV-Nachrichtenmarkt…?
Während ich noch darüber sinniere, ruft der Südwestfunk an
und will ein Interview. Der
Moderator würde gerne wissen, ob die Autonomen Anarchisten seien, und ob man sich
unter Anarchie das vorzustellen habe, was der Schwarze
Block gerade vorführt.
Interessante Frage.

Vom Zorn…
Nun bilde ich mir ja nicht ein,
ein Interpretationsmonopol in
Sachen Anarchie zu besitzen
und schon gar nicht, was die
Autonomen betrifft, mit denen
ich nie was am Hut hatte.
Trotzdem stelle ich mich den
Fragen und beantworte sie so
gut ich eben kann.* Aber erst
nach dem Gespräch kommt die
Reflexion über das, was gestern an der Supermarktkasse
begann und heute bei SWR 2
endete, so richtig in Gang.
Was ist der Schwarze Block?
Eine Organisation? Ein FunEvent für wütende Protest-Kids, die den ultimativen Kick
suchen? Eine linke Wehrsportgruppe? Nein – vor allem ist er
ein Mythos, der wie eine Wanderstaffette von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Ein Selbstläufer, der
viel zu medienwirksam ist, als
dass er in einer Mediengesellschaft jemals sterben dürfte.
Der Begriff tauchte vor Jahrzehnten im Umfeld von Startbahn West und Hafenstraße
auf, verdichtete sich in Kreuzberg zu einer kalendarisch
fixierbaren Dauerveranstaltung
und ist inzwischen ein internationales Phänomen. Gespeist
wurde er zunächst vom (überaus berechtigten) Zorn sowie
dem (überaus frustrierenden)
Gefühl der Ohnmacht einer
Protest- und Widerstandsbewegung gegen die Brutalität
der Staatsmacht. Getragen
wurde der Schwarze Block seinerzeit von einer Melange aus
militanten Anarchos und
Autonomen, und viele fanden
diese Form, sich zu wehren,
legitim. Auch ich. Und deshalb
war ich gelegentlich auch
genau dort zu finden. Bis mir
die Beschränktheit des Ganzen
aufging. Und zwar nicht erst,
nachdem sich jener unsägliche
Kampfheldenkult breit zu
machen begann und in Frankfurt der erste Polizist erschossen wurde. Das war zwar
ein erschreckender Anlass, die
militaristische Degenerierung
des Ganzen zu erkennen und
ein guter Grund, sich von solcher Art Gewalt abzuwenden.
Aber die tieferen Gründe sind
weitaus schlimmer:
Eine politische Bewegung, die
sich auf das militärische Niveau ihrer Gegner begibt, kann
nicht anarchistisch sein. Eine
politische Kultur, deren Selbstzweck sich in militantem Protest erschöpft, muss gesellschaftlich steril bleiben. Eine
Szene, die sich in ihrer eigenen
Beschränktheit abkapselt, verblödet irgendwann in der Liturgie ihrer militanten Rituale. All
das wird auf Dauer einfach nur
langweilig. Und genau dort
dümpelte dann auch diese Szene um den Schwarzen Block –
als überwiegend deutsches
Phänomen – schließlich vor sich
hin: als jederzeit kurzfristig
mobilisierbares Reserveheer
im linksautonomen Ghetto.
Bis 1999 mit der „Battle of
Seattle“ das Phänomen des
Schwarzen Block in einer Art
Urknall plötzlich zu einem
internationalen Begriff wurde.
Die Medien waren entzückt
und hatten fortan eine griffige
optische Markenikone – samt
passem Outfit, Szenesprache
und Straßenchoreographie.
Hinter dem gefälligen Medienspektakel steckte indes ein
neuer Kopf mit neuen Ideen:
John Zerzan, der mit seiner
Handvoll Junganarchos aus
Portland, Oregon, in Seattle
das zelebrierete, was er in seinen überaus klugen Essays
eines neuen Anarcho-Primitivism entwickelte: Eine ethisch
wohl begründete, technologie und globalisierungsfeindliche
Gesellschaftskritik, deren Stärke in der Analyse archaischer
Agrargesellschaften liegt und
deren Schwäche in der völlig
fehlenden Perspektive eines
gangbaren Weges zu einer
libertären Gesellschaft. Seine
Botschaft reduziert sich auf
den militanten Frontalangriff:
zerschlagen ja, aufbauen nein!
Konsequenterweise ist er ein
offener Bewunderer des als
„Unabomber“ bekannt gewordenen Mathematikprofessors
Theodore Kaczynski. Zerzans
Thesen erinnern frappant an
die brillante Verteidigungsrede
Émile Henrys, der vor seiner
Guillotinierung 1894 in ergreifenden Worten seinen Hass auf
die Gesellschaft zu schildern
verstand. Und damit jene
Bombe rechtfertigen wollte,
die er in ein vollbesetztes
Pariser Café geschleudert
hatte.

…und von der Freiheit

Ich vermute, dass meine in
Heiligendamm demonstrierende Freundin Christine, die sich
zusammen mit vielen anderen
DemonstrantInnen in einem
Rostocker Café panisch vor
den Glassplittern des Schaufensters zu schützen versuchte,
welches sich der Schwarze
Block zum Angriffsziel erkoren hatte, noch nie etwas von
Émile Henry gehört hat. Genau
so, wie die meisten jener jungen Antifas, Autonomen und
Anarchopunks wohl kaum je
etwas von John Zerzan gehört
haben dürften, die – voll von
verständlicher Wut gegen dieses wahrhaft verbrecherische
System – in Heiligendamm den
militärischen Rammbock spielen. Und welchem jungen Autonomen ist wohl heute noch
die eher bieder-theoretische
Zeitschrift „Autonomie“ bekannt, mit der weiland alles
begann…?
Nein, der Schwarze Block ist
weder eine Organisation, noch
eine Bewegung noch eine Idee.
Er ist ein medienstarkes Phänomen mit einem Mythos, der
von Generation zu Generation
tradiert wird und ganz besonders immer wieder junge Menschen anspricht. Menschen, die
in ihm ein Ventil für ihre Wut
finden und in der Medienpräsenz eine Art Trophäe. Insofern
ist es zu einer Tradition geworden, die es zu pflegen gilt. Eine
Tradition, schwach an Inhalten
und stark in ihren Formen, die
vom internationalen Traditionspflegeverband „Schwarzer
Block“ von Match zu Match
wie ein Wanderpokal weitergereicht wird.
„Am Anfang war der Zorn…“
Es ist kein Zufall, dass mein
letztes Buch** mit genau diesen Worten beginnt; ich habe
sehr lange darüber nachgedacht. In der Tat scheint mir
die Schicksalsfrage des Anarchismus mehr denn je daran
gekoppelt, ob es ihm gelingen
wird, destruktiven Zorn in kreative Kraft, blinde Wut in subversive Energie, geistreiche
Kritik in positive Utopie zu
verwandeln. Man mag Verständnis für die Gründe aufbringen die die Menschen im
Schwarzen Block bewegen.
Einer libertären Gesellschaft
bringt uns all das, was er auf
den Straßen veranstaltet, aber
wohl keinen Schritt näher. „In
Seattle, Göteborg, Genua und
Rostock“, schreibt Andrian
Kreye in der Süddeutschen Zeitung, „zählte die Praxis des
Straßenkampfes und nicht die
Denkschulen des Anarchismus.“

Horst Stowasser

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