2005-12-04
- Einladung zum 2. Vorbereitungstreffen G8 2007
- Thesen zur linksradikalen G8-Mobilisierung 2007
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Einladung zum 2. Vorbereitungstreffen G8 2007
am 6./7./8. Januar 2006 in Berlin
In den vergangenen Jahren konnte kaum ein Gipfeltreffen ungestört durchgeführt werden. Ob gegen die G8 in Genua und Evian, gegen IWF/ Weltbank in Prag und schon 1988 in Berlin oder gegen die WTO in Seattle: die Gipfel wurden immer wieder zum Kristallisationspunkt für Protest und Widerstand.
Zugleich hat es in den letzten Jahren vermehrt Kritik am sogenannten Summit-Hopping gegeben. Im Grunde werde sich zuviel auf große Events konzentriert, die politische Arbeit im Alltag werde mit vergleichsweise weniger Elan angegangen und Projekte auf lokaler Ebene fielen hinten runter. Obwohl wir diese Kritik in Teilen für berechtigt halten, finden wir die Gipfel als Kristallisationspunkte nach wie vor wichtig. Gerade eine breite Mobilisierung gegen das G8-Treffen in Heiligendamm 2007 hat das Potential - wie augenblicklich kein anderes Ereignis - eine Plattform für intensivierten Austausch und Zusammenarbeit aller möglichen linksradikalen Gruppen mit unterschiedlichsten Schwerpunkten zu werden. Darüber hinaus bieten die Gipfelmobilisierungen immer auch die Möglichkeit sichtbar zu werden - die mediale Aufmerksamkeit ist ohne viel Aufwand sicher. Und nicht zuletzt wird das Hineinwirken in andere gesellschaftliche Kreise auf der Hand liegen. Mit welchen Inhalten dabei Wirbel gemacht werden wird, wieviel davon in gemeinsamer Fokussierung oder zumindest mit gegenseitiger Bezugnahme - das muss sich in den kommenden eineinhalb Jahren entwickeln.
Ein erstes großes linksradikales Treffen hat es im Oktober in Hamburg gegeben - im folgenden der Versuch eines Resümees und der Vorschlag einer Tagesordnung für das nächste Treffen. Dazu sind alle willkommen, die Interesse an Austausch und Organisierung haben!
Das Treffen wird vom 6.-6.Januar 2006 im Mehringhof, Gneisenaustraße 2a in Berlin stattfinden (U-Bahnhof Mehringdamm).
Wäre schön wenn ihr unter g8-2007@riseup.net Bescheid sagt mit wieviel Personen ihr kommt und ob ihr einen Schlafplatz braucht..
See you!
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Anfang Oktober 2005 hatte es in Hamburg ein erstes bundesweites Vorbereitungstreffen für die Gegenmobilisierung zum G8 2007 in Heiligendamm gegeben. Mit 200 Leuten war dieses Treffen überraschend gut besucht - und es entspannen sich dementsprechend einige Kontroversen. Auch zum zweiten Treffen im Januar bleibt es wünschenswert, dass weitere Gruppen und auch einzelne dazukommen. Im folgenden versuchen wir daher auch, einiges vom letzten Mal zu resümieren.
Der Hauptschwerpunkt dieses Treffens lag auf den Inhalten, die wir gegen den G8 in Anschlag bringen wollen. So war der ganze Samstag Vormittag einer inhaltlichen Debatte vorbehalten, für die schon im Vorfeld verschiedene Inputs kursierten. Kontroversen gab es v.a. an der Frage der Schwerpunkte: brauchen wir 1-2 klare Themenschwerpunkte (wie z.B. die Schuldenthematik beim Gipfel in Schottland) oder eher einen Rahmen in dem sich unterschiedliche Kämpfe aufeinander beziehen lassen? Und kontrovers wurde es auch entlang von Begriffen: So kam es - um ein Beispiel zu nennen - zwischen den Stichworten "Globalisierung von unten" und "Internationalismus" zur Polarisierung. Wir hoffen, dass entlang der darin enthaltenen Fragen Debatten entstehen, die sich möglichst durch die gesamte Vorbereitungs- und Mobilisierungsphase ziehen. In ihnen liegt allemal das Potential für spannende Auseinandersetzungen. Mehrere Gruppen haben sich am Ende des Treffens mit dem Gedanken getragen, eigene Positionen aufzuschreiben.
Beim letzten Treffen mischte sich diese Diskussion (zumindest in einigen der Kleingruppen am Samstag) mit der Frage möglicher Slogans. Einige der damals genannten Beispiele:
Die Beherrschung verlieren
Globalisierung von unten
Unser schönes Leben gegen euer kaltes Geld
Globale (soziale) Rechte
Existenzsicherung weltweit
Make property history
Eine andere Welt ist möglich
Internationalismus statt Globalisierung
Kapital Macht Krieg
Grenzenloser Widerstand
Nach wie vor erscheint uns die Frage der inhaltlichen Ausrichtung als zentral. Wobei ja auch die Debatte um mögliche Slogans in diesem Sinne eine um "Profilierung" über bestimmte Inhalte ist.
Und weiterer Aspekt einer solchen Profilsuche ist auch die Auseinandersetzung um den Namen. Dabei wurden (unter Zeitdruck am Ende des Treffens) drei unterschiedliche Vorschläge "bewedelt": "dissent!", "Linksradikales Plenum" oder "Linksradikaler Ratschlag". "dissent!" war dabei sicherlich Favorit. Aber vielleicht gibt es ja mittlerweile andere Vorschläge, die ähnlich wie dissent! eigenes Profil haben, aber die Breite besser einfangen?
Neben der Diskussion rund um "Internationalismus/ Bezug auf Befreiungsbewegungen" hat auch dazu in der Zwischenzeit ein ausführlicher Austausch auf der bundesweiten Mailingliste stattgefunden. Das ist erstmal erfreulich, wird ja sonst auf Mailinglisten eher wenig diskutiert. Jedoch bewegten sich allzuviele der Beiträge im Rahmen von Abgrenzung und Hinknallen "ideologisierter" Positionen - manchmal war unser Eindruck direkt in der Indymedia-Kommentarleiste gelandet zu sein. Es gab wenig Bemühen, Fragen herauszukristallisieren, die eine gemeinsame Auseinandersetzung voranbringen könnten. Das lässt uns befürchten eine reine Namens- und Slogandebatte könnte eben genau dorthin führen, wo wir nicht hinwollen: die Claims wären danach abgesteckt, die Ansätze für produktiven Streit um die unterschiedlichen Positionen eher zugeschüttet als aufgebrochen.
Daher der Vorschlag beim Januar-Treffen am Samstag Vormittag "umfassender" in die Debatte einzusteigen: ohne vorherige Festlegung auf zu erzielende Ergebnisse und im Versuch offen zu bleiben und gleichzeitig eben trotzdem auf Profilsuche zu gehen. Das funktioniert unseres Erachtens allerdings nur, wenn nicht gleich die übliche Abgrenzungsnummern laufen.
Wir (aus Rhein-Main) würden in der ersten Stunde zwei kurze Inputs geben, die zu den verschiedenen Bereichen versuchen sollten, die offenen Fragen bzw. Widersprüche zusammenzufassen. Als Versuch den bisherigen Diskussions-Prozess zu beschreiben, polarisierte Positionen einzufangen und erneut diskutierbar zu machen.
Im ersten Input würde es dabei um die verschiedenen inhaltlichen Fragen gehen. Im zweiten Input eher um die Frage des "Selbstverständnisses" im weiteren Sinne, sprich um die Bedeutung von Name, Slogan, Bündnissen etc..
Im Anschluss würde in Kleingruppen - hoffentlich unter Einbeziehung dieser bisherigen Erfahrungen - über diesen kompletten Komplex diskutiert. Wir hoffen, das funktioniert, da diese Fragen eng miteinander verwoben sind.
Das letzte Mal bot der Samstag Nachmittag Zeit, sich in verschiedenen Arbeitsgruppen im kleineren Rahmen einerseits weiteren Raum für die inhaltlichen Debatten zu nehmen und sich andererseits den eher praktischen Fragen zu widmen. Das sollten wir beibehalten. Zu den einzelnen AGs mehr in unserem Vorschlag zur Tagesordnung. Weitere Vorschläge sind dringendst erwünscht!
Vor allem rund um Struktur/ Kommunikation/ Prozess nach aussen und innen bleibt uns unklar, wie sich AGs zusammenfinden könnten. Vorschläge wären dazu m orfeld schärfstens erwünscht. Ansonsten wird sich das vor Ort klären müssen.
Mit der Struktur des Treffens bleibt es wie gehabt: Wir bringen den Vorschlag zur Tagesordnung mit und moderieren den Freitag Abend. Freitags muss sich dann eine neue Strukturgruppe für den Samstag finden und die Freitag Abends gefällten Änderungsvorschläge in die Strukturierung des Samstags einfliessen lassen. Wenn es gravierendere Änderungsvorschläge gibt, würden wir euch bitten, die schon vorab über die Mailingliste (g8-2007@riseup.net) anzukündigen. Das erspart uns allen möglicherweise ermüdende Strukturdebatten im großen Plenum.
Soweit erstmal, wir freuen uns auf eine spannende zweite Runde,
Libertad Frankfurt, G8-Plenum Mannheim/ Heidelberg und glocal group Hanau
Agenda-Vorschlag
Freitag, 6. Januar
18 Uhr - Wir bringen uns auf einen gemeinsamen Stand.
Vorgestellt werden Ergebnisse von Zwischentreffen der verschiedenen AGs (welche haben sich denn in der Zwischenzeit getroffen?), von regionalen Entwicklungen in der Zwischenzeit und die verschiedenen Diskussionspapiere.
Samstag, 7.1.2006
9 Uhr - Frühstück
10 Uhr - großes Plenum, Thema des Vormittags: "Inhalte und Selbstverständnis"
zwei (kurze) Inputs als Versuch den Stand der bisherigen Diskussion einzufangen, Widersprüche und Fragen zusammenzufassen und diskutierbar zu machen.
Aufteilung in Kleingruppen (max. 20-30 Leute)
11-12:30 Uhr - Kleingruppen diskutieren über "Inhalte und Selbstverständnis"
12:45 Uhr - großes Plenum - sind schon Entscheidungen bezüglich Namen oder Slogan möglich? (Wir stehen nicht unter Druck - wenn nicht werden wir einfach den Stand der Diskussion erneut kurz zusammenfassen.)
13:30-15:00 Uhr - Mittagspause
15:00 Uhr - (kurzes) großes Plenum zwecks Vorstellung der unterschiedlichen AGs am Nachmittag
15:30 - 17:00 Uhr - AGs Teil1
17:15 - 19:00 Uhr - AGs Teil 2
Manche zeitintensiven Themen finden in beiden AG-Phasen statt.
Folgende AGs stehen schon fest und wurden zum größten Teil auch schon in Zwischentreffen oder eigenen Mailinglisten weitergeführt:
1. Fortsetzung der Inhaltsdebatte
- St.Petersburg 2006
- Camp 2006
- Homepage
- Lokale Mobilisierung
- Internationale Mobilisierung
- Infotour
Anknüpfend an AGs beim letzten Treffen wären zudem weitere AGs möglich und nötig:
* Vermittlung/ Kommunikation nach außen ("Außenwelt") oder als Unter-AGs:
- Pressearbeit
- Bündnisse
* Struktur/ Kommunikation/ Prozess (innen) oder gesplittet in:
- Breites Bündnis vs. explizit linksradikales Netzwerk
- Hallmarks/Eckpunkte/Selbstverständnis
- Umgang untereinander und mit Hierarchien und Dominanzen
19 Uhr - Abendessen
Allen die dann noch nicht genug haben, steht es natürlich frei "open end" weiterzumachen. Einzelne AGs werden möglicherweise mehr Zeit brauchen.
Sonntag. 8.1.2006
9.00 Uhr - Frühstück
10.00 - 13.00 Uhr Großes Plenum - Entscheidungen treffen bezüglich Namen und Slogan (falls möglich). Ansonsten kurze Ergebnisprotokolle von AG�s und wie geht's in den AG�s weiter.
Am Ende erneute Verabredungsphase für die Zwischentreffen der AGs.
[g8-2007@riseup.net]
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Dissent - dem globalen Kapitalismus entgegentreten
Thesen zur linksradikalen G8-Mobilisierung 2007
Gruppe Six Hills, Berlin, Nov. 2005
Inhalt:
1. "Hier kommt die Kaltfront" - 15 Jahre "Neue Weltordnung"
2. Begriffe und Abgrenzungen
3. Unsere Einschätzungen zu den PGA Hallmarks:
4. Was tun?
1. "Hier kommt die Kaltfront"1 - 15 Jahre "Neue Weltordnung"
Anderthalb Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des autoritären Staatssozialismus herrscht die kapitalistische One World - ein System weltweit durchgesetzter Regeln kapitalistischer Verwertung von Menschen und Material. Diesen sind nunmehr alle - wenn auch in unterschiedlicher Weise - unterworfen. Der Kapitalismus saugt "immer mehr Menschen in seine Verwertungsdynamik (ein), ohne ihnen als Gegenleistung dafür die Mittel in die Hand zu geben, die sie für die Reproduktion ihres Lebens benötigen; zugleich hat er aber auch auf allen Ebenen seiner Wertschöpfungskette Hunderte von Millionen Menschen enteignet und erwerbslos gemacht."2 Die Länder der Peripherie sind durch Kreditabhängigkeiten und obligatorische Mitsprache (in WTO und IWF) fest an die Handelsgrundlagen des Kapitalismus gebunden. Seit die ökonomische Hegemonie der USA geschwächt wurde, treten mehrere große Machtblöcke in eine neue Konkurrenz.
Nach der fordistischen Herrschaft3, die noch große Teile der Metropolengesellschaften einband, um den Kampf gegen das System hinter dem "Eisernen Vorhang" zu gewinnen, werden nun in der globalen Konkurrenzgesellschaft die Regeln Ausbeutung auch in der "ersten Welt" rücksichtslos durchgesetzt werden. Sie bedeuten Arbeitszwang und Entwertung der Arbeit, Abriss des Sozialstaats und zunehmende Spaltung in Gewinner & Loser. Die Koordinaten dieser weltweit stattfindenden Spaltung heißen in ihren Extremen: Verfügungsmacht und unbegrenzte Mobilität für die einen, Zwangsprostitution, Krieg und Verarmung für die working poor und die Ausgeschiedenen. In vielen Teilen der Welt hat die Dynamik von Kapitalismus, Herrschaft und Krieg um Einfluss-Sphären, Absatzmärkte und Ressourcen Migrationsströme in historisch einmaligem Ausmaß produziert. Nur ein Bruchteil kommt in den "verheißungsvollen" Norden und Westen der Welt, und das heißt in der Regel: in Lager und baldige Abschiebehaft.
Jedoch: Ein Prozess der weltweiten Unterwanderung von Migrationssystemen findet trotz der Zäune und Grenzen der Herrschenden statt. Jährlich fliehen z.B. 200 000 Menschen von Afrika über die Südgrenze in die EU. Solidarische Netzwerke und Comunities unterlaufen so das Abschottungssystem.4
Seit Mitte der 1990er nimmt außerdem der Protest gegen den globalen Kapitalismus zu. Noch vor kurzem schienen die stalinistische und die maoistische Sackgasse jeden Gedanke an Kritik auf breiter Ebene auf Jahrzehnte desavouiert zu haben. Die Ideologie, dass es keine Alternative zum marktförmigen Terror gibt, wird uns voraussichtlich noch einige Zeit begleiten. Der zapatistische Aufstand 1994, Siege linker Parteien in Europa und Lateinamerika (Venezuela, Argentinien und Brasilien) oder Proteste gegen WTO in Seattle 1998 und der Aufschwung linker Globalisierungskritik, aber auch Bucherfolge wie Kurz' "Schwarzbuch" oder Hardts/Negris "Empire" sind aber deutliche Wegmarken einer Renaissance der Kritik. Auch wenn von einer Delegitimierung des Kapitalismus (Roth) noch nicht die Rede sein kann - es treten gehäuft mindestens Vermittlungsprobleme auf, die nicht mehr primär reaktionär und nationalistisch besetzt werden, wie dies mehrheitlich in den 1990ern noch der Fall war.
An einer G8-Gegenmobilisierung für Heiligendamm schätzen wir, dass sie über die Analyse hinaus den Blick auf etwas Neues öffnet und den Anschluss an unterschiedliche soziale Bewegungen ermöglicht. Vor allem: dass sie den Kapitalismus unter dem Eindruck sich verstärkender Legitimationsprobleme wieder in einer gewissen Breite diskutierbar macht. Auch wenn Mobilisierung und Diskussion in einem breiten Bündnis wichtig sein werden - und interessant sein können - sähen wir einen linksradikalen Zusammenhang gern in der Tradition des "Dissent!"-Bündnisses gegen den G8 in Schottland - und möchten in aller Kürze einige klärende und auch abgrenzende Positionen beziehen:
2. Begriffe und Abgrenzungen
Was ist eigentlich Globalisierung? Das was heutzutage als Globalisierung benannt wird, meint im Kern einen globalisierten Kapitalismus. Seit 1989 hat die weltwirtschaftliche Verflechtung wesentlich zugenommen, wirtschaftspolitische Steuerungsmöglichkeiten von Nationalstaaten haben ganz entscheidend abgenommen, transnationale Formen von Staatlichkeit (z.B. WTO, NATO, IWF) sind wesentlich bedeutender geworden.
Zentral ist die Internationalisierung des Finanzsystems. Dieses ist "gewissermaßen das �Steuerungszentrum' einer kapitalistischen Ökonomie. Nicht im Sinne einer bewussten Steuerung, durch eine bestimmte Gruppe von Personen, sondern in einem strukturellen Sinn." Damit können sich heutzutage Krisen global wesentlich schneller verbreiten. Kapital kennt keine geographischen Grenzen mehr, veränderte Kommunikations- und Transportmöglichkeiten sind Teil der Globalisierung. Krieg und Verelendungsprozesse sind die "normalen Konsequenzen einer sich global verallgemeinernden Produktionsweise."5 Das was am Kapitalismus abzulehnen ist, ist auch an seiner globalisierten Form abzulehnen: dass er Menschen nur als produktive Wertschöpfer und als Konsumenten braucht, dass er Menschen ohne Vermögen in Arbeit zwingt und in ein System von Ausbeutung und Konkurrenz, dass er die Umwelt missachtet, dass die Ressourcen ohne Blick auf die Zukunft verbraucht werden, um einige Beispiele zu nennen. Allerdings ist daran nicht der globale und internationale, sondern der herrschaftliche und kapitalistische Charakter abzulehnen. Wir sehen uns deswegen nicht als GlobalisierungskritikerInnen, sondern als KritikerInnen des globalisierten Kapitalismus. Deswegen möchten wir dazu beitragen, dass die Vermischung der Begrifflichkeiten aufhört und dies auch in der Öffentlichkeit deutlich machen.
Gegen romantische Kapitalismuskritik: Auch wenn die bürgerlich-kapitalistische Herrschaft unzählige Menschen geopfert hat, gibt es kein Zurück hinter die historische Entwicklung, die mit ihr einherging: Rationalisierung, technischer Fortschritt, globalen Austausch. Eine Gesellschaftskritik, die die Rationalisierung und den tendenziell globalen Gesellschaftscharakter ablehnt, die auf Religion, Moral, "Unmittelbarkeit" oder Regionalbezug als vorherrschende Modelle aufbaut, lehnen wir als romantische Kritik ab - und erst recht die Konzepte seiner nationalistischen KritikerInnen. Der Kapitalismus hat die technischen Voraussetzungen geschaffen, das bürgerliche Glücksversprechen der Aufklärung für alle geltend zu machen - mit tendenziell immer weniger notwendiger Arbeit. Diesen Anspruch wollen wir umsetzen, dahinter gehen wir nicht zurück.
Gegen leninistischen Humbug: Wir sind antiautoritär und links-emanzipatorisch. Für uns ist die Freiheit der Einzelnen Grundbedingung für die Freiheit aller. Selbstbestimmung ist nicht nur ein fernes Ziel, sondern zentrale Voraussetzung politischer Aktivität. Selbstverständlich haben wir mit den stalinistischen und maoistischen Säuberungs-"Kommunismen", mit Personenkult und dem "großen Steuermann" nix am Hut. Diese finden wir aber bereits in Theorie und Praxis in Lenins Staatsfetischismus, in Kader- und Führungsideologie angelegt, auf die sich auch TrotzkistInnen beziehen.6 Wie schon andere vor uns sehen wir nicht ein "was an einer autoritären Stroemung, die weder den Staat noch die Warenform abschaffen will, radikal sein soll."7
Über Geschlechterverhältnisse und "Nebenwidersprüche": Nach dreieinhalb Jahrzehnten neuer linker Bewegungen ist die Existenz verschiedener Herrschaftsformen, "Widersprüche" etc. schon zum Gemeinplatz geworden. Zwar werden nun Rassimus, Sexismus, Nation, Antisemitismus etc. meist als relevant abgenickt, teilweise gelten sie sogar als die wesentlichen Merkmale von Herrschaft überhaupt. Man muss sie nun zwar nicht immer wieder mühsam sichtbar machen. Das Thema Geschlecht (um nur mal ein Beispiel zu nennen, das sich ähnlich an Rassismus/Postkolonialismus durchdeklinieren ließe) hat aber im Verlauf der Frauen/Lesben-, Schwulen- oder heute Queer-Bewegung an inhaltlicher Tiefe gewonnen. Längst ist die Rede von Whiteness als geschlechtlicher Herrschaftsperpektive, von hegemonialer Männlichkeit als Zurichtungsmodell, von einer Kritik an dualen Geschlechterkategorien. Wir finden hier wichtig zu erkennen, wie der Kapitalismus diese Dualität mitkonstruiert (hat), zwei entgegengesetzte Arbeits- und Seinsweisen zur Entfaltung brachte, indem er z.B. Frauen in die schlecht oder unbezahlte Reproduktion drängt und Männer tendenziell zu kleinen Leistungs- und Karrieremaschinen zurichtet. Dies bestimmt nicht nur unseren persönlichen Alltag, sondern produziert Gewalt, Homophobie und Hierarchie und ist als Kitt von sozialer Herrschaft unerlässlich. Und dies löst sich auch nicht notwendig - und schon gar nicht automatisch - durch eine Überwindung von Klassenverhältnissen auf. Wir haben nicht nur keinen Bock auf die Unterordnung von "Nebenwidersprüchen" unter die "echten sozialen Kämpfe" (an die Adresse der Tradionslinken). Wir finden auch eine einfache Widersprüche-Addition8 oder die Reduktion von Geschlecht auf "Frauenunterdrückung" und "Scharia" - so kritikabel dies ist - etwas dünne.
Zu Israel/Palästina: Bauchschmerzen haben wir bei der Vorstellung, mit Leuten & Gruppen zusammen zu arbeiten, die in diesem Konflikt entschieden auf eine der beiden - nationalen - Seiten setzen. Wir haben allerdings auch klare Grenzen: Über das Existenzrecht Israels diskutieren wir nicht; weder im Land der Täter der Shoah noch anderswo. Ebensowenig über die Legitimät von Attentaten auf ZivilistInnen oder eines religiös-antiwestlichen Djihad.
Gleichzeitig grenzen wir uns gegen geschichtslose IdeologInnen ab, die im Islamismus den Wiedergänger des NS sehen, die antiarabischen Rassismus betreiben oder für die das Erbe des europäischen Kolonialismus im Nahen Osten kein Thema ist.
3. Unsere Einschätzungen zu den PGA Hallmarks:
Wir würden es begrüßen, wenn sich der linksradikale G8-Zusammenhang auf die Eckpunkte des globalen Netzwerks Peoples Global Action positiv bezieht und sie zur Grundlage der Zusammenarbeit macht. Indem diese Eckpunkte aufgegriffen werden, weist der Zusammenhang über die eigene Organisierung mit regional eingeschränktem Einzugsbereich und Blickwinkel hinaus und knüpft an tendenziell globale Organisierungen an. Ebenso finden wir es wichtig die Hallmarks zu ergänzen, um zu verdeutlichen, wie wir sie verstehen und ebenso eigene politische Positionen zu entwickeln und hervorzuheben.
1. "Eine klare Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus; und aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen die zerstörerische Globalisierung vorantreiben."
Der Absatz macht für uns deutlich, dass es uns nicht um eine Reformierbarkeit von Kapitalismus und seiner demokratischen Legitimierungsversuche gehen sollte, sondern um einen grundlegenden Dissens. Zur Begrifflichkeit der zerstörerischen Globalisierung wollen wir anmerken, dass globale Entwicklungen auch aus traditionalistischer, patriarchaler oder nationalistischer Perspektive als zerstörerisch benannt werden. Es geht uns in jedem Fall um eine emanzipatorische, fortschrittliche Entwicklung und nicht um einen Erhalt von Tradition.
Der Begriff des Imperialismus bildet eine historisch-politische Realität ab: das "Weltordnungsinteresse" und daran geknüpfte Strategien wirtschaftlich-politischer Einheiten oder Bündnisse. Leider ist der Begriff meist durch dogmatische Vereinfachung, Fokussierung auf die USA oder gar durch strukturell antisemitisch grundierte Konzepte arg auf den Hund gekommen. Wenn Strömungen einen neuen Antiimperialismus entwickeln wollen, der auf der Höhe der Zeit ist und ein paar Sicherungen gegen reaktionäre Lesarten einbaut, sind wir sehr dafür.
2. "Wir lehnen alle Formen und Systeme von Herrschaft und Diskriminierung ab, einschließlich aber nicht beschränkt auf Patriarchat, Rassismus und religiösen Fundamentalismus aller Art. Wir anerkennen die vollständige Würde aller Menschen."
Gemäß dem politischen Schwerpunkt des linksradikalen G8-Zusammenhangs und auch dem Schwerpunkt der PGA entsprechend finden wird es nachvollziehbar, die Ablehnung des Kapitalismus zu erst zu benennen und ebenso klar zu machen, dass sich diese Ablehnung gleichwertig auch auf alle anderen Herrschafts- und Diskriminierungsformen bezieht. Uns ist auch klar, dass nicht all diese Formen in einem Eckpunkt benannt werden können und stehen, wie erwähnt, der Addition langer Reihen von Herrschaftsbegriffen skeptisch gegenüber. Dennoch finden wir, dass der Antisemitismus als eine spezifische (oft verdeckte oder verleugnete) Form von Rassismus ausdrücklich genannt sein sollte, weil er als Vulgär-Antikapitalismus bei Protesten dieser Art immer wieder auftauchte.
Die "Würde aller Menschen" muss materiell grundiert sein: durch Ernährung, Unterkunft, Gesundheit, Bildung, körperliche und seelische Unversehrtheit, Freiheit etc. Systeme und Ideologien, die dies nicht gewährleisten oder akzeptieren, sind entsprechend zu bekämpfen.
3. "Eine konfrontative Haltung, da wir nicht glauben dass Lobbyarbeit einen nennenswerten Einfluss haben kann auf undemokratische Organisationen in die maßgeblich vom transnationalen Kapital beeinflußt sind;"
Auch wenn ein kritischer Blick auf Lobbyarbeit wichtig ist: NGOs wie Amnesty Int., Weed, Attac etc. können durchaus emanzipatorische Schritte erstreiten - oder medial wirksam ein zivilisatorisches Minimum einklagen. Unsere Nähe oder Distanz sollte davon bestimmt sein, inwiefern Spielräume für den Kampf gegen Herrschaft eröffnet werden.
4. "Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam, Unterstützung für die Kämpfe sozialer Bewegungen, die Respekt für das Leben und die Rechte der unterdrückten Menschen maximieren, wie auch den Aufbau von lokalen Alternativen zum Kapitalismus."
Hier finden wir es wichtig zu benennen, auf welche Kämpfe wir uns beziehen und auf welche explizit nicht. Wichtig ist für uns hierbei an die sozialen Bewegungen, z.B. in Chiapas anzuknüpfen. Von autoritären und totalitären (z.B. maoistischen) Bewegungen grenzen wir uns, wie gesagt, ab. Zum "Aufbau von lokalen Alternativen" möchten wir anmerken, dass wir nicht die Illusion stärken wollen, diese könnten den Kapitalismus überwinden. Das Schaffen von möglichst großen Freiräumen und z.B. Kollektiven - und der politische Alltag darin - begreifen wir aber als wichtiges Politikfeld.
4. Was tun?
Heiligendamm 2007 kann wie jedes Großereignis dazu dienen, unser Nicht-Einverstanden-Sein mit den Dingen hier & jetzt auszudrücken. Auf dem Weg dahin sollten wir nicht nur aktionistisch tätig sein, sondern auch unsere Konzepte schärfen und die Frage nach "dem Ganzen" stellen: wie z.B. kapitalistische Verwertungslogik und Arbeitszwang, Ausschluss von politischer Mitbestimmung, rassistische Abwertung, Vergeschlechtlichung und die Kanalisierung von Wünschen in Waren und Träume zusammenwirken.
Unser Ziel ist die Verständigung in einem linksradikalen, bundesweiten Bündnis, das mit entsprechenden internationalen Strukturen kooperieren und in einem breiteren Bündnis - etwa der Interventionistischen Linken - eigene, linksradikale, antiautoritäre Positionen vertreten und Akzente setzen kann.
Stimmt unsere Prognose, dass mit der Verschärfung der sozialen Verhältnisse in Deutschland und Europa die Chancen für soziale Bewegungen und antikapitalistische Kritik steigen, braucht es dringend eine emanzipatorische, entschiedene Kritik, die nicht auf Personalisierung und alten Schwarz-Weiß-Antiimperialismus setzt.
Dabei lehnen wir im Gegensatz zu vielen andern Linken Utopien nicht ab - im Gegenteil. Das Konzept "freier Kooperation" von Christoph Spehr, rätekommunistische Modelle oder Social Fiction9 können Zieldiskussionen vorantreiben, Vorwegnahmen eines "besseren Anderen" sein und helfen, auch andere auf unsere Ziele hin zu orientieren. Die Angst, dass sie eher als Kritikmodelle zu dogmatischen Verengungen oder unzulässigen, eurozentrischen Universalisierungen führen, teilen wir nicht. Allerdings sind sie für uns auch nicht das Zentrale.
Wir wissen, dass ein Gipfeltreffen immer zu verkürzenden Personalisierungen einlädt. Im Gegensatz zu solchen "regressiven" Kritiken halten wir aber hoch, dass die Mobilisierung gegen das Treffen einen Kanal öffnet, Kritik zu verbreitern und zu vertiefen.
Der Name Dissent vom Gegenbündnis zum schottischen G8-Treffen 2005 drückt für uns im Kern das aus. Er bildet eine offene Plattform für Diskussionen und Aktivitäten. Daran möchten wir - auch global - anknüpfen.
1 Songtext von: "Die Sterne", 2004.
2 Karl-Heinz Roth: Die große Umgestaltung, in Jungle World 29 : 20. Juli 2005
3 Etwa von den 1920er bis zu den 70er Jahren.
4 Dies soll nicht verkennen, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge Binnenflüchtlinge in Afrika und Asien sind.
5 Die beiden Zitate finden sich bei Michael Heinrich im Button "Teste zu aktuellen Entwicklungen des Kapitalismus" unter www.oekonomiekritik.de.
6 Lenins Strategie ist im nachhinein selbst für das agrarisch-zaristische Russland kritisiert worden (Berkmann/Goldman, Luxemburg, Souchy u.a.). In jedem Fall ist sie für uns heute total bezuglos, und nach der Isolation der UdSSR in den 20ern endgültig delegitimiert und zwangsläufig gescheitert. Die Herstellung einer halbwegs demokratischen Zivilgesellschaft war nicht Teil des Konzepts, jedoch der systematische Kampf gegen andere Linke ("Kinderkrankheit"!) beim Aufstand z.B. in Kronstadt, generell durch die Partei und die Geheimpolizei Tscheka (später KGB).
7 Daniel: Was heißt linksradikal? Diskussionspaper vom 3. antirassistischen Grenzcamp in Forst / Brandenburg [03.08.2000: http://www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp00/2000/08/03/1006.html]
8 Eine solche gibt es zwar auch in den PGA-Hallmarks, aber wir würden die Latte gern etwas höher hängen.
9 Zu Spehr & Social Fiction: http://www.linksnet.de/linkslog/index.php?itemid=78
[six_hills@mail36.net]