2007-06-13 

Auswertung Heiligendamm - EA / Legal Team

Am Montag hat der EA/Legal Team in Rostock seine Arbeit beendet. Hier eine Zusammenfassung der vergangenen anderthalb Wochen aus der Sicht des EA/Legal Team.

Die Zusammenarbeit zwischen Aktivist_innen und EA/Legal Team hat gut geklappt. Wir haben rund 1100 Fest- und Gewahrsamnahmen aufgenommen, was sich fast mit der offiziellen Zahl der Cops von 1057 deckt. Wir gehen also davon aus, das uns der überwiegende Teil der Fest – und Gewahrsamnahmen gemeldet wurde. Ihr habt gut aufeinander aufgepasst! Auch die Abholdienste von den Gesas und JVAs haben gut geklappt.1100 hört sich jetzt erstmal viel an, ist aber weniger, als wir angesichts der Drohungen und Aktivitäten der Cops im Vorfeld erwartet hatten. Lasst Euch von dieser Zahl nicht entmutigen, sondern freut Euch über eine erfolgreiche Widerstandswoche.

Hier eine Sammlung von Ereignissen, die uns während unserer Arbeit besonders aufgefallen sind:

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Die Demo am Migrationstag wurde ständig behindert und kam in 2 Stunden nur 200 Meter weit. Begründet wurde die Verzögerung mit fadenscheinigen Gründen.
Bei fast allen Aktionen wurden immer wieder einzelne Personen scheinbar grundlos raus gegriffen. Greiftrupps sind mit Fotoabzügen herum gelaufen und haben Leute gesucht. So wurden z.B. Leute brutal festgenommen, mit Bilder verglichen und dann wieder gehen gelassen, weil sie der Person auf dem Bild nicht ähnelte.
Bei einer Sitzblockade ging ein Cop einmal entlang und sprühte aus nächster Nähe der ersten Reihe eine Ladung Gas ins Gesicht.
Die Durchführung der Festnahmen war insgesamt sehr brutal. Legal Team bzw. Sanis hatten keine Chance an die Festgenommenen ran zukommen. So wurden z.B. Pfefferspray eingesetzt, obwohl die Leute schon durch Schläge mit Schlagstöcken verletzt waren, ein anderer Festgenommener wurde mit seinem T- Shirt, das ihm über den Kopf gezogen wurde, gewürgt.

Es gab mindestens 3 schwere Augenverletzungen durch Wasserwerfer Einsätze in der Nähe des Zaunes. Obwohl Rettungswagen der Polizei anwesend waren, mussten die Verletzten eine halbe Stunde auf einen zivilen Rettungswagen warten, weil Augenverletzungen nicht lebensbedrohend seien. Einer hatte anschließend eine getrübte Linse, eine andere Person hat aus dem Auge geblutet.
Cops sind auf das Camp Rostock gegangen und wollten dieses durchsuchen. Erst nachdem AnwältInnen da waren, die nach dem Durchsuchungsbeschluss fragten, mussten die Cops eingestehen, dass sie einen solchen zwar beantragt haben, es aber keine Rechtsgrundlage für eine solche Maßnahme gab. Sie sind dann wieder abgezogen.
Im Anschluss daran gab es Kontrollen an der nahen S- Bahn Station, bei denen Frauen in den Schritt gefasst wurde, dabei wurden anzügliche Geräusche gemacht. Auch nahe dem Camp Wichmannsdorf gab es solche sexistische Übergriffe der Cops. Eine Gruppe von Frauen musste sich am Dienstag (5.6.) auf einem Parkplatz vor allen anwesenden Cops ausziehen.
Festnahmegründe waren meist konstruiert bzw. vorgeschoben. So wurden z.B. Menschen die lediglich ein Halstuch oder eine Sonnenbrille im Rucksack hatten, wegen Vermummung in Gewahrsam genommen. Zeitgleich konnten aber hunderte andere mit Halstuch und Sonnenbrille die Sperren ungehindert passieren. Andere Festnahmegründe waren z.B. Salatöl im PKW mit sich zu führen oder Fahrrad zu fahren.
Ein Demonstrant wurde von den Cops verletzt, im Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht, am nächsten Morgen um fünf Uhr wieder abgeholt und in Gewahrsam genommen.
Sanis und ein Arzt wurden festgenommen und konnten deshalb nicht zu den Verletzten. Außerdem haben die Cops auch auf der Straße versucht die Presse zu zensieren. So wurden bei mindestens einem Reporter, der sich mit Presseausweis auswies, unliebsame Fotos gelöscht.
Außerdem wurde ein Reporter mit dem Vorwurf der passiv Bewaffnung und Landfriedensbruch in Gewahrsam genommen. Hintergrund war, dass er wie viele andere seiner Kollegen einen Helm trug. Ein anderer Reporter wurde bei einem Wasserwerfer Einsatz verletzt.
Auch vollkommen Unbeteiligte waren Opfer der Repression. So wurde z.B. eine Frau aus dem Ausland, die nicht mal wusste, dass gerade G8-Gipfel in der Region ist, von den Cops beim Trampen aufgegriffen und in Gewahrsam genommen.
Auch durch die lang andauernden Kontrollen wurden Aktionen behindert. Ein Bus mit Menschen aus Griechenland und Italien ist am Mittwoch (6.6.) auf dem Weg nach Rostock/ Laage aufgehalten worden. Alle Leute aus dem Bus wurden in einem Gefangenenbus in der Gegend herum gefahren bis die Demo vorbei war. Anschließend wurden sie wieder zu ihrem Bus gebracht und durften weiter fahren.
Den Clowns wurde insgesamt ziemlich übel mitgespielt. Sie mussten vor den Augen der Polizei Wasser aus ihren Spritzpistolen trinken, weil angeblich Säure drin war. Bei einer ARD Fernsehveranstaltung wurde ein Clown der mit erhobenen Händen auf der 2 Meter hohen Bühne stand und Quatsch machte von einem Cop von der Bühne gestoßen und ist auf einen Metallzaun gefallen.
Andere Personen, die einer Blockade Wasserflaschen bringen wollten, wurden vom USK gezwungen die 40 Flaschen Wasser die sie dabei hatten anzutrinken, um damit zu beweisen, dass es sich wirklich um Wasser handelt.
Leute, die am Freitag in der Nähe des offiziellen Mediencenters in Kühlungsborn nackt baden waren, sind von Zivicops in Badehosen aus dem Meer gezogen worden.

Die Cops haben massenhaft Platzverweise ausgesprochen. Die meisten dürften rechtswidrig gewesen sein. Z.T. waren sie für viel zu große Gebiete oder einen zu langen Zeitraum ausgesprochen oder überhaupt nicht näher bestimmt. Einem Anwohner wurde z.B. ein Platzverweis für den eigenen Wohnort erteilt. Leider haben sich viele Leute von den Einschüchterungsversuchen der Cops beeindrucken lassen und sich tatsächlich überlegt, sich nicht mehr in dem Gebiet um Heiligendamm zu bewegen oder gleich nach Hause zu fahren. Das ist sehr schade. Gewahrsamsgründe gab es so viele und sie wurden so willkürlich zugeteilt, dass ein Verstoß gegen einen Platzverweis auch keine Rolle mehr gespielt hätte.

Insgesamt haben sich die Cops bei Aktionen, Kundgebungen und Demos sehr provokativ verhalten. Es gab häufig Situationen (wie z.B. bei der überaus friedlichen und bunten Abschlusskundgebung), bei denen plötzlich Einheiten grundlos behelmt in die Menge gestürmt sind, da dann herum standen, vereinzelt Leute rauszogen, um dann wieder abzuziehen.

Arbeitsbehinderungen des EA/Legal Teams und der Rechtsanwält_innen (RAs)

Es war die ganze Zeit über so, dass die Arbeit der RAs stark behindert wurde. Dies begann auf der Straße, wenn das Legal Team versuchte an Festgenommene heran zu kommen, um den Namen zu erfahren, um sich später gezielt nach der Person erkundigen zu können. Die Cops versuchten bereits die erste Kontaktaufnahme zu verhindern. So wurde z.B. einer Person der Mund zugehalten, damit sie den Namen nicht rufen konnte und der RA wurde weg geschubst. In den ersten Tagen wurde gegenüber den RAs z.T. behauptet, das sei verbotene Kontaktaufnahme zu den Gefangenen und damit eine Ordnungswidrigkeit.
Es gab häufig gezielte Desinformationen der RAs durch die Cops. In den Gesas wurde den Leuten häufig gesagt, die RAs wären nicht da bzw. hätten keine Zeit, während zeitgleich vor der Gesa an die 20 Anwält_innen standen, weil ihnen der Zugang zu den Gefangenen verwehrt wurde. Anderen wurde gesagt, dass Anwält_innen viel Geld kosten würden. Von solchen Lügen sollte mensch sich nicht abschrecken lassen. Es gibt verschiedene Solitöpfe aus den die Rechtshilfearbeit bei solch politische Aktionen getragen werden kann. Anderen wurde gesagt, sie dürften nur Anwält_innen von der Liste der Polizei nehmen, aber nicht die vom Legal Team. Zugleich wurde den RAs gesagt, die Leute wollen keinen Rechtsanwalt_innen. Das führte u.a. dazu, dass Leute ohne RAs zur richterlichen Anhörung mussten. Einige der Richter haben diese Linie weiter verfolgt und ohne Rechtsbeistand verhandelt, andere ließen die Menschen in der Situation nrufen. So kam es, dass RAs des Legal Teams auf dem Flur des Gerichtes Leute gefunden haben, die gerade dem Richter vorgeführt werden sollten. Obwohl die RAs schon vor über einem Jahr Räume für Anwält_innengespräche in der Gesa gefordert haben, standen solche Räume zeitweise nicht zur Verfügung. Die Situation in den Gesas veränderte sich ähnlich wie auf der Straße. Es gab Zeiten, in denen plötzlich ein Raum zur Verfügung stand, dann wurde wieder jede Kooperation aufgekündigt und einigen RAs wurde ein Hausverbot für eine Gesa ausgesprochen oder sie wurden gar nicht rein gelassen.

Staatsterror drinnen

Die Haftbedingungen müssen insgesamt als sehr brutal und menschenunwürdig beschrieben werden: So hatten Leuten in den Gefangenensammelstellen z.T. sehr lange mit Kabelbindern die Hände gefesselt. Bei Einigen wurden diese auch beim Toilettengang bzw. Schlafen nicht abgenommen. Einige Gefangene mussten sich bei der Durchsuchung vollständig ausziehen und wurden in mindestens einem Fall nackt fotografiert. Den Gefangenen wurden z.T. Brillen und Schuhe in der Gesa abgenommen. Einer Frau, die menstruierte, wurden Tampons verweigert. Anderen Leuten wurden Medikamente verweigert, so wurde z.B. einer Person das Asthma Spray abgenommen. Einer Anderen, deren Hände gefesselt waren und die starken Heuschnupfen hatte, wurde ärztliche Hilfe verweigert. Einer Frau, die bewusstlos wurde, wurde erst nach 3 Stunden der Kontakt zu einem Arzt gewährt.
Die Gefangenen wurden in ca. 5,5 x 5,5 Meter großen Käfigen aus Drahtgitter, die nach allen 4 Seiten offen einsehbar waren, untergebracht. Die Gitter waren nicht entgratet, deshalb gab es Schnittverletzungen an den Händen. Als Decke war ein Netz gespannt. In dem Raum gab es eine Galerie, von der aus in die Käfige gefilmt wurde und die Gefangenen ständig beobachtet wurden. Außerdem war in der Halle ununterbrochen Neonlicht und sehr laute Lüftungspropeller und damit starke Zugluft. Die Gefangenen hatten anfangs keine Decken und keine Unterlage auf dem Boden. Es gab keine Waschmöglichkeit und die Gefangenen waren bis zu neun Stunden ohne Wasser.

Andere Leute wurden 1,5 Stunden in einem Gefangenenbus in der prallen Sonne ohne Getränke stehen gelassen. Eine Frau vom Roten Kreuz die den Gefangenen Wasser geben wollte, wurde daran von den Cops gehindert.Viele der Festgenommenen durften nicht mal vor einer Haftprüfung RAs anrufen, andere erst sehr verspätet (nach 15 Stunden). Leute wurden bewusst belogen bezüglich der Dauer der Ingewahrsamnahme. So wurde z.B. angedroht, dass sie mehrere Tage bleiben müssten und kamen dann nach wenigen Stunden wieder raus. Die Haftdauer war sehr unterschiedlich. Unserer Einschätzung nach sind verhältnismäßig wenige Menschen für mehrere Tage in Unterbindungsgewahrsam genommen worden. Z.T. wurde es zwar angeordnet, die Leute wurden aber trotzdem früher wieder entlassen oder die Anordnung des Gewahrsams wurde richterlich aufgehoben. Der Großteil wurde zwischen 6 und 15 Stunden festgehalten.In einigen Fällen gab es zwar einen richterlichen Beschluss, dass die Ingewahrsamnahme nicht fortgeführt werden darf, sie wurden trotzdem erst lange (z.B. 7 Stunden) nach dieser Feststellung wieder raus gelassen.
Insgesamt gab es am Dienstag und Mittwoch 8 Schnellverfahren. Die Urteile gingen von 6 Monaten Haft auf Bewährung bis 10 Monate ohne Bewährung. Lest dazu bitte die Berichte die es schon gab.

Statt Dolmetscher_innen in der jeweils gebrauchten Sprache gab es Dolmetscher_innen für Englisch, bei richterlichen Anhörungen gab es z.T. gar keine Übersetzung.
Cops haben z.T. Asservaten nach der Freilassung behalten, z.B. Geld, ein Rollator, Schlüssel Perso und Fahrzeugschein.

Solidarität ist zwar eine Waffe, kostet aber leider auch manchmal Geld! Es gibt jetzt schon einige Verfahren im Zusammenhang mit Heiligendamm und es werden wohl auch noch ein paar dazukommen, deswegen spendet zahlreich auf folgendes Konto:
Schwarz-Rote-Hilfe Münster e.V.

Konto Nr. 282 052 468
BLZ 440 100 46
Postbank Dortmund
Stichwort: Gipfel-EA 2007

IBAN: DE02 4401 0046 0282 0524 68
BIC: PBNKDEFF

G8-EA/Legal Team ist noch erreichbarbis zum 24.6. läuft unter der bekannten Nummer 038204 – 768111 ein Anrufbeantworter, der regelmäßig abgehört wird.

Gedächtnisprotokolle bitte nicht mailen oder faxen, sondern beim EA vor Ort abgeben. Falls das nicht möglich ist, könnt ihr sie an folgende Adresse schicken, müsst aber bedenken, dass die Cops vermutlich mitlesen.

EA Hamburg
c/o Schwarzmarkt
Kleiner Schäferkamp 46
20357 Hamburg

Damit wir nicht ein halbes Jahr nach der jeweiligen Aktion immer noch am Telefon hängen: Denkt dran euch beim EA zumelden, wenn ihr aus dem Knast wieder raus seid!

Alles weitere auf unserer Homepage www.ermittlungsausschuss.eu

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