2007-06-11
Rostock, 6./7. Juni 2007
Seit der Randale am Rand des Kundgebungsplatzes Stadthafen am Samstag erreichen uns sehr viele Mails mit Kommentaren und größtenteils sehr kritischen Fragen. Kommentiert wird das Verhalten der Demoleitung, der ich angehört habe, meine öffentliche Bewertung zu den Militanten wie auch zum Polizeiverhalten sowie zum Verhältnis der gewaltfreien Gruppierungen zum sog. “schwarzen Block”.
In Rostock und Umgebung ist es ein wenig hektisch, so dass mein Versuch zu einigen schriftlichen Erläuterungen spät begonnen und immer wieder unterbrochen wird.
FAQs (jeweils sinngemäß):
Die Friedenskooperative hat die Polizei zu Unrecht gelobt und behauptet, diese habe sich an die verabredete Deeskalationslinie gehalten. Dabei hat die Polizei von Anfang an provoziert, z.B. durch Einheiten in den Seitenstraßen am Demoweg, Hubschrauber über der Auftaktkundgebung etc. Außerdem hat der Staat im Vorfeld (u.a. Durchsuchungen nach 129a, Diffamierung des G8-Protests, wandernder Polizeikessel in Hamburg) alles getan, um Gewalt zu einer self-fullfilling-prophecy zu machen.
Tatsächlich habe ich in einer anschließenden Pressekonferenz gesagt, dass sich die Polizei bis zu diesem Zeitpunkt an die Vorabsprachen zum deeskalierenden Verhalten gehalten hat. Auch in den Einzelheiten waren zumindest irgendwann Regelungen möglich. Z.B. war der Nerv-Hubschrauber natürlich von der Bundespolizei und “ungehorsam” gegenüber Kavala. Die haben es erst spät geschafft, die Bundespolizei zur Räson zu bringen (Kleinigket, aber ich glaub an das Chaos zwischen den verschiedenen Polizeieinheiten). Das “bis zu diesem Zeitpunkt deeskalierende Linie” wurde bei den Agenturmeldungen weggelassen. Später und bei der PK am nächsten Tag bin ich dann ausführlicher darauf eingegangen (und wußte es genauer), was insbesondere die 121. Hundertschaft der Berliner Polizei dort an Brutalitäten begangen hat.
Auch hatten wir durchaus immer betont, dass die “Kavala” im Rostocker Protestalltag, z.B. bei der Behandlung der Camps, mit etlichen Schikanen einen ganz anderen Kurs gefahren ist. Die Großdemo wurde tatsächlich priviligiert behandelt und in monatelangen Vorgesprächen war die Kavala etliche Zugeständnisse eingegangen.
Während des City-Demozuges selbst hat die Polizei ohne einzugreifen durchaus mehr Vorkommnisse toleriert als vorher als Möglichkeit besprochen worden war (Flaschen/Steinwürfe auf Einheiten in Seitenstraßen, uniforme Totalvermummung des IL-Blocks, eingeschlagene Scheiben von Sparkassen und Lebensmittel-Filialen). Knallkörper oder Leuchtkugeln waren als nahezu selbstverständlich angenommen worden.
Mir persönlich ist es nicht möglich, diese Lage während der Demo – also vor dem Stadthafen – in einer Bewertung zu ignorieren und etwa wie offenbar von einigen gewünscht in den Reflex einzustimmen, dass das Verhalten der Polizei ohne sachliche Differenzierungen angeprangert werden müsste. Wofür massive Kritik am Polizeiverhalten angebracht ist wiegt schwer genug – im Vorfeld, während der Auseinandersetzungen am Stadthafen (Brutales Einknüppeln auf unterschiedslos alle, auch bei ruhiger Lage immer wieder die Kundgebung angreifen, die lebensgefährliche Fahrt von Wasserwerfern in den Platz …), Be- und Verhinderungen von Demonstrationen in der folgenden Zeit bis zur aktuellen unverhältnissmäßigen Räumung der phantisch gelungenen friedlichen Massenblockaden durch Wasserwerfer, Tränengas- und Schlagstockeinsatz…
Die Demoleitung hat versagt und die Sache nicht im Griff gehabt, lange hilflos agiert, nicht eindeutig zur Gewaltfreiheit aufgerufen und die Randale beendet.
Da ist was dran und wir haben Fehler eingestanden. Ich nehme in Anspruch, dass die Vorbereitung und die Durchführung der Demo bis zum Stadthafen professionell gemanagt wurde. Zu dieser Vorbereitung gehörten fast zwei Jahre lange Bündnisgepräche, die zu großer politischer Breite und auch zu belastbaren Aktionsabsprachen mit linksradikalen Gruppierungen führten. Glaubhaft war die Versicherung, dass es von den Blöcken “internationalistisch revolutionär” und “make capitalism history”(Interventionistische Linke – IL) keine militanten Aktionen geben sollte. Auf der anderen Seite habe insbesondere (aber nicht nur) ich selbst über die offiziellen Kooperationsgespräche mit Kavala hinaus mit der Polizeiführung über wünschenswerte Verhaltensweisen der Polizei diskutiert.
Als “kritischen Punkt” der Demonstration mussten wir zu Recht die Passage am “Radisson”-Hotel mit einer us-amerikanischen Delegation ansehen. Dort ist es vorbildlich gelungen, die Verengung der Zugbreite links am Lautsprecherwagen mit Ansprachen der Demoleitung zu regeln. Dort passierte auch nichts (na, die Leuchtkugel), obschon an dieser Stelle Polizei in größerer Zahl das Hotel sicherte und durchaus angreifbar gewesen wäre.
Unser Fehler: Dieser positive Verlauf der Demo hat uns veranlasst zu glauben, dass nach Ankunft des IL-Blocks am Stadthafen bereits Nähe Bühne alles gut gelaufen sei. Die gesamte Demoleitung (Werner Rätz, Christoph Kleine und Mani Stenner) wie auch die Zugleitungen und die OrdnerInnen des IL-Blocks klopften sich auf die Schulter und waren schon stolz auf eine gelungene Demo. Die Ordnerstruktur des IL-Blocks wurde aufgelöst, der Lautsprecher-Truck abgestellt. Und dann knallte es an der anderen Ecke des Stadthafens. … In dieser Situation war die Demoleitung tatsächlich für eine Weile nicht strukturiert handlungsfähig. Zunächst mal zum Ort des Geschehens, um sich ein Bild zu machen, die IL-OrdnerInnen waren nicht schnell wieder zusammenzutrommeln, dann der Versuch, von der Bühne aus was zu machen … Erst nach einer Krisensitzung, bei der wir schon über einen möglichen Abbruch sprachen, wurde von den Organisatoren des IL-Blocks (und nur die konnten das) mit Reaktivierung des Lautsprecherwagens und der OrdnerInnenstruktur letztlich erfolgreich die Situation beruhigt und nach vielen Schwierigkeiten auch die Polizeihundertschaftsführer dazu gebracht, die “gelbe Linie” zu respektieren. Gleichzeitig habe ich mit der Gesamteinsatzleitung gesprochen und u.a. auf die lebensgefährliche Situation aufmerksam gemacht, in die die Wasserwerfer die Menschen brachten (Druck auf die Kaimauer). Seitdem wurden die Wasserwerfer außerhalb des Platzes gehalten.
Warum erschien während der Demo immer wieder ein anderer Sprecher der Demoleitung auf der Bühne mit teilweise kontroversen Aussagen? Eine routinierte/er und erfahrene/er Frau/Mann wäre genau in der Situation richtig am Platz gewesen. … wo war der Plan B im Fall der Fälle? Wo blieb wähhrend der Demo der Aufruf “Keine Gewalt”? Wie geil wäre es gewesen, wenn die (friedlichen) 80000 “Keine Gewalt”skandiert hätten? Ich erinnere mich an die Friedensbewegung der DDR…(Axel)
Ja, genau so wäre es besser gewesen. Die Absicht der Demoleitung war, dass Christoph von der IL in dem Jargon, der von diesen Leuten verstanden wird, deutlich macht, dass Schluss mit den Auseinandersetzungen sein soll. Das hört sich dann aber leider für die vielen anderen auf dem Platz eher anders und missverständlich an. Und akustisch wie mental ist diese Ansprache wohl auch nicht bei der Zielgruppe angekommen. Ich selbst habe das dann im zweiten Versuch auf Normal-Deutsch übersetzt. Es waren also eigentlich keine kontroversen Aussagen, sondern nicht miteinander vereinbare Sprachcodes.
Aus der Nachbereitung betrachtet wäre es besser gewesen wie von Axel vorgeschlagen: Ich auf der Bühne mit der eindeutigen Aussage incl. eines möglichst lautstarken Appells des ganzen Platzes an Polizei und Militante.
Die Friedenskooperative hat sich auch später nicht eindeutig von den Gewalttätern distanziert. Sie muss eindeutig die Zusammenarbeit mit den militanten Gruppen aufkündigen.
Natürlich habe ich als Geschäftsführer des Netzwerks Friedenskooperative die Gewalttaten der Militanten verurteilt und auch an manchen übermäßig brutalen Polizeieinsätzen Kritik geübt. Für die bündnispolitischen Konsequenzen gibt es allerdings einiges zu bedenken:
Auch die Organisatoren des IL-Blocks, insbesondere Christoph Kleine und Tim Laumeier als Block-Verantwortlicher haben eindeutig und öffentlich erklärt, dass diese Aktionen nicht geplant und nicht gewollt gewesen seien. Beide haben das Angreifen von Menschen (auch von Polizisten) als völlig unakzeptabel bezeichnet. Beide haben Einschätzungsfehler zugegeben, z.B. bei der mangelnden Einbeziehung der Internationalen in den Aktionskonsens. Und sie haben handwerkliche Fehler eingeräumt, z.B. die leichtsinnig frühzeitige Auflösung der OrdnerInnenstruktur des Blockes.
Außerdem ist zu honorieren, dass – nach einer Schockphase – die OrganisatorInnen des Blockes gehandelt und letztlich die Lage unter Kontrolle bzw. zur Ruhe gebracht haben. Dies hätte der Polizei nicht gelingen können. Die Verantwortlichen und ihre Sprecher haben also m.E. ihre Versprechen nicht gebrochen. Ferner gab es auch an der Basis des Blocks und in den Camps Streit über das Vorgehen und kontroverse Diskussionen. Block G8 (wo die IL wieder beteiligt ist) z.B. hat daraus sorgfältige Konsequenzen für die Blockadeaktionen gezogen.
Ein großer Teil des Blockes hat sich nicht an der Straßenschlacht beteiligt. Es gab also von 8.000 Beteiligten etwa 500 “schwarze Schafe im schwarzen Block”.
Für die weitere Bündnisarbeit ist demo-praktisch die auch künftige Realität zu berücksichtigen: Bei Großveranstaltungen wie zu G8 oder auch zu Flüchtlings-, Migrations-, Asylrechtsthemen werden die linksradikalen Gruppierungen auf jeden Fall vor Ort sein. Wir alle stehen also vor der Wahl, ob wir bei Großdemonstrationen ohne Kooperation und Absprachen dann 8.000 militante Störer vor Ort haben wollen oder – mit dann noch mehr Sorgfalt in der praktischen Umsetzung – die Gratwanderung immer wieder versuchen müssen. Ähnliche Absprachen habe ich in den letzten 25 Jahren und es ist immer gelungen
Außerdem wäre es sehr schade, den zwei Jahre andauernden Koordinierungs- und Diskussionsprozess unter globalisierungskritischen NGOs und Initiativen in dieser großen politischen Bandbreite nicht fruchtbar fortzuführen. Wir haben dabei alle gelernt und uns (bis auf den Samstag) gegenseitig gestärkt. So sind z.B. die zwischen allen koordinierten täglichen Pressekonferenzen ein fruchtbares Beispiel für Kooperation bei gleichzeitiger Wahrung der eigenen politischen Identität der Beteiligten. In der Menge und Vielfalt der Aktivitäten zu Heiligendamm sahen wir wesentlich besser aus als bei öffentlicher Zerstrittenheit untereinander. So sind eher die 8 hinter dem Zaun in die politische Defensive geraten.
Vieles hängt allerdings davon ab, ob auch die oben beschriebene Haltung der IL gemäß den Aussagen ihrer Sprecher belastbar bleibt. Das ist ja auch wieder ein Gemengelage aus verschiedenen Gruppen incl. militanter Autonomer und es inzwischen widersprüchliche Aussgaen und Diskussionen, die mich beunruhigen. Für eine weitere Zusammenarbeit ist also auch für mich wichtig, dass neben allen linksradikalen Aussagen die Interventionistische Linke zu den wichtigen Punkten der Bilanz von Rostock steht: militantes Ende nicht gewollt, Angriffe auf Menschen inakzeptabel, handwerkliche Fehler gemacht, selbst Deeskalation versucht, zu Versprechen gegenüber Bündnissen stehen. Alles andere wäre tatsächlich bündnispolitisch gesehen ein Sprengsatz.
attac, Monty Schädel und Co. (also auch wir) haben mit ihren Distanzierungen von Gewalt die Solidarität des Bündnisses gebrochen, die bürgerlichen Gruppen spalten den Protest und fallen in ihrer Naivität auf die von Staat und Medien aufgestellte Falle der Trennung zwischen guten und bösen Demonstranten herein.
Tatsächlich gibt es von uns keine Solidarisierung mit Gewalttaten, insbesondere wenn mit brutaler Militanz feste Absprachen mit uns als Bündnispartner gebrochen werden. Die “echten” Militanten arbeiten in meinen Augen in einer solchen Situation genau wie die beteiligten als Autonome verkleideten agents provocateur der Polizei daran, dass ein hartes Vorgehen der Polizei und die Diffamierung des Protests öffentlich gerechtfertigt werden können. Dass die Militanz zur genannten Dominanz der Gewaltdebatte führt, lässt sich so oder so nicht vermeiden. Für mich und die Friedenskooperative siehe aber die obigen Bemerkungen zu der gegensätzlichen Frage. Die klare Distanzierung gilt von uns aus gegen die konkreten Taten gegen den Aktionskonsens und ist – zumindest bisher – keine Aufkündigung der Kooperation mit dem linksradikalen Spektrum.
Auch nicht aufgegeben haben wir die praktische Solidarität mit z.B. den Menschen in Händen der Polizei. Die Arbeit von EA, Anwältenotdienst etc. wird von allen begrüßt und unterstützt und bekommt auch immer wieder eine gewichtige Stimme auf den gemeinsamen Pressekonferenzen, wie z.B. auch die berechtigte Klage gegen Polizeiwillkür und -übergriffe, von denen dort die betroffenen Veranstalter jeweils berichten können.
Sachlich richtig sind Ausführungen und Hinweise, die die Rostocker Vorfälle in ihrer Schwere relativieren, also etwa mit der Situation nach manchen Fußballspielen vergleichen, darauf hinweisen, dass dies ja längst nicht so wie in Genua war und dass im Übrigen schwerwiegendere Gewalt und Schaden für Menschen weltweit durch die Wirtschafts- und Kriegspolitik von G8-Staaten ausgeht. All dieses aber entlässt uns nicht aus der Verantwortung für die versprochene Realisierung unserer Aktionsformen und z.B. der Nachbereitung dazu, wie mit nicht eingebundenen z.B. jugendlichen schwarz gekleideten total besoffenen Menschen umzugehen ist, an deren Mentalität und Verhalten ich keinen Unterschied zu rechten Hooligans erkennen kann.
Es ist völlig daneben, wenn auch Mani Stenner von der Bühne die Polizei als “Bullen” beschimpft.
Ich hab jetzt nochmal nachgesehen – es war ja kein Skript, von dem ich abgelesen hätte. In der Presse werde ich wirklich zitiert mit dem Aufruf von der Bühne “Lasst die Bullen in Ruhe!”. Da hab ich mich wohl ein bisschen dem Jargon angepasst. Dennoch war die Grundaussage ja wohl eindeutig.
Übrigens gilt der Ausdruck spätestens seit dem Karnevalsorden “bulle de merite” nicht mehr generell als Beleidigung. Und ich selbst kam schon mal in einer WDR-Dokumentation mit dem Titel “Der Bulle und der Bürger” vor.
[http://www.friedenskooperative.de/themen/g8_07-21.htm]