2007-06-09
Dem Legal Team/Anwaltlicher Notdienst gelangten in der Zeit vom 2. Juni bis 7. Juni 1.136 Freiheitsentziehungen in Form von Verhaftungen und Ingewahrsamnahmen zur Kenntnis. Überwiegend handelte es sich dabei um Ingewahrsamnahmen auf Grundlage des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes von Mecklenburg-Vorpommern. Zum Teil dauerte dieser administrative Freiheitsentzug bis zu sechs Tage. Hunderte von Platzverweisen wurden während der Proteste gegen den G8-Gipfel gegen GlobalisierungskritikerInnen ausgesprochen.
Acht Schnellverfahren fanden in den letzten Tagen wegen der Ereignisse bei der großen Anti-G8-Demonstration am 2. Juni statt. Dabei wurden Haftstrafen zwischen sechs Monaten mit Bewährung und zehn Monaten ohne Bewährung verhängt. Den Angeklagten war schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung oder versuchter gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen worden. Die meisten Beschuldigten hatten die Vorwürfe bestritten, sich wegen der entwürdigenden Haftbedingungen jedoch auf die Schnellverfahren eingelassen. Da Schnellverfahren ohne hinreichende Beweiserhebung stattfinden, erfolgten die Verurteilungen zum Teil auf Grundlagen lückenhafter, zum Teil schriftlicher Aussagen.
Keinem der Angeklagten war die Vermummung oder das Agieren aus dem sogenannten Schwarzen Block vorgeworfen worden. Vor diesem Hintergrund drängt sich der Eindruck auf, dass die Schnellverfahren vor allem ein symbolischer Akt waren: Einmal zur Abschreckung der Protestierenden, dann aber auch in Richtung Öffentlichkeit. Wenn die Verurteilten in einigen Monaten in Berufungsverfahren freigesprochen werden, wird sich kein Mensch mehr dafür interessieren. Derzeit sind die Urteile nicht rechtskräftig und die Betroffenen auf freiem Fuß.
Das Legal Team/Anwaltlicher Notdienst ist erschrocken, in welchem Ausmaß während der Proteste gegen den G8-Gipfel seine Arbeit behindert, rechtsstaatliche Grundsätze unterminiert und Menschen- und Grundrechte verletzt wurden. "Als wir den Anwaltlichen Notdienst geplant haben, befürchten wir bereits, dass es schlimm werden würde, aber es hat sich herausgestellt, dass es noch schlimmer wurde", resümiert RAV-Vorstandsmitglied Michael A. Hofmann.
Erschrocken zeigt sich das Legal Team/Anwaltlicher Notdienst über die exzessive Desinformationspolitik der BAO Kavala, die offenbar der Stimmungsmache diente. Angefangen mit der Veröffentlichung übertriebener Zahlen von verletzten Beamten, über ganz offensichtliche Lügen, wie z.B. dass Clowns Giftflüssigkeit versprüht hätten oder falschen Angaben über Gewalttaten bei Demonstrationen.
Erschrocken sind wir über das Ausmaß der Behinderung unserer Tätigkeit durch die BAO Kavala. Nicht nur wurde uns der Zugang zu den Betroffenen erheblich erschwert, auch wurden Anwälte auf Demonstrationen massiv beleidigt, gestoßen und geschlagen.
Erschrocken sind wir über die hohe Zahl offensichtlicher Fälle von Polizeibrutalität bei Festnahmen – teilweise waren unsere Mandanten noch grün und blau im Gesicht von Schlägen, die sei bei der Festnahme erhalten hatten. Dies veranlasste bei den Gerichtsverfahren die Richter zu besorgten Nachfragen. Erschrocken sind wir über die exzessive Anwendung der Ingewahrsamnahme. Nach ersten Schätzung erfolgte sie in 95 Prozent der Fälle rechtswidrig und wurde richterlich aufgehoben. Erschrocken sind wir über die Behandlung der Ingewahrsahmgenommenen; angefangen von der Unterbringung in käfigartigen Zellen bis hin zur massenhaften Verschleppung von richterlich angeordneten Entlassungen durch die BAO Kavala. Der RAV behält sich insofern vor, Strafanzeige wegen Freiheitsentziehung im Amt in mehren Fällen zu erstatten, in denen Personen trotz richterlicher Anordnungen erst mit Verzögerungen bis zu sechs Stunden aus dem Gewahrsam entlassen wurden.
"Es lässt sich resümieren, dass die Grundrechte während der Tage des Protestes seitens der Polizei und Teilen der Justiz mit Füßen getreten würden", so Rechtsanwältin Anni Pus vom Legal Team. Die Art und Weise, in der sich die Polizei in den vergangenen Tagen sogar über richterliche Anordnungen hinweggesetzt hat, zeigt beispielhaft, dass hier ein Polizeiapparat bewiesen hat, wie er exzessiv Freiheits- und Grundrechte abbauen kann.