2007-06-05
Mit den Auftritten einiger Musikgruppen auf den Festivals im Rahmen des G8-Gipfels in Rostock/Heiligendamm wird nicht nur den Produkten der Musikindustrie und den damit verflochtenen transnationalen Konzernen ein Forum geboten, sondern die Musiker repräsentieren auch inhaltlich die neoliberale Ideologie des sich globalisierenden Kapitalismus.
In diesem Artikel soll auf einige Widersprüchlichkeiten bei der Zusammenstellung des Kulturprogramms im Rahmen der Proteste gegen den G8-Gipfel hingewiesen werden. Hier einige exemplarische Anmerkungen zu "Silbermond", "Juli" und "Sportfreunde Stiller":
"Silbermond" sind ein Produkt der BMG (Bertelsmann Music Group), welche sich mit ihrer Bertelsmann-Stiftung unter anderem aktuell durch das ausserordentliche Engagement bei der Einführung von Studiengebühren und der Privatisierung des Bildungswesens hervortut (vgl.: http://de.indymedia.org/2003/11/66204.shtml). "Juli" und "Sportfreunde Stiller" sind Produkte von Universal Music, die zusammen mit BMG, EMI und Warner ca. 80% des kommerziellen Musikmarktes der westlichen Welt beherrschen und ständig weiter auf Expansion drängen. Die Musikindustrie ist seit Jahren massiver Kritik ausgesetzt, erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem der von Universal & Co. forcierte rechtliche "Schutz" von Musik als "geistiges Eigentum" sowie die Kriminalisierung des Austausches und des Kopierens von Musik. Abgesehen davon bestimmt die Musikindustrie zu großen Teilen das Kulturprogramm der Massenmedien und ist somit intensiv an der öffentlichen Meinungs- und Bewusstseinsbildung beteiligt. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, daß die Konzern-Strategen ihre Musikgruppen gerne bei den G8-Protesten platzieren, um auch hier inhaltlich etwas korrektur zu steuern (Stichwort: Themenplacement).
Das den Demonstrationsteilnehmern präsentierte Musikprogramm bewirbt erwartungsgemäß neoliberale Ideologien und ist voll auf Linie der G8-Politik - Kritik an den bestehenden Verhältnissen gibt es nicht. So heißt es beispielsweise bei Silbermond's "Mach's dir selbst", "es liegt in Deiner Hand" etwas aus Deinem Leben zu machen und in einem weiteren Song lautet der Text: "Was du erreichst, liegt nur in deiner Hand. Lass Dich nicht ändern, vertrau Dir. Lauf los, denn auf dich wartet die Welt. WENN DU NACH VORNE WILLST, DANN MUSST DU BESSER SEIN." Die Message ist also: Du allein bist für Dein Schicksal verantwortlich und nicht etwa Dein soziales Umfeld oder das kapitalistische System - und: Wenn Du gut bist dann schaffst Du es auch! Die Chart-Erfolge von Juli "Ich liebe dieses Leben" oder "Die perfekte Welle" suggerieren ein schönes Leben und eine Welt, in der es keinen Grund gibt sich Gedanken über eventuelle Probleme zu machen oder gar zu protestieren.
Ist es Zufall, das die Musikindustrie ausgerechnet solche Bands der Öffentlichkeit präsentiert? Sicherlich nicht. Erinnern wir uns beispielsweise an die Kampagne "Du bist Deutschland", die u.a. auch von Bertelsmann unterstützt und finanziert wurde. Im selben Kontext sind die Inhalte von Bands wie Silbermond und Juli zu betrachten. Der Gedanke dahinter: In Zeiten von Massenarbeitslosigkeit, HartzIV und wirtschaftlicher Depression wollen wir kein Gejammere oder Kritik, wir brauchen eine Gute-Laune-Stimmung im Land. Unterstützend dazu soll ein "gesundes Nationalbewusstsein" etabliert werden, z.B. in dem die Sportfreunde Stiller, die mit Deutschland gerne Weltmeister geworden wären, in ihrem Fußball-Song das neue WIR-Gefühl heraufbeschwören. Dieses Bewusstseinsbildungsprogramm schafft mitunter die Voraussetzungen für die Durchsetzung zahlreicher geplanter politischer Maßnahmen, angefangen vom Sozialabbau über den Ausbau der inneren Sicherheit bis hin zu mehrheitsfähigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
Mit den Auftritten einiger Musikgruppen auf den Festivals im Rahmen des G8-Gipfels in Rostock/Heiligendamm wird nicht nur den Produkten der Musikindustrie und den damit verflochtenen transnationalen Konzernen ein Forum geboten, sondern die Musiker repräsentieren auch inhaltlich die neoliberale Ideologie des sich globalisierenden Kapitalismus.
Verantwortlich für dieses widersprüchliche "Kultur"-Programm sind die Organisatoren von Attac (Kulturkoordinator Nico Wehnemann) sowie die Initiative "Deine Stimme gegen Armut", welche von unterschiedlichen Gruppen wie z.B. kirchlichen Initiativen oder auch Gruppierungen wie Lions- und Rotary-Klub initiiert wird. In einigen dieser unterstützenden Gruppen finden sich Mitglieder, die ranghohe Positionen in den weltgrößten Wirtschaftkonzernen inne haben und der Wirken nicht unerheblich für die Politik der G8 ist.
Insbesondere in Hinblick auf das für kommenden Donnerstag geplante Konzert von "Deine Stimme gegen Armut" ist nochmals darauf hinzuweisen, daß dieses zeitgleich zu den Blockade-Aktionen in Heiligendamm stattfindet und somit vor allem den Zweck erfüllt, Protestierer von Aktionen abzuhalten.
[http://de.indymedia.org/2007/06/181557.shtml]