2007-06-05
Von Manuela Pfohl, Rostock
Eigentlich sollten Flüchtlingsschicksale im Mittelpunkt der aktuellen G8-Aktionen stehen. Wie das des Togoers Watara. Doch Autonome dominieren die Szene, die Anliegen der Migranten gehen im Lärm von Hubschraubern unter.
Rostock-Lichtenhagen. 1992 hat es hier gebrannt. Am Sonnenblumenhaus, wo die Vietnamesen jahrelang friedlich mit ihren Nachbarn lebten. Bilder von Nazigewalt, johlendem Mob und Polizeiuntätigkeit gingen um die Welt. Die Stadt hat sich noch immer nicht davon erholt. Heute, an einem Juni-Montag 15 Jahre später, sollten andere Bilder vom Sonnenblumenhaus zu sehen sein. Friedliche.
Doch stattdessen: Ein Polizeiaufgebot von rund 1000 Beamten, denen neben den rund 1500 Demonstranten auch etwa 400 Autonome aus dem Schwarzen Block gegenüberstanden. "Haut ab" skandieren die Autonomen. Die Polizei rückt näher heran. Anders als am Samstag, haben sie dieses Mal Schilder dabei. Schutz vor Übergriffen. "Ihr seid doch so bescheuert", ruft ein Protestierer in die Gruppe der behelmten Beamten. Die Lage spitzt sich zu. Ein Stück weiter versuchen schwarz gekleidete Demonstranten mit einem Konfliktmanager der Polizei zu diskutieren. "Wieso geht ihr nicht ran an die Leute und versucht zu deeskalieren", wollen die aufgebrachten Jugendlichen wissen, "das ist doch euer Job."
"Ich bin überhaupt nicht geschützt"
Der Beamte zuckt die Schultern: "Guck mich an, ich hab keine Ausrüstung ich bin überhaupt nicht geschützt. Ich geh da doch nicht hin." Zwei Kinder habe er, Julia und Phillip, acht und dreizehn Jahre alt. "Ich will die heute Abend wiedersehen."
Aurfoh Watara hat seine Familie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. 1996 musste er aus Togo flüchten. Als politisch aktiver Oppositioneller hatte er Haft, Verfolgung und Diskriminierung erlebt. Jetzt steht er am Sonnenblumenhaus und ist enttäuscht. Zwei Wochen lang war eine Karavane durch Deutschland unterwegs um auf die Probleme von Flüchtlingen und Migranten aufmerksam zu machen. Hier in Rostock soll der Höhepunkt der Aktionen sein. Erst am Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen, dann drin in der Stadt. Den ganzen Tag. Die Menschen sollen erfahren, wie es ihnen geht, den Verfolgten. Aber es hört keiner zu. Alle hören auf die Durchsagen aus den Bühnenlautsprechern. Es geht um Polizei und Gewalt und den Schwarzen Block und die Angst, was heute alles noch passiert.
"Einige meiner Freunde in Togo wurden ermordet"
Aurfoh erzählt: "Einige meiner Freunde in Togo wurden ermordet. Ich wollte nicht sterben. Darum bin ich weg." Hals über Kopf, ohne jemandem etwas zu sagen. Mit einer Schussverletzung am Bein schlug er sich nach Ghana durch und versteckte sich in einer Kirchenunterkunft. Ein Pastor besorgte ihm Geld für ein Flugticket und einen gefälschten Pass. Aurfoh hat Geburtstag, als er auf dem Hamburger Flughafen landet. Es ist der 26. Dezember 1996. Auf den Straßen sieht er Menschen, die mit leuchtenden Augen Tannenbäume in ihre guten Stuben tragen. Weihnachten steht vor der Tür. Aurfoh ist allein. Er kommt in ein Aufnahmelager, später in das Asylbewerberheim im vorpommerschen Parchim.
"Ich habe gedacht, es wird gut, aber es wurde anders", sagt der 43-Jährige. Selten genug trifft er auf Deutsche und wenn, dann wollen sie nicht mit ihm reden. Er ist einer von denen, die ihnen die Arbeitsplätze und das Geld und die Frauen wegnehmen, sagen sie. Dass er nicht arbeiten darf und von 40 Euro im Monat lebte, wollten sie nicht hören. "Zweimal bin ich angegriffen worden. Ein Mitbewohner verschwand. Als man ihn fand, war er tot."
Vor dem Sonnenblumenhaus ist es inzwischen menschenleer. Vier Personen hat die Polizei festgenommen, dann sind Polizei und Demonstranten abgezogen. Zum nächsten Einsatz. Asylbewerberheim in der Rostocker Innenstadt. "Endlich", sagt eine Frau. Den ganzen Tag habe sie schon einkaufen wollen und nur wegen der blöden Demo sei das nicht möglich gewesen. "Wenn es denen hier nicht passt, sollen sie doch wieder zurück in ihre Heimat fahren und die Autonomen gleich mitnehmen", meint sie. Es scheint, als habe sich nichts geändert seit 1992.
Kavala schätzt, hier sind 4000 Demonstranten
Seit dem frühen Nachmittag steht Aurfoh mit den anderen Flüchtlingen vor dem Asylbewerberheim in der Saatower Straße in Rostock. Die Sondereinheit Kavala schätzt, hier sind 4000 Demonstranten. Darunter etwa zweidrittel gewaltbereite Autonome. Wieder sind Wasserwerfer und Räumfahrzeuge der Polizei aufgefahren. Wieder fordert die Demoleitung die Autonomen auf, die Vermummungen abzulegen und der Polizei keinen Angriffspunkt zu bieten. "Denkt an die Flüchtlinge, die hier sind und es ausbaden müssen, wenn die Situation eskaliert." Hubschrauber kreisen. Ein Dutzend Krankenwagen steht in Bereitschaft.
Aurfoh fürchtet, dass wieder keiner zuhören wird. Dabei hätte er so viel zu sagen. Es geht doch um die Forderungen an die G8. Deswegen sind sie doch eigentlich nach Rostock gekommen, er und seine Mitstreiter von "No Lager" und den anderen Ausländergruppen. Er sagt: "Es muss aufhören, dass die Politiker uns als dritte Welt bezeichnen. Es gibt nur eine Welt. Es muss aufhören, dass sie uns als Menschen nicht respektieren, nur weil wir arm sind. Und sie sollen aufhören, ihre Waffen an die afrikanischen Diktaturen zu verkaufen." Jeden Tag während des Gipfels wird er darauf achten, welche Signale aus Heiligendamm kommen.
Aurfohs Ängste kann man nicht sehen
Aber jetzt muss er weiter. Vielleicht hört ja auf dem Uniplatz jemand zu, wenn er seine Geschichte erzählt. Dort haben Menschenrechtsgruppen Bilder von Lagern aufgestellt. Man kann auch sehen, wie das Zimmer in einer Asylunterkunft aussieht. Aurfohs Ängste kann man nicht sehen.
Artikel vom 04. Juni 2007
http://www.stern.de/politik/deutschland/:G8-Proteste-Ihr/590365.html