2006-03-26 

26.3.2006 Heiligendamm

Botschaft an die Teilnehmer der Konferenz

Es tut mir Leid, dass ich nicht an der Konferenz teilnehmen kann, die in Rostock organisiert wurde, um, zu Recht sehr frühzeitig die Mobilisierung zum G8 vorzubereiten. Ich hoffe darauf, dass allen Stimmen, die anwesend sind, Raum gegeben wird, weil wir aus der Auseinandersetzung der unterschiedlichen Zusammenhänge mehr Kraft gewinnen können. Es sind unsere Unterschiedlichkeiten, die das Reichtum der Bewegung ausmachen. Wir müssen davon überzeugt sein und versuchen, immer und unter allen Umständen einen konstruktiven Dialog zu suchen.

Unsere Ideen - alle Ideen - sind gefährlich. Tatsächlich wird genau deswegen auch versucht, sie über die am weitesten verbreiteten Medien zu lenken. TV-Sender und Zeitungen (und Journalisten) werden gekauft, um den Konsens zu steuern, um zu verhindern, dass die Menschen mit ihrem eigenen Kopf nachdenken. In Genua, 2001, gab es endlos viele Ideen und große Ideale: man musste sie zum Schweigen bringen. Dass Denken gefährlich ist, ist eine mehr oder weniger in allen Ländern - auch den demokratischen - überaus häufig gegebene Tatsache. Ich glaube, dass Genua einen epochalen Übergang markiert hat: den Beginn des präventiven Krieges. Das ist ein komplexes Thema, auf das ich an dieser Stelle sicher nicht vertiefen kann, das die gesamte westliche Welt betrifft.

In Italien sind Seit 2001 ungefähr 8.000 Strafverfahren gegen Protagonisten von sozialen Kämpfen eingeleitet worden: von den Angeklagten wegen "Verwüstung und Plünderung" beim G8 in Genua, bis zu den Angehörigen des Netzwerks des Sud Ribelle - dem Netzwerk des rebellischen Südens - die der "subversiven Vereinigung" bezichtigt werden, über die "kriminellen Vereinigungen" die den Bewegungen für das Recht auf Wohnraum unterstellt werden und den zahlreichen Anzeigen gegen jene, die ihren Dissens gegen den Krieg manifestiert haben. Dissens wird, in jeglicher Form, nicht mehr zugelassen: vor zwei Tagen wurden hier in Genua etwa zweihundert Personen, die fast alle ganz jung waren, von Polizia und Carabinieri hart angegriffen, weil sie gegen den Ministerpräsidenten protestierten, der an einer Kundgebung in der Theaterstätte Carlo Felice teilgenommen hatte, der wegen den Kürzungen in der Kulturfinanzierung drastische Einschränkungen der Aktivitäten drohen.

Unsere Aufmerksamkeit und unser Engagement sollten sich auf die Herstellung von gemeinschaftlicher Teilhabe und Anteilnahme bezüglich der Inhalte und Entwürfe, aber auch bezüglich der Modalitäten des Handelns konzentrieren. Es ist notwendig, dass wir unseren Blick auf die Multitüden richten, die auf Antworten auf die schrecklichen Probleme ihres Überlebens warten und es ist notwendig, dass wir wissen, dass jeder Faux-Pas [Fehltritt], jeder Widerspruch, jede Spaltung - die noch tragischer wird, wenn sie künstlich erzeugt wurde - objektiv bewirkt, dass die Hoffnung auf die Lösung von jenen Problemen zeitlich hinausgeschoben wird.

Ich wünsche Euch gute Arbeit und umarme auch Alle.

Die Mutter von Carlo,

Haidi Giuliani